Einfach selbst bestimmt (eBook)

Texte zur Lebensrealität jenseits der Geschlechternormen

Janka Kluge, Julia Monro (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
304 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31218-8 (ISBN)

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Einfach selbst bestimmt -
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Es reichen heute fünf Buchstaben und ein Sternchen, um auf eine hitzig geführte Debatte zu verweisen: trans*. Dass trans* nicht einfach ein »kontroverses Thema«, sondern die Lebensrealität zahlreicher Menschen ist, wird dabei leicht übersehen. Seit langer Zeit sind trans* Personen in unserer Gesellschaft psychischer, körperlicher und struktureller Gewalt ausgesetzt. Der unbedingt nötige Abbau dieser Diskriminierungen wird in den letzten Jahren öffentlich diskutiert, und, etwa durch das geplante Selbstbestimmungsgesetz, sogar konkret in Angriff genommen. Diese gesellschaftlichen und politischen Prozesse führen zu Fragen, Kritik und Gegenwehr. Umso wichtiger ist Aufklärung: Dieses Buch enthält 20 Texte, von Aktivist*innen, Psycholog*innen, Wissenschaftler*innen und Betroffenen, deren Stärke darin liegt, dass sie ein differenziertes, unaufgeregtes Bild dessen entwerfen, was ein Leben jenseits der Geschlechternormen ist.

Janka Kluge, geboren 1959 in Stuttgart als vermeintlicher Junge. 1981 rettete ihr die Einführung des Transsexuellengesetzes das Leben, bald darauf gründete sie eine der ersten Selbsthilfegruppen des Landes. Sie arbeitet als Journalistin und Redakteurin für verschiedene Medien, hält Vorträge zum Thema trans* und ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e.V.). Julia Monro, geboren 1981 und aufgewachsen in einer konservativen evangelikalen Glaubensgemeinschaft in Rheinland-Pfalz. Seit ihrem Zwangsouting im Zuge eines Gerichtsverfahrens 2016 ist sie in der trans* Community aktiv, macht Filme und Aufkläungsarbeit, berät Politik und Verbände in den verschiedensten Bereichen und ist Ansprechsperson für zahlreiche Medien.

Janka Kluge, geboren 1959 in Stuttgart als vermeintlicher Junge. 1981 rettete ihr die Einführung des Transsexuellengesetzes das Leben, bald darauf gründete sie eine der ersten Selbsthilfegruppen des Landes. Sie arbeitet als Journalistin und Redakteurin für verschiedene Medien, hält Vorträge zum Thema trans* und ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e.V.). Julia Monro, geboren 1981 und aufgewachsen in einer konservativen evangelikalen Glaubensgemeinschaft in Rheinland-Pfalz. Seit ihrem Zwangsouting im Zuge eines Gerichtsverfahrens 2016 ist sie in der trans* Community aktiv, macht Filme und Aufkläungsarbeit, berät Politik und Verbände in den verschiedensten Bereichen und ist Ansprechsperson für zahlreiche Medien.

Julia Monro

Warum auch trans*Personen Selbstbestimmung brauchen


Alle wollen Selbstbestimmung – Allgemeine Definition und Beispiele

Es ist der Wunsch jedes einzelnen Menschen, seine Persönlichkeit so zum Ausdruck zu bringen, wie er es für richtig empfindet. Dieses Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist in unserer Verfassung verankert. Jeder Mensch hat demnach das Recht, über das eigene Leben zu bestimmen. So heißt es im Grundgesetz:

[1] Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

[2] Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

Das bedeutet vereinfacht: Wenn z.B. eine Person sich die Haare grün färben möchte, dann hat diese Person das Recht dazu, ohne dass es ihr jemand verbieten kann. Macht sie die Haare einen Tag später blau, weil ihr das Grün nicht mehr gefällt, dann ist auch das ihr gutes Recht und das darf ihr niemand absprechen.

Ebenso ist das Tragen von Kleidung der selbstbestimmte Ausdruck eines jeden Individuums. Frauen »dürfen« Hosen tragen, was vor hundert Jahren noch undenkbar gewesen wäre! Und Männer dürfen Röcke tragen, auch wenn das heute (leider!) immer noch von vielen skeptisch beäugt wird. Kleidung kann auch der selbstbestimmte Ausdruck religiöser Überzeugungen sein. Stichwort Religionsfreiheit. Jeder Mensch hat damit auch das Recht, selbstständig darüber zu bestimmen, ob er beispielsweise ein Kopftuch tragen möchte oder in freier Natur den Gebetsteppich ausrollen will.

