Steuerung in intergouvernementalen Verhandlungen (eBook)

Führung und Vermittlung am Beispiel der europäischen und internationalen Klimaverhandlungen

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
276 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-5062-0 (ISBN)

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Steuerung in intergouvernementalen Verhandlungen -  Timo Karl
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Intergouvernementale Klimaverhandlungen sind geprägt durch ein Vertrauensdilemma. Aufgelöst werden kann dieses nur durch Führung und Vermittlung. Es ist daher ein erweitertes Verständnis des Begriffs Steuerung notwendig, um die Ergebnisse von Klimaverhandlungen erklären zu können. Am Beispiel der Verhandlungen zum Europäischen Energie- und Klimarahmen 2030 im Jahr 2014 und den UN-Klimaverhandlungen hin zum Paris-Abkommen im Jahr 2015 zeigt der Autor, wie die Bundesregierung und die EU im klimapolitischen Mehrebenensystem maßgeblich zu den jeweiligen Verhandlungsergebnissen beitrugen und wie durch die Verhandlungsergebnisse wiederum eine Stärkung des Intergouvernementalismus stattfindet.

2. Die Bundesregierung als Akteur in der europäischen und internationalen Energie- und Klimapolitik

2.1 Politikgrundsätze der Bundesregierung in der europäischen Energie- und Klimapolitik

Die deutsche Bundesregierung nimmt in der europäischen und internationalen Klimapolitik eine zentrale Rolle ein. Durch die vergleichsweise progressive Rolle in den UN-Klimaverhandlungen, die eigenen Emissionsreduktionsziele, nicht zuletzt aber auch durch den Beschluss des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG), der die Basis eines rasanten Ausbaus der Erneuerbaren Energien wurde, genießt man in klimapolitischen Fragen im europäischen und internationalen Raum ein sehr hohes Vertrauen. Gerade in der EU bietet Deutschland den anderen Mitgliedsländern als wirtschaftsstärkste Nation eine wichtige Orientierungsfunktion bei der Frage, ob eine Weiterentwicklung der Wirtschaft bei gleichzeitiger Dekarbonisierung gelingen kann. Es gilt für die Bundesregierung, diesen Prozess aufgrund der ökologischen Verwundbarkeit Deutschlands fortzusetzen.

Neben der Abwehr von Risiken entstehen im energiepolitischen Transformationsprozess auch erhebliche wirtschaftliche Chancen für Deutschland. Durch die Erneuerbaren Energien sind Arbeitsplätze im sechsstelligen Bereich entstanden und der deutsche Mittelstand profitiert umfangreich vom globalen Interesse am Nachhaltigkeitsbereich: „So sind deutsche Firmen im Bereich „Green Tec“ mit einem Marktanteil von 14 Prozent weltweit mitführend und der Markt wächst weiter: Jede siebte Unternehmensgründung in Deutschland ist gegenwärtig im Bereich Umwelt- und Effizienztechnologien zu verzeichnen.“31 Jedoch gibt es gerade im Feld der Energiepolitik auch Maßnahmen der Bundesregierung, die kontrovers diskutiert werden können und welche die möglichen Antagonismen des Konfliktfelds Energie- und Klimapolitik widerspiegeln (beispielsweise der stockende Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Bau der Nord Stream II Pipeline, die schleppende Wende im Verkehrs- und Gebäudesektor). Auch der europäische Integrationsfortschritt variiert in diesem Konfliktfeld erheblich zwischen den einzelnen Politikfeldern.

Die ambitionierte Vorreiterrolle der Bundesregierung in der europäischen Umwelt- und Klimapolitik reicht zeitlich weit zurück. Ihr Beginn wird von Helmut Weidner in den 1970er Jahren und den konfliktreichen Diskussionen um die Luftreinhaltepolitik verortet. Neben zuträglichen Strukturen und einer breit aufgestellten ökologischen Koalition sieht Weidner die Gründe für die entstandene „positive Pfadabhängigkeit“ im klimapolitischen Engagement (zu Beginn noch als Unterform der Umweltpolitik, später als eigenständiges Politikfeld) auf der Basis „einer weitverbreiteten, gleichwohl politisch fragilen Sensibilisierung für globale Verantwortlichkeit“32.

