Gegen Frauenhass (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
256 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-27888-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gegen Frauenhass - Christina Clemm
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'Alle, wirklich alle Frauen können betroffen sein. Und alle, wirklich alle Männer können Täter sein.' Die Rechtsanwältin Christina Clemm zeigt, wie allgegenwärtig die Gewalt gegen Frauen ist, und was wir verändern müssen - politisch wie privat.
Lisa M. trifft Mirko im Studium. Sie verlieben sich, streiten kaum. Dann wird sie schwanger, sie ziehen zu seiner Mutter, haben bald drei Kinder. Eine Familie wie im Bilderbuch, wäre da nicht seine Wut. Anfangs muss Lisa die Hämatome noch verstecken, mit der Zeit wird er zielsicherer. Sie versucht zu fliehen, doch vergeblich.
Christina Clemm ist Strafverteidigerin, sie hat hunderte Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt vertreten. Und sie ist wütend - weil in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner umgebracht wird. Weil Frauen beim Arzt, in der Arbeit und auf offener Straße Gewalt erleben und niemand etwas dagegen tut. Warum nicht? Ist es Unkenntnis, Hilflosigkeit, Desinteresse? Oder liegt dem Ganzen ein tief verwurzelter Frauenhass zugrunde? Christina Clemm führt uns durch die Spirale patriarchaler Gewalt und zeigt, was getan werden muss.

Christina Clemm, geboren 1967, ist Rechtsanwältin für Straf-und Familienrecht in Berlin. Seit fast dreißig Jahren vertritt sie Opfer geschlechtsspezifischer und rassistisch motivierter Gewalt. 2020 erschien ihr Buch 'Akteneinsicht - Geschichten von Frauen und Gewalt', zuletzt ihre Streitschrift Gegen Frauenhass bei Hanser Berlin (2023).

Lisa M. — Ein Fallbeispiel


I.


Die Meldung ihres Todes wird einen Tag nach der Tat in einigen lokalen Zeitungen aufgegriffen. Fürs Fernsehen ist die Geschichte nicht spektakulär genug, für die überregionale Presse ebenso wenig. Eine tote Frau, ein schnell gefasster Täter. Eine typische »Beziehungstat«.

Am zweiten Tag folgt eine kleine Reportage, Nachbar*innen, Kolleg*innen und entfernte Familienmitglieder äußern sich darin. Alle sind verwundert, niemand hat vorhergesehen, dass er dieses »Familiendrama« anrichten würde. Man fragt sich, ob es Eifersucht, Verzweiflung oder Rache war, die ihn bewogen hatte. Der dreifache Familienvater wird durchweg als ein freundlicher, sympathischer, vor allem aber ganz normaler Zeitgenosse, als guter Arbeitgeber, als wohlhabend und gesellig beschrieben. Niemand hat ihn je aggressiv erlebt, erst recht nicht seiner Familie gegenüber. Nicht einmal eine Kneipenschlägerei, Auffälligkeiten im Suff, auch nicht in seiner Jugend. Eine seiner Mitarbeiterinnen erzählt zaghaft, man habe gemunkelt, dass es nicht immer einfach in der Ehe gewesen sei. Auch, dass sie überrascht war, dass die Frau so plötzlich mit den Kindern weggegangen sei. Aber sie war eben auch schwierig, psychisch labil, lang nicht so beliebt wie er. Der Pressesprecher der Mordkommission teilt mit, dass man den mutmaßlichen Täter gefasst habe und keinerlei Gefahr für andere Personen bestehe.

Am dritten Tag schon interessiert Lisas Tod, jedenfalls öffentlich, niemanden mehr. Lisas Leben auch nicht.

Die Kinder kommen in eine Pflegestelle, die hektisch gesucht und gefunden wird. Zur Großmutter, die immer ein wichtiger Teil des Lebens der Kinder war und die sich sofort zur Aufnahme bereit erklärt, kommen sie zunächst nicht, in der Eile scheint dem Jugendamt die Konstellation zu schwierig. Immerhin ist sie die Mutter des mutmaßlichen Täters.

