Das kann gut werden (eBook)

Wie der Einstieg in den Ruhestand zum Aufbruch in ein neues Leben wird
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
304 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-29076-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das kann gut werden -  Bettina Musall
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Von der Kunst, aktiv in Rente zu gehen - ein inspirierender Reisebegleiter für alle, die an der Schwelle zu dieser Lebensphase stehen
Die langjährige SPIEGEL-Journalistin Bettina Musall ist Teil der Generation Babyboomer, von der viele schon mit Mitte fünfzig und oft halbfreiwillig in den (Vor-)Ruhestand gehen. Wie sie selbst und ihre Altersgenossen den Ausstieg aus dem geregelten, verlässlich bezahlten und gesellschaftlich angesehenen Berufsalltag erleben, welche Ängste, aber auch welche Hoffnungen sie dabei begleiten, davon erzählt dieses Buch. Es berichtet von Menschen, die diese Lebensphase als Neuanfang sehen und auf der Suche sind - nach Aufgaben, womöglich finanzieller Aufbesserung, persönlicher Entwicklung, sich selbst, nach Lebensfreude und jenem Glück, das ein sinnstiftendes Dasein gibt. Musalls Buch ist die sehr persönliche Bestandsaufnahme einer Generation im Übergang und Inspiration zugleich - für all die Leserinnen und Leser, die ähnliche Fragen und Gedanken haben, wie ihr eigenes Leben weitergehen könnte.

Bettina Musall, geboren 1956, war von 1985 bis 2021 Redakteurin beim SPIEGEL. Lange Jahre schrieb die Germanistin und Politikwissenschaftlerin für die Ressorts Politik, Gesellschaft, Sport und Kultur. Für die Reihe SPIEGEL Wissen konzipierte sie überwiegend gesellschaftspolitische Hefte, zum Beispiel zum Thema Bildung. Außerdem lieferte sie für SPIEGEL Geschichte zeitgeschichtliche Beiträge. Sie ist Herausgeberin der SPIEGEL-Bücher »Englands Krone« (2015) und »Die Welt des Adels« (2021). Heute lebt sie als freie Autorin und Journalistin in München.

Feierabend


Der Kollege, der an diesem Montag im Flur an mir vorbeifederte, war nicht darauf eingestellt, stehen zu bleiben.

»Na, freuste dich?«, rief Felix mir zu und bog schon in sein Zimmer ein. Er spielte auf mein bevorstehendes Arbeitsende an, hatte wohl mit einem kurzen Jubelruf gerechnet, so was wie: »Und ob!« Den Gefallen konnte ich ihm nicht tun. »Eher nicht so«, brummte ich zurück.

Da er ein empathischer Kollege ist, stoppte er und sah mich verblüfft an. »Echt jetzt?« Und setzte nach: »Mensch, ist doch toll! Nie mehr Konferenzen! Keine Chefs mehr über dir! Du kannst jetzt tun und lassen, was du willst!« Und wie die meisten krönte Felix seinen Zuspruch damit, dass er mir seine ganz persönlichen Ruhestandsträume ausmalte: »Morgens einfach liegen bleiben. Nur noch Freizeit. Mit dem Motorrad durch Kalifornien. Easy Rider. Sechs Wochen Sommerferien mit den Kindern.« Er strahlte. Und sein Strahlen verlosch augenblicklich bei der Vorstellung, dass seine Sehnsüchte noch rund fünfzehn Jahre warten müssen.

Mir blieben an diesem Montag noch zwei Wochen, um meine letzte journalistische Auftragsarbeit zu beenden, mein Büro auszuräumen und das Fest vorzubereiten, zu dem ich anlässlich der Feier meines Aufbruchs ins Rentnerinnendasein eingeladen hatte. Felix nannte das »die große Freiheit«.

Lebensabschnitte vollziehen sich in Phasen, oft auch in Schüben. Meine Gemütsverfassung war zu diesem Zeitpunkt schon ohne besondere Vorkommnisse seit Längerem wechselhaft. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Wochen vor und nach dem Abitur, manchmal fast berauscht von all dem, was nun möglich wäre, was ich jetzt beginnen, ausprobieren, werden könnte. Das waren die Felix-Momente. Aber meistens klang das Wort »Freiheit« wie der manipulative Versuch, einem etwas schmackhaft zu machen, was keiner haben will. Wie Diäturlaub. Oder Hypertonie-Tabletten. Freiheit, das schwante mir auch schon nach dem Reifezeugnis, schien ein Synonym für die druckvolle Erwartung zu sein, sich für etwas zu entscheiden, aus dem vielen Möglichen etwas Konkretes, Erfolg versprechendes zu machen.

