Alles gesagt? (eBook)
384 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31216-4 (ISBN)
Christoph Amend, 1974 in Gießen geboren, ist Editorial Director des ZEITmagazins und Herausgeber der Weltkunst. Er schreibt den Newsletter Was für ein Tag und moderiert den Podcast Und was machst Du am Wochenende?. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Wie geht's dir, Deutschland?«.
Christoph Amend, 1974 in Gießen geboren, ist Editorial Director des ZEITmagazins und Herausgeber der Weltkunst. Er schreibt den Newsletter Was für ein Tag und moderiert den Podcast Und was machst Du am Wochenende?. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Wie geht's dir, Deutschland?«. Jochen Wegner, geboren 1969 in Karlsruhe, ist Chefredakteur von ZEIT ONLINE und Mitglied der Chefredaktion der ZEIT. Er lebt in Berlin. Anna Meinecke, geboren 1992, ist Journalistin bei ZEIT ONLINE und dem Hessischen Rundfunk. Zudem ist sie Chefredakteurin des Online-Magazins gallerytalk.net.
Christoph: Woher kommt deine Faszination für Sterne?
THOMAS ZURBUCHEN: In Heiligenschwendi und auch in anderen kleinen Dörfern ist der Himmel viel dunkler als in der Stadt. Man kann die Sterne besser sehen. Als Junge saß ich oft mit einer Sternenkarte auf dem Dach unseres Hauses und habe in den Himmel geguckt. Sterne besitzen eine unglaubliche Schönheit. Sie erinnern mich daran, dass es Dinge gibt, die wichtiger sind als ich. Die Welten da draußen sind so komplex und viel größer, als man sich das vorstellen kann. Und sie existieren, ohne dass sich jemand Gedanken über sie macht.
Sterne waren für mich als Kind ein Symbol für eine größere Welt. Ich habe mir die Sterne angesehen und den Entschluss gefasst, nach Amerika zu gehen.
Christoph: Schon als kleiner Junge?
Ja. Heiligenschwendi war nicht zu 100 Prozent mein Zuhause. Ich dachte mir: »Ich möchte die Sterne von anderswo sehen.« Ich wollte hin zu etwas anderem, aber ich wollte auch einfach weg.
Christoph: Wenn du heute hochschaust und die Sterne siehst, woran denkst du dann?
Immer öfter denke ich: »Wer schaut in die andere Richtung?«
Christoph: Wer schaut zurück?
Genau. Es gibt viel mehr Möglichkeiten für Leben im Universum, als wir in der Schule gelernt haben.
Jochen: Gibt es denn außerirdisches Leben?
Ich denke, es ist eine Frage der Zeit, bis wir es finden. Aber als Wissenschaftler kann ich es nicht sicher sagen. Noch habe ich es schließlich nicht gefunden.
Jochen: Der Physiker Enrico Fermi hat die Frage aufgeworfen: Wenn es Außerirdische gibt, warum haben die dann noch nicht Guten Tag gesagt? Was würdest du entgegnen?
Beim Versuch, mit Leben im Universum in Kontakt zu treten, ist die größte Schwierigkeit die Distanz. Unsere Voyager-Raumsonden sind jetzt über 100 Astronomische Einheiten weit weg, also 100-mal die Distanz von der Erde zur Sonne. Es hat 40 Jahre gedauert, bis sie die Marke geknackt hatten. Der nächste Stern ist von uns aus Hunderttausende Astronomische Einheiten entfernt. Wir haben bisher nicht mal ein Prozent der Strecke zurückgelegt.
Dazu kommt: Wie lange kann Leben auf einem Planeten existieren? Wie viel Zeit hätte das Leben, zu uns zu kommen, oder wir zu ihm?
Schweißeffizient: Wer abends joggt, transpiriert nicht in den Anzug
Jochen: Dann kann man sich die Beschäftigung mit dem Thema eigentlich sparen, oder? Es gibt Berechnungen, wonach es sehr wahrscheinlich ist, dass es Leben im Universum gibt – wir werden es halt nur nie mitkriegen. Warum sucht man trotzdem?
