Befreit die Tatsachen von der menschlichen Gleichgültigkeit (eBook)

Gespräche und Projekte
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60471-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Befreit die Tatsachen von der menschlichen Gleichgültigkeit -  Stefan Aust,  Alexander Kluge
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Wenn in Deutschland zwei Menschen eine spannende Bilanz ziehen können, dann sind das Stefan Aust und Alexander Kluge. Der Journalist und der Filmemacher kennen sich seit über 40 Jahren, seit der Zusammenarbeit am Film »Der Kandidat«. Von da an entstanden und entstehen immer wieder neue Unternehmungen, anregende Gespräche und tiefgründige Analysen. In ihrem neuesten gemeinsamen Projekt gewähren Aust und Kluge Einblick in ihre Werkstätten. Von der Vergangenheit bis in die Zukunft, von bewältigten Krisen zu aktuellen Herausforderungen wird hier ein Debattenbeitrag geboten, der zum Denken anregt.

Stefan Aust, geboren 1946, ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands. Er begann bei der Zeitschrift konkret und arbeitete dann viele Jahre bei Panorama, wo sein Bericht über ein verschwiegenes Todesurteil, das der Marinerichter Filbinger im Zweiten Weltkrieg gefällt hatte, zu dessen Rücktritt als Ministerpräsident führte. Er gründete Spiegel TV und war 12 Jahre lang Chefredakteur des Spiegel, später Mitinhaber des Fernsehsenders N24 und Herausgeber der Welt. Er ist Autor zahlreicher Dokumentationen und Bu?cher. Sein Buch Der Baader-Meinhof-Komplex, erstmals 1985 erschienen, gilt als »Klassiker« (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

Stefan Aust, geboren 1946, ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands. Er begann bei der Zeitschrift konkret und arbeitete dann viele Jahre bei Panorama, wo sein Bericht über ein verschwiegenes Todesurteil, das der Marinerichter Filbinger im Zweiten Weltkrieg gefällt hatte, zu dessen Rücktritt als Ministerpräsident führte. Er gründete Spiegel TV und war 12 Jahre lang Chefredakteur des Spiegel, später Mitinhaber des Fernsehsenders N24 und Herausgeber der Welt. Er ist Autor zahlreicher Dokumentationen und Bücher. Sein Buch Der Baader-Meinhof-Komplex, erstmals 1985 erschienen, gilt als »Klassiker« (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Alexander Kluge, geboren 1932 in Halberstadt, ist Jurist, Autor, Filme- und Ausstellungsmacher; aber: »Mein Hauptwerk sind meine Bücher.« Für sein Werk erhielt er viele Preise, darunter den Georg-Büchner-Preis und den Theodor-W.-Adorno-Preis, Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf und 2019 den Klopstock-Preis der Stadt Halberstadt.

»Wo liegen für dich die ersten schnellen Jahre?«


KLUGE: 1963 wird Kennedy ermordet. Da bist du 17 Jahre alt.

AUST: Da habe ich gedacht, dass Nixon Präsident wird. Das ist er auch später geworden.

KLUGE: Hast du geglaubt, dass Lyndon B. Johnson Kennedy ermordet haben könnte?

AUST: Das war eine verirrte Kugel von Lee Harvey Oswald. Die einfachste Lösung ist meistens die richtige. Ich bin kein großer Anhänger von Verschwörungstheorien. Es gibt ein Buch von Gerald Posner, Case Closed, in dem er den Fall rekonstruiert. Am Mord von Kennedy ist nichts gewesen, was anders ist als das, was man weiß. Wenn Kennedy sich eine halbe Stunde verspätet hätte, wär es vielleicht anders gekommen. Aber nach den neuesten Recherchen, die der Filmemacher Oliver Stone anhand von jetzt erst veröffentlichten Regierungsakten vorgenommen hat, sieht der Mord doch eher wie ein geheimdienstlich organisierter Staatsstreich aus.