Die klimapolitischen Grundsätze der Bundesregierung wurden inhaltlich jahrzehntelang durch drei Prinzipien geprägt, das Verursacher-, das Vorsorge und das Kooperationsprinzip. Hieraus ergibt sich das Ziel, der besonderen Verantwortung der Industrieländer durch eine aktive, präventive Klimapolitik der EU gerecht zu werden. Zugleich sollen auch die Entwicklungsländer proaktiv an klimapolitischen Formulierungsprozessen beteiligt werden.33 Die klimapolitischen Grundsätze passen schematisch in die allgemeine Darstellung des Selbstbildnisses deutscher Außenpolitik durch Ulrich Roos. Dieser beschreibt übergreifend den Begriff der Verantwortung als das Element, welches seitens der Bundesregierung zur Erklärung eigener außenpolitischer Motivation herangezogen wird.34 Für die Klima- und Umweltpolitik kann dieser handlungsleitende Impetus klar bestätigt werden. Darüber hinaus reflektieren die Grundsätze das Bemühen der Bundesregierung, die eigene Energie- und Klimawende auf den einzelnen Ebenen im politischen Mehrebenensystem ausreichend zu flankieren. Neben den inhaltlichen Zielen wurde die europäische- und internationale Umweltpolitik (und der Klimapolitik) der Bundesregierung lange Zeit „durch die ordnungspolitische Tradition geprägt. Dies zeigt sich exemplarisch in der Dichte umweltpolitischer Gesetzgebung.“35 Dies bedeutete für die Bundesregierung in den europäischen und internationalen Klimaverhandlungen, die in der Arbeit untersucht werden, zum Teil erhebliche Anpassungsschwierigkeiten. In beiden untersuchten Verhandlungen zeichnete sich nämlich ab, dass verbindliche Ordnungspolitik nicht durchsetzbar sein wird und stattdessen alternative Regelungsstrukturen geschaffen werden müssen.

Im Bereich der Energiepolitik gibt die Bundesregierung in der EU hingegen ein deutlich ambivalenteres Bild ab. Der Aufbau eines europäischen Emissionshandels wird durch die Bundesregierung unterstützt und gefördert, zugleich spielt die vorgenommene Beschränkung des Emissionshandels auf den Strom- und Energiesektor für die Bundesregierung eine große Rolle. Dies dient unter anderem dem Schutz des Verkehrssektors und damit der eigenen Autoindustrie vor hohen klimapolitischen Verpflichtungen. Schon 1999 wurde die europäische Altautorichtlinie durch die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 1999 blockiert. „Am Ende entschieden sich Ministerrat und Parlament im Mai 2000 in einem Verhandlungsmarathon jedoch für die Annahme der Richtlinie. Dies war eine deutliche Kritik an der Führungsrolle Deutschlands und hat dem Ansehen des „ehrlichen Advokaten“ in der UAPOL36 sehr geschadet.“37 Die schützende Haltung der Bundesregierung gegenüber der eigenen Automobilindustrie veränderte sich zu Beginn der 2000er Jahre nicht.38 Erst der „VW-Abgasskandal“39, der Ende 2015 bekannt wurde, führte zu einer schrittweisen Lockerung der Bande zwischen der Automobillobby und der Bundesregierung.

Viele energiepolitische Grundsatzfragen werden weiterhin auf nationalstaatlicher Ebene entschieden. Die Bundesregierung schützt diese nationalstaatlichen Kompetenzen und setzt sich für supranationale Instrumente ein, welche die eigenen nationalstaatlichen Klimaschutzinstrumente im Energiesektor flankieren, nicht aber für solche, die eine weitere Kompetenzverlagerung hin zu mehr Supranationalismus in der Energiepolitik bedeuten. Auch Entflechtungen im nationalen Energiesektor mussten gegen den Willen der Bundesregierung durchgesetzt werden. Beispielhaft sei auf die Verhandlungen zum dritten Energiebinnenmarktpaket ab dem Jahr 2007 verwiesen, weil in diesen ein Schwerpunkt die Frage des ownership unbundling war.40 Eine Umsetzung der europäischen Entflechtungs- und Liberalisierungsvorgaben bei Energieerzeugung und Versorgung fiel der Bundesregierung besonders schwer, waren diese doch zu diesem Zeitpunkt in der Hand weniger großer integrierter Konzerne, namentlich E.ON, das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk AG (RWE), die Energie Baden-Württemberg (EnBW) und Vattenfall Europe.