In unserem Sonnensystem gibt es vielleicht kein intelligentes Leben in dem Sinn, aber es gibt durchaus Hinweise auf andere Lebensformen auf dem Mars oder auf den Monden Europa und Enceladus. Anfang der 2030er-Jahre werden wir Proben vom Mars zurückbringen. Wenn wir darin fossiles Leben entdecken, wäre das hochinteressant. Es würde nahelegen, dass Leben unter bestimmten Bedingungen eine natürliche Konsequenz ist. Vor drei Milliarden Jahren waren weite Teile des Mars von Wasser bedeckt und um ihn herum war ein Magnetfeld. Vieles war ähnlich wie auf der Erde.
Christoph: Wie wahrscheinlich ist es, dass wir irgendwann auf den Mars ziehen können?
Das kann gut sein. Aber zunächst werden Menschen als Forscher zum Mars fliegen, nicht, um dortzubleiben. Wobei ich vor ein paar Wochen ein Meeting mit Elon Musk hatte. Er will nicht nur Tausende Leute dorthin schicken, sondern auch Fabriken bauen.
Christoph: Glaubst du, das wird passieren?
Ja, aber es braucht Zeit. Allerdings würde ich auch nicht mein Leben darauf verwetten, dass es nicht doch so schnell passiert, wie Elon glaubt. Am Anfang sehen die originellsten Ideen den dummen Ideen sehr ähnlich. Man darf nie zu schnell entscheiden, ob etwas verrückt ist oder Innovation.
Jochen: Immer weniger Staaten sind in der Lage, überhaupt irgendwas ins All zu schicken. Viele haben große Probleme, Trägersysteme zu bauen. Woran liegt das?
Zu Beginn wurden eigentlich alle Trägersysteme von Staaten gebaut. Die meiste Technologie kam aus Deutschland, zum Beispiel von Wernher von Braun. Das waren damals wahnsinnig innovative Leute. Doch wie es mit großen Unternehmungen oft ist: Alles wird ein wenig zu stabil, zu bürokratisch. Es wird teurer, das Produkt herzustellen, gleichzeitig sinkt es im Wert. Dann kommt jemand, der sagt: »Ich kann das billiger.« Das hat Elon Musk mit SpaceX gemacht, Jeff Bezos mit Blue Origin und Richard Branson mit Virgin Orbit.
Die Kosten so einer Rakete sind in den vergangenen zehn Jahren um 40 Prozent gesunken. Deswegen haben wir in Amerika aufgehört, Trägerraketen zu bauen. Wir kaufen sie ein.
Jochen: Hat der Weltraum nicht auch eine politisch-strategische Funktion, jedenfalls der Teil, der die Erde enger umgibt? Und müsste ein Land wie die USA deswegen nicht in der Lage sein, so ein Trägersystem selbst zu bauen?
Wir schützen uns, indem wir sicherstellen, dass es mehr als eine Firma gibt, die solche Raketen herstellt. Dafür haben wir genug Markt in Amerika. Computer sind auch wahnsinnig wichtig, aber der Staat baut sie nicht selbst.
Christoph: Dein größtes Projekt ist aktuell das James-Webb-Teleskop.
Es ist die größte wissenschaftliche Mission im Raum aller Zeiten. Sie hat zehn Milliarden US-Dollar gekostet.
Jochen: Es war günstiger geplant …
Vorbereitet: Zwei Reden pro Raketenstart, eine gute, eine schlechte – falls was schiefgeht
Das stimmt. Es gab unglaubliche Schwierigkeiten. Wir haben an der Grenze des Möglichen gearbeitet und brauchten lauter neue Technologien.
Jochen: Das Teleskop klappt auseinander, oder?
Genau. Der Spiegel, den wir verwenden, hat einen Durchmesser von sechseinhalb Metern. Es gibt bislang keine Rakete, die groß genug wäre, so einen Spiegel zu transportieren. Deswegen musste er faltbar sein.
