Kriminell? (eBook)

Die dunkle Seite der Innovation | brand eins books

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
128 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02079-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kriminell? -  Antje Joel
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Geschichten von erfolgreichen Kriminellen faszinieren und erschrecken uns schon immer. Ob «Scarface» als Alter Ego des organisierten Verbrechens oder «Mr. Nice» Howard Marks, der reale große Cannabisdealer und Bestsellerautor. Sie alle verbindet das Bild des kriminellen Genies. Vor allem ihr Einfallsreichtum und Innovationsgeist können dabei als Vorlage auch für legale Geschäfte dienen. Es gibt etliche Gemeinsamkeiten zwischen Kriminellen und Erfolgsunternehmern, u. a. sind die Grenzen der Legalität oftmals unscharf. Können wir von der Unterwelt lernen, ohne dabei selbst zu Verbrechern zu werden? Antje Joel macht die Muster und Erfolgsfaktoren von Verbrecherkarrieren sichtbar und zeigt, wie wir sie für unsere legalen Zwecke nutzen können.

Antje Joel, geboren 1966, arbeitet seit 1994 als freie Journalistin und Autorin. Ihre Texte erschienen unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, der Brigitte, im Tagesspiegel und im Spiegel. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Axel-Springer-Preis und den Egon-Erwin Kisch-Preis. Sie ist Dozentin für Kriminologie und Strafjustiz.

Antje Joel, geboren 1966, arbeitet seit 1994 als freie Journalistin und Autorin. Ihre Texte erschienen unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, der Brigitte, im Tagesspiegel und im Spiegel. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Axel-Springer-Preis und den Egon-Erwin Kisch-Preis. Sie ist Dozentin für Kriminologie und Strafjustiz.

Legale Geschäftspraktik oder Verbrechen? – Versuch einer Standpunktklärung


«Die Polizei hat versucht, Verbrechen zu verhindern. Aber ohne kann sie nicht existieren.»

Philomena Cunk, «Moments of Wonder – Crime», Episode 2

«Selbst wenn ich von der Richtigkeit meiner Meinung fest überzeugt bin, wird sie am Ende nicht mehr als ein totes Dogma sein, eine formelhafte, gedankenlose Antwort – es sei denn, sie wird ausführlich, häufig und furchtlos diskutiert.»

John Stuart Mill

Ob das moralisch vertretbar ist? Die Eigenschaften, Erfahrungen, Erkenntnisse und Praktiken von erklärten und, ja, erfolgreichen Kriminellen auf ihr Innovationspotenzial hin zu betrachten? Die Risikobereitschaft und Beharrlichkeit einer Menschenschmugglerin. Das Networking-Geschick eines Drogendealers und sein Gespür für Gelegenheiten. Die Art, wie es ein Wall-Street-Betrüger verstand, ohne viel eigenes Zutun den Ruf einer vertrauenswürdigen Finanz-Koryphäe zu gewinnen und dieses Ansehen über Jahrzehnte zu wahren. Darf man das Potenzial, mit dessen Hilfe diese Menschen anderen teilweise schwer geschadet haben, überhaupt als Potenzial sehen? Ist es richtig, ihren Eigenschaften und Fähigkeiten einen Wert beizumessen – und diesen Wert für uns als Einzelne oder zusammen als Gesellschaft hier in Buchform zu propagieren?

Das kommt darauf an. Darauf, wie haarscharf Sie die Demarkationslinie ziehen wollen zwischen den Rechtschaffenen – das sind für gewöhnlich WIR. Und den Verbrechern – das sind die ANDEREN. Es kommt darauf an, was wir für Erfolg halten wollen. Welche Mittel uns gerechtfertigt scheinen, um ihn zu erreichen. Und wer diese Mittel einsetzen darf. Es kommt darauf an, wie Sie Innovation definieren. Als die Fähigkeit, eine passgenaue Lösung zu einem Problem zu finden? Oder eine Gelegenheit zu erkennen und sie effektiv zu nutzen? Und es kommt auf Ihre Bereitschaft an, weder das Problem noch die Lösung abseits der Innovation zu bewerten.