Ein besonders polarisierendes energiepolitisches Infrastrukturprojekt, welches lange Zeit kritisch durch die Kommission hinsichtlich der Kompatibilität mit europäischen Entflechtungsvorgaben geprüft wurde41, ist das Gaspipelineprojekt Nord Stream II. Während ein westeuropäisches Wirtschaftskonsortium, mit wohlwollender Unterstützung der Bundesregierung, dieses Projekt parallel zur Ukraine-Krise 2014 und darüber hinaus forcierte, wird das Projekt durch zahlreiche ostmitteleuropäische Länder als Gefährdung der eigenen Versorgungssicherheit und als Abschwächung der europäischen außenpolitischen Position in der Ukraine-Krise gewertet. Kritiker befürchten, dass die erfolgreiche Projektumsetzung seitens Russlands als Zeichen verstanden werden könnte, „dass man imstande ist, trotz europäischer Energiepolitik und Energieunion Lücken im System zu nutzen, die spezielle Interessen und Kooperationsbeziehungen sichern …“42. Die unversöhnlichen Konfliktlinien müssen auch vor dem Hintergrund verstanden werden, dass die befürwortenden Staaten das Projekt als reines Wirtschaftsprojekt begreifen, während die ablehnenden Staaten den politischen Charakter des Projekts betonen.

Käme es zu einer Spaltung der EU im Konfliktfeld Energie- und Klimapolitik, könnte sie die gestaltende Funktion in den internationalen Klimaverhandlungen nicht aufrechterhalten. Schon gar nicht darf sie von Deutschland ausgehen, da Deutschland eine wichtige Vorreiter- und Vermittlerrolle bei der ökologischen Transformation der Wirtschaft einnimmt, wie anhand der Fallstudien belegt werden soll. Über das Konfliktfeld hinausgehend, bezeichnet es Herfried Münkler als die Aufgabe Deutschlands, die Zentrifugalkräfte in der EU einzuhegen.43 Zudem fordern spätestens seit der Finanzkrise viele Beobachter, dass das wirtschaftsstärkste und bevölkerungsreichste Land der EU seine Zurückhaltung vor einer noch größeren Verantwortungsübernahme ablegen muss.44 Jedoch sind Verantwortungsübernahme und Vorreiterrolle nur die eine Seite der Medaille, die anderen Staaten müssen einem Politik- und Wirtschaftswandel auch zustimmen können, sich in diesem wiederfinden und ihre eigenen Chancen erkennen. Hierin zeigt sich die Wichtigkeit der Leadiator-Rolle, deren Umsetzung durch die Bundesregierung in der EU-Fallstudie weiter untersucht werden soll. Energiepolitische Projekte, welche die Ablehnung wichtiger europäischer Partnerstaaten hervorrufen und zudem in ihrer Wirtschaftlichkeit...

Erscheint lt. Verlag 13.7.2023
Reihe/Serie Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Politikwissenschaften
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Vergleichende Politikwissenschaften
Schlagworte 2030 climate framework • Bundesregierung • climate negotiations • Energierahmen • energy framework • Europäische Union • European Union • Federal Government • Führung • Governance • intergouvernementale Verhandlungen • Intergouvernementalismus • Intergovernmentalism • intergovernmental negotiations • Klimaabkommen • Klimarahmen 2030 • Klimaverhandlungen • Leadership • Mediation • Mehrebenensystem • Multi-Level System • negotiation outcomes • Paris-Abkommen • Paris Agreement • Steuerung • trust dilemma • UN climate negotiations • UN-Klimaverhandlungen • verhandlungsergebnisse • Vermittlung • Vertrauensdilemma
ISBN-10 3-8288-5062-6 / 3828850626
ISBN-13 978-3-8288-5062-0 / 9783828850620
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