Der Jahrhundertcoup (eBook)
352 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-29748-0 (ISBN)
Der Raub des sächsischen Staatsschatzes aus dem Grünen Gewölbe in Dresden hielt Deutschland jahrelang in Atem. In der Nacht zum 25. November 2019 verschafften sich sechs schwarz gekleidete Männer Zutritt zu den Räumen des Dresdner Schlosses, schlugen mit Äxten auf die Vitrinen ein und entwendeten Schmuck im Versicherungswert von über hundert Millionen Euro. Die beiden SPIEGEL-Bestseller-Autoren Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer sind wie gewohnt hautnah dran am Geschehen! Anhand exklusiver Einblicke in die Ermittlungsakten, zahlreicher Gespräche und Videoanalysen gelingt ihnen nicht nur die minutiöse Rekonstruktion eines Jahrhundertverbrechens. Sondern auch ein detailgenaues Portrait deutscher Polizeiarbeit, die am Ende (nur) zu einem Teilerfolg führt. Verurteilt werden fünf Mitglieder des Rammo-Clans, mit dem sich die Autoren schon seit Jahren beschäftigen. Dieser Fall steht exemplarisch für die um sich greifende Clankriminalität und zeigt eindrücklich, wo die Schwierigkeiten bei der Verfolgung der Verbrechen liegen. True Crime at its best, erzählt am spektakulärsten und dreistesten Einbruch in der Geschichte der Bundesrepublik.
Begleitende Dokumentationen auf SPIEGEL TV.
Von den Machern der YouTube-Serie 'Im Verhör' und des gleichnamigen Kult-Podcasts.
Mit Farbbildteil
Thomas Heise, geboren 1959 in Berlin (Ost), ist seit 1994 Reporter für SPIEGEL TV. Er war Redaktionsleiter des SPIEGEL TV Magazins sowie Stellvertretender Chefredakteur, derzeit ist er verantwortlicher Leiter für Investigation. Seit vielen Jahren recherchiert er über den Aufstieg krimineller Banden und Clans in Deutschland. Zusammen mit Claas Meyer-Heuer und Jörg Diehl veröffentlichte er den Bestseller »Rockerkrieg«. Zuletzt erschien von ihm und Claas Meyer-Heuer »Die Macht der Clans«, ebenfalls ein Bestseller; für den gleichnamigen Film erhielt das Reporterduo 2021 den Bayerischen Fernsehpreis. Millionen Fans verfolgen unter dem Titel 'Im Verhör' auf YouTube und im SPIEGEL-Podcast regelmäßig die exklusiven Berichte aus der Szene.
Schwierige Zeiten
Der Diebstahl der Juwelen aus dem Historischen Grünen Gewölbe war nicht nur der Juwelenraub mit der wertvollsten jemals gestohlenen Beute. Wahrscheinlich sogar weltweit. Es war auch ein Angriff auf den Stolz und ein Stich ins Herz des ganzen Landes.
»Nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen wurden bestohlen«, ließ Ministerpräsident Michael Kretschmer am selben Tag schon wenige Stunden nach dem Einbruch verlauten. »Sondern wir Sachsen! Die Werte … im Grünen Gewölbe und im Residenzschloss … sind von den Menschen im Freistaat Sachsen über viele Jahrhunderte hart erarbeitet worden.«
Dies war einerseits richtig. Aber andererseits auch eine Beschönigung der Geschichte. Zwar waren es in der Mehrzahl sächsische Handwerker und Künstler, die die meisten Exponate im Grünen Gewölbe geschaffen hatten. Und natürlich verdankten die sächsischen Herrscher den Reichtum zuallererst ihren Untertanen. Aber wie überall im Absolutismus war dieser Reichtum auch ein Resultat von Ausbeutung, Leibeigenschaft und Fronarbeit. Während der bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts galten die Schatzkammern in Europa deshalb als Symbole des menschenverachtenden, absolutistischen Machtanspruchs und wurden von den Aufständischen als Erstes geplündert.
Nur die Sachsen plünderten nicht. Deshalb ist ihre heute die reichste Schatzkammer Europas. Und das, obwohl sie anderen Gefahren ausgesetzt war in ihrer langen Geschichte. Die heftigste Bedrohung waren der Zweite Weltkrieg und die Bombennächte im Februar 1945, als auch Teile des Residenzschlosses dem Feuer zum Opfer fielen. Drei Räume des Grünen Gewölbes stürzten damals ein, auch die restlichen fünf waren danach unbegehbar. Glücklicherweise hatten die Nationalsozialisten die kostbarsten Stücke schon vor dem Krieg in die Festung Königstein ausgelagert.
