Geometrie der Seele (eBook)
208 Seiten
Gräfe und Unzer (Verlag)
978-3-8338-8933-2 (ISBN)
Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert ist Arzt, Psychologe und ärztlicher Psychotherapeut. Seit über 25 Jahren erforscht er die Wechselwirkungen von Psyche, Gehirn und Immunsystem. Er ist Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie am Department für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck und Autor zahlreicher vielbeachteter Fachpublikationen und Sachbücher.
Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert ist Arzt, Psychologe und ärztlicher Psychotherapeut. Seit über 25 Jahren erforscht er die Wechselwirkungen von Psyche, Gehirn und Immunsystem. Er ist Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie am Department für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck und Autor zahlreicher vielbeachteter Fachpublikationen und Sachbücher.
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Impressum
Vorwort von Günter Schiepek
Liebe Leserinnen und Leser
Einstimmung – Ein neuer Blick auf uns und die Welt
Fraktale – Quantensprung in der Mathematik, Ordnungsprinzip in der Natur
Von der Mathematik in die Psychologie – Wie sich Fraktales auch in unserer Psyche zeigt
Eingebettet ins Biopsychosoziale – Wie Fraktale unsere Ganzheitlichkeit untermauern
Das Wissen nutzen – Fraktale in Diagnostik, Therapie und Prognostik: Aspekte einer neuen Medizin
Fraktale in Ihrem Leben – Eine Anregung zum Weiterforschen
Schlusswort: Nicht fraktal ist nur die Maschinenwelt
Danksagungen
Anmerkungen
Über den Autor
Ein wenig Geometrie
»Warum wird die Geometrie oft als ›nüchtern‹ und ›trocken‹ bezeichnet? Nun, einer der Gründe besteht in ihrer Unfähigkeit, solche Formen zu beschreiben wie etwa eine Wolke, einen Berg, eine Küstenlinie oder einen Baum. Wolken sind keine Kugeln, Berge keine Kegel, Küstenlinien keine Kreise. Die Rinde ist nicht glatt – und auch der Blitz bahnt sich seinen Weg nicht gerade.«
So beginnt Benoît Mandelbrot, gewissermaßen der Vater der Fraktale, sein Buch Die fraktale Geometrie der Natur.5 Als ebenso genialer wie unkonventioneller Wissenschaftler legte er in den 1970er-Jahren den Finger in eine Wunde der Mathematik. Die nämlich war bislang immer nur von glatten geometrischen Figuren ausgegangen – von geraden Linien, klaren Flächen und ebensolchen Formen. Diese als euklidisch bezeichnete Art der wissenschaftlichen Betrachtung beschreibt Formen und Gestalten, wie sie sich gut zeichnen und berechnen lassen, wie sie in der Natur aber nicht zu sehen sind, weder an einer Küstenlinie noch bei einem Baum. Die Mathematiker wichen lange Zeit dem aus, was Mandelbrot die »Morphologie des Amorphen« nennt, die Lehre von der Form dessen, was sich eben nicht in glatte Linien und Flächen pressen lässt, sondern unregelmäßig ist, rau. Mandelbrot soll hierzu auch gesagt haben, dass das Auge aus der Naturwissenschaft »exkommuniziert« worden sei. Das, was wir alltäglich sehen können, kommt in ihr nicht vor.
Oben sehen Sie einen natürlichen Baum, daneben einen Fraktalbaum aus der Geometrie und unten eine realitätsnahe computergestützte Modellierung von Bäumen mithilfe der Fraktalgeometrie.
Eine Geometrie der Natur scheint auf den ersten und auch noch zweiten Blick tatsächlich unmöglich, doch mit der Kenntnis der Fraktale wird sie machbar. Mathematiker sagen sogar, dass es ganz einfach sei. Das würde ich als Nicht-Mathematiker nicht behaupten – deswegen möchte ich uns hier auch nicht mit zu vielen geometrischen und formelhaften Details quälen. Doch ein paar Grundlagen aus diesem Bereich sind auch für Laien gut verständlich und überaus faszinierend.