Als ich zur Schule ging, habe ich den Mauerbau am Radio miterlebt, die Kubakrise, Spiegel-Affäre, alles aus der Perspektive eines Gymnasiums in der Kleinstadt Stade. Wirklich miterlebt habe ich es erst nach der Schule, als ich einen Tag nach dem Abitur zu konkret gegangen bin. Der kleine Bruder des Herausgebers war bei mir auf der Schule, daher kannte ich Klaus Rainer Röhl und Ulrike Meinhof. Ich hatte eine Schülerzeitung außerhalb der Schule gemacht. Röhl hat mich gefragt, ob ich nicht bei konkret anfangen wollte. Ich kam eher aus einem bürgerlichen Haus, war nie besonders links. Aber ich wollte Zeitung machen. Meine Eltern hatten wirtschaftliche Schwierigkeiten, sodass es mit dem Studieren schwierig geworden wäre. Ich wollte etwas machen und habe bei der Zeitschrift angefangen. Das war ausgerechnet in der Zeit 1967, 1968, als die Studentenbewegung entstand. Da war ich durch konkret nah dran und habe die Leute alle kennengelernt, von Rudi Dutschke bis Peter Schneider.

KLUGE: Du warst ein aktiver Zeitzeuge.

AUST: Ich war teilnehmender Beobachter, neugierig, aber auch skeptisch. Wenn bei großen Demonstrationen Steine auf die Polizei geworfen wurden und man sich gewundert hat, wenn man einen Knüppel über den Kopf bekam, habe ich das skeptisch betrachtet: Ihr legt es doch darauf an, dann dürft ihr euch nicht wundern. Ich war nahe dran, als Rudi Dutschke niedergeschossen wurde. Ich habe zum Beispiel die Springer-Demonstrationen mit Ulrike Meinhof an dem Wochenende mitgemacht. Aber ich war immer vorsichtig, vielleicht auch deswegen, weil ich gerne am Wochenende aufs Land gefahren und durch den Wald geritten bin. Ich hatte nie das Bedürfnis, mich in ein Gefängnis zu begeben. 1967 und 1968 sind nicht mehr vergleichbar mit den Siebzigerjahren. Die Siebziger waren ein anderes Kaliber.

KLUGE: Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) beschließt 1969 seine Auflösung. Es gibt wenige Beispiele, dass eine intakte Organisation die eigene Aufhebung beschließt. Es folgt danach die sogenannte Amnestie-Debatte. Es geht um die Amnestie für Straftaten, die während und aus Gründen der Protestbewegung erfolgten. Da gibt es den Bundestagsabgeordneten Dichgans, der sagt: Wir müssen bei dieser Amnestie die Kaufhausbrandstifter ausgrenzen. Die sind zu diesem Zeitpunkt nicht terroristisch aktiv, sondern in der Lehrlingsausbildung in Nordhessen tätig. Ich spreche nicht von Ulrike Meinhof, die sitzt in Berlin. Ich spreche nicht von Horst Mahler, denn das ist ein intellektueller Anwalt, der nichts Praktisches tut, sondern ich rede von der Gruppe, die in Hessen eine neue Bildungsarbeit beginnt.

AUST: Baader und Ensslin mit ihren Lehrlingen waren stark auf Randale gebürstet. Das war ihre Art von Sozialarbeit. Es war etwas anderes, ein Kaufhaus in Brand zu setzen, als auf der Straße mit Steinen zu werfen. Wenn man die spätere Entwicklung dieser Gruppe sieht, war das schon angelegt. Beim Kaufhausbrand-Prozess hat man gemerkt, dass das eine andere Art von Militanz ist. Ulrike Meinhof fuhr damals als Kolumnistin von konkret nach Frankfurt zum Prozess und bekam einen Besuchstermin bei Gudrun Ensslin. Sie kam wieder und war a) schwer beeindruckt von ihr, und b) hat sie gesagt: Wenn ich das schreibe, was die mir gesagt hat, kommen die aus dem Gefängnis nie wieder raus. Sie hat es nicht geschrieben, hat es uns auch nicht erzählt, aber es war so, dass sie schon damals den Eindruck hatte: Hier wird etwas anderes vorbereitet als das, was wir bisher kennen.

KLUGE: Ein Buch von dir heißt Kennwort Hundert Blumen. Wovon handelt das?

