Gegenfeuer25 -  Tobias Kröll

Gegenfeuer25 (eBook)

Beiträge für eine Ökonomie des Glücks und zur Kritik des Markt-zentrierten Weltbilds
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
218 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-5417-2 (ISBN)
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1998 erschien das Buch Gegenfeuer des Soziologen Pierre Bourdieu. Die radikale Neoliberalismus-Kritik wendet sich gegen die Zerstörung sozialer Errungenschaften und der europäischen Zivilisation. Bourdieu plädierte für eine Ökonomie des Glücks. Tobias Kröll ließ sich unmittelbar von Bourdieus Kritik anregen. In diesem Band sind erstmals verschiedenste Texte und Erinnerungen aus 25 Jahren zusammengefasst, von einem Leserbriefstreit mit Boris Palmer über einen Vortrag beim ATTAC-Gründungskongress in Berlin bis zu einer von Tobias Kröll initiierten Petition an den Deutschen Bundestag. Diese Interventionen "spiegeln auf immer noch erfrischende Weise den von Bourdieu in persona vorgelebten Habitus eines hochgradig selbstreflexiven intellektuellen Eingreifens in die sich je konkret manifestierenden gesellschaftlichen Fragen und politischen Debatten" (Franz Schultheis).

Tobias Kröll (*1967), Fahrradmechaniker, Diplom-Pädagoge und Sozialwissenschaftler, Studium in Tübingen und Amsterdam. Er arbeitet als Schulsozialarbeiter in Wangen/Allgäu. Fellow des Berliner Instituts für kritische Theorie (InkriT) und Mitglied der Tübinger Forschungsgruppe um den Psychologen Josef Held.

„Für eine Ökonomie, die auch der Ökologie nützt“


Leserbriefstreit Palmer – Kröll („et al.“), Januar 2000, Schwäbisches Tagblatt Tübingen


Im Januar 2000 entwickelte sich auf der Leserbriefseite des Tübinger Schwäbischen Tagblatts ein Disput zwischen Boris Palmer und mir mit einigen anderen Beteiligten. Für mich war es das erste Mal, dass ich mich mit der Ökonomie-Kritik an eine etwas größere Öffentlichkeit wagte. Dabei baute ich auf Pierre Bourdieus Anregungen aus Gegenfeuer auf.

Am 30. Dezember 1999 war ein Leserbrief Boris Palmers im Schwäbischen Tagblatt erschienen. Palmer war seinerzeit Sprecher der Grünen Hochschulgruppe. Es ging um die Verwüstungen des „Weihnachts-Orkans“ Lothar, den Klimawandel und „umweltpolitische Forderungen nach dem Weihnachts-Orkan“. Anfangs gab es mehrere Beteiligte. Dann spitze es sich auf eine Auseinandersetzung zwischen Palmer und mir zu, als Streit „um eine Ökonomie, die auch der Ökologie nützt“, wie es das Tagblatt formulierte. In seinem letzten Leserbrief sieht sich Palmer „linker Diffamierung“ verschiedenster Personen ausgesetzt. Das Kernthema „Ökologie und Klimaschutz“ sei darüber aus dem Fokus geraten.

Unter der Überschrift »Höherer Preis für Öl« schreibt Palmer in seinem ersten Leserbrief nach einer kurzen Einleitung:

Öko-Alarmismus ist zwar nicht in Mode, aber die Hinweise auf anthropogene Ursachen der zunehmenden Anzahl von Umweltkatastrophen mehren sich so stark, dass die Versicherungsgesellschaften bereits ihre Prämien an höheren Schadenserwartungen ausrichten. Der letzte „Jahrhundertsturm“ Wiebke ist gerade mal zehn Jahre her. Die Jahrhunderte werden immer kürzer.

Sicher, das wird unsere hochtechnisierte Gesellschaft kompensieren können. Den Dächern wird man den Schaden nicht so lange ansehen wie den Wäldern und der ölverschmierten Atlantikküste. Die Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit beschäftigt sich folglich mit Tipps für Versicherungsfälle und kurzfristiger Symptomdokterei: Der Wetterdienst in Offenbach soll Schuld sein. Dabei warnen die Meteorologen seit langem vor einer Zunahme der Intensität von Stürmen durch die Erderwärmung.

