Bewährungs- und Gerichtshilfe - ein Handlungskonzept (eBook)

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2023 | 1. Auflage
176 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61784-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bewährungs- und Gerichtshilfe - ein Handlungskonzept -  Ralf Kammerer
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Bis heute fehlte in der Bewährungshilfe im deutschsprachigen Raum ein in sich konsistentes Vorgehen bei der Rehabilitation von StraftäterInnen. Psychologisch und kriminologisch fundiert entwickelt dieses Buch eine Theorie kriminellen Handelns sowie Handlungsschritte für die Praxis. LeserInnen werden angeleitet, strukturiert die individuellen Bedingungen der Kriminalität einer Person in Beratung zu ermitteln und darauf Prognosen und die Planung von Interventionen aufzubauen. Praxisnah werden konkrete Interventionen in bestimmten Problemlagen, rechtliche Grundlagen sowie Formen der Gesprächsführung und Berichterstattung in der Gerichtshilfe erläutert.

Ralf Kammerer, Karlsruhe, Diplom in Sozialer Arbeit und Forensischen Wissenschaften, ist seit über 20 Jahren Bewährungs- und Gerichtshelfer. Er war früher im Zentralbereich Sozialarbeit der Bewährungs- und Gerichtshilfe Baden-Württemberg tätig.

Ralf Kammerer, Karlsruhe, Diplom in Sozialer Arbeit und Forensischen Wissenschaften, ist seit über 20 Jahren Bewährungs- und Gerichtshelfer. Er war früher im Zentralbereich Sozialarbeit der Bewährungs- und Gerichtshilfe Baden-Württemberg tätig.

1Juristische und psychologische Grundlagen

1.1Aufgaben der Bewährungshilfe

1.1.1Vermeidung von Rückfallkriminalität

§ 56d StGB, die Grundlage unserer Arbeit zumindest mit Erwachsenen, lässt nur wenig Interpretationsspielraum darüber, was Aufgabe der Bewährungshilfe ist. Im Absatz 1 heißt es:

„Das Gericht unterstellt die verurteilte Person für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers, wenn dies angezeigt ist, um sie von Straftaten abzuhalten“ (§ 56d StGB).

Das Gericht unterstellt also Straftäter der Bewährungshilfe, um Rückfallkriminalität insgesamt zu vermeiden.

Wie die Bewährungshilfe aber Rückfallkriminalität vermeiden soll, hat der Gesetzgeber im Ungefähren gelassen. In § 56d Abs. 3 Satz 1 wird hierzu lediglich noch ausgeführt: „Die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer steht der verurteilten Person helfend und betreuend zur Seite“ (§ 56d Abs. 3 Satz 1 StGB). Dies ist wahrscheinlich auch der Grund für die verschiedenen Wege, die bisher beschritten wurden, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Manchmal werden Hilfe und Betreuung auch als Ziel der Arbeit der Bewährungshilfe interpretiert, wobei hier aus dem Blick zu geraten scheint, dass Hilfe immer Hilfe bei oder für etwas ist und auch Betreuung kein Selbstzweck ist, sondern einen Grund – häufig Unselbstständigkeit in gewissen Belangen – und ein Ziel braucht. Es wird also zunächst festgestellt: Die gesetzlich festgelegte Aufgabe der Bewährungshilfe ist es, Rückfallkriminalität zu vermeiden. Daneben wird die Erfüllung von Auflagen und Weisungen überwacht und über die Lebensführung der verurteilten Person berichtet.

Dies dürfte auch für die Führungsaufsicht gelten, da gemäß § 68 StGB das Gericht dann Führungsaufsicht anordnen kann, wenn die Gefahr besteht, dass jemand weitere Straftaten begehen wird. Im Folgenden wird hauptsächlich auf die Bewährungshilfe eingegangen, die Prinzipien gelten jedoch ebenso für die Betreuung in Führungsaufsichtsfällen.

Im Jugendstrafrecht wird übrigens kein Ziel der Arbeit der Bewährungshilfe genannt. Neben der Überwachung von Auflagen und Weisungen soll der Bewährungshelfer aber gemäß § 24 Abs.3 Satz 3 JGG die Erziehung des Jugendlichen fördern. In Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 JGG kann dann zumindest geschlossen werden, dass dies einem „rechtschaffenen“ (Definition aus dem Duden: „tüchtig und von hohem moralischem Rang“ (Dudenredaktion 2010, 752)) Lebenswandel dienen soll. Hier könnte eine zeitgemäße Wortwahl für mehr Klarheit sorgen.