Benoît Mandelbrot
Der »Vater der Fraktalgeometrie« war ein Wissenschaftler, der sich nie in den engen Bahnen des Etablierten bewegte. 1924 in Warschau geboren, zeigte Benoît Mandelbrot schon früh eine außergewöhnliche Begabung für Mathematik. Er studierte Ingenieurswissenschaften und Aeronautik, promovierte in der Mathematik. Die meiste Zeit seiner beruflichen Laufbahn war er allerdings nicht an den Universitäten tätig, sondern bei IBM in der Forschung. Dort schätzte man Menschen, die die Dinge auf unkonventionelle Weise betrachteten und sich nicht scheuten, auch so etwas Altehrwürdiges wie die Mathematik vollkommen neu zu denken. An den Lehreinrichtungen tat man sich damit schwerer, zumal sich Mandelbrot mit vielfältigsten mathematischen Problemen befasste, statt sich auf eines festzulegen. Erst im Alter von fünfundsiebzig Jahren trat er eine Professur an, in Yale.
Mit der Entdeckung der Fraktalgeometrie geriet er in Widerspruch zur etablierten euklidischen Mathematik, indem er ihr eine völlig andere Betrachtungsweise der Welt entgegenstellte. Eine, die viel mehr der Natur entsprach, denn sie ging von »rauen« Flächen aus. Nicht-linear, gebrochen, fragmentiert – fraktal.
Mandelbrot starb 2010 in Cambridge im Alter von 86 Jahren.
Kochsche Kurve und Kochsche Schneeflocke
Stellen Sie sich einmal eine Schneeflocke in ihrer filigranen schönen Kristallstruktur vor. Jede dieser Flocken ist ein bisschen anders geformt, und doch sind sie selbstähnlich. Ihnen in der Geometrie nahezukommen, kann über eine sehr bekannte und ganz einfache fraktalgeometrische Form passieren. Sie können sie mit Stift und Papier sogar leicht selbst nachvollziehen, wenn Sie möchten.
Wir beginnen dabei nicht gleich mit der Flocke, sondern erst einmal mit einer Linie, die zur Kurve wird, zur Kochschen Kurve. Wenn Sie mitmachen wollen: Nehmen Sie ein Blatt Papier und zeichnen Sie oben eine Linie darauf. Nun zeichnen Sie darunter die gleiche Linie noch einmal, diesmal aber ersetzen Sie das mittlere Drittel durch einen gleichmäßigen Zacken nach oben, also durch ein unten offenes gleichseitiges Dreieck. Wieder darunter zeichnen Sie die eben entstandene Form und ersetzen dabei erneut alle Linien im mittleren Drittel durch eine Zacke nach oben.
Dieses Prinzip können Sie nun unendlich oft fortsetzen – jedes Mal ersetzen Sie alle Linien im mittleren Drittel durch die Dreiecksspitze nach oben. Allzu oft werden Sie es mit Papier und Stift allerdings nicht tun können, denn durch dieses simple Prinzip, immer wieder angewandt, wird das Gebilde auf dem Papier sehr schnell höchst komplex.
Diese gebrochene und immer komplexer werdende Linie wurde nach dem schwedischen Mathematiker Helge von Koch benannt, der dieses Gebilde 1904 in die wissenschaftliche Diskussion einbrachte. Denn natürlich hat auch ein Benoît Mandelbrot von Wissenschaftlern profitiert, die vor ihm über die gleichen Probleme nachdachten. So ist die Kochsche Kurve eine früher untersuchte geometrische Form, die aber noch nicht als fraktal bezeichnet wurde, bis Mandelbrot auf den Plan der Mathematikgeschichte trat.
Mit einer anderen Ausgangssituation lässt sich auf die gleiche Weise wie bei der Kochschen Kurve nun eine Kochsche Schneeflocke erzeugen, die in ihrem äußeren Ring tatsächlich einer winterlichen Schneeflocke nahekommt. Dafür gehen Sie von einem gleichseitigen Dreieck aus, dessen Linien Sie – wie bei der Kurve – jeweils im mittleren Drittel durch eine gleichseitige Zacke ersetzen. Immer und immer wieder, bis eine sehr komplexe Flockenstruktur entsteht. Theoretisch lässt sich der Vorgang auch hier unendlich oft wiederholen, praktisch aber hat er natürlich Grenzen, auch wenn wir das Muster mit einem entsprechenden Computerprogramm erzeugen.
Fraktale entstehen geometrisch durch das gleiche Grundprinzip: An einer bestimmten Ausgangsfigur wird eine geometrische Operation durchgeführt. Das Ergebnis ist die neue Ausgangsfigur, bei der die gleiche Operation erneut startet, wieder und wieder. Wir sprechen hier von Iteration, einem Prozess des mehrfachen Wiederholens.
