Männlichkeiten und Naturverhältnisse (eBook)

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2024 | 1. Auflage
238 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45402-3 (ISBN)

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Männlichkeiten und Naturverhältnisse -
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Neben den prominenten Beschreibungen des norwegischen Schriftstellers Karl Ove Knausgård über das Verhältnis von Männlichkeiten und Natur holen auch die Auseinandersetzungen um den Klimawandel Männlichkeit auf die Agenda: Extensiver Fleischkonsum oder unlimitiertes Autofahren werden hier ebenso mit Männlichkeit in Beziehung gebracht wie die Zerstörung natürlicher Ressourcen. Männlichkeiten und Natur stehen in einem dialektischen Wechselverhältnis zueinander: auf der einen Seite männliche Tendenzen zu Zerstörung, Instrumentalisierung und Ausbeutung, auf der anderen Seite männliche Kompensations- und Harmonisierungsbestrebungen. Der Sammelband greift anthropologische, historische, ästhetisch-literarische Hervorbringungen und soziale Konstellationen des Verhältnisses von Männlichkeiten und Natur sowie Männern zu sich selbst auf.

Diana Lengersdorf ist Professorin für Geschlechtersoziologie an der Universität Bielefeld. Toni Tholen ist Professor für Literaturwissenschaft und -didaktik an der Stiftung Universität Hildesheim.

Diana Lengersdorf ist Professorin für Geschlechtersoziologie an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Toni Tholen ist Professor für Literaturwissenschaft und -didaktik am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Stiftung Universität Hildesheim.

Männlichkeiten und Naturverhältnisse. Eine Einleitung


Toni Tholen und Diana Lengersdorf

1.Eine komplexe Konstellation


Theodore Roosevelt war bekanntlich der 26. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, er führte das Land von 1901 bis 1909. Nach Auskunft des bekannten Biologen, Umweltaktivisten und Wissenschaftsautors Richard Girling bezeichnete sich Roosevelt gern als

»›Naturkundler‹ mit einer unsentimentalen, realistischen Einstellung zu seinem Forschungsgegenstand. Ein Aspekt des Realismus war der große weiße Jäger. Roosevelt war ein unermüdlicher Schlächter der afrikanischen Wildfauna, der in der Jagd den vollkommenen Ausdruck des amerikanischen Pioniergeistes und der Herrschaft des weißen Mannes über den schwarzen sah. Der große weiße Jäger war nach seiner Überzeugung ›der Archetyp der Freiheit‹ und das Inbild der ›strengen männlichen Charaktereigenschaften, die von unschätzbarem Wert für eine Nation sind‹.« (Girling 2021: 265)

Roosevelt ging nur wenige Wochen nach Ausscheiden aus seinem Amt mit seinem Sohn Kermit im Auftrag des Smithsonian Institute auf eine Expedition nach Afrika, um eine Vielzahl von Exemplaren verschiedenster Arten heimzubringen. Das Blutbad, das Vater und Sohn dort veranstalteten, ist in Roosevelts Buch über die Expedition, African Game Trails, das schon 1910 in deutscher Übersetzung mit dem Titel Afrikanische Wanderungen eines Naturforschers und Jägers erschien, ausführlich dokumentiert. Gegen Ende des Buches verkündet Roosevelt die Erfolgsbilanz: Für den Vater ergibt sich eine Gesamtzahl von 296 Trophäen, für den Sohn 216 (vgl. ebd., 266).

Girling betont, dass es sich bei Roosevelt auch um eine Inszenierung einer bestimmten Sorte von Männlichkeit handelt, die sich zum einen im besonders grausamen Umgang mit der Natur (der afrikanischen Wildfauna) unter Beweis stellt, zum zweiten aber auch eine andere, unterlegene, ›schwarze‹ Männlichkeit (re)produziert.

Wir können an diesem Beispiel sehen, wie verflochten und komplex das Thema unseres Sammelbandes ist. In der Tat sind es Natur-Verhältnisse, die wir zu untersuchen haben, wenn wir das Thema Männlichkeiten und Natur umkreisen. Das Beispiel aus Girlings Buch zeigt, wie das Verhältnis von (Wild-)›Tier‹ und ›Mann‹ gleichzeitig zusammenhängt mit Aspekten von Kolonialismus und Rassismus und ineins damit eine männlichkeitstheoretisch bedeutsame interne, d.h. mann-männliche Relationalität zu erkennen gibt. Einmal die einer hegemonialen Männlichkeit (Dominanz des ›weißen Mannes‹ gegenüber dem ›schwarzen‹), zum zweiten eine genealogische, insofern das Wildtierschießen als eine gemeinschaftliche Aktion von Vater und Sohn erzählt wird, also eine männliche Praxis ist, die an die nächste Generation weitergegeben wird und sich so auf Dauer stellt.

Auch halten uns Girlings Rekonstruktionen dazu an, bei der Einschätzung bestimmter Positionen bzw. Parteinahmen in Bezug auf Natur männlichkeitshermeutisch aufmerksam zu sein, denn nicht selten machen die Selbstdarstellungen und Erzählungen, hier Roosevelts Selbstdarstellung als ›Naturkundler‹, eine Rhetorik des Naturexpertentums offenbar, die mit dem tief verwurzelten Herrschaftsgebaren von Männern über die Natur und andere Menschen/Männer im Innersten zusammenhängt, und dies nicht nur im kolonialistischen Kontext, sondern auch im Kontext männlicher Positionierungen in Roosevelts nächstem gesellschaftlichen Umfeld. Seine exponierte Haltung ist nämlich auch Teil einer diskursiven Kampagne, die in den USA um die Jahrhundertwende unter männlichen Naturkundlern als sog. Naturfälscher-Kontroverse geführt wurde. Roosevelt schloss sich mit seinem Reisebuch, zuvor aber auch schon in einem Interview, dem bekannten Naturschriftsteller und Darwinisten John Burroughs an, der den scheinbaren Mystizismus, die Romantik und Sentimentalität einer neuen Generation von Naturschriftstellern verachtete, weil sie mit ihren Phantasien als einfühlsame Naturversteher vor allem auch die Vorstellungen der Jugend verdürben. Roosevelt bediente sich in der Kontroverse im Übrigen schon des Vorwurfs des fact-fiction (vor allem gegenüber William J. Long) (vgl. Girling 2021: 268-270).