Und wenn eine andere Person sich dazu entscheidet, den Körper von oben bis unten vollständig zu tätowieren, dann ist auch das ihr Recht. Es handelt sich zwar hierbei juristisch um eine »Körperverletzung«, aber die Person bestätigt im Tattoo-Studio i.d.R. mit ihrer Unterschrift, dass sie ausdrücklich mit dieser Körperverletzung einverstanden ist. Die Person entscheidet selbstbestimmt darüber, ob, wann und wo sie verletzt werden möchte. Da es sich dabei nicht um lebensbedrohliche Verletzungen handelt, ist diese Behandlung akzeptabel, sie darf nur nicht ohne Einverständnis erfolgen.

Auch die sexuelle Selbstbestimmung ist ein wichtiges Grundrecht jedes einzelnen Menschen. Jeder Mensch muss frei entscheiden dürfen, ob er in eine sexuelle Handlung involviert werden möchte oder nicht. Wenn jemand also unfreiwillig zu einer sexuellen Handlung genötigt wird, dann wird dieser Person das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung genommen. So hat Selbstbestimmung schließlich auch mit Grenzen zu tun: Angenommen eine Person führt in Gegenwart einer anderen Person sexuelle Handlungen an sich selbst durch, ohne dass diese weitere Person die selbstbestimmte Möglichkeit hat, darüber zu entscheiden, ob sie das überhaupt sehen möchte oder nicht. Dann will die Person sich vielleicht frei entfalten, verletzt damit aber die Rechte der weiteren Person, weil diese sich belästigt fühlt. Das Selbstbestimmungsrecht endet also dort, wo die Rechte Dritter, die Selbstbestimmung Dritter, berührt werden.

Ähnlich verhält es sich mit der Selbstbestimmung über den eigenen Körper, z.B. bei einer Schwangerschaft. Wenn die schwangere Person sich für eine Abtreibung entscheidet, dann ist dies eine selbstbestimmte Entscheidung über den eigenen Körper. Hierüber wird jedoch sehr intensiv gestritten, weil das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines ungeborenen Lebens berührt werden könnte. Doch ab wann spricht man von »Leben«? In Deutschland hat der Gesetzgeber dafür eine Grenze von 12 Wochen festgelegt, angefangen beim ersten Tag der Befruchtung. Bis zu diesem Zeitpunkt darf eine Abtreibung vorgenommen werden.

Selbstbestimmt leben wollen auch Menschen mit einem Handicap. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt dazu:

Selbstbestimmung ist auch bei schwerer und mehrfacher Behinderung möglich, denn auch bei extremer Einschränkung der Handlungskompetenz ist Entscheidungs- oder Regiekompetenz möglich. Die Wünsche und Bedürfnisse schwer und mehrfach behinderter Menschen können sich auch in leiblichen Ausdrucksformen artikulieren (Laut- und Geräuschproduktion, Bewegungsdrang, Selbst- oder Fremdaggression, Ausscheidung usw.).[1]

Sogar über das »Recht auf selbstbestimmtes Sterben« hat das Bundesverfassungsgericht jüngst entschieden. Dieser »Akt autonomer Selbstbestimmung« ist »von Staat und Gesellschaft zu respektieren«[2], heißt es in einem der Leitsätze.

Jeder Mensch hat also das Recht, über seine Lebensführung und damit auch über Maßnahmen, die seine Gesundheit betreffen, selbst zu bestimmen. Und der Gesetzgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass dieses Recht festgeschrieben und durchgesetzt wird – bis an die jeweiligen Grenzen. Das Recht auf Selbstbestimmung ist also kein reines trans*Thema, sondern grundgesetzlich verankert und betrifft alle Menschen. Warum also sollte man es trans*Personen nicht zugestehen, ebenfalls selbst über ihre Körper und ihre Gesundheit entscheiden zu dürfen?!

