Wie wir leben wollen -

Wie wir leben wollen (eBook)

Festschrift für Volker Hergenhan zum 80.Gebutstag

Klaus Eberl (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
244 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-5874-2 (ISBN)
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Weggefährten von Volker Hergenhan aus Wirtschaft, Arbeitswelt, Kirche und Sozialethik ehren mit Ihren Beiträgen den ehemaigen Direktor der Evangelischen Sozialakademie Friedewald und dankemn ihm für sein Engagement als Geschäftsführer der Stiftung Sozialer Protestantims.

Traugott Jähnichen


„Weißt Du, wie viel Sternlein stehen …“ –


Neue Gefährdungen der Nachhaltigkeit durch kommerzielle Nutzungen des Weltraums


Einleitung

Der Blick in den Sternenhimmel hat wohl Menschen zu allen Zeiten tief beeindruckt und Anstöße vermittelt, über das bloße Hier und Jetzt hinauszudenken, die alltägliche Wirklichkeit zu transzendieren. Die biblische Überlieferung ist voll von solchen Erfahrungen, wie es besonders eindrücklich in den Psalmen beschrieben wird, etwa in Ps. 8 oder in Ps. 147. Ebenso finden sich in Kinderliedern und nicht zuletzt in Liedern der Kirchengesangbücher viele Beschreibungen des als majestätisch wahrgenommenen Sternenhimmels, der auf den Schöpfer verweist und zum Schöpfungslob aufruft. Als ein Echo auf diese Erfahrungswirklichkeit in der Moderne ist schließlich an Immanuel Kant zu erinnern: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder … außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz.“ (Kant, KrpV, Beschluss, 1956, 300)

Jedoch wird die reale Erfahrung des Sternenhimmels seit der modernen Erfindung von elektrischem Licht immer mehr eingeschränkt, was zumindest nach Kant negative Auswirkungen auch auf das menschliche Existenzverständnis und die moralische Haltung haben dürfte. Die künstlich hellen Nächte vor allem in urbanen Regionen strahlen so viel Licht ab, dass der Sternenhimmel kaum noch in seiner Erhabenheit wahrgenommen und damit immer weniger mit der Erkenntnis des „moralischen Gesetzes in mir“ verknüpft werden kann. In eher ländlichen Bereichen Europas und vor allem in wenig industrialisierten Regionen des globalen Südens ist dies noch am ehesten möglich.1 Doch auch diese Wahrnehmung des Sternenhimmels könnte in Kürze erheblich gestört werden, wenn sich die kommerzielle Nutzung des Weltraums ungezügelt fortsetzt. Zugleich ist der gegenwärtig sich vollziehende Schritt hin zu dieser neuen Dimension kommerzieller Nutzung ein nahezu folgerichtiger Schritt der potenziell grenzenlosen Dynamik modernen, kapitalistischen Wirtschaftens. In dem folgenden Beitrag werden diese neuen Entwicklungen skizziert und systematisch verortet, um nach notwendigen Begrenzungen der kapitalistischen Dynamik zu fragen.

1. Die Grenzenlosigkeit der modernen, kapitalistisch-industriellen Verwertungslogik

Angesichts der zunehmenden ökonomischen Nutzung des Weltraums steht die Menschheit vor einer neuen Herausforderung, die neben ökonomischen Vorteilen eine Vielzahl von ökologischen Gefahren in sich birgt. Zurzeit greifen Menschen in den Weltraum vor allem durch knapp 5.000 aktive Satelliten und durch die Verursachung von entsprechendem Satelliten-Schrott ein, der bei Eintritt in die Erdatmosphäre zum größeren Teil verglüht, aber vereinzelt Schäden verursacht. Dies könnte sich jedoch dramatisch ändern, wenn die nun absehbaren, weiteren Nutzungen des Weltraums vor allem durch sog. Satelliten-Megakonstellationen, aber auch durch den sich abzeichnenden Weltraumtourismus, durch geplante, regelmäßige Transportflüge zum Mond oder auch Mars sowie durch den Abbau von wertvollen Gesteinen aus Himmelskörpern ausgeweitet werden. Es besteht die Gefahr, dass ökologische Schäden, ähnlich wie in früheren Phasen der ökonomischen Entwicklung, externalisiert werden und letztlich die gesamte Menschheit bedrohen. Nach wie vor ist das „globale ‚Nachhaltigkeits-Trilemma‘“ (Sautter 2017, 731) ungelöst: Dieses Trilemma besteht darin, dass durch politische Entscheidungen „das Wachstum eines ressourcenintensiven Wohlstands sehr viel höher gewichtet wird als die Erhaltung funktionsfähiger Ökosysteme und die Verwirklichung einer inter- und intragenerationellen ‚Gerechtigkeit‘“ und dass es für dieses Problem „bisher keine effizienten und ethisch akzeptablen Lösungen“ (Sautter 2017, 731) gibt. In dieser Situation kommt es umso mehr darauf an, frühzeitig Regeln für eine nachhaltige Nutzung des Weltraums aufzustellen und rechtlich verbindlich zu verankern, um ökologisch negative Konsequenzen zumindest minimieren zu können.