Dieser kommt in Untersuchungshaft.

II.


Lisa M. kommt in Berlin zur Welt. Ihre Eltern heiraten, als sie fünfundzwanzig und zweiundzwanzig Jahre alt sind und das erste Kind unterwegs ist. Kein Wunschkind, aber auch kein Unglück. Sie freuen sich auf den Nachwuchs. Auch auf das zweite Baby, Johann, der acht Jahre später geboren wird. Lisa erinnert sich vage daran, wie die Eltern stritten. Ab und an sah sie an der Mutter Hämatome, einmal ein blaues Auge. In der Erinnerung bleibt nur ein dumpfes Gefühl von Verunsicherung, gesprochen haben sie nie darüber.

Lisa ist ein typisches Papa-Kind. Sie mag es, wenn sie allein mit ihm unterwegs ist, wenn er sie stolz als »meine kleine Prinzessin« vorstellt und sie mit beiden Armen in die Luft wirft. Er sagt immer, dass er sie beschützen werde, und das glaubt sie ihm, auch, dass sie einen Beschützer braucht.

Lisa liest viel und gern, spielt Volleyball und hat einige Freund*innen. Monika ist ihre beste Freundin, seit sie die erste Klasse besuchen. Wie die meisten Mädchen erlebt Lisa gelegentlich sexuelle Übergriffe, die sie nicht als solche benennt. Eine fremde Hand am Hintern in der U-Bahn, eine auf ihrer Brust bei der Hilfestellung im Sportunterricht, verrutschte Küsse von Onkeln, Blicke, Bemerkungen, Witze.

Schon als junges Mädchen lernt sie, nachts nicht allein nach Hause zu gehen, den Heimweg gut zu planen. Unvorstellbar, den Park nach Einbruch der Dämmerung zu durchqueren. Am liebsten trägt sie ihren drei Nummern zu großen Hoodie, setzt die Kapuze auf. Selbstverständlich geht sie nicht mit fremden Männern mit. Eine ihrer Schulkameradinnen soll mit vierzehn von einem Jungen aus der Stufe drüber vergewaltigt worden sein. Aber das bleibt ein Gerücht. Die Betroffene verlässt die Schule, der Junge nicht.

Irgendwann wehren sich die Mädchen in Lisas Klasse gegen die sexistischen Sprüche, die Alltag sind, und beschweren sich über den Mathelehrer, der bei der Rückgabe der Arbeiten einen Witz über Blondinen macht. Es sei nicht ernst gemeint gewesen, erklärt die Direktorin, die sich Frau Direktor nennt, kein Grund zur Aufregung. Auf dem Schulweg sieht Lisa einen Mann im Gebüsch stehen, und als er sie ruft, zeigt er auf seinen entblößten Penis. Sie schämt sich zu sehr, um es jemandem zu erzählen. Die Mutter geht mit ihr zur Frauenärztin, damit sie die Pille verschrieben bekommt und nicht ungewollt schwanger wird. Die Mutter sagt ihr auch, sie solle sich vorsehen, wenn sie einen Mann reize, dann könne er sich nicht mehr stoppen. Mach, was du willst, aber sei dir der Gefahr bewusst, rät sie ihr, und Lisa versteht. Als sich ihre beste Freundin Monika outet, ist Lisa erst bestürzt und dann stolz.

Ihren ersten Freund hat Lisa mit sechzehn. Er ist nett, jung und ebenfalls unerfahren. Mit siebzehn trennen sie sich, weil es nicht mehr spannend ist. Es folgen ein paar »Erlebnisse«, nie etwas Ernsthaftes. Zu Hause fühlt sich Lisa nicht besonders wohl, zu reglementierend der Vater, zu still die Mutter. Ihre Kindheit war trotzdem liebevoll, findet Lisa, ihre Jugend schön. Am Tag der letzten Abiturprüfung geht sie fort, reist einige Monate mit Monika durch die Welt und kehrt erst zurück, als ihr Studium in Jena beginnt. Den Studienort hat sie nicht zuletzt gewählt, um wegzukommen.