Das alleinige Ziel, die Rückfallgefahr von Straffälligen zu verringern, wird auch in den European Probation Rules genannt. Sie sind eine im Jahr 2010 angenommene Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats an die Mitgliedsstaaten über die Grundsätze der Bewährungshilfe. Dort heißt es in Artikel 1:

„Ziel von Einrichtungen der Bewährungshilfe ist, die Rückfallgefahr zu verringern, indem positive Beziehungen zu Straffälligen aufgebaut werden, um diese zu beaufsichtigen (einschließlich notwendiger Kontrolle), anzuleiten und zu unterstützen und ihre erfolgreiche soziale Eingliederung zu fördern. Bewährung trägt somit zur Sicherheit der Gemeinschaft und zu einer ausgewogenen Rechtspflege bei“ (DBH e.V. 2010, Artikel 1).

Die Fokussierung der Arbeit der Bewährungshilfe auf die Verringerung des Rückfallrisikos der Klientinnen wird oftmals auch pejorativ als Risikoorientierung bezeichnet und noch immer von manchen Vertretern der Berufsgruppe kritisch gesehen. Als ich 2014 mit einer baden-württembergischen Arbeitsgruppe zu einem Arbeitstreffen bei unserer damaligen Muttergesellschaft Neustart in Wien war, sind wir anschließend mit dem Taxi zum Flughafen gefahren. Der neugierige Taxifahrer wollte wissen, weswegen wir dort waren. Mein Kollege erklärte ihm, dass wir Prozesse und die Ausrichtung der Bewährungshilfe neu entwickeln und unsere Arbeit nun am von den Klienten ausgehenden Risiko orientieren würden. Verwundert fragte er: „Woran haben Sie sich denn vorher orientiert?“

Dass Risikoorientierung bei der Rehabilitation von Straffälligen kontrovers diskutiert wird (z. B. Cornel/Kawamura-Reindl 2021), kann man Laien nicht erklären. Es klingt ein bisschen so, als wenn die Medizin sich nun entschlossen hätte, fortan krankheitsorientiert zu arbeiten, und nicht alle einverstanden wären. Dennoch werden die nun spät (das RNR-Prinzip entstand ab den 1980er Jahren) erkannten und mühevoll eingeführten, nachweislich effektiven Methoden von einigen Praktikern und manchen Vertretern der Wissenschaft abgelehnt (Klug/Niebauer 2022), weil sie nicht zum Ethos der Berufsgruppe passten. Es wird sogar infrage gestellt, ob es denn überhaupt Aufgabe und Fähigkeit der Bewährungshilfe sei, das von Klientinnen ausgehende Risiko einzuschätzen und zu bearbeiten (Schneider 2021). Und dies betrifft durchaus nicht nur ältere Kolleginnen, die nach Jahren engagierter und zu dieser Zeit richtiger (!) Arbeit sich nun schwertun, neue Methoden zu lernen und neue Standards anzuerkennen, sondern durchaus auch jüngere Kollegen, die erst kurz im Berufsfeld arbeiten.

Dass Risikoorientierung nicht bedeutet, dass man die „KlientInnen in ihrer Menschenwürde“ (Cornel/Kawamura-Reindl 2021, 302) nicht grundsätzlich anerkennt, haben Bonta, Andrews und andere nicht erwähnt. Sie ließen es aber nicht deshalb unerwähnt, weil ihnen die Menschen bei ihrer Arbeit egal waren, sondern weil sie Prinzipien effektiver Straftäterbehandlung beschrieben (Andrews et al. 1990) und wahrscheinlich nicht damit gerechnet haben, man müsse dazusagen, dass Psychologinnen und Sozialarbeiter mit den Menschen, mit denen sie arbeiten wollen, zunächst einmal eine Beziehung aufbauen müssen. Dass sie deren Ängste und Vorbehalte ernst nehmen und auf sie eingehen müssen – das ist es auch, was sie mit dem zweiten „R“, der Responsivity, der Ansprechbarkeit, meinten.