AUST: Es handelt von den Verstrickungen des Verfassungsschutzes in den Mordfall Ulrich Schmücker in Berlin. Es gab am Rande der RAF eine anarchoterroristische Gruppe, die sich die Bewegung 2. Juni nannte. Da gab es einen jungen Mann, der auf dem Weg zu einem Sprengstoffanschlag festgenommen wurde. Im Gefängnis wurde er vom Verfassungsschutz bearbeitet und hat dann Aussagen gemacht. Als er wieder rausgelassen wurde, hat der Verfassungsschutz ihm weitere Avancen gemacht. Dann ist er von einer Gruppe, in die er geraten ist, umgebracht worden. Es war quasi ein Fememord, der nie aufgeklärt wurde. Der Verfassungsschutz war so verstrickt in die Geschichte, dass der Prozess nachher nicht mehr sauber durchzuführen war.

KLUGE: Der Baader-Meinhof-Komplex heißt ein weiteres Buch von dir. Was steht da drin?

AUST: Beim Bundeskriminalamt hieß der Vorgang über die RAF der Baader-Meinhof-Komplex. Diesen Begriff habe ich vom BKA übernommen, weil Komplex a) einen komplexen Vorgang bezeichnet und b) auch einen Komplex darstellt, der im Kopf festsitzt. Es hat eine gewisse Doppeldeutigkeit. Ich habe versucht, die Geschichte der RAF und ihrer Hauptfiguren vom Beginn der RAF bis zum Tod in Stammheim zu rekonstruieren.

KLUGE: Das Bundeskriminalamt und die RAF treten wechselseitig in eine Vernetzung, in eine Art gegenseitigen Lernprozess ein, bewundern einander gelegentlich.

AUST: Das Bundeskriminalamt gab es schon vorher. In Wahrheit ist es als polizeiliche Koordinationsstelle gegen die RAF gegründet worden, mit seinem famosen Chef Horst Herold.

KLUGE: Der trat wie ein Dichter auf, wie ein Poet der Kameralistik. Der schläft neben seinem Amtszimmer.

AUST: Herold hatte sein Appartement im Haus des BKA in Wiesbaden, er sagte: Das ist mein Stammheim. Der hat sich zum Teil auf eine schräge Art mit denen identifiziert.

KLUGE: Herold hatte einen hohen Grad an Sensibilisierung in Richtung des Feindes. Er fühlte sich ein. Es gibt einen Kriminalbeamten, der bewundernd von Ulrike Meinhof spricht.

AUST: Das ist der Beamte Alfred Klaus, der hat sie häufig besucht, der sogenannte Familienbulle. Der war der Abgesandte des Bundeskriminalamts. Er hat auch die Gefangenen in Stammheim besucht und die Angehörigen. Er hat versucht zu begreifen, was da vor sich geht. Eigentlich war er ein einfacher Polizeibeamter, der sich langsam in diese politische Welt eingearbeitet hat und viel verstanden hat von dem, was sich dort abspielte. Um es wirklich bekämpfen zu können, musste man sich einfühlen in deren Psyche. Wenn man an manchen Stellen mehr auf diesen Polizisten gehört hätte, hätte man viel Unheil vermieden.

KLUGE: In Stammheim gab es von der Seite der Gefangenen, also der RAF, massive Versuche, mit Telefonaten in den Krisenstab im Bundeskanzleramt vorzudringen. Es taucht die Frage auf: Wie kann man einen seriösen Verhandlungspartner bekommen? Wie kann man als handelnde Partei, als Kriegspartei, anerkannt werden?

AUST: Die Absicht der RAF war, einen militärischen Status zu bekommen, sich als Kriegsgefangene zu sehen und auch so zu verhandeln. Sie wollten als politische Organisation ernst genommen werden. Um das zu vermeiden, hat die Bundesregierung nicht mit ihnen gesprochen. Das war ein grober Fehler. Wenn man zur Zeit der Schleyer-Entführung mit den Gefangenen in Stammheim ernste Gespräche geführt hätte, hätte man die Probleme mehr oder weniger unblutig lösen können. Es war ein Fehler, dass man die Anwälte nicht eingeschaltet, dass man die Kontaktsperre durchgesetzt hat. Man hat die Kontaktsperre eingeführt, weil man glaubte,...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2023
Zusatzinfo Mit zahlreichen Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Medienbuch • Mediengeschichte • Zeitgeschichte • Zeitwandel
ISBN-10 3-492-60471-4 / 3492604714
ISBN-13 978-3-492-60471-0 / 9783492604710
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