So weit, so komplex! Männlichkeiten und Naturverhältnisse zu betrachten, geschieht auf der einen Seite schon seit langer Zeit, bis zum Beginn der modernen feministischen Theorie und Geschlechterforschung zumeist implizit, d.h. nicht männlichkeitsreflexiv, aber darum keineswegs unwirksam. Wir möchten im Folgenden ein paar ausgewählte historisch-kulturelle Positionen und Ereignisse aufrufen, die freilich nur skizzenhaft verdeutlichen können, welche Themen, Motive und Entwicklungsschübe für die Beobachtung und Einschätzung des Themas möglicherweise von besonderer Bedeutung sind. Wir gehen dabei einerseits begriffs- und kulturhistorisch vor, indem wir uns an der Geschichte der Verwendung des Begriffs der Natur orientieren, andererseits werden wir an einigen markanten, historischen Wendepunkten diskursive Schwerpunkte benennen. Im letzten Teil unserer Einführung möchten wir kurz auf gegenwärtige Debatten zu sprechen kommen, innerhalb derer das Thema Männlichkeiten und Naturverhältnisse u.E. stärker als bisher geschehen einzubringen wäre.

2.Zur Geschichte der Verwendung des Natur-Begriffs mit Blick auf geschlechtliche Markierungen


Schaut man auf die Wortbedeutung von ›Natur‹, so sollte man vor allem die für die europäische Denktradition entsprechenden Leitwörter im Griechischen und Lateinischen mitberücksichtigen. Das ist einmal das griechische Wort ›physis‹ (›Wuchs‹), das sich von ›phyein‹ herleitet: ›wachsen lassen‹. Zum anderen das lateinische Wort ›natura‹, das sich herleitet von ›nasci‹: ›gezeugt oder geboren werden‹. ›Nascentia‹ bedeutet ›Geburt‹. Während das griechische Wort auf den semantischen Bereich des Vegetabilischen verweist, bewegt sich das lateinische Wortfeld eher im Bereich des Sexuell-Generativen. Zudem verstand man in vielen europäischen Kulturen über lange Zeiträume hinweg unter Natur ›creatura‹ (›Schöpfung/Geschöpf‹), womit ein Subjekt der Schöpfung vorausgesetzt wird. In einem grundlegenden Handbuchartikel zum Lemma ›Natürlich/Natur‹ weist Hartmut Böhme bereits zu Beginn darauf hin, dass wir in den sprachlichen Bezeichnungen, in den Sprechweisen über Natur nicht die Natur selbst finden, sondern Verständigungsformen über diese: »Da Natur als Relationsbegriff benutzt wird – Natur in Relation zu den Menschen, die einen Sachverhalt, ein Phänomen, eine Macht als Natur ansehen –, wird Natur als semantisches Ensemble dargestellt, worin sich Menschen kulturell artikulieren« (Böhme 2010: 433). Böhme vertritt wie viele die These, dass Natur und Kultur untrennbar miteinander verschränkt sind, und mit Novalis weist er darauf hin, dass es historisch eine Vielfalt des Redens über Natur gibt und zugleich kulturell unterschiedliche Naturvorstellungen existieren, die zum Teil auch miteinander konkurrieren und darüber hinaus in ganz unterschiedlichen Medien präsentiert werden. Mit Böhmes konsequenter Historisierung des Natur- wie des Kulturkonzepts (vgl. ebd., 437) lassen sich für den Themenkomplex Männlichkeiten/Natur wichtige Verhältnisbestimmungen und Stationen herausarbeiten.

In den frühen Stammesgesellschaften ist das Verhältnis der Menschen zur Natur in Mythen und Riten festgehalten. In den Naturmythen werden die Herkunft, das Vorhandensein und das Wirken natürlicher Erscheinungen durch Bilder und Narrationen vom Ursprung und von der Genesis vermittelt. Der Mensch mit seinen körperlichen Eigenschaften wird als Teil des Naturgeschehens betrachtet. Sexualität und Tod werden als Naturkräfte mit kulturellen Klassifikationen verbunden und darüber werden Sozialordnungen codiert (vgl. ebd., 441). Böhme weist darauf hin, dass der männliche Jäger lange Zeit als der Archetypus der Menschheit bezeichnet wurde. Er soll »die nachhaltigste Langzeitprägung auf die ›Natur‹ des...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2024
Reihe/Serie Hildesheimer Geschlechterforschung
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie Gender Studies
Schlagworte Anthropologie • Ästhetik • Autofahren • Biologie • Fleischkonsum • Idealbild • Karl Ove Knausgård • Klimawandel • Literatur • Männer • Männlichkeitsdiskurs • Nachhaltigkeit • Natürlichkeit • Umweltzerstörung
ISBN-10 3-593-45402-5 / 3593454025
ISBN-13 978-3-593-45402-3 / 9783593454023
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