Es gibt auch andere Zeichen zum gefeierten Jahrtausendwechsel: Der honorige Club of Rome fordert einen Benzinpreis von fünf Mark; immerhin zwei Mark wird die teuerste Sorte dank OPEC und Ökosteuer nach dem 1. Januar 2000 kosten. Populär ist das nicht. Aber Ausdruck einer auf lange Sicht konzipierten Politik, die Ursachen und nicht Symptome bekämpft. Nur ein höherer Preis für Öl, Kohle und Gas wird die Nachfrage nach den Energieträgern dämpfen, deren Verbrennung für die Veränderung des Weltklimas verantwortlich ist.

Wäre es am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht an der Zeit, diesen einfachen Zusammenhang zu akzeptieren?

Boris Palmer

Prinzipiell stimmte ich Boris Palmers Absicht zu, nicht nur an Symptomen „herumzudoktern“. Seine Fixierung auf Marktmechanismen und den Benzinpreis schien mir jedoch zu kurz gegriffen. Mein erster Leserbrief wurde am 7. Januar veröffentlicht:

»Die Ursachen liegen tiefer«
Es ist löblich, dass Boris Palmer darauf hinweist, dass Naturkatastrophen ihre Ursache zu einem Teil im menschlichen Wirtschaften haben. Unverständlich ist mir allerdings, dass er einen Benzinpreis von zwei Mark als Ausdruck einer auf lange Sicht konzipierten Politik bezeichnet, die Ursachen und nicht Symptome bekämpft. Damit bezeichnet er die Koalition von rot-grüner „Symptomdoktorei“ und der profitgierigen Trittbrettfahrerei der Ölkonzerne mit dem falschen Label. Öko-Steuern sind ein Markteingriff, der über staatlich beeinflusste höhere Preise indirekt ein anderes Verhalten am Markt bewirken soll. Gegen Markteingriffe habe ich gar nichts einzuwenden. Selbst der Urvater der Freie-Markt-Ideologie, Adam Smith, forderte eine Reihe von Staatseingriffen, von der Regulierung von Bankgeschäften und Steuern bis zur Kontrolle der Freiheit von „Geld-, Handels- und Industriekapitalisten“. Smith kommt zwar zu dem Schluss, dass der freie Markt zum bestmöglichen gesellschaftlichen Ergebnis führt, allerdings unter den Grundbedingungen der eben genannten Kontrolle von Großkapitalisten, eines staatlich finanzierten Bildungswesens sowie dem Einhalten liberaler Werte durch alle MarktteilnehmerInnen! Selbst viele Anhänger der heute vorherrschenden neoklassischen Wirtschaftstheorie halten Markteingriffe zum Zwecke des Umweltschutzes für nötig.

Wenn schon Markteingriffe, warum dann so indirekt, wenn das angestrebte Ergebnis (Umstieg auf andere Verkehrsmittel und alternative Energieträger) doch klar ist? Würde man zum Beispiel die Verbrauchswerte neuer Autos gesetzlich begrenzen, würde in der Palmer’schen Argumentationslinie das angestrebte Ergebnis wesentlich schneller erreicht werden. Doch damit würde im Gegensatz zum höheren Benzinpreis auch die Freiheit der Daimler-FahrerInnen eingeschränkt werden. Im grünen Wahlprogramm dagegen steht, dass unser Wirtschafts- und Lebensstil „sozialverträglich“ sein soll. Wirtschaft und Gesellschaft sollen auch nicht „im Sinne neoliberaler Ideologie“ den blinden Marktkräften überlassen werden. Mit dem Mittel indirekter Markteingriffe über höhere allgemeine Steuern wird die Sozialverträglichkeit sicher nicht erreicht. Wohlhabende haben so die Wahl, entweder die Umwelt weiter zu verschmutzen oder auf alternative Verkehrsmittel umzusteigen, weil sie sich beides leisten können. Die weniger Wohlhabenden werden durch diese halbherzige Politik in ihrem Lebensstandard weiter eingeschränkt, ohne im täglichen Leben positive Gegenleistungen zu spüren. Das Ergebnis: Viele Menschen werden diese Pseudo-Öko-Politik mit Umweltschutzpolitik allgemein gleichsetzen, wie es auch Palmer tut, wodurch in ihren Augen möglicherweise das ganze Projekt „ökologischsozialer Umbau“ disqualifiziert wird. Die Ursachen liegen tiefer, Palmer!