Bewährungshilfe ist per se risikoorientiert, weil sie das Risiko eines Rückfalls senken will (bestenfalls auf null), so wie die Medizin Krankheiten heilen will. Risikoorientierung darf übrigens nicht mit dem Kontrollaspekt des doppelten Mandats verwechselt werden. Kontrolle durch Bewährungshilfe ist ohnehin eine Illusion. Wenn Sie engen Kontakt zu Ihren Klientinnen haben, sehen Sie sie in ca. zwei Promille der Bewährungszeit (zwei Termine zu 45 Minuten pro Monat). Hier werden sie sich i. d. R. von einer guten bzw. sozial erwünschten Seite zeigen. Wirklich verpflichten können Sie sie nur dazu, Auflagen und kontrollierbare Weisungen zu erfüllen, weil nur hier Sanktionen drohen. Dies ist im Übrigen auch der einzige Kontrollaspekt, den der Gesetzgeber vorgesehen hat. Im § 56d Abs. 3 Satz 2 heißt es lediglich: „Sie oder er überwacht im Einvernehmen mit dem Gericht die Erfüllung der Auflagen und Weisungen sowie der Anerbieten und Zusagen“ (§ 56d Abs. 3, Satz. 2 StGB).

Wenn Klienten sich weigern, die Höhe ihrer Miete, ihrer Schulden oder ihres Verdienstes anzugeben, mit wem sie ihre Freizeit verbringen, wie sie selbst über ihr Delikt denken, oder Sie mehr oder weniger dreist anlügen, werden Sie sie nicht zwingen können zu kooperieren. Das ist kein Bewährungsverstoß, die Richterin wird Ihnen nicht beispringen. Deshalb brauchen auch risikoreduzierende Maßnahmen eine gute Arbeitsbeziehung und Vertrauen, das Sie sich als erste Intervention aufbauen müssen (Kap. 8.1). Bewährungshilfe ist daher in erster Linie tatsächlich Hilfe. Allerdings nicht unbedingt erwünschte Hilfe und auch nicht automatisch Hilfe bei den Belangen, die sich der Klient wünscht. Bewährungshilfe ist die Hilfe dabei, keine weiteren Straftaten zu begehen.

1.1.2Übergangsmanagement

Über das Übergangsmanagement sind viele Arbeiten geschrieben worden (z.B. Maelicke/Wein 2016, Matt 2014). Meist ist dabei der Übergang von der Haft in die Freiheit gemeint und es werden Strategien zur Vermeidung des „Entlassungslochs“, also des Betreuungsvakuums nach der Haftentlassung, durch „durchgehende Betreuung“ beschrieben. Nur selten wird auch der umgekehrte, freilich ebenso wichtige Übergang von der Bewährung (bzw. Bewährungshilfe) in die Haft beschrieben. Tatsächlich ergeben sich aber aus dem Übergang von der Haft in die Freiheit weitere Aufgaben der Bewährungshilfe.

Das Ziel des Vollzuges der Freiheitsstrafe z. B. gem. § 1 JVollzGB III Baden-Württemberg (in anderen Bundesländern vergleichbar) ist, dass der Gefangene fähig werde, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“ (§ 1 JVollzGB III Baden-Württemberg). Damit ist, wenn auch nicht explizit so benannt, seine Resozialisierung gemeint. Aus Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (Würde des Menschen) ergibt sich sogar ein grundrechtlich geschütztes Recht auf Resozialisierung der Strafgefangenen. Zudem hat der Justizvollzug gemäß dem Eingliederungsgrundsatz Gefangene von Beginn an auf die Rückkehr in die Gesellschaft vorzubereiten (Laubenthal 2019). So heißt es in § 2 Abs.4 JVollzGB III Baden-Württemberg: „Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er den Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“

Resozialisierung ist aber auch „als ein ‚Prozess‘ zu verstehen, der sich nicht nur auf den Strafvollzug, sondern vor allem auf Angebote außerhalb des Vollzuges bezieht....

Erscheint lt. Verlag 15.5.2023
Vorwort Wolfgang Klug
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bedürfnis-Wahl-Handlung-Modell • Beratung • BWH • Interventionsplanung • Kriminalitätstheorie • Kriminalpsychologie • Kriminologische Theorien • Prosocial Modelling • Rehabilitation • Rückfallprävention • Soziale Arbeit • Straffälligenhilfe • Straftäter • Übergangsmanagement
ISBN-10 3-497-61784-9 / 3497617849
ISBN-13 978-3-497-61784-5 / 9783497617845
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