Was eigentlich Sprache ist (eBook)

Zur Evolution von Sprache und der historischen babylonischen Sprachverwirrung
eBook Download: EPUB
2023
244 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-7206-9 (ISBN)

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Was eigentlich Sprache ist - Christoph W. Rosenthal
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"Wittgenstein sagt, dass Probleme entstehen, weil wir die Arbeitsweise unserer Sprache missverstehen. Er sagt, wir seien von der Sprache >verhext<, und manchmal hätten wir einen >Drang<, sie misszuverstehen." (A.C. Grayling) Die evolutionär neuartige Dimension des Menschen begründete sich in Sprache. Mit ihr wurde eine aktive, selbst bestimmte und bewusste Gestaltung des Lebens und in Verbindung mit Kommunikation ein fähiges Sozial- und Beziehungs-Leben möglich. Doch lässt sich Sprache nicht schon in Vokabular und Grammatik verstehen. Dies ist nur die Form, in der wir Sprache handhaben. Leider kam es am Ende der Eiszeit aufgrund gigantischer Naturkatastrophen zu einem Verlust an Sprache sowie an Beherrschung von Sprache und Kommunikation. Daraus resultierte, wie auch Wittgenstein andeutet, eine wahrhaft >babylonische Sprachverwirrung< mit Tausenden von Sprachen. Der eigentlich entscheidende Bereich von Sprache wurde nicht mehr als Sprache begriffen und fiel Ideologien, Weltanschauungen und magizistischen Vorstellungen aller Art anheim. In all dem ist eine entscheidende Ursache für das Aufkommen der historischen Probleme wie Diktaturen, Absolutismus, Streitereien und Gewalt bis heute zu sehen. Neue Erkenntnisse aus Neurologie, Linguistik, Historiologie usw. bieten Aufschluss über diese Probleme sowie Ansätze für deren Überwindung.

C.W. Rosenthal, freischaffender Historiologe und Kulturologe, ist Autor etlicher Bücher zu Humanevolution, Geschichte und Sprache. Es gelang ihm mit guter Wahrscheinlichkeit, die humanevolutionär entwickelte Sprache des Homo sapiens zu entziffern und zu rekonstruieren.

2.1 Laute und Wörter


Wörter sind zunächst einmal Lautformen. Sie konnten zu Bestandteilen der neurologischen Funktionslogiken werden, wo eine Befähigung zum Hören und zur Erzeugung von Lauten vorhanden war. Dies begann, wie erwähnt, bereits in Verbindung mit der Evolution des Zwischenhirns.

„Wörter sind nichts anderes als Geräusche, die das Gehirn [evolutionär ursprünglich] auf dieselbe Weise verarbeitet wie alle anderen akustischen Signale. Der Klang eines Wortes trifft auf die Hörrinde des Cortex und wird zu einer bewussten Sinneswahrnehmung wie das Pfeifen des Windes oder das Klingeln eines Telefons. Der Unterschied zwischen alltäglichen Geräuschen und Wörtern besteht darin, dass das Gehirn von Kindheit an dazu erzogen wurde, den Klang bestimmter Wörter mit bestimmten Erinnerungen zu verknüpfen.“ 18

Der Schritt von bloßen Lauten zu Wörtern besteht nun darin, dass die Laute zu einem Code akustischer Symbole entwickelt wurden. Mit diesem zunächst kleinen Schritt wurde jedoch ein völlig neuartiges Potential begründet.

„Die spezifisch menschliche Fähigkeit, das Geschehene zu benennen, macht unsere Wahrnehmung jedoch zu etwas Besonderem, denn sie versetzt uns in die Lage, diesen natürlichen Vorgang zu steuern.
Indem wir etwas benennen, heben wir diesen Gegenstand deutlich gegen seinen Hintergrund ab. Wenn wir zum Beispiel unsere Augen wortlos durch einen bekannten Raum schweifen lassen, nehmen wir zwar alles wahr, doch hinterlässt nichts einen besonderen Eindruck auf uns. Ein Tier wird stets ausdruckslos auf die Vertrautheit eines solchen Raumes reagieren und nur dann aufmerksam werden, wenn etwas Ungewöhnliches geschieht, wenn zum Beispiel ein Spielzeug in einer Ecke des Zimmers bewegt würde. Menschen dagegen können sich auf ein Objekt konzentrieren und es benennen, als hätten wir den Gegenstand aus dem Bild ausgeschnitten. Aus seiner Umgebung herausgelöst, ist der Stuhl oder der Vorhang nicht länger irgendein belangloses Merkmal der Szene, sondern eine bestimmte klar umrissene Erinnerung, die sauber zurechtgeschnitten und unabhängig vom ursprünglichen Kontext ist.

