Die Abwertung der Mütter (eBook)
224 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46784-8 (ISBN)
Anne Theiss ist Journalistin und war lange persönliche Referentin von Hubert und Jacob Burda. Sie ist Mutter zweier Kinder und kennt die Belastung des Mütter-Multitaskings aus eigener Erfahrung. Anne Theiss lebt mit ihrer Familie in Tutzing bei München.
Anne Theiss ist Journalistin und war lange persönliche Referentin von Hubert und Jacob Burda. Sie ist Mutter zweier Kinder und kennt die Belastung des Mütter-Multitaskings aus eigener Erfahrung. Anne Theiss lebt mit ihrer Familie in Tutzing bei München.
Vorwort
Ein Buch über Mütter ist erst einmal nichts Innovatives. Gibt es schon. Und überhaupt, was ist mit den Vätern? Dann noch dieser negative Begriff im Titel – »ABWERTUNG«. »Denkt doch mal positiver«, heißt es gegenüber Deutschen ja sowieso schon von vielen Seiten. Warum diese Negativität? Warum nicht mehr Bling-Bling? Mehr Rosa? Mehr Zuversicht? Wenn es um unser abnehmendes Vertrauen, unsere oft übertriebenen Sorgen bei allen möglichen Belangen oder unsere Haltung gegenüber neuen Technologien geht, ist das durchaus angebracht. Mehr Optimismus schadet nicht – und defizitorientiertes Denken bringt nichts voran.
Ich würde gerne auch positiv über die Lage von Müttern schreiben. Wenn es ansatzweise Anlass dazu gäbe. Ich würde ebenso gerne über Väter und Mütter schreiben.
Wenn sie in der gleichen Lage wären.
Doch wenn es um Mütter geht, passiert etwas untypisch Deutsches: Ihre Lage wird schöngeredet, obwohl sie desolat ist, uns wirtschaftlichen Wohlstand kostet. Es wird überstrichen, übertüncht, was negativ ist. Dabei müssen wir als Land in der Gegenwart ankommen, unser volles Potenzial ausschöpfen, den Lack abkratzen: Bei den Idealen und den Rollenbildern. Die gegenwärtige Lebensrealität der Mütter bedarf eines »Wummses«2 à la Bundeskanzler Olaf Scholz, der »Doppel-Wumms«-Auswirkungen auf uns alle hätte. Während nämlich immer noch alte Vorstellungen gepredigt werden, brauchen wir in Wahrheit mehr Mütter im neuen Gewand, Mütter, die frühzeitig wieder arbeiten, auch in Vollzeit. Und dies auch sein wollen, weil die Bedingungen gut sind.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Mütter einer bezahlten Arbeit nachgehen, steigt um 35 Prozent, wenn ihre Kinder verlässlich betreut werden.3 Larissa Zierow, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Reutlingen, erklärt in der Wochenzeitung »Die Zeit«: »Öffnet eine Kita ganztags statt halbtags, steigt das Einkommen der Mütter im Schnitt um 290 Euro pro Monat, bei Akademikerinnen sogar um 425 Euro.« Dadurch erhöhe sich ihr Lebenseinkommen, das Risiko für Altersarmut sinke, die Sozialausgaben eines Staates auch, die Steuereinnahmen durch zusätzlichen Verdienst füllten vielmehr die Sozialkassen auf, und »Produktivität und Wirtschaft wachsen«.4
Aber was passiert in Deutschland – trotz der bekannten Zahlen, trotz der immensen Vorteile, die es für die Gesellschaft mit sich bringen würde, wenn mehr Mütter mehr berufstätig wären? Das Gegenteil, es droht Rückschritt statt Fortschritt. Mit dieser Entwicklung hat auch, aber nicht nur, ein Virus zu tun, der das Leben aller beeinträchtigte, aber irgendwie doch das Leben der Mütter am meisten (und zwar um einiges mehr als das der Väter!). Betrachtet man Studien oder fragt nach der Einstellung von jungen Vätern, können auch Optimistinnen angesichts der aktuell herrschenden Bedingungen nicht auf die große Transformation hoffen. Denn selbst bei größtem Selbst-Engagement kommen viele Mütter immer noch viel zu oft nicht so weit, wie sie es unter besseren Bedingungen könnten. Und das ist nicht nur schade, das ist tragisch, das ist Vergeudung.
