Die Kunst, gut zu sein (eBook)
240 Seiten
Ludwig (Verlag)
978-3-641-30968-8 (ISBN)
Wir durchleben eine Zeit der Krisen, die verunsichern, unsere ganz privaten Überzeugungen bedrohen und es immer schwieriger machen, an innerer Ruhe und persönlichem Glück festzuhalten. Doch tief und »störungsfrei« glücklich zu sein, resilient gegenüber den großen und kleinen Erschütterungen von außen: dafür trägt jeder von uns das Potential in sich. Wenn wir gut sind, zu uns selbst und zu anderen, im Kleinen, aber ein Leben lang, dann schaffen wir dieses langsame, sichere Glück. Rebekka Reinhard zeigt, was es bedeutet, wie es geht und wie fundamental unser Leben durch Güte gegenüber unseren Mitmenschen verbessert wird. Ohne Pathos, pragmatisch und berührend, anspruchsvoll und alltagstauglich, mit den Ideen großer Denker von Erich Fromm über Hannah Arendt bis zu Aristoteles liefert sie Stoff zur Reflexion und ganz praktische Denkanstöße. Trost, Orientierung und Inspiration für alle, die sich in der Welt wieder zuhause fühlen wollen. Wir wenden uns beim Lesen nach innen und finden die Quelle für Resilienz und Zufriedenheit.
- Eine philosophische Inspiration zum Gut-Sein - zu anderen und sich selbst
- Freundlichkeit, Haltung, selbstlose Entscheidungen - was es bedeutet, gut zu sein, unbeeinflusst von den Geschehnissen in der Welt
- Die renommierte Philosophin und erfolgreiche Sachbuchautorin Rebekka Reinhard versteht sich auf die Kunst, philosophische Erkenntnisse in unseren Alltag zu übersetzen
Dr. Rebekka Reinhard promovierte an der Freien Universität Berlin über Gegenwartsphilosophie. Sie ist SpeakerIn und berät EntscheiderInnen zu den Themen Führung, Künstliche Intelligenz und Diversity. Daneben führte sie viele Jahre philosophische Gespräche mit stationären Patienten der Psychiatrie und Onkologie. Die Chefredakteurin des Magazins 'human' über Mensch und KI ist u. a. bekannt durch den Podcast »Was sagen Sie dazu?« der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg und als Autorin zahlreicher Sachbücher, darunter der »Spiegel«-Bestseller Die Sinn-Diät und Die Zentrale der Zuständigkeiten, beides im Ludwig-Verlag erschienen.
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DIOGENES IN DER SONNE:
Schnelles Glück, langsames Glück
Zu den faszinierenden Phänomenen menschlichen Lebens zählt das Glück. Viele Glücksvarianten sind leicht zu identifizieren. Sie machen sofort gute Laune. Für ein Baby kann es die Mutterbrust sein, für einen Teenager das Verliebtsein, für kranke Menschen das Blutbild im Normalbereich. Leider wird das subjektive »reine« Gute-Laune-Glück leicht verunreinigt. Zum Beispiel: Man befördert Sie. Endlich, denken Sie, gehen beschwingt nach Hause, sperren laut singend die Wohnungstür auf, und dann: ein Wasserrohrbruch! Sie schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, googeln hektisch hin und her. Es folgen fruchtlose Telefonate mit Sanitärbetrieben, die alle ausgebucht sind. Ihr Stimmungsbarometer fällt in den Keller. Schon haben Sie vergessen, dass Sie glücklich waren. Waren.
Jedes Glück, das sofort gute Laune macht, ist schnelles Glück. Es kommt schnell, ist aber auch schnell wieder vorbei. Daneben existiert still und leise das langsame Glück. Langsames Glück ist unspektakulär, dafür aber wenig störanfällig. Wenn Sie seinen Wert erkennen, begleitet es Sie in allem, was Sie tun, denken und fühlen. Wie die Sonne, die die Erde erleuchtet – durch alle Wolken und Nebel hindurch. Diese zweite Art von Glück unterscheidet sich drastisch von der ersten. Man »kriegt« sie nicht einfach. Weder zufällig noch verdientermaßen. Langsames Glück verlangt lebenslanges Engagement von Hirn und Herz. Schnelles Glück will man haben, langsam glücklich wird man. Langsames Glück hält sich nicht an übliche Zeitraster. Wie oft nerven Ihre Kinder und bereiten Ihnen Kummer (egal, wie alt sie sind)? Und wie oft sind Sie glücklich, wenn Sie sie sehen, an sie denken, sie umarmen? Die erste Frage können Sie mit einem Griff zum Terminkalender beantworten (»Es war Montag, als …«). Die zweite können Sie gar nicht beantworten, weil »oft« hier einem Erleben von Unendlichkeit gleicht. Im ersten Fall sehen Sie Situationen vor sich, in denen das schnelle Glück baden gegangen ist; im zweiten dagegen zeigt sich Ihnen das Ganze. Das Ganze eines gelungenen Lebens, an dem Ihre Kinder großen Anteil haben.