Genau diese durch die Sprache geschärfte Wahrnehmung erlaubt es dem Menschen, einen beliebigen Gegenstand in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken und über ihn nachzudenken; dies gilt sogar für etwas so wenig Greifbares wie das eigene Denken.

Den Tieren dagegen wird das, was sie denken, durch ihre Wahrnehmungsfilter aufgezwungen. Ihr Gehirn ist darauf trainiert, stets die wichtigsten Geschehnisse der Umwelt [oder ihrer Innenreize wie Hunger] widerzuspiegeln, weshalb sich ihr Bewusstsein automatisch auf besonders auffällige Merkmale einstellt. Worauf ein Tier seine Aufmerksamkeit konzentriert, wird durch die Umwelt [und die Verhaltensanlage] bestimmt. Es besitzt keine Mechanismen, um dies selbst zu entscheiden. Wir Menschen dagegen können Wörter benutzen, um Teile der Welt wie mit einer Schere auszuschneiden. Wir können unsere Aufmerksamkeit bewusst auf etwas lenken, was den Nervenbahnen in unserem Gehirn – zumindest auf den ersten Blick – langweilig erscheint.“ 19

In Form von >Wörtern< konnten diese lautlichen Symbole verinnerlicht werden, so dass

„[…] die Außenwelt [und die körperlichen Impulse] nicht mehr die alleinige treibende Kraft des Geistes darstellte.“ 20

Durch Sprache entstand die deklarative Dimension der menschlichen Existenz.

„Hirnuntersuchungen lassen vermuten, dass dieses Organ über mindestens zwei Formen des Erinnerns verfügt, die bei den meisten Verhaltensweisen nahtlos ineinander übergehen. Das nicht-deklarative Gedächtnis umfasst Fertigkeiten wie Handschrift oder Autofahren und wird vom Kleinhirn und den Basalganglien getragen. Das deklarative Gedächtnis besteht aus Informationen – einer Adresse, Straßen zu einem Zielort, Worten, Gesichtern und anderem Wissen, das wahrscheinlich in der Großhirnrinde gespeichert wird.“ 21

Das folgende Beispiel zeigt die Bedeutung der deklarativen Ebene:

„Sowohl H.M. als auch ein weiterer Patient mit ähnlichen Gedächtnisausfällen erlernten dieses Geduldspiel genauso leicht wie Kontrollpersonen ohne Gehirnstörung. Und durch Übung verbesserten H.M. und der andere Patient sich schließlich so weit, dass es ihnen gelang, den Turm mit der Mindestzahl von 31 Zügen zu errichten. Sie selbst hatten allerdings immer das Gefühl, sie stünden zum ersten Mal vor dieser Aufgabe. Irgendwie hatten sie die Schritte, die zur Lösung dieser Aufgabe nötig sind, bewältigt, doch fehlte ihnen jegliche bewusste Erinnerung daran, sie erlernt zu haben.“ 22

Das Lernen bestimmter Aufgaben erfordert wohl nicht an sich die deklarative Ebene, aber das Verhalten bleibt reproduktiver Art. Für ein Wiederholen der Aufgaben reicht das, aber nicht für mehr.

Es ist ein höchst bedeutsamer und neurologisch alles andere als selbstverständlicher Sachverhalt, dass sich mit Hilfe von Wörtern Gedanken und Vorstellungen aktiv initiieren lassen. Mangels dessen bleiben bei dem Schimpansen die Techniken und >Mittel< neurologisch effektiv von den Situationen abhängig. In dieser Hinsicht gilt in engster Form >Aus den Augen – aus dem Sinn<.