Wenn Sie sich diese Kochsche Schneeflocke anschauen, erinnert sie nicht auch an die besprochene Küstenlinie, deren Länge nie ganz zu erfassen ist? Je öfter wir iterieren, umso länger wird die »Küste« der Kochschen Insel, obwohl sie in der Fläche, die sie auf dem Papier einnimmt, nach dem ersten Schritt kaum noch größer wird.
Wir haben es bei Koch bereits mit fraktalen Strukturen zu tun, allerdings in ihrer einfachsten Form. Wenn Sie mit Ihrem Blick hineinzoomen – wie beim Baum –, entdecken Sie nicht nur die Ausgangsfigur der Linie oder des Dreiecks überall wieder, sondern auch einzelne Abschnitte wiederholen sich in allen Bereichen der Gesamtform. Bei Wikipedia finden Sie unter dem Begriff Skaleninvarianz ein bewegtes Bild, das dieses Hineinzoomen zeigt – sehr sehenswert.6 Die Iteration bewirkt, dass man immer tiefer hineingehen kann und sich die Form dabei ständig wiederholt. Wie wichtig das auch in biologischer Hinsicht ist, werden wir noch sehen.
Sierpiński-Dreiecke
Eine bestimmte Form der Iteration ist auch die Grundlage für die faszinierenden Dreieckskombinationen, die der polnische Mathematiker Wacław Sierpiński entwickelte. Für unseren Zusammenhang ist besonders eine Arbeit von ihm interessant – und die lässt weitreichende Schlüsse in medizinischer Hinsicht zu. Dafür zuerst wieder ein wenig Geometrie.
Sierpiński verändert zwei unterschiedliche Ausgangsformen parallel durch Iteration, Sie sehen es im Bild. In der linken Spalte ein gleichseitiges Dreieck mit der Spitze nach oben. In der rechten Spalte die vier großen Buchstaben GDNA, die einfach nebeneinanderstehen. Der Algorithmus lautet: Verkleinere die Ausgangsformen und setze diese verkleinerten Formen dreimal in die ursprüngliche hinein. Auf diese Weise entsteht in der linken Spalte ein Dreieck, das drei kleinere Dreiecke enthält. In der rechten Spalte steht oben einmal GDNA und unten zweimal nebeneinander GDNA, auch schon ähnlich wie ein Dreieck.
Im nächsten Schritt wird der Algorithmus erneut angewendet und so erhalten wir in der linken Spalte das große Dreieck, in dem drei kleinere Dreiecke enthalten sind, in denen wiederum jeweils drei kleine Dreiecke zu sehen sind. In der rechten Spalte nähert sich die Form auch immer mehr einem Dreieck an, in dem sich weitere kleine Dreiecke aufhalten. Wird die Iteration fortgeführt, erhalten wir schon nach sechs Schritten rechts eine Gestalt, die sich kaum noch von der links unterscheiden lässt.
Wir haben hier also völlig unterschiedliche Ausgangssituationen, mit denen wir die gleiche Operation anstellen – und am Ende erhalten wir jeweils das gleiche Ergebnis. So wirkt es zumindest, denn es ist nicht komplett identisch. Wenn wir hineinzoomen würden, würden wir theoretisch auch nach der hundertsten Anwendung des Algorithmus noch erkennen können, dass in der linken Spalte Dreiecke und in der rechten Spalte die Buchstabenkürzel GDNA die geometrisch gleich aussehende Gestalt hervorbringen. Somit sind die beiden Ergebnisse selbstähnlich – und das eigentlich schon nach der ersten, spätestens zweiten Anwendung des Algorithmus, trotz ihrer unterschiedlichen Ausgangssituation.
Sierpiński-Dreiecke
...Erscheint lt. Verlag | 4.5.2023 |
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Reihe/Serie | Edition Psychologie | Edition Psychologie |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Aufarbeiten • Beschwerden und Leiden • Biografiearbeit • Fallbeispiel • Familienkonstellation • Familientrauma • ganzheitlich heilen • Gesellschaftstrauma • Gesundheit • Heilung und Therapie • kollektive Erinnerung • Muster • Muster erkennen • seelische Traumata • Therapien und Heilverfahren • Trauma • vererbte Traumata |
ISBN-10 | 3-8338-8933-0 / 3833889330 |
ISBN-13 | 978-3-8338-8933-2 / 9783833889332 |
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