Das Uhrwerk des Lebens (eBook)

Wie die Medizin des Code des Alterns entschlüsselt
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
239 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-4845-2 (ISBN)

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Das Uhrwerk des Lebens -  Ulrich Bahnsen
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Nie war der Traum vom ewigen Leben so aktuell wie heute. Jung, aktiv, gesund und attraktiv wollen wir sein, und das auch im hohen Alter. Nun haben Wissenschaftler das große Rätsel unserer Vergänglichkeit entschlüsselt. Und sie haben erste Techniken entwickelt, die den Alterungsprozess kontrollieren. Der Wissenschaftsjournalist Ulrich Bahnsen nimmt uns mit auf eine spannende Reise zu den weltweit führenden Altersforscher:innen und entdeckt epigenetische Therapien, mit deren Hilfe wir unseren Körper um Jahrzehnte verjüngen können. Können wir das Uhrwerk des Lebens zurückdrehen? Die Menschheit probt den Aufstand gegen den Tod.



Dr. Ulrich Bahnsen, promovierte in Neurogenetik und ist seit 2001 Redakteur im Ressort Wissen der ZEIT. Seine Themen sind Genetik, Alterforschung, Evolution und Medizin. Ulrich Bahnsen wurde für seine journalistische Arbeit mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem BEST CANCER REPORTER AWARD (2008), dem MEDIENPREIS DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR NEUROLOGIE (2016 und 2022), und mit dem MEDIENPREIS DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR INNERE MEDIZIN (2022). Zuletzt erschien von ihm DAS ENDE ALLER LEIDEN (mit Edda Grabar).

Dr. Ulrich Bahnsen, promovierte in Neurogenetik und ist seit 2001 Redakteur im Ressort Wissen der ZEIT. Seine Themen sind Genetik, Alterforschung, Evolution und Medizin. Ulrich Bahnsen wurde für seine journalistische Arbeit mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem BEST CANCER REPORTER AWARD (2008), dem MEDIENPREIS DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR NEUROLOGIE (2016 und 2022), und mit dem MEDIENPREIS DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR INNERE MEDIZIN (2022). Zuletzt erschien von ihm DAS ENDE ALLER LEIDEN (mit Edda Grabar).

Kapitel 2  |  Anfänge


Der Herr der Fliegen


Die Erkenntnisse dieser Gero-Sciences erscheinen so neu, überraschend und vollständig unerwartet, dass man meinen könnte, all diese Einsichten in das tiefste Geheimnis des Lebens wären erst in der jüngsten Vergangenheit erarbeitet worden. Tatsächlich aber sind die revolutionären Befunde keineswegs erst im Jetzt entstanden, es gibt eine Geschichte davor. Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass Wissenschaftler heute von der Kontrolle über das Alter sprechen – und bereits eine ganze Reihe Unternehmen daran arbeiten, dieses Versprechen zu verwirklichen –, müssen wir einen Schritt zurücktreten. Es gibt das Sprichwort: »Wer auf den Schultern von Riesen steht, blickt weiter als der Riese selbst.« Und so ist es auch hier: Dieser Schritt führt zurück ins England der 1960er Jahre und zu einem der sprichwörtlichen Riesen.

Die University of Sussex war 1961 die erste von zahlreichen neu gegründeten Hochschulen in Großbritannien, gelegen in der Nähe des Ortes Balmer. Sie befindet sich auf einem idyllischen Campus mitten in einem Naturschutzgebiet. Heute studieren hier mehr als 17000 angehende Akademiker. Aber als Michael Rose 1976 mit seiner Doktorarbeit begann, dürfte es bedeutend weniger quirlig zugegangen sein. Der junge Biologe sollte eine etwas abseitig anmutende Frage beantworten: Warum hat die Natur das Altern erfunden? Die Universität Sussex war zu dieser Zeit genau der richtige Ort, um zu diesem Thema zu forschen. Dort, an der School of Life Sciences, lehrten damals die berühmten Evolutionsbiologen Brian Charlesworth und John Maynard Smith. Viele Jahre später erzählte Rose, dass er für evolutionäre Studien die Wahl zwischen Sussex und der Harvard University gehabt habe. Harvard habe er wegen der dort in den 1960er und 1970er Jahren besonders toxischen Grabenkämpfe um Nature versus Nurture vermeiden wollen – also den Glaubenskrieg um die Frage, ob uns die Umwelt oder die Gene prägen. Im Kern war es damals – nicht nur in Harvard – ein Streit zwischen Anhängern der These, dass wir gleichsam als leeres Blatt zur Welt kommen und unsere Eigenschaften dann von der Umwelt darauf geschrieben werden, und Vertretern der Auffassung, dass unsere Gene einen formenden Einfluss ausüben. Damals konnte man mit unerwünschten diesbezüglichen Ansichten schnell ausgegrenzt werden. Cancel Culture ist keine so neue Erscheinung.

