Weißen Feminismus canceln (eBook)

Warum unser Feminismus feministischer werden muss

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491845-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Weißen Feminismus canceln -  Sibel Schick
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Der Feminismus in Deutschland muss sich ändern, fordert die Journalistin und Autorin Sibel Schick: Wir brauchen Gerechtigkeit statt Ausgrenzung! Sich selbst als Feminist*in zu bezeichnen, hat Konjunktur, aber das heißt noch lange nicht, dass der Mainstream-Feminismus diesen Namen verdient hätte. Von ihm profitieren in Deutschland nämlich nur wenige: privilegierte, heterosexuelle und cisgeschlechtliche weiße Mittelschichtsangehörige. Und die Ausbeutung aller anderen wird in die Unsichtbarkeit gedrängt. Wenn wir in einer freien Gesellschaft leben möchten, die echte Gleichberechtigung für alle Menschen fordert, muss sich vieles ändern: in unserem Zusammenleben, der Politik, online, im Job und überhaupt in unserem Demokratieverständnis. Schritt für Schritt analysiert Sibel Schick die Ausschlussmechanismen des weißen Feminismus anhand aktueller gesellschaftlicher Debatten und bricht dabei mit Traditionen und Erwartungen. Ein hochrelevantes Plädoyer für eine gerechtere Welt.

Sibel Schick, 1985 in Antalya geboren, ist freie Autorin, Journalistin und Kolumnistin. Seit 2009 lebt sie in Deutschland, seit 2016 schreibt sie Texte über Feminismus, Rassismus und die Türkeipolitik. Ihre Kolumnensammlung »Hallo, hört mich jemand?« erschien 2020 bei Edition Assemblage, ihre Kolumnen im »Missy Magazine«, bei »nd«, in der »taz« und bei »Campact«. Ihr Leseheft »Deutschland schaff' ich ab. Ein Kartoffelgericht« erschien 2019 bei Sukultur. Sie gibt den Newsletter »Saure Zeiten« heraus.

Sibel Schick, 1985 in Antalya geboren, ist freie Autorin, Journalistin und Kolumnistin. Seit 2009 lebt sie in Deutschland, seit 2016 schreibt sie Texte über Feminismus, Rassismus und die Türkeipolitik. Ihre Kolumnensammlung »Hallo, hört mich jemand?« erschien 2020 bei Edition Assemblage, ihre Kolumnen im »Missy Magazine«, bei »nd«, in der »taz« und bei »Campact«. Ihr Leseheft »Deutschland schaff' ich ab. Ein Kartoffelgericht« erschien 2019 bei Sukultur. Sie gibt den Newsletter »Saure Zeiten« heraus.

Das empfehlenswerte Buch liefert Ideen, wie ein intersektionaler Feminismus der Zukunft gestaltet sein kann, der eine tatsächliche Veränderung und Verbesserung für alle anstrebt.

Schick nimmt (...) die wichtigsten feministischen Debatten in Deutschland auseinander, sucht Quellen zusammen und korrigiert falsche Aussagen, kurz: Sie räumt auf.

Sie gibt sich wie immer direkt und angriffslustig, nimmt kein Blatt vor den Mund.

Mit sehr genauem, analytischen Blick

Wer sich tiefer mit dem Thema intersektionaler Feminismus auseinandersetzen möchte, den könnte das aktuelle Buch der Autorin Sibel Schick interessieren.

Brüste ≠ Brüste


Feminismus beschäftigt sich, ganz grob gesagt, mit dem System der Ungleichbehandlung, dessen Ursachen sexistisch sind. Das heißt: Wir sind nicht gleich, weil wir nicht gleich behandelt werden. Mag sein, dass Frauen und Männer in Deutschland zumindest schwarz auf weiß gleichgestellt sind. Aber die Organisation unseres Zusammenlebens funktioniert nicht nur über Gesetze, es geht weit darüber hinaus. Im Alltag gibt es zahlreiche Situationen, die nicht juristisch geregelt sind. Zudem gilt die gesetzliche Gleichbehandlung nicht allen: So werden beispielsweise trans und nicht-binäre Menschen auch juristisch diskriminiert, genauso wie Menschen, die behindert, chronisch krank, von Rassismus oder Armut betroffen sind. Das heißt, in Deutschland ist es legal, bestimmte Gruppen zu diskriminieren. Während ich diesen Text schreibe, sind trans Menschen immer noch von der Fremdbestimmung, die das sogenannte Transsexuellengesetz festschreibt, betroffen. Ein Selbstbestimmungsgesetz will diesen Missstand teils beseitigen, allerdings wird seit dessen Ankündigung eine regelrechte Kampagne dagegen geführt, unter anderem von selbsternannten Feministinnen wie Alice Schwarzer. Und migrantischen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft werden einige Rechte verwehrt, die für Deutsche selbstverständlich sind – so selbstverständlich, dass sie diese nicht einmal wahrnehmen. Zum Beispiel das Stimmrecht oder das Recht auf Mobilität.