Tobias Kröll

In seinem Leserbrief vom 10. Januar geht Boris Palmer nur mit einer kurzen Passage auf meine Argumente ein:

Sozial sein heißt im 21. Jahrhundert, den Rest der Welt und die Kinder der Zukunft am Wohlstand teilhaben lassen! Das kann nur gelingen, wenn die westlichen Industriestaaten ihren Verbrauch radikal reduzieren. Von staatlicher Regulierung und Rationierung, wie sie Tobias Kröll vorschlägt, halte ich nichts. Viel intelligenter ist es, die Rationalisierungspotenziale und den Erfindergeist durch Marktkräfte zu wecken, das heißt, den Verbrauch von Umwelt schrittweise zu verteuern: die Idee der Ökosteuer.

So sehr ich Palmers erstem Satz in dieser Passage zustimmte, so merkwürdig fand ich seine Fixierung auf Marktkräfte (heute würde ich noch auf die Klimaschäden durch Superreiche und die „Verteilungsfrage“ bei klimaschädlichem Verhalten hinweisen). In meinem folgenden Leserbrief bezog ich mich erstmals auf Pierre Bourdieu. Das Schwäbische Tagblatt schrieb dazu: „Nächste Runde im Disput Palmer versus Kröll um eine Ökonomie, die auch der Ökologie nützt (Leserbriefe vom 7. und 10. Januar)“.

Unter der Überschrift „Wie Bourdieu sagt“ erschien mein Leserbrief am 13. Januar 2000:

„Es ist unendlich viel einfacher, für oder gegen eine Idee, einen Wert, eine Person, Institution oder Situation Stellung zu beziehen, als das zu analysieren, was sich in Wahrheit in seiner ganzen Komplexität dahinter verbirgt.“ (Pierre Bourdieu) Die Welt ist komplex und besteht eben nicht einfach aus Schwarz oder Weiß, Markt oder Staat. Ich habe meine Forderung nach staatlicher Regulierung mit dem Urvater der „Freie-Markt-Ideologie“, Adam Smith, begründet. Dieser warnte vor der Selbstsucht der Geld-, Handels- und Industriekapitalisten.

Die von Palmer genannte Idee der Öko-Steuer wurde 1983 vom Schweizer Ökonom Hans-Christoph Binswanger entwickelt. Ich bin kein Ökonom und bemühe mich, keine Aussagen zu treffen, die ich nicht belegen kann. Binswanger dürfte jedoch Palmers Aussage, es sei am intelligentesten, möglichst den reinen Marktkräften zu vertrauen, zumindest kritisch gegenüberstehen. Binswanger kritisierte — ebenso wie Bourdieu — einen der wichtigsten Väter der heute vorherrschenden „neoklassischen Wirtschaftstheorien“, Léon Walras. Dieser leistete einen enormen Beitrag dazu, Wirtschaft und Gesellschaft in mathematische Formeln zu pressen.

Genau darin liegt nach Ansicht Bourdieus eines der Hauptprobleme. Die Macht wissenschaftlicher Autorität wirkt, verkleidet in mathematische Formeln, bis ins Bewusstsein der Menschen. Die Ideologie der freien Märkte kommt so unter dem Deckmantel reiner Vernunft daher und verunglimpft vernünftiges Denken als irrational. In schöne Worte gewandet präsentiert sich diese oft als „neoliberal“ bezeichnete Ideologie als Befreiungsbotschaft: Freiheit, Befreiung,...

Erscheint lt. Verlag 6.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7568-5417-5 / 3756854175
ISBN-13 978-3-7568-5417-2 / 9783756854172
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