In Sussex war es Maynard Smith, der Rose vorschlug, in seiner Doktorarbeit dem Altern nachzugehen. Er glaubte, dass die Lebenszeit von Tieren in einem Evolutionsexperiment verändert werden könne. »Ich hielt seine Hypothese zuerst für die verrückteste Idee, von der ich jemals gehört hatte«, erzählt Rose vierzig Jahre später. »Er hat ein ganzes Jahr geredet, um mich dazu zu bringen, das überhaupt ernst zu nehmen.« Doch dann war Rose fasziniert von den Ideen, mit denen die theoretische Evolutionsforscher erklären, warum Lebewesen altern: Sie gehen unter anderem auf den großen britischen Biologen und Nobelpreisträger Peter Medawar und den Evolutionsforscher George C. Williams zurück. Eine These besagte, dass sich genetische Defekte in unseren Zellen anhäufen, und zwar solche, die erst im Alter eine schädliche Wirkung entfalten, weil viele, wenn nicht alle unserer Erbanlagen an mehr als nur einer Funktion im Körper beteiligt sind. Ein Beispiel ist das Insulin-Gen. Es dirigiert die Herstellung des Hormons Insulin und dient dabei der Kontrolle des Blutzuckers. Zugleich ist Insulin aber auch ein wichtiger Botenstoff, der etwa das Zellwachstum stimuliert, auch das von Krebszellen.

Eine zweite Hypothese, die damals en vogue war, besagte, dass es zur Alterung kommt, weil genau die Gene, die uns in der Jugend fit halten, damit wir vor allem viele Nachkommen zeugen können, später im Leben eine schädliche Wirkung haben und zum Niedergang beitragen. Die Evolution wirkt dem nicht entgegen, denn für die Weitergabe unserer Gene, das Überleben der Spezies, spielt es keine Rolle, ob wir weiterleben, nachdem wir unsere Kinder aufgezogen haben.

Den jungen Biologen Rose reizte nun doch die Idee von Maynard Smith, diese theoretischen Gedankenspiele in einem Experiment zu überprüfen. Er begann ein Experiment, das sein Forscherleben über vierzig Jahre hinweg bestimmen sollte – und zwar mit Fruchtfliegen.

Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) gehören zu den wichtigsten Versuchstieren in den Lebenswissenschaften: Die Insekten sind klein und anspruchslos, einfach zu halten und zeugen innerhalb von Stunden ihre Nachkommen – das macht sie ideal für ein Züchtungsexperiment. Michael Rose begann mit 200 befruchteten Fliegenweibchen, er hielt sie in Milchflaschen mit einem Nährboden auf dem Grund.

So behütet im Labor, lebten die Insekten fünfzig bis sechzig Tage. In der gefährlichen freien Natur erreichen sie dieses Alter nur selten, weil Frösche, Vögel, Spinnen auf sie warten. Daher ist es wichtig für ihren Fortbestand, dass sie sich schnell und früh fortpflanzen. Fliegenweibchen haben deshalb eine schier unglaubliche Fruchtbarkeit entwickelt: Jedes von ihnen legt innerhalb ihrer ersten Lebenswochen etwa tausend Eier.

Aber Rose spielte ein perfides Spiel mit den Fliegenweibchen: Jeden Tag spülte er ihnen die frisch geschlüpften Larven samt neuer Eier weg. Erst als die meisten der Fliegen schon tot waren, durften die ältesten noch lebenden und fruchtbaren Tiere ihre Nachkommen behalten. Sie bildeten die erste Generation in Roses Experiment. Mit ihr wiederholte der Doktorand die Prozedur. Und mit jeder weiteren. Immer wieder und wieder – zwei lange Jahre hielt er durch. Es war das Spiel: Fliege gegen Evolution. Und es hat den Forscher Nerven gekostet. Er habe wenig geschlafen und fast nur für sein Experiment gelebt, erzählte er 2020 dem Magazin Inspired Insider, zwischen 8 und 24 Stunden am Tag gearbeitet und in seinen kurzen Schlafpausen von Fliegen geträumt.