Wofür genau müssen wir unsere Unterschiede definieren, welchen Sinn hat das, außer uns zu spalten? Diese Frage, vor allem der Gedanke der Spaltung, ist oft die erste impulsive Reaktion von Menschen, die zum ersten Mal mit ihren Privilegien konfrontiert werden. Dabei geht es darum, aus unseren Unterschieden vielfältige und effektive Maßnahmen zu entwickeln, damit wir alle besser leben können.

Wenn wir beispielsweise davon ausgehen, dass Frausein nur eine einzige Bedeutung hat, dann konzentrieren wir unsere Kräfte auf diese eine Bedeutung. Das ist kontraproduktiv, weil die gesellschaftliche Realität nun mal so ist, dass Frauen nicht dieselben Erfahrungen machen und das Frausein unterschiedlich erlebt wird. Das heißt, dass auch die Diskriminierung von Frauen nicht immer gleich ist. Wenn wir Maßnahmen speziell für den Schutz der privilegiertesten Frauen entwickeln – jener Frauen, die die Deutungshoheit haben und definieren, was Frausein bedeuten soll –, vernachlässigen wir unvermeidbar Perspektiven, die auf diese Weise unsichtbar gemacht werden. Die Maßnahmen für die privilegiertesten Frauen helfen Frauen, die mehrfach marginalisiert werden, in den seltensten Fällen, beispielsweise der alleinige Fokus auf die sogenannte gläserne Decke, ohne Armut zu bekämpfen. Wenn Feminismus zum Ziel hat, alle Frauen gleichzustellen und zu schützen, dann ist es unverzichtbar, dass auch Diskriminierungsformen wie Rassismus, Klassismus, Transfeindlichkeit, Ableismus u.v.m. betrachtet und bekämpft werden – diese Themen müssen Gegenstand des Feminismus sein, weil sie Frauen betreffen. Eine Frau hört nicht auf, eine Frau zu sein, nur weil sie von Rassismus betroffen ist. Rassismus und Sexismus sind für sie nicht trennbar – sie wird als Frau von Rassismus betroffen. Dies gilt ebenso für andere Marginalisierungsformen.

Die alltäglichen Ungleichheiten und Diskriminierungen können sehr vielfältig sein und ziemlich unspektakulär erscheinen. Etwas, das mich immer wieder beschäftigt, sind Männer, die in der Öffentlichkeit ohne Oberteil herumlaufen.

Ich bin nicht unbedingt eine sehr sportliche Person. In den letzten Jahren entwickelte sich dennoch ein Bedürfnis in mir, sportlicher zu werden, um meinem Körper etwas näherzukommen, falls es noch möglich sein sollte, dass ein Mensch seinem Körper näherkommt, weil wir alle in einem Körper leben. Vor wenigen Jahren fing ich an zu bouldern. Das ist eine Art zu klettern, aber ohne Sicherheitsgurt, weil die Kletterwände nicht hoch sind und man nicht sehr tief fallen kann.

In Boulderhallen begegne ich immer wieder jungen weißen Männern ohne Oberteil. Selbst in jenen Hallen, in denen es ausdrücklich unerwünscht ist, dass Menschen ohne Oberteil Sport machen, und entsprechende Schilder angebracht sind. Kaum denke ich an Boulderhallen, denke ich an die Oben-Ohne-Pauls und rege mich auf, als stünde gerade einer vor mir.

Meine Aufregung löst gleich ein Kopfkino aus. Ich stelle mir vor, wie ich zu einem dieser Oben-Ohne-Pauls in der Boulderhalle hinlaufe, vor ihm anfange, meine Klamotten auszuziehen, um ihm zu demonstrieren, dass es gar nicht so normal ist, in der Öffentlichkeit ohne Oberteil Sport zu treiben. Dass es sich um eine Ungleichheit unserer Freiheiten handelt, wenn er unter Menschen halb nackt Sport machen darf, viele andere aber eben nicht. Ich stelle mir vor, dass ich erst mein Oberteil, dann meinen Sport-BH ausziehe. Und selbst bei der Vorstellung fühle ich mich unwohl und muss es aushalten, etwas zu tun, was tabu wird, sobald ich es tue, aber nicht, wenn Paul es tut. Ich stelle mir vor, wie das Personal der Boulderhalle panisch zu uns eilt, um mich zu bitten, mich entweder sofort wieder anzuziehen oder die Halle zu verlassen, was sie bei Paul natürlich nicht getan haben, sonst wäre er ja entweder nicht mehr nackt oder weg. Und wie ich mich wehre, nur um im Anschluss rausgeworfen zu werden und Hausverbot zu bekommen. Oben-Ohne-Paul darf die Boulderhalle weiterhin betreten, schließlich ist er nicht so »verrückt« wie ich. Wenn er in der Öffentlichkeit seinen Körper halb nackt präsentiert, liegt es daran, dass der Tag heiß ist, dass es nackt für ihn angenehmer und bequemer ist. Wenn ich es tue, bin ich exhibitionistisch, unmoralisch, provokant, verrückt, streitlustig, dreist, etc. und muss rausgeworfen oder zumindest gemaßregelt werden.