Schlimmer noch: Zu viele der heutigen berufstätigen Mütter mit Kleinkindern werden psychisch und physisch auf der Strecke bleiben, durch die andauernde Mehrfachbelastung bei schlechter Infrastruktur Folgekrankheiten entwickeln. Wenn Mütter heute nicht mehr können, sind ihre Krankheitsbilder diffiziler und damit aufwendiger zu behandeln als noch vor ein paar Jahren. Psychologinnen berichten von nie gesehenen Zuständen.5 Erschöpfte Mütter, Mütter, die zu krank sind, können nicht ihre Stimme erheben und auch nicht mehr leisten. Viele von uns werden das womöglich erst gar nicht merken oder verdrängen, manche werden Zusammenhänge verneinen. Die Idee, dass Frauen »Selbst schuld!« an ihrer Lage sind, ist weit verbreitet und wirft doch nur alle in einen Riesentopf.
Der Staat, die Politik, die Gesellschaft, die Männer – profitieren einmal wieder (kurzfristig) von der Selbstaufgabe von Müttern für die Familie. Sie lässt verdecken, dass Hausaufgaben nicht erledigt, Versprechen nicht eingehalten wurden. Und während den Müttern durch zu wenig verlässliche Rahmenbedingungen immer mehr Erschöpfung droht, unflexible Betreuungs- und Arbeitsmodelle ihre Berufstätigkeit erschweren, sogar – fast wie in früheren Zeiten – unmöglich machen, gehen dem Arbeitsmarkt vor unser aller Augen dringend benötigte Arbeitskräfte verloren.6
Es ist eben nicht wie beim Wechselkurs: Sinkt der Wert des Euros, steigt oft (im Verhältnis) der Wert des Dollars. Eine »Einheit« Mutter, deren »Wert« nur vermeintlich geringer ist, lässt den Wert der anderen Einheiten auch nur vermeintlich steigen. Früher konnte diese Art des Verlustes übertüncht werden. Das starke Wirtschaftswachstum und die Masse an Steuerzahlerinnen7 im Land ließen zu, dass die Berufstätigkeit von Frauen und insbesondere Müttern nicht gefördert wurde. Inzwischen ist das verheerend: Heute bedeutet der »sinkende Wert«, die Abwertung der Mütter, einen sinkenden Wohlstand. Und das betrifft auch die Männer beziehungsweise die gesamte alternde Gesellschaft – auf lange Sicht. Je länger wir brauchen, um das zu erkennen, desto mehr müssen wir wieder investieren, um das brachliegende Potenzial der Mütter abzurufen. Dabei wären Mechanismen aus anderen Ländern bekannt, die pragmatisch eingesetzt und angewandt innerhalb kürzester Zeit mehr Müttern mehr Berufstätigkeit ermöglichen könnten. Und ja, kurzer Spoiler, darunter gehören kluge, effiziente Investitionen und fällt auch der Slogan: »Männer an den Herd!« Aber nicht nur.
Die Geschichte deutscher Mütter hat mit gesamtgesellschaftlichem Schweigen, mit der Verneinung von (spät)modernen Entwicklungen8, mit zu wenig Einsatz aktueller, wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Betreuungsrealität, mit festgefahrenen Ansichten und Strukturen zu tun. Junge Mütter, die relativ schnell nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten möchten, werden abgewertet, weil tradierte Rollen(vor)bilder, mit denen viele von uns (vor allem in Westdeutschland) sozialisiert wurden, noch zu viel Einfluss haben: Das »Kindeswohl« gilt auch im 21. Jahrhundert für die Mehrheit der Deutschen als Begründung, dass Frauen mindestens ein Jahr zu Hause bei den Kindern bleiben sollen, am besten noch länger. Politische Instrumente wie das Elterngeld, die eigentlich für den leichteren beruflichen Wiedereinstieg gedacht sind, befördern das sogar. Auch dass die Kita-Gebühren in Deutschland häufig noch um einiges höher sind als die für den Kindergarten. Währenddessen profitieren Männer weiterhin durch das »Gender Care Gap«. Also davon, dass Frauen im Durchschnitt eineinhalbmal so viel der unbezahlten Haushalts- und Sorgearbeit übernehmen.9 Und das »Gender Pay Gap«10 offenbart ihnen, dass Männer in der Wirtschaft immer noch größtenteils mehr verdienen als sie. Den Kindern versuchen sie vor diesem Hintergrund unermüdlich beizubringen, was Gleichberechtigung und Gerechtigkeit bedeutet.