Aber als Rose begann, die durchschnittliche Lebensspanne seiner Tiere zu messen, stellte er tatsächlich fest: Jede Generation lebte ein klein wenig länger als die vorherige. Als Rose 1979 die Doktorwürde der Universität Sussex erhielt, hatte er in seinem Labor eine ausdauernde Fliegenrasse herangezüchtet, die um etwa ein Zehntel länger lebte als diejenige, mit der er begonnen hatte. Allerdings hatte das gewonnene Alter seinen Preis: Die Tiere hatten zwar insgesamt mehr Nachkommen, waren aber in der Jugend weniger fruchtbar. Damit bestätigte Rose die evolutionäre Theorie des Alterns im Experiment in gewisser Weise: Züchtet man langlebigere Tiere, so leidet ihre Fortpflanzung in der frühen Phase ihres Lebens. In freier Wildbahn wären sie also im Nachteil, weil ihre Langlebigkeit sie nicht vor Räubern schützt und sie verspeist werden. Im Jahr 1980 veröffentlichten Rose und sein Doktorvater die Forschungsarbeit in Nature.20

Wirkliches Aufsehen aber erzeugte seine Arbeit erst später. Der frisch gebackene Doktor wechselte an die Universität Wisconsin, dann zur Universität Dalhousie im kanadischen Halifax, 1987 schließlich wurde er Professor an der University of California in Irvine. Die Fliegen folgten ihrem Schöpfer in Express-Paketen. In Kalifornien baute er ein neues Drosophila-Labor auf und setzte seine Züchtungsexperimente fort. Über drei Jahre später hatte er nach 150 Generationen, die sich immer nur in den letzten fruchtbaren Tagen ihres Lebens fortpflanzen konnten, eine Rasse von »Superfliegen« geschaffen: Die Insekten lebten um ein Viertel länger, als es bei normal gehaltenen Fliegen zu erwarten war, und sie waren bis ins Alter kerngesund und leistungsfähig.21 Überträgt man das auf Menschen, wäre es ein Sprung von knapp 80 auf mehr als 100 Jahre Lebenserwartung bei guter Gesundheit. Er habe nun tatsächlich »die Lebenszeit verlängert«, schrieb Rose in einem Forschungsbericht im Fachblatt Evolution, und »das Greisenalter nach hinten verschoben«. Damit demonstrierte Rose erstmals, dass kein biologisches Gesetz die Lebensspannen von Tierarten zementiert.

Man muss sich dafür noch einmal klarmachen, wie sein Spiel mit der Evolution aussah, mit dem von Charles Darwin postulierten Wechselspiel von Variation und Auslese. Es funktioniert, weil genetische Veränderungen in jeder neuen Generation unvermeidlich sind; sie erzeugen immer neue Variation. Diese äußert sich dann in unterschiedlichen Eigenschaften einzelner Individuen. Wer sich am besten fortpflanzen kann, verbreitet seine genetische Ausstattung. Aber Rose kannte zu dieser Zeit die Gene seiner Fliegen nicht und hätte sie schon gar nicht verändern können. Trotzdem wusste er, es gibt eine natürliche Variation der Erbanlagen. Also änderte Rose die Spielregel und steuerte die Auslese: Nur die wenigen Tiere, deren genetische Ausstattung ihnen lange Fitness und Fortpflanzung erlaubte, durften Nachkommen haben. »Ich habe mit meiner Forschung gezeigt, dass die Evolution der Herr des Alterns ist«, sagt Rose. »Ich war der Gott in einem Mikrokosmos der Evolution.«22

Mit diesem simplen Experiment hat Michael Rose also gleich mehrere Grundfragen bei der Alterung geklärt: Die Lebensdauer einer Spezies kann verändert werden. Und: Sie ist offensichtlich genetisch gesteuert. Denn Rose hat seinen Fliegen schließlich keine geheimnisvollen Mittel gegen das Altern verabreicht. Außerdem hat er bewiesen: Tiere, die besonders robust gegen die Alterung sind, geben ihre Veranlagung an ihre Nachkommen weiter. Mit diesen ersten Erkenntnissen begann ab den 1980er Jahren...

Erscheint lt. Verlag 27.10.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte aktuelle Studien • Alterserkrankungen • alterungsprozess aufhalten • Altos Labs • Artheriosklerose • Blut verjüngen • Demenz • Epigenetik • Gelenkverschleiß • Herzinsuffizienz • Horvàths Clock • Lebensuhr • Lebenszeit verlängern • neueste Forschung • Sachbücher • Tame • Triim-X • Was, wenn wir alle 150 werden • Zellverjüngung
ISBN-10 3-7517-4845-8 / 3751748458
ISBN-13 978-3-7517-4845-2 / 9783751748452
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