Lisa studiert Soziologie und Philosophie, auch wenn es für Medizin gereicht hätte, was ihre Eltern gern gesehen hätten. Erst arbeitet sie in einer Bar, aber die Betrunkenen nerven sie schnell. Der Chef findet, dass sie schon einstecken können muss und sich mal lockermachen soll. Sie ergattert einen Job als studentische Hilfskraft bei ihrem Lieblingsprofessor und genießt das studentische Leben.

III.


In einer Kneipe lernt sie Mirko kennen. Er ist ein paar Jahre älter, hat vor dem Studium des Bauingenieurwesens schon ein paar Jobs gehabt. Sein Vater führt ein großes Bauunternehmen in Brandenburg, ob er dort einsteigen will, weiß er noch nicht.

Sie verlieben sich. Sie gehen gern gemeinsam aus, treffen ihre und seine Freund*innen, verbringen viel Zeit im Bett. Sie haben Spaß miteinander, obwohl sie erstaunlich wenig gemeinsame Interessen haben, vor allem teilen sie den Wunsch nach einer ernsthaften Beziehung. Mirko bewundert Lisas Belesenheit, ihre Schlagfertigkeit, ihren Witz, sie seinen Tatendrang, die Direktheit, seine Lebenslust.

Es dauert lang, bis sie das erste Mal streiten. Harmlos eigentlich, aber Lisa ist erschrocken, als sie ihn so aufbrausend erlebt. Er entschuldigt sich.

IV.


Die meisten ihrer Freund*innen mag Mirko nicht sonderlich, was er ihr zaghaft offenbart. Er langweilt sich zunehmend angesichts der »superintellektuellen« Themen und der Weltfremdheit der Philosoph*innen. Aber er begleitet sie trotzdem zu ihren Verabredungen, denn er mag es nicht, wenn sie ohne ihn ausgeht. Da hat er »eher klassische Vorstellungen«, wie er sagt, und Lisa liebt auch das an ihm. Abends im Bett macht er sich lustig über die Gespräche, und sie lacht mit. Mirko ist eifersüchtig. Das schmeichelt Lisa. Sie selbst kennt das Gefühl nicht und freut sich eher, wenn Mirko allein ausgeht. Das verletzt Mirko.

Erst wird Lisa bei den Treffen mit Freund*innen leiser, dann sagt sie immer öfter ab. Ein paar von ihnen melden sich noch eine Zeit lang bei ihr, laden sie immer wieder ein, irgendwann lassen sie es.

V.


Als Mirko vorschlägt, dass sie ihre Standorte per Handy teilen, für den Notfall, ist Lisa kurz irritiert, dann aber gerührt wegen seiner Fürsorge. Er ist technisch viel versierter als sie, hilft ihr beim Einrichten ihres neuen Laptops mit den Passwörtern und anderen technischen Details.

VI.


Sie haben zwei befreundete...

Erscheint lt. Verlag 4.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Anwältin • Asha Hedayati • aufrütteln • female empowerment • Feminismus • Femizid • Frauen • Frauenbewegung • Frauenfeindlich • Frauenrechte • Gerechtigkeit • Geschlechterrollen • Gewalt • Häusliche Gewalt • Körperverletzung • Kriminalität • Patriarchat • Plädoyer • Prävention • Recht • Sexismus • Solidarität • Stigma • Strafgesetz • Täter • Verfassungsgericht • Vergewaltigung • Zuhause
ISBN-10 3-446-27888-5 / 3446278885
ISBN-13 978-3-446-27888-2 / 9783446278882
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