Nach dem Sieg der Alliierten kassierte die Sowjetunion 1945 den Staatsschatz ein, gab ihn aber 1958 in einem feierlichen Akt an die DDR zurück. Der allerdings fehlten die Mittel, die alten Räume angemessen zu restaurieren. Ein Teil der Schätze wurde im Albertinum ausgestellt, das im real existierenden Sozialismus in Dresden eine Art Universalmuseum für alles und jedes war. Das Grüne Gewölbe verfiel unterdessen; zur Wende war nicht viel mehr von ihm übrig als eine Ruine.
Trotzdem beginnen die Dresdner sofort nach der Wende mit dem Wiederaufbau des Grünen Gewölbes. Von Anfang an ist es das Ziel der Stadt, sich bei der Rekonstruktion und Renovierung des Museums so exakt wie möglich an der historischen Vorlage zu orientieren. Dreißig Betriebe arbeiten an der Rekonstruktion, es werden die alten Farben gemischt und die Spiegel nach einer alten, giftigen, gesetzlich verbotenen Methode mit Zinnamalgam und Quecksilber bedampft. Dafür wird sogar das Gesetz außer Kraft gesetzt. Nur um den ursprünglichen Glanz der Räume zu reanimieren.
Zum Schluss bekommt jedes Exponat seinen angestammten Platz. Der befindet sich in der Regel wie in den vergangenen 400 Jahren nicht in einer Vitrine. Sondern frei im Raum stehend auf einer Konsole. Nur die Juwelen werden hinter Glas ausgestellt. Auch das entspricht dem historischen Vorbild.
Das Sicherheitskonzept
Anfangs hat es noch Überlegungen gegeben, alle Schätze hinter einer raumhohen Verglasung zu präsentieren. Am Ende aber setzt sich die Idee eines barrierefreien Museums durch. Nicht die Exponate werden in Vitrinen verbannt. Sondern der ganze Raum wird selbst zu einer Vitrine.
Für die Überwachung der Ausstellungstücke bedeutet das einen immensen Mehraufwand. Das dafür nötige »Konzept für kriminelle Handlungen«, wie Michael John es nennt, wird Anfang der 2000er-Jahre entwickelt. Michael John ist der »Leiter im Bereich Bautechnik und Sicherheit der Staatlichen Kunstsammlungen« und damit verantwortlich für dieses Konzept. Mit am Tisch bei der Planung sitzen das LKA, das damalige Hochbauamt und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Zusammen schreiben sie einen Wettbewerb aus mit einem detaillierten Lastenheft unter Berücksichtigung der baulichen Vorgaben: Wie hoch ist die mechanische Sicherheit der Türen und Fenster, wie stabil sind die historischen Gitter, welche Kraftentwicklung muss das Glas aushalten können? Welche elektronischen Maßnahmen sind außen notwendig und welche innen?
Wie jedes Sicherheitskonzept steht auch das im Grünen Gewölbe auf drei verschiedenen Säulen: bauliche Voraussetzung, personelle Ausstattung, elektronische Maßnahmen. Entscheidend für den Erfolg ist ein abgestimmter, ineinandergreifender Mix.
An dem historischen Gebäude lässt sich nichts modifizieren, es ist so da, wie es ist. Unten im Erdgeschoss sichern Gitter die Fenster. Die haben bereits den Zweiten Weltkrieg überstanden und damit hohe Stabilität bewiesen. Sie dürfen bleiben. Bei den Fenstern entscheidet man sich für eine Festverglasung. Keine Flügel. Keine Öffnungen. Nichts, was man zusätzlich sichern muss. Auch Schächte für den Rauch- und Wärmeabzug existieren hier nicht.
Im Inneren sollen dann Dual-Bewegungsmelder mit Infrarotanteil und Laserscanner zum Einsatz kommen. Diese sichern einzelne Bereiche und manchmal auch nur einzelne Exponate ab und lösen einen Alarm in der Leitzentrale aus, sobald sich eine Hand in die Nähe eines Objektes schiebt. An den Vitrinen werden Magnetkontakte, Riegelkontakte und Erschütterungsmelder verbaut. Und alles lässt sich durch Blockschlösser mit kapazitivem System aus- oder scharfschalten, je nach Bedarf.
Ähnliche Systeme sind auch für den Außenbereich vorgesehen. Die ganze Fassade wird mittels lückenlos platzierter Laserscanner überwacht. Das System soll eine Art unsichtbarer Vorhang sein, der ursprünglich vom Dach bis zum Boden reicht. Weil auf den unteren Metern zu viele Fehlalarme ausgelöst werden, beginnt der Vorhang dann aber erst auf einer Höhe von zwei Meter fünfzig. Jedem dieser Scanner sind Kameras zugeordnet, die ihr Bild automatisch auf den sogenannten Alarmmonitor in der Leitzentrale aufblenden, wenn der Scanner irgendwo eine fremde Bewegung erkennt.