Felix war nicht der Erste und schon gar nicht der Einzige, der mich auf mein herannahendes Arbeitslebensende ansprach in der sicheren Annahme, dass ich es kaum erwarten könne. Erika arbeitet in Leitungsfunktion in einem großen deutschen Medienbetrieb. Während ich damit haderte, an meinem allerletzten Arbeitstag in den zweifellos wohlverdienten Altersruhestand zu gehen, nahm die Kollegin den frühestmöglichen Termin, zu dem ihr Unternehmen ihr eine großzügige Vorruhestandsregelung anbot, um mit fünfundfünfzig, satte zwölf Jahre vor Regelrentenbeginn, die Arbeit einzustellen. »Ich kann es kaum abwarten«, gestand sie, »mir graut jeden Tag vor den schlecht gelaunten, missgünstigen Schreibtischnachbarn. Und vor mäkelnden Mitarbeiterinnen. Und vor dem Arbeitsberg, der ins Unbesiegbare wächst.« Sie wolle »ein Jahr erst mal nichts tun. Dann vielleicht reisen. Freunde besuchen. In den Tag hineinleben. Herrlich!«

Ich lächelte gequält, wollte Erika mit meiner Melancholie nicht die Aufbruchsstimmung vermiesen. Zumal ich mich im Verdacht hatte, meine Melancholie könnte auch nur eine Beschönigung für ganz ordinäres Selbstmitleid sein. Weil mir die Vorstellungskraft und die Kühnheit von Felix fehlten, das Ende als Anfang zu sehen. Weil ich mir – zu Recht oder zu Unrecht – Sorgen machte, ob ich meine Münchner Wohnungsmiete würde weiterzahlen können. Darüber müsse Erika sich nämlich keine Sorgen machen, erfuhr ich streng vertraulich in der Kantine, »Geld hat sie mehr als genug«. Vielleicht war ich einfach neidisch auf Felix’ Elan und auf Erikas finanzielle Unabhängigkeit?

Waidwund, anders kann ich den Gesichtsausdruck nicht nennen, den mir jene Arbeitsgefährten und -gefährtinnen entgegenbrachten, die nur zu gern mit mir getauscht hätten. Diejenigen, die das offizielle Ende aller Dienstreisen ähnlich wie ich bald vor sich hatten, reagierten bestenfalls verständnislos auf meine Unlust, auszuscheiden. Ich kam mir vor wie eine, die fünf Millionen im Lotto gewonnen hat und das Geld nicht abholen will. Die meisten wollten gar nicht wissen, warum ich nicht vor lauter Vorfreude Räder schlug.

Aus reiner Wohlerzogenheit fragte Felix, was ich denn »um Himmels willen« vermissen würde?

»Genau das, was du so gern loswerden willst«, sagte ich leise, weil es mir peinlich war, dass mir schon mal die Stimme wegrutschte, wenn ich mir mein arbeitsloses Morgen vorstellte. »Die Konferenzen. Die zwingen mich, aufzustehen. Und dann freue ich mich, besonders seit wir auch im Homeoffice arbeiten, die Kolleginnen allesamt auf dem Laptop zu sehen, die aktuelle Nachrichtenlage zu erfahren, hier und da meinen Senf dazuzugeben und mit sechzehn winkenden Händen in den Tag zu starten.«

Felix gab sich Mühe, mich zu verstehen, das erkannte ich an der Konzentrationskerbe zwischen seinen Augenbrauen. Aber bestimmt hat er abends zu seiner Frau gesagt: »Stell dir mal vor, die würde lieber bleiben. Irgendwie traurig. Mit Mitte sechzig.«

Kollegin Erika versicherte mir zugewandt, sie werde zu meinem Ausscheiden bei Häppchen, Musik und Wein erscheinen, eines wolle sie nämlich auf keinen Fall verpassen: »Wie man mit Stil und Contenance seinen Abschied feiert.« Ich war nicht sicher, ob ich ihr das würde bieten können.

Was war nur los mit denen? Und was war los mit mir? Waren die verrückt, ihre gut bezahlten und angesehenen Jobs vorzeitig verlassen zu wollen? Mir hätten sie noch so viel Abfindung anbieten können, ich hätte meine Stelle nicht freiwillig geräumt. Hatte ich ein Problem? Fehlte es mir an Selbstwertgefühl? War mir der Beruf zu wichtig? Definierte ich mich durch Erwerbsarbeit, während andere, selbstzufriedenere Zeitgenossen und -genossinnen über genug innere und äußere Reserven, innere und äußere Stabilität verfügten, um sich auf eine Freiheit zu freuen, die mir gar nicht so verführerisch erschien?