Selbstbestimmung für trans*Personen

Bei trans*Personen wurde dieses Recht auf Selbstbestimmung von jeher infrage gestellt. Als Grundlage diente dafür etwa die Auffassung, dass »Transsexualität« eine psychische Störung sei. Wenn ein Mensch das ihm bei Geburt zugewiesene Geschlecht ablehnt und er für sich eine andere Geschlechtszugehörigkeit für richtig hält – er also seine Persönlichkeit frei entfalten möchte, wie es im Grundgesetz steht –, dann wurde eine »geistige Verwirrung im psychosexuellen Bereich« angenommen. Als die Bundesregierung am 30. Juni 2022 ein Eckpunktepapier zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz vorstellte, formulierte der Bundesjustizminister Marco Buschmann, dass der Staat trans*Personen immer das Gefühl vermittle, mit ihnen stimme etwas nicht.

Dieser Auffassung sind Menschen, die sich gegen die Selbstbestimmung von trans*Personen aussprechen, bis heute. Viele orientieren sich dabei an der ICD-10, der »Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems)«, einer Art Diagnosekatalog, welcher alle paar Jahre von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben wird. Darin sind sämtliche in der Medizin vorkommende Diagnosen mit unterschiedlichen Codes exakt definiert. In Kapitel V, gekennzeichnet mit den Codes F00-F99, finden sich dort »Psychische und Verhaltensstörungen« und unter F60-F69 die »Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen«. Zwischen »F60.0 Paranoide Persönlichkeitsstörung«, »F60.31 Borderline-Typ« und »F65.4 Pädophilie« findet man schließlich unter dem Code F64 »Störungen der Geschlechtsidentität«. Diese sind noch mal unterteilt in F64.0 »Transsexualismus« und F64.2 »Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters« und andere.[3]

Immer wenn ich in meinen Workshops davon erzähle, dass »Transsexualismus« bis heute als psychische Störung klassifiziert wird, sind die Menschen erstaunt. Insbesondere an Schulen treffe ich auf junge Menschen, die es gar nicht fassen können, dass so etwas heute überhaupt möglich ist. Oft fragen sie dann, ob Besserung in Sicht ist. Und tatsächlich hat sich bereits etwas getan:

Obwohl die ICD-10 in Deutschland bis heute, im Jahr 2023, noch immer gültig und damit medizinisch also nach wie vor von einem Störungsbild der Psyche die Rede ist, hat die WHO glücklicherweise erkannt, dass diese Kategorisierung heute nicht mehr haltbar ist. Mittlerweile ist es wissenschaftlicher Konsens, dass trans* kein Störungsbild der Psyche ist. In der neuen Fassung des Diagnoseschlüssels, der ICD-11, ist nicht mehr von »Transsexualismus« oder gar von einer psychischen Störung die Rede. Nach diesen neuesten Erkenntnissen handelt es sich um »einen körperlichen Zustand im Zusammenhang mit geschlechtsbezogener Gesundheit«. Die exakte Definition lautet nun »gender incongruence« (dt. geschlechtliche Inkongruenz) und wird unterteilt in HA60 für Erwachsene und HA61 für Kinder und Jugendliche.

Mit der Streichung aus der Liste der psychischen Störungen hat die WHO eine über Jahre andauernde Stigmatisierung von trans*Personen beendet. Mit einem Schlag waren trans*Personen für »gesund« erklärt worden. Als der Entwurf der ICD-11 im Jahr 2018 vorgestellt wurde, war das ein regelrechter Feiertag für alle trans*Personen weltweit. Eine ähnliche Entwicklung hatte es seinerzeit beim Thema Homosexualität gegeben: Auch diese galt nach der damals gültigen ICD-9 als »Geisteskrankheit«, bis 1992, mit Veröffentlichung der ICD-10, festgestellt wurde, dass »Gleichgeschlechtliche Sexualität« weder eine »Geisteskrankheit« noch »moralisch verwerflich« ist.

 

Die ICD-11 ist international zum 01. Januar 2022 in Kraft getreten, die Mitgliedstaaten haben allerdings eine Übergangsfrist von fünf Jahren, um sie zu übersetzen und im eigenen Gesundheitssystem einzuführen. Erst dann werden Diagnosen ausschließlich nach...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2024
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alice Schwarzer • Chantal Louis • Debattenbuch • Henri Maximilian Jakobs • Identitätspolitik • Jolina Mennen • LGBT • LGBTQ • lgbtqia+ • Linus Giese • Selbstbestimmung • Selbstbestimmungsgesetz • Trans • Transgender • Transition • Transsexualität
ISBN-10 3-462-31218-9 / 3462312189
ISBN-13 978-3-462-31218-8 / 9783462312188
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