Bei Müttern klaffen der Anspruch, der Schein (Podest) und die Wirklichkeit (Alltag) auseinander. Sie sind die Eier legenden Wollmilchsäue, kämpfen Tag für Tag, dass bei Mangel an Kita-Plätzen und Fachkräften sowie schlechter werdender Gesundheitsversorgung trotzdem alles funktionieren mag. Die Überschrift ihres Lebens ist: »Immer auf der Suche nach ausreichender Unterstützung und Alternativen!« – anstatt auf Entfaltung, auf sich selbst setzen zu können. Weil immer noch vorherrschende Mütter-Ideale nicht der spätmodernen Mütter-Realität entsprechen.
Völlig kurios, wenn man bedenkt, welchen Dienst die Mütter diesem Staat, dieser Gesellschaft, der Wirtschaft erweisen: Sie gebären trotz allem Bürgerinnen11, spätere Arbeitnehmerinnen und bei gleichzeitiger Berufstätigkeit helfen sie mit, dass dieses alternde Land eine Zukunft hat.12 Sie arbeiten mehrfach für den Wohlstand. Aber beklatscht werden vor allem die neuen, engagierten Väter. Obwohl jungen Frauen allerlei Versprechen gemacht werden, bevor sie Kinder bekommen, stehen zu viele von ihnen vor dem Scherbenhaufen ihrer eigentlichen Pläne, sobald der Nachwuchs da ist. Kurz gesagt: Würden werdende Mütter einen Vertrag mit Vater Staat schließen, wären sie gut beraten, das Kleingedruckte zuvor zu lesen.
In Deutschland leben circa 7,5 Millionen erwerbstätige Mütter mit mindestens einem minderjährigen Kind. Die meisten arbeiten in Teilzeit, da oft die Infrastruktur nur wenig andere Modelle möglich und attraktiv macht, am wenigsten Schichtdienste.13 Würden alle diese Mütter nur wenige Stunden in der Woche mehr arbeiten können, wenn sie woll(t)en, wäre das ein bedeutender Teil einer Lösung des Arbeitskräftemangels. Und wir würden den gigantischen Herausforderungen des demografischen Wandels begegnen: 2023 erreicht der Jahrgang 1958 das Rentenalter von 65 Jahren. Auf ihn würden Millionenjahrgänge folgen, alle größer als die bisherigen, sagt Soziologe Stefan Schulz und fügt hinzu: »So etwas kennen wir nicht, und es wird uns überfordern. Die Frage ist, ob wir es geschehen lassen oder ob wir es mitgestalten.« Und er hebt die Bedeutung der Familien hervor und damit der Mütter: »Es ist eine große politische Aufgabe, dass Familien funktionieren. Wir...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Altersarmut von Müttern • arbeiten als Mutter • Arbeitsmarkt • Arbeitsmarktpolitik • Care Arbeit • Care-Debatte • Chancengleichheit • Debattenbuch • Demografischer Wandel • deutsche Familien-Politik • Deutschland Politik Kultur Gesellschaft • Elternzeit • Fachkräftemangel • Familie • Familienpolitik • feministische bücher • Feministische Politik • Franziska Schutzbach • Frauen • Frauen auf dem Arbeitsmarkt • Frauenpolitik • Frauenrechte Buch • Frauenrollen • Geschlechterrolle • Gesellschaft • Gesellschaftskritik • Gesellschaftskritische Bücher • Gleichberechtigung • Idealisiertes Mutterbild • Kinder • Kinderbetreuung • kind und karriere • Mütter • Mutterbild • Mütterfalle • Mutterrolle • Politik Buch • Politik Kultur gesellschaft • Regretting Motherhood • Sachbuch Gesellschaft • Vereinbarkeit Familie und Beruf • Vereinbarkeitslüge • wirtschaftliche Entwicklung • Wohlstand Deutschland |
ISBN-10 | 3-426-46784-4 / 3426467844 |
ISBN-13 | 978-3-426-46784-8 / 9783426467848 |
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