In Deutschland gibt es kein Gesetz, das das Nacktsein per se untersagt. Unter Umständen kann die Nacktheit allerdings als Belästigung der Allgemeinheit gelten und gegen § 118 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten verstoßen. Außerdem gilt es als Belästigung, Menschen unerlaubt die Genitalien zu zeigen – zum Glück. Am Strand und an strandähnlichen Orten, in denen keine freie Körperkultur gilt, muss eine Badehose getragen werden – nackte Brüste sind erlaubt, diese gelten nicht als primäre, sondern als sekundäre Geschlechtsorgane. Es ist also nicht verboten, mit freiem Oberkörper in der Öffentlichkeit herumzulaufen, und es wird auch in der Regel toleriert – solange jene Menschen, die ihre Oberkörper befreien, als cis Männer wahrgenommen werden.

Der Sommer 2021 war in Teilen Deutschlands für eine kurze Weile besonders warm. In der Zeit begegnete ich mehreren Menschen auf der Straße, die mit nacktem Oberkörper auf dem Bürgersteig liefen. Ich bekam nie mit, dass irgendjemand die Polizei oder das Ordnungsamt alarmiert hätte. Diese Oberkörper hatten allerdings eins gemein: Die Brüste darauf waren flach, und die Person war in meiner Wahrnehmung ein cis Mann.

Die Toleranz gegenüber nackten Oberkörpern in der Öffentlichkeit gilt nicht allen. Genau die oben geschilderte Vorstellung, die ich in Bezug auf Boulderhallen habe, erlebte Gabrielle Lebreton 2021. Zwar nicht in einer Boulderhalle, dafür aber in der »Plansche«, einem Wasserspielplatz in Berlin.[1] Lebreton bekam einen Platzverweis, weil sie ihren Oberkörper befreite. Ihr Freund, der ebenso kein Oberteil trug, bekam im Gegensatz zu ihr keinen Platzverweis. Der Fall sorgte für Aufsehen, eine Petition wurde gestartet, Klage eingereicht, viele Medien berichteten. Schließlich änderte die »Plansche« ihre Regeln – seit Juli 2022 dürfen sich dort alle Menschen ohne Oberteil aufhalten, unabhängig vom vermeintlichen Geschlecht. Seit März 2023 erlauben alle Bäder in Berlin jedem Menschen, oben ohne zu baden.[2]

Bei unseren Freiheiten, die unterschiedlich sind, spielt häufig auch die Rassifizierung von Körpern eine wichtige Rolle. Zum Beispiel in Bezug auf Körperbehaarung.

Ein Freund besucht mich zu Hause, irgendwann fangen wir an, uns über Saunen, Baden im See und die freie Körperkultur in Ostdeutschland zu unterhalten. Der Freund ist ebenso Kurde aus der Türkei, der als Erwachsener nach Deutschland zog und aktuell in Ostdeutschland lebt, hat also eine sehr ähnliche Biographie wie ich. Er erzählt, dass er am See intensiv angeglotzt wird. Er bringt das mit seiner ausgeprägten Körperbehaarung in Verbindung, entblößt seinen Arm und zeigt mir seine Haare. »Deutsche haben ja nicht so viel Körperhaar«, sagt er. »Selbst wenn sie stark behaart sind, sieht man es bei ihnen nicht so, weil ihre Haare blond sind«, antworte ich. Er nickt zustimmend.

Kann man sich unter diesen Umständen vorstellen, dass mein Kumpel, der ausgeprägte, dichte und schwarze Körperhaare hat, sich in einer Boulderhalle oben ohne wohlfühlen könnte? Ich bezweifele das stark. Immerhin berichtet er mir, dass er sich selbst dort, wo alle nackt sind, unwohl fühlt, und die Ursache nicht intern ist. Die Ursache sind die Blicke, die auf seinen Körper gerichtet werden. Der haarlose weiße Oberkörper des Boulder-Pauls ist also nicht mit dem Oberkörper meines kurdischen Kumpels gleichzusetzen, selbst wenn sie beide cis Männer sind. Sie werden nicht gleich wahrgenommen, sie werden nicht gleichbehandelt, sie haben nicht die gleichen Freiheiten. Theoretisch hätte...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2023
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Ableismus • Ageism • Alice Schwarzer • Audre Lorde • cancel culture • Diskriminierung • Empowerment • Gender • Gleichberechtigung • Intersektionaler Feminsmus • Intersektionalität • Jennifer Hermoso • Karl-Heinz Rummenigge • Klassismus • Luis Rubiales • Rassismus • Sexismus • Sophie Passmann • Tabea Kemme • Transfeindlichkeit • Ungleichheit • White Feminism
ISBN-10 3-10-491845-7 / 3104918457
ISBN-13 978-3-10-491845-7 / 9783104918457
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