Was mich von den Vorruhestands-Kolleginnen und -Kollegen unterschied, die es gar nicht abwarten konnten, ihre feste Vollzeitstelle zu verlassen, war das Alter. Felix war siebenundvierzig, wie er träumen viele Fünfundvierzig- bis Fünfzigjährige davon, die Anforderungen einer Vierzig-, Fünfzigstundenwoche hinter sich zu lassen, verbunden mit den Aufgaben zu Hause, mit den Bedürfnissen von Partnerinnen und Partnern, den Ansprüchen von Kindern, Großeltern, Freundeskreis und womöglich weiteren sozialen Verpflichtungen. Stresssymptome, Überforderung, Burn-out zeigen sich verstärkt ab diesem Alter, kein Wunder, dass sich gerade dann nicht wenige Gutverdienende vornehmen, bis fünfzig finanziell so abgesichert zu sein, dass sie aufhören können zu arbeiten. FIRE (»Financial Independence, Retire Early«, übersetzt: Finanzielle Unabhängigkeit, früher Ruhestand) heißt die Bewegung, deren Anhänger gezielt daraufhin sparen, so früh wie möglich das Erwerbsleben hinter sich zu lassen, weder zu leben, um zu arbeiten, noch zu arbeiten, um zu leben, sondern die Work-Life-Balance endgültig gegen eine Life-Life-Balance einzutauschen.

Nicht selten verschwindet das, je näher das Datum rückt. Dann geht es plötzlich nicht mehr darum, eine Last abzuwerfen, sondern etwas loszulassen, das ein halbes Leben lang Halt und Anerkennung bedeutete, die Existenz sicherte und einen Platz in der Gesellschaft.

Ein Frankfurter Managementberater betreute ein Familienunternehmen, dessen Seniorchef seinen Nachwuchs jahrelang darauf eingeschworen hatte, ihn spätestens mit sechzig aus der Verantwortung zu entlassen. Zwei Söhne und eine Tochter standen wohlausgebildet und mit betrieblichen Auslandserfahrungen in den Startlöchern, als der Vater verkündete, einen wichtigen Unternehmensteil auszugründen, »meine Spielwiese«, die er dann zehn Jahre mit dem Ehrgeiz desjenigen bespielte, der es allen noch mal zeigen will. Mit Glück und Unerschrockenheit behaupteten die Kinder den Familienbetrieb gegen die väterliche Konkurrenz. An seinem zweiundsiebzigsten Geburtstag erklärte der Vater, »nun ernsthaft kürzertreten« zu wollen. »Wer’s glaubt«, kommentierte seine Älteste.

Selbstständige und Freiberufler können ihre Unlust oder Unfähigkeit, loszulassen, frei ausleben. Je nachdem, wie viel Spaß ihnen die Arbeit macht und wie gesund sie sind, können sie hinschmeißen oder sich allmählich daran gewöhnen, Abstand einzulegen von Pflichten und Aufgaben, aber auch von Autorität, Einfluss, Prestige, die ihnen die Arbeit verlieh. Angestellte müssen sich gefallen lassen, dass nicht sie selbst, sondern der Gesetzgeber den Zeitpunkt dieser Loslösung bestimmt. Bei mir war mit fünfundsechzig Jahren und zehn Monaten Schluss, bis 2029 steigt das Eintrittsalter für die Regelaltersrente schrittweise auf siebenundsechzig Jahre.

Für mich ging es nicht um Machtinsignien, die ich hätte loslassen müssen, keine Position, keinen Dienstwagen, keinen Stab. Immerhin war ich daran gewöhnt, Redakteurin in einem der einflussreichsten Medienhäuser des Landes zu sein. An die Stelle würde nun jene Freiheit treten, die ich erst lernen musste zu würdigen. Es war mehr das Abschiednehmen von Kollegen und Kolleginnen, von der Gewohnheit, etwas im Team zu erarbeiten, täglich neue, aktuelle Themen und Menschen kennenzulernen, sich darauf einzulassen, etwas Sinnvolles beizutragen zum Informationslabyrinth und dafür mit finanzieller wie immaterieller Anerkennung belohnt zu werden. Das zu verlieren, stand mir bevor.

Beschwingt und wehmütig


Abschied war noch nie mein Ding. Im Laufe des Lebens gibt es reichlich Gelegenheit, Abschiede zu üben. Abschied von der Kindheit,...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • 3. Lebensphase • Altern wie ein Gentleman • arbeitsende • Best Ager • Bilanz • Christine Westermann • Das große Los • dritte Lebenshälfte • eBooks • Frühpensionierung • Generation 50 plus • gold generation • Lebensabend • Lebensfreude • Lebensqualität • Lebenszufriedenheit • Marianne Koch • Meike Winnemuth • Neuanfang • neue lebenspahse • neuer Lebensabschnitt • Neuerscheinung • Pensionierung • Persönliche Entwicklung • Perspektive • Porträts • Rentenalter • Rentendasein • Renteneintritt • Ruhestand • Silver Ager • Sinnkrise • Sinnstiftung • Sven Kuntze • Transition • Träume • Vorruhestand • Wünsche
ISBN-10 3-641-29076-7 / 3641290767
ISBN-13 978-3-641-29076-4 / 9783641290764
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