Kernstück des ganzen Sicherheitssystems ist wie überall die Sicherheitsleitzentrale. In manchen vergleichbaren Objekten liegt sie im Bereich des Diensteinganges. Im Dresdner Residenzschloss ist sie mitten im Gebäude untergebracht. Sicher vor einem Hochwasser der Elbe. Uneinnehmbar bei einem Angriff von oben. Und vor allem gibt es keinen direkten Zugang von der Straße aus. In der Zentrale selbst sollen nur speziell geschulte Mitarbeiter eingesetzt werden. Auch wenn sie 1,50 Euro mehr pro Stunde kosten.
Als das Grüne Gewölbe dann 2006 mit einer feierlichen Zeremonie eröffnet wird, sind die Fachleute begeistert von dem »revolutionären Sicherheitskonzept«. 45 Millionen Euro hat die Renovierung des Grünen Gewölbes gekostet. Ein großer Teil wurde für die Sicherheit verwendet.
Die Öffentlichkeit allerdings interessiert sich mehr für den gesellschaftlichen Aspekt der Feier: Alle, die sich mit Schätzen auskennen, sind gekommen, um bei der Eröffnung dabei zu sein: die Rothschilds, die Begum, Sotheby’s, der britische Botschafter und die erste Riege des internationalen Adels. Die Zeitungen sprechen wahlweise vom »Grünen Wunder« oder dem »großen Spektakel«, und es gibt niemanden, der nicht wenigstens »zutiefst beeindruckt ist vom Wundertresor«. Oder »überwältigt von der märchenhaften Aura« der Räume.
Innerhalb kürzester Zeit wird das Grüne Gewölbe zum Pflichtprogramm für jeden Dresden-Besucher. Auch für die aus der Politik. Die Obamas. Angela Merkel. Alle geraten sie angesichts der Pracht ins Schwärmen. Wie in früheren Jahren, als selbst so ein rationaler Misanthrop wie der Philosoph Arthur Schopenhauer von einem »Feen-Palast« fabulierte. Und Gerhart Hauptmann, deutscher Nobelpreisträger für Literatur, meinte vor 100 Jahren nach einem Besuch: »Wer das Staunen verlernt hat, hier lernt er es wieder.«
Die frühen Jahre
Genau das war schon immer der tiefere Sinn des »Grünen Gewölbes«. Als das Wort zum ersten Mal auftauchte, im Jahr 1572, beherbergte der Ort bereits alles, was staunenswert war und zur damaligen Zeit den Anschein von Wert besaß: Natternzungen, Korallenzinken, Hasengeweihe, Schildkrötenpanzer und Ziersäulen aus Elfenbein, die der Kurfürst von Sachsen selbst drechselte, wenn das Regieren ihm Zeit dafür ließ.
Damals war das Grüne Gewölbe allerdings nicht viel mehr als ein begehbarer Tresor im Residenzschloss zu Dresden. Eine »geheime Verwahrung«, mit fünf verschlossenen Schränken in einem Raum, der mit malachitgrüner Farbe gestrichen war. Daher der Name.
August der Starke
150 Jahre später war daraus bereits »eine der reichsten Schatzkammern Europas« geworden. Vielleicht sogar überhaupt die reichste. Vergleichbar nur mit der Tribuna in den Uffizien von Florenz, die damals die Macht der Medici illuminierte. Und mit der Schatzkammer des Sonnenkönigs, Ludwigs XIV., in Versailles. Beide Räumlichkeiten hatte August der Starke, Kurfürst von Sachsen, der angeblich mit bloßer Hand ein Hufeisen biegen konnte, auf seinen Reisen besucht. Und sie bei der Gestaltung des Grünen Gewölbes dann zum Vorbild genommen. Die erste Skizze für die Neugestaltung der Schatzkammer hat er eigenhändig gezeichnet. Das Dokument existiert noch immer im Grünen Gewölbe.
Geplant hatte er eine Neun-Raum-Schatzkammer, die – ganz im Sinne des barocken Gesamtkunstwerks – einer wohlüberlegten Dramaturgie gehorchte. Es war eine Art Steigerungslauf, beginnend mit dem warmen Glanz des Bernsteinzimmers und endend mit einem Feuerwerk aus Diamanten, Rubinen und Smaragden im letzten Raum.
Umgesetzt wurden die Ideen von 1723 bis 1729 durch...
Erscheint lt. Verlag | 25.10.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2023 • 4 blocks • Abou-Chaker • Banden • Bandenkriminalität • Bayerischer Filmpreis • Bushido • Clan-Kriminalität • Die Macht der Clans • Dresden • Dresdner Schloss • eBooks • Grünes Gewölbe • grünes gewölbe einbruch • grünes gewölbe raub • im verhör • Juwelendiebe • Kriminalfall • Neuerscheinung • Organisierte Kriminalität • Organisiertes Verbrechen • Polizeiarbeit • rammos • Raubüberfall • Remmo • Rockerkrieg • SPIEGEL TV Podcast Im Verhör • True Crime • youtube im verhör |
ISBN-10 | 3-641-29748-6 / 3641297486 |
ISBN-13 | 978-3-641-29748-0 / 9783641297480 |
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