Grundsätzlich bedarf es, um die moderne wirtschaftliche Entwicklung zu kennzeichnen, so bereits vor rund einhundert Jahren die prägnante Diagnose des Theologen und Kulturphilosophen Ernst Troeltsch, „nur eines Wortes, sie ist der Kapitalismus, und zwar der Kapitalismus nicht bloß als Industrie- und Geldgeschäft, sondern als Handwerk und Landwirtschaft gleicher Weise ergreifende kapitalistische Betriebsform überhaupt.“ (Troeltsch 1922, 308) Indem die „kapitalistische Betriebsform“ eine optimale Verwertung investierten Kapitals anstrebt, tendiert sie zu einer grenzenlosen, universalen Ausbreitung. Auf diese Weise werden nicht nur die Bereiche wirtschaftlichen Handelns, wie bereits von Troeltsch zum Ausdruck gebracht, durch dieses Kalkül bestimmt, sondern nach und nach die gesamte Lebenswelt: Dies erleben wir spätestens seit dem Ende des 20. Jahrhunderts, als nach dem Gesundheits- und Sozialbereich auch die Wissenschaften und nicht zuletzt die Kunst maßgeblich auch von einem wirtschaftlichen Kalkül bestimmt werden.

Gemäß dieser Logik tendiert auch die räumliche Ausdehnung der „kapitalistischen Betriebsform“ ins Grenzenlose, wie es klassisch Karl Marx und Friedrich Engels im „Kommunistischen Manifest“ festgestellt haben: Das „Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz“ – hinzu kam und kommt die Nutzung von Rohstoffen und im Zeitalter der Globalisierung zunehmend eine weltweite Vernetzung von Produktionsstandorten – führt zu einer Ausbreitung des Kapitalismus „über die ganze Erdkugel. Überall muss … (er) sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“ (Marx/Engels 1980, 49) Dieses dynamische, tendenziell auf grenzenloses Wachstum und auf eine zunehmende Beschleunigung ausgerichtete Kalkül führt zu einer strikten Rationalisierung der gesamten Lebensführung, indem die konsequente Anwendung der „rationell-wissenschaftlichen Methode der Technik, … die rationelle Kunst der Arbeitsteilung, die Berechenbarkeit jedes Wertes an bestimmten Tauschwerten“ sowie letztlich „die Konstruktion des ganzen Daseins aus wirtschaftlichen Gesetzen“ (Troeltsch 1922, 309) durchgesetzt werden.

Diese wirtschaftliche Dynamik hat sich als ungeheuer erfolgreich erwiesen und zu einer immer optimaleren und historisch beispiellosen Versorgung von immer mehr Menschen mit Gütern und Dienstleistungen geführt. Gleichzeitig hat die dieser Dynamik innewohnende Entgrenzungslogik hohe negative externe Kosten freigesetzt, d.h. Kosten, die nicht im Bereich der Wirtschaft berechnet und bezahlt werden, sondern die sich auf die Lebenswelt der Menschen negativ auswirken. So sind einerseits die Sozialkulturen vieler Gesellschaften durch diese Logik unterminiert und andererseits die natürlichen Lebensgrundlagen in einem sehr hohen Maß beansprucht und teilweise zerstört worden. Weil die Dynamik wirtschaftlichen Handelns „in dem reibungslosen Funktionieren eines endlosen Prozesses (Arendt 1981, 123) von Produktion und Konsum sich tendenziell zu verabsolutieren droht, besteht die ständige Herausforderung darin, wie diese Logik der Entgrenzung durch Formen einer sozialen und nachhaltigen Einbettung ökonomischen Handelns (vgl. Granovetter 1985) ausbalanciert werden kann. In diesem Sinn haben die meisten industrialisierten Nationalstaaten seit dem Ende des 19. bzw. dem ersten Drittel des 20. Jahrhundert schrittweise Systeme sozialer Sicherung und seit dem Ende des 20. Jahrhundert einzelne Elemente einer ökologischen Regulierung ökonomischen Handelns entwickelt. Beides ist nach wie vor unzureichend, wobei insbesondere ökologische Regulierungen bisher kaum angemessen umgesetzt werden konnten.

Um die Dimension einer ökologischen Einbettung wirtschaftlichen Handelns zu verankern, ohne die sozialen und ökonomischen Aspekte zu vernachlässigen, ist seit rund fünfzig Jahren das Konzept der Nachhaltigkeit zu einem regulativen Leitbild entwickelt worden, das eine angemessene Integration von ökonomischen, sozialen und ökologischen Anliegen zu verwirklichen versucht. Nachhaltigkeit in diesem Sinn ist wesentlich ein auf die Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften bezogenes Konzept, da es neben den Interessen der gegenwärtig lebenden Menschen auch diejenigen zukünftiger Generationen in die Überlegungen einbezieht. (vgl. Brundland-Bericht 1987) Auch wenn die Versuche einer Umsetzung des Nachhaltigkeits-Konzepts in vielerlei Hinsicht bisher unzureichend geblieben sind, ist auf diese Weise dennoch die Perspektive einer lebensdienlichen Regulierung ökonomischen Handelns eröffnet worden. In besonderer Weise sind gegenwärtig die Sustainable Development Goals (SDG) der...

Erscheint lt. Verlag 11.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7578-5874-3 / 3757858743
ISBN-13 978-3-7578-5874-2 / 9783757858742
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