Das James-Webb-Teleskop wurde erfunden, um in der Zeit zurückzusehen. Wir empfangen damit Hitzesignale von Sternen der ersten Galaxien vor 13,5 Milliarden Jahren. Um dieses Licht zu sammeln, muss das Teleskop kalt sein.
Jochen: Damit man die Wärme sehen kann.
Genau. Deswegen hat das Teleskop ein fünflagiges Sonnenschild so groß wie ein Tennisplatz, ebenfalls faltbar. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Transformer.
Christoph: Als du Wissenschaftschef der NASA wurdest, gab es das Projekt schon. Stimmt es, dass du bereits nach drei Wochen wusstest: Das wird nicht nur dein größtes Projekt, sondern auch dein größtes Problem?
Ich kam dorthin und alle haben mir gesagt, es sei alles okay. Es gab drei wesentliche Entwicklungsgebiete: das Teleskop und die verschiedenen Instrumente für die Beobachtungen – darauf hatte man sich konzentriert, das lief auch gut – und dann das Sonnenschild, darauf hatte niemand geachtet. Das verantwortliche Team war im Grunde zwei Jahre lang nicht vorangekommen. Jeder Tag kostete eine Million US-Dollar und jeden Tag verschob sich der Launch um einen Tag nach hinten. Mit anderen Worten: zwei Jahre Stillstand für eine Million US-Dollar pro Tag.
Christoph: Kannst du dich an den Moment erinnern, in dem dir das klar wurde?
Ja, es war erschreckend.
Jochen: Wie schläft man da?
Bildschirmhintergrund: die Erde bei Nacht
Gar nicht mehr. Ich hatte ein Problem bemerkt, doch viele meiner Leute haben meine Bedenken nicht ernst genommen, weil ich neu dazugekommen war. Dieser Nachteil war aber in Wahrheit mein Vorteil. Wenn man konzentriert an etwas arbeitet, kann es vorkommen, dass man das große Ganze aus den Augen verliert. Ich habe das Ganze gesehen und gesagt: »Stopp!«
Ich habe einen Freund angerufen, einen meiner größten Kritiker. Er hat in den 70er-Jahren Viking auf dem Mars gelandet, kannte sich also aus. Ich habe gesagt: »Ich brauche deine Hilfe. Wenn du mir hilfst, wirst du viele Freunde verlieren, denn ich werde die ganze Mission infrage stellen. Ich weiß nicht, ob wir erfolgreich sein können. Sag mir deine ehrliche Antwort.« Er hat gesagt: »Es wird 800 Millionen US-Dollar mehr kosten und mindestens zwei Jahre länger brauchen als gedacht. Und du musst dein Team umstrukturieren. Sonst hast du keine Chance.« Das habe ich gemacht.
Ich habe diejenigen, die die Fehler gemacht hatten, nie vor allen bloßgestellt. Ich habe ihnen gesagt: »Wir müssen als Team erfolgreich sein, aber ihr müsst euer Problem lösen.« Viele sind weggegangen. Sie wollten mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen, wie man in Amerika sagt. Ich habe Druck ausgeübt auf die, die das Problem nicht verstanden haben, und viele neue Menschen angestellt, die heute unglaublich bekannt sind.
Christoph: Es ist hart, solche Entscheidungen zu treffen. Es geht um die Schicksale einzelner Menschen. Wieso kannst du das?
Ich wusste, es ist die richtige Entscheidung, obwohl es hart war, sie zu treffen. Für mich war keine Entscheidung in meinem professionellen Leben so schwierig wie die Entscheidung damals, von meiner Familie...
Erscheint lt. Verlag | 5.10.2023 |
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Co-Autor | Anna Meinecke |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Debatte • DIE ZEIT • Dunja Hayali • Jutta Allmendinger • Kevin Kühnert • Luisa Neubauer • Podcast • Sabine Rückert • Sophie Passmann • Spotify • Thomas Zurbuchen • ZEIT ONLINE • Zeit-Verbrechen |
ISBN-10 | 3-462-31216-2 / 3462312162 |
ISBN-13 | 978-3-462-31216-4 / 9783462312164 |
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