Das fällt bei einigen Verbrechen leichter als bei anderen, und dem soll hier durchaus Rechnung getragen werden. Obwohl zum Beispiel Ted Bundy ein überaus erfolgreicher (mehr als zehn Jahre tätig; gestand, 28 Frauen ermordet zu haben), innovativer (wie er das Vertrauen von Frauen gewinnen konnte, hatte er als Psychologiestudent bei einer Krisenhotline gelernt) und weltberühmter Serienmörder war (bis heute werden ihm Bücher, Dokumentationen und Spielfilme gewidmet), wollen wir ganz sicher nicht seinen Skill-Katalog auf allgemeine Geschäftstauglichkeit hin prüfen. Dennoch ist interessant, welche Faszination, ja Verehrung er auslöst – für den Kriminologen und Serienmörder-Experten Elliott Leyton war angesichts der Huldigung von Serienmördern erstaunlich, dass es nicht sehr viel mehr von ihnen gibt.

Wir haben eine seltsame Liebesbeziehung mit Verbrechen. Mord, Totschlag, Entführung, Bankraub, Anlagebetrug. Je größer und blutiger das Verbrechen, je grausam-genialer die Gangster, umso faszinierter von beiden sind wir. Verbrechen unterhalten – solange wir ihnen nicht selbst zum Opfer fallen. Unsere wachsende Obsession für Modern True Crime ist der jüngste Beweis. Das Genre hat sich innerhalb weniger Jahre zu einem Milliardengeschäft entwickelt. True-Crime-Dokumentationen schaffen es regelmäßig auf den ersten Platz unter den Netflix-Top-Ten und halten diese Position wochenlang. Die erste Crime Convention (CrimeCon) 2017 in Indianapolis, Indiana, und laut Eigenwerbung «eine immersive, mehrtägige Veranstaltung, die sich ganz dem Thema wahre Kriminalität und Rätsel widmet», hatte damals 800 Teilnehmer – im Jahr 2023 waren 5000 Besucher bei der CrimeCon in Orlando, Florida.

Laut CrimeCon-Statistik sind 82 Prozent der Besucher weiblich. Das Durchschnittsalter liegt bei vierzig Jahren, das durchschnittliche Haushaltseinkommen bei 175000 Dollar. Die Eintrittspreise bewegen sich zwischen 379 Dollar (Standard), 799 Dollar (Gold VIP) und 1699 Dollar (Platinum VIP). Es vergnügen sich dort also vor allem Menschen, davon darf angesichts der Zahlen ausgegangen werden, die im wirklichen Leben eher selten mit Verbrechen und denen, die sie verüben, in Kontakt kommen. Oder: die selten mit einer bestimmten Art von Verbrechen und Verbrechern in Kontakt kommen. «Ich denke, es gibt viele Ursachen für Kriminalität. Aber wenn man sich anschaut, wo sie die größten Auswirkungen hat, dann in den ärmsten Schichten der Gesellschaft. Diejenigen, die im Strafrechtssystem landen, sind Menschen, die weniger Geld und weniger Chancen in unserer Gesellschaft haben», sagt Patricia Gallan, die ehemalige Vize-Polizeipräsidentin der Metropolitan Police (MET) in Großbritannien. Hat unser Begriff von Erfolg und unser Streben danach möglicherweise etwas damit zu tun?

Ein Auto, ein Haus, eine gute Ausbildung für die Kinder und eine gesicherte Rente: Der amerikanische Traum wird auch in Deutschland geträumt. «Er wurde schnell zum Verkaufsslogan für materiellen Komfort und (… den) Lebensstil der Mittelklasse», schreiben die Kriminologen Steven Messner und Richard Rosenfeld. Erfolgreich ist, wer es schafft, sich den Traum zu erfüllen. Egal, mit welchen Mitteln?

Der amerikanische Soziologe Robert Merton fand, dass institutionalisierte Werte – die als Grundlage für ein gemeinsames Ziel und damit die gesellschaftliche Ordnung gedacht sind – auch den gegenteiligen Effekt haben können, wenn sie vornehmlich in der Anhäufung von Wohlstand bestehen. Dann wirkten sie der Kontrolle entgegen, die wir uns von ihnen erhofften. Wenn hauptsächlich materieller Erfolg als Erfolg gilt, setze das diejenigen, die kaum Chancen haben, ihn mit legalen Mitteln zu erreichen, unter enormen Druck. «Betrug, Korruption, Laster, Verbrechen, der ganze Katalog verbotenen Verhaltens kommt (dann) immer häufiger vor.» Merton sah Menschen, die diese kulturellen Ziele verinnerlicht haben und teilen, sie aber mit illegitimen Mitteln erreichen, als Innovatoren. Der chancenarme Jugendliche, der stiehlt oder Drogen verkauft, um beim Besitzwettbewerb mitzuhalten. Der Börsenmakler, der über Jahrzehnte unbemerkt ein Ponzi-Schema betreibt und sich damit einen guten Ruf und Millionen verdient. Beide haben eine passgenaue Lösung für ihr Problem gefunden.