Schnelles Glück ist von einer Endlosserie jäh einsetzender Aufs und Abs durchsetzt. Es ist schrecklich empfindlich. Angesichts eines Wasserrohrbruchs zieht es sich beleidigt zurück. Langsames Glück lässt sich durch nichts beeindrucken. Weder von guten noch schlechten Nachrichten. Es folgt keinem simplen Ursache-Wirkung-Prinzip (Beförderung = gute Laune). Es hat keine Deadline. Langsames Glück ist multiresistent. Denn es existiert nicht nur in subjektiven Stimmungen und Gefühlen, es ist auch für andere greifbar. Früher oder später kommt es immer jemandem zugute. Deshalb kann es auch nicht vergehen. Es bleibt in der Welt, selbst wenn es für einen selbst – weil man gerade von guter oder schlechter Laune überrollt wird oder weil man stirbt – verschwindet.
Im Unterschied zu schnellem Glück beruht langsames Glück auf einer ethischen Haltung. Jedes Mal, wenn Sie sich darin üben, gut zu sein, wenn Sie Tun und Tugend verbinden, werden Sie unabhängiger vom schnellen Glück. Je öfter Sie Gutes tun, desto mehr wächst das langsame Glück an. Desto weniger haben Sie das Gefühl, Ihnen würde etwas fehlen. Oder Sie müssten Angst haben. Oder könnten etwas verlieren. Die Erkenntnis über die tiefe Verbindung zwischen Ethik und langsamem Glück ist uralt. Sie zählt zum Grundbestand aller philosophischen und spirituellen Lehren, vom Hinduismus über Buddhismus, Kynismus und Stoizismus zur Kabbala. Aristoteles und die griechischen Philosophen hatten ein sehr melodisches Wort für das langsame Glück: eudaimonia. Ein Glück, das sich durch regelmäßig praktizierte Menschlichkeit ununterbrochen vermehrt und aus einer subjektiven Empfindung zugleich einen objektiv vorhandenen Wert in der Welt macht.
Würde jeder Mensch eudaimonia statt schnelles Glück anpeilen, gäbe es weniger Neid, weniger Streit, weniger Hass, weniger tödliche Waffen, weniger Unglück. Langsames Glück würde sich konstant vermehren, bis hin zum Weltfrieden. So verlockend diese Aussicht ist, so schwer fällt es dem Menschen, ihr zu folgen. Denn der Mensch ist ungeduldig. Und ziemlich borniert. Seit den Punischen Kriegen hat er wenig dazugelernt.
Der Mensch glaubt allen Ernstes, er habe ein Recht auf schnelles Glück – und könne zwischendurch mal eben so tun, als sei er tugendhaft. Wenn es die Konventionen erfordern, vor allem aber dann, wenn es ihm selbst in den Kram passt. Vortäuschen und Antäuschen von Tugendhaftigkeit ist überaus beliebt. Moralheucheln geht schnell, spart Kosten, dient dem Ego und bauchpinselt die eigene Schwäche. Auf Instagram und LinkedIn ist jeder ein moralischer Held. Jede hat eine zielgruppenspezifisch angepasst singuläre Haltung, die sie mitsamt wirkmächtigen Hashtags (von #blacklivesmatter bis #stopputin) lautstark nach außen trägt. Wenn alle so »gut« sind, warum ist die Welt dann so »schlecht«? Die effektvoll gestreute, nach Marketingkriterien genormte Proklamation moralischer Werte macht noch keine Ethik. Im Gegenteil. Zwischen echter Güte und Virtue Signalling (»Tugendprotzerei«), zwischen Tun und Sagen klafft ein Abgrund, so tief und weit wie der Grand Canyon.
Es ist kinderleicht, für fünf Minuten ein guter Mensch zu sein. Als nach Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine Hunderttausende nach Deutschland flüchteten, halfen alle mit Sachspenden oder gar Unterbringung in den eigenen vier Wänden. Wenige Monate später war die Euphorie verflogen. Dass Helfen schnelles Glück erzeugt, weil es das Belohnungssystem des Gehirns anspricht, weil Dopamin, Serotonin und Oxytocin freigesetzt werden, darauf weist die Neurobiologie hin. Dass individuelle Sorgen schnell mal das universelle humanitäre Commitment verdrängen können, ist auch wahr. Ob es ein Wasserrohrbruch in meinen vier Wänden ist, die Sorgen um mein Kind oder mein Arbeitsplatzverlust – schon dominiert das Ursache-Wirkung-Prinzip. Ursache: betriebsbedingte Kündigung. Wirkung: schlechte Laune, Verlust des schnellen Glücks, Vergessen des langsamen Glücks.