„Auf dieser Pyramide der Reizverarbeitung liegen die Sprache und die künstlichen Aspekte des menschlichen Geistes wie eine dünne Kruste. Diese dünne Kruste übt jedoch einen gewaltigen Einfluss auf den Menschen aus, da sie in der Lage ist, die Richtung des Verarbeitungsprozesses umzukehren. Tiere leben ausschließlich in der Gegenwart: alle ihre Sinneswahrnehmungen steigen wellenartig bis zur Spitze auf und verwischen dabei die Spuren früherer Wellen. Durch die Sprache ist es jedoch möglich, die Richtung umzulenken und Gedanken zurückzulenken. […] Die dünne Kruste bewirkte also, dass das Gehirn nicht mehr nur einseitig von der Außenwelt angetrieben wurde, sondern dass es auch auf die sprachlich 23 motivierten Gedankenketten in seinem Innern reagierte.“

„Weil die Sprache symbolisch war und sich nicht auf gegenwärtige Ereignisse beziehen musste, versetzte sie den Menschen in die Lage, über Vergangenes und Zukünftiges zu sprechen. Sie war kompakt, so dass Begriffe als Platzhalter fungieren können, um große Wissensbrocken im begrenzten Arbeitsspeicher des Bewusstseins hin- und herzuschieben.“ (ebd. S. 201)

Zu dem Thema >Sprache< und ihrer evolutionären Entwicklung bietet das Buch von John McCrone „Als der Affe sprechen lernte“ eine gute lesbare Einführung, wenn dieses Werk auch nicht in jeder Hinsicht befriedigend ist, vor allem nicht, wo es sich dem historischen Bereich annähert.

Doch was Wörter von Geräuschen und auch von Lauten wie oh! au! usw. unterscheidet, erklärt sich nicht vom Akustischen selbst her. Die Fehleinschätzung bzgl. Sprache beginnt bis in die Wissenschaft hinein bereits damit, dass man sie im Primären und Eigentlichen mit >Kommunikation< und also mit dem Schritt von Lauten zu Wörtern assoziiert. Doch werden in dieser Auffassung die neurologischen Grundlagen dieses Bereichs nicht erfasst.

So findet sich etwa schon bei den Affen:

„Sie verfügen über ein hoch entwickeltes Lautsystem zur Verständigung. Die in der afrikanischen Savanne lebenden Grünen Meerkatzen beispielsweise verwenden je nach Gefahrenquelle verschiedene Alarmrufe: Erspäht ein Affe einen Leoparden, so stößt er einen bellenden Laut, der die ganze Horde veranlasst, in den Schutz der Bäume zu fliehen; vor Schlangen warnt ein schnalzender Laut, bei dessen Ertönen alle Affen beginnen, auf Zehenspitzen stehend, das hohe Gras in ihrer Umgebung zu durchmustern. Daneben gibt es noch ein raues Kreischen, das vor Gefahr aus der Luft warnt, etwa vor einem Adler. Bei diesem Klang flüchten die Affen von den ungeschützten oberen Ästen eines Baumes weiter nach unten. Jede Bedrohung ruft einen ganz besonderen Warnschrei hervor, der wiederum die jeweils angemessene Reaktion auslöst.“ 24

„Schimpansen produzieren Vokale, die denen unserer e-, a(ou-), u-Laute ähnlich sind (kein i jedoch); sie bilden Nasale wie m, ng; Konsonanten wie g(h), k(h), K(h)x und das ejektive kx’(k’). Ihre Verteilung (also ihre Häufigkeit, nicht ihre Verknüpfungs- oder Folgeformen) auf Situationen der Freude beim Finden von Nahrung, der Warnung bei Gefahr, bei der Begrüßung der Geschwister, des Kontakthaltens, des Schmerzes und anderes ist untersucht worden (Hockett 1973). Die Zuordnung von Situationen aus der Lautbildung heraus ist in der großen Mehrzahl ziemlich eindeutig möglich.“ 25

Die Ebene der Laut-Äußerungen sind mit bestimmten Verhaltens-Situationen gekoppelt, auch noch beim Menschen etwa mit au (Schmerz), oh (Erstaunen, Überraschung), iiih (Ekel) usw. (>Expressionen<). Doch konnte es von diesen neurologischen Verbindungen kaum zu...

Erscheint lt. Verlag 7.6.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Evolution • Geschichte • Kommunikation • Mythologie • Sprache
ISBN-10 3-7578-7206-1 / 3757872061
ISBN-13 978-3-7578-7206-9 / 9783757872069
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