Letztlich geht es weder uns noch ihnen ums Materielle. Es geht um den Status, den uns Besitz verschafft. Es geht um Respekt. «Wer keine Möglichkeit hat, eine respektable Identität für sich aufzubauen und sich von der ‹respektablen Gesellschaft› verstoßen sieht, ist offen für eine Lösung dieses Problems», schreibt der australische Kriminologe John Braithwaite. Kriminalität und kriminelle Gruppen können diese Lösung bieten.

Erfolgreiche Kriminelle, das Thema ist selbst unter Kriminologen nahezu ein Tabu. «Verbrechen ist meist engstirnig, wird üblicherweise nicht zu Ende gedacht und bringt dem Täter keine oder nur kurzfristige Vorteile», urteilte der Soziologe Travis Hirschi Anfang der Neunzigerjahre. Diese Sicht hat sich nicht geändert. «Crime doesn’t pay! Verbrechen lohnt nicht!», lautet die sprach- und kulturübergreifende Mahnung. Zugegeben: Es scheint aus verschiedenen Gründen nicht ratsam, sie in Zweifel zu ziehen und bis dato brave Bürger mit Erfolgsgeschichten zu einem Karrierewechsel zu verlocken. Nur wenige Forscher machen sich daran, kriminelle Erfolge zu erfassen. Erstens, so der Konsens unter vielen Kriminologen, müssen sich Studien auf die Geschnappten beschränken und sind somit nicht repräsentativ. Denn zu einer erfolgreichen Kriminellen-Karriere gehört schließlich auch, dass man/frau sich nicht schnappen lässt – oder? Zweitens sei Kriminellen nicht zu trauen. Sie bauschten ihre Erfolge auf. Machten mehr aus sich und ihren Gewinnen, als der Realität entspreche.

Verbrechen ist durch die Zeiten hindurch und über die Kulturen und Ideologien hinweg ein bewegliches Ziel. Dass wir noch vor knapp dreihundert Jahren anhand sogenannter Hexenproben Frauen als Hexen identifizierten (wenn sie, an Händen und Füßen gefesselt ins Wasser geworfen, nicht untergingen oder wenn sie über die Geschichte der Kreuzigung des Herrn Jesus nicht weinen konnten) und dass wir sie – sofern sie ihre Unschuld nicht durch Nichtsinken beweisen konnten – verurteilten, verbrannten oder ertränkten, erkennen wir heute als den Versuch von Kirche und Staat an, ihre Machtpositionen zu sichern. Hexenglaube und -verfolgung erscheinen heute den meisten von uns als lächerlich und barbarisch. Darüber, dass Homosexualität nicht mehr als krankhaft gelten oder strafbar sein soll, herrscht weniger Einigkeit. In vielen Ländern wird sie noch immer bestraft, mancherorts mit dem Tode. Und wie wir mit Menschen umgehen sollen, die Drogen nehmen, wissen wir gerade gar nicht mehr. Stecken wir sie in den Knast oder in die Therapie? Oder sollen wir es locker sehen und den Drogengebrauch legalisieren?

Starbucks, der Kaffee-Gigant, macht in Großbritannien seit Jahren Schlagzeilen, weil er trotz Milliardeneinkünften jeweils nur ein paar Milliönchen Steuern bezahlt. 1998 öffnete das erste Starbucks-Café in London. Fünfzehn Jahre und 764 Cafés später wurde bekannt, dass Starbucks im Steuerjahr 2011/12 keinen Penny Gewerbesteuer gezahlt hatte. Trotz eines Umsatzes von 400 Millionen Pfund im Jahr 2012. Seit Eröffnung des ersten Cafés im Königreich...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Betrug • brand eins books • Crime • Erfolgsgeschichten • Gangster • Howard Marks • Innovation • Kreativität • Kriminalität • Kriminelle Karriere • Management • Sachbuch Wirtschaft • Schmuggel • True Crime • Verbrechen • Verbrecherkarriere • Wirecard Skandal • Wirtschaft • Wirtschaftskriminalität
ISBN-10 3-644-02079-5 / 3644020795
ISBN-13 978-3-644-02079-5 / 9783644020795
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