Das langsame Glück ist nur Zentimeter von Ihnen entfernt. Sie sehen es allerdings nur im Zustand absoluter Konzentration. Nur wenn Sie aufhören, tausend Dinge gleichzeitig zu bedenken und durch Denken kontrollieren zu wollen. Ihr Fokus auf das Hier und Jetzt ist entscheidend. Er lässt diese Glücksart in ihrer ganzen Pracht erstrahlen, so sehr, dass Sie sie nicht mehr ignorieren können. Dies zeigt auch eine der berühmtesten Anekdoten aus der Antike. Sie handelt von dem Philosophen Diogenes von Sinope (ca. 413–323 v. Chr.). Diogenes stammte aus bürgerlichen Verhältnissen und lebte freiwillig wie ein Obdachloser. Die Athener nannten ihn »Hund« (kyon), weil er nicht in warmen Daunen, sondern in einer Tonne übernachtete und aß, was andere wegwarfen. Einmal, als der Hund gerade in der Sonne lag, kam Alexander der Große, König von Makedonien (356– 323 v. Chr.), mit seiner Entourage von Bodyguards, Sklaven und Soldaten vorbei. Alexander bewunderte den Philosophen, der da nur mit Lendenschurz bedeckt auf der Erde lag. Er bot ihm an, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Diogenes hob leicht den Kopf, blickte den König durch halbgeschlossene Lider an und bellte: »Geh mir aus der Sonne!«
Aus der Perspektive eines Menschen, der einen Wasserrohrbruch ungeschehen machen will, hat Diogenes nicht alle Tassen im Schrank. Vom Standpunkt eines im Ganzen gelungenen Lebens handelt er ganz vernünftig. Er will nichts, nicht mal ein Rückfahrtticket aus dem Exil in seine Heimat. Der Hund will nur langsam immer glücklicher werden, den Fokus auf sein Ziel behalten: der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, ihre Heuchelei und Gleichgültigkeit mit öffentlichem Urinieren zu quittieren – und zu verwirklichen, was er »Bildung« nennt. Für Diogenes hat Bildung rein gar nichts mit schulischer oder akademischer Auszeichnung zu tun, für ihn zählt nur die Herzensbildung, die »Seelengröße« eines Menschen.
Die Anekdote von Diogenes in der Sonne sagt viel über das langsame Glück. Die Sonne repräsentiert das Gute (die Wahrheit über das Leben). Der König steht für alle Ablenkungen, TikToks, Breaking News, Wasserrohrbrüche, Donald Trump – sämtliche Gewinne und Verluste schnellen Glücks, die unseren Fokus in tausend Einzelteile zertrümmern. Der König will dem Hund alles geben, was er haben will. Der Hund zeigt kein Interesse. Weil er weiß, dass nichts zu bekommen der beste Weg aus der Dunkelheit ist. Hin zum Licht, zum Guten, zu dem, was bleibt. Das wahrhaft Gute ist banal. Alltäglich. Immer schon da. Wie ein Hund, »der seine Freunde beschützt« – so der Philosoph einst zu seinem Kollegen Polyxenos (4. Jhd. v. Chr).
Diogenes begründete die »hündische« oder kynische Lebenskunst (Kynismus), seine freiwillige Wunschlosigkeit inspirierte Stoizismus und Christentum. Gegenüber dem revolutionären Nonkonformismus eines philosophischen Hundes sind neuzeitliche Moralphilosophen ängstliche Stubenhocker. Immanuel Kant (1724–1804) hätte nicht im Traum daran gedacht, einen rohen Tintenfisch zwischen die Zähne zu nehmen. Er zog es vor, eingerollt auf seinem Bett über die unbedingte Selbstverpflichtung zum guten Willen zu schreiben. »Handle nur nach der Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines...
Erscheint lt. Verlag | 13.9.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2023 • Alltag • Besinnung • eBooks • Erfüllung • Erziehung • Geschenk Eltern • Glück • guter vorsatz • Gute Vorsätze • Haltung • Lebensfreude • Lebensführung • Lebenshilfe • Menschlichkeit • Mental Health • Neuerscheinung • Optimismus • Philosophie • positive Energie • Positive Psychologie • Psychologie • Ratgeber • Resilienz • Weihnachtsgeschenk |
ISBN-10 | 3-641-30968-9 / 3641309689 |
ISBN-13 | 978-3-641-30968-8 / 9783641309688 |
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