Danke, nicht gut (eBook)

Für reflektierte Gelassenheit statt toxischer Positivität
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
192 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-30112-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Danke, nicht gut -  Franz Himpsl,  Judith Werner
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»Wenn man sich erst mal mit der Ameisigkeit des Daseins abgefunden hat, steht das Tor zur Freiheit offen.«
Die Welt quillt förmlich über von affektierten Dauerlächlern, Feel-good-Propheten und Inszenierungen des vermeintlich perfekten Lebens. Wer nicht glücklich ist, ist selbst schuld - schließlich könnte man ja einfach sein Mindset ändern. Doch das ist eine gefährliche Haltung: Sie blendet aus, dass Menschen einen Gutteil ihres Lebens nicht selbst beeinflussen können. »Good vibes only« ist eben nicht der Weisheit letzter Schluss. Doch wie bleibt man hoffnungsfroh, trotz aller Krisen im Leben? Ohne platten Optimismus und toxische Positivität?

Judith Werner und Franz Himpsl haben sich auf die Suche gemacht nach einem Grund zur Hoffnung, der auch nüchterne Skeptiker überzeugt. Und sie sind fündig geworden.

Dr. Franz Himpsl, geboren 1987, ist Journalist und Philosoph. Er hat für die SZ, die ZEIT und die Psychologie Heute geschrieben und über die Idee der Wissenschaftsfreiheit promoviert. Derzeit arbeitet er als KI-Chef in der Redaktion der Wissens-App Blinkist.

Von der Unvermeidlichkeit des Unperfekten

Gutes kann so schlecht sein. Denn das, was sich unter dem Deckmantel der Positivity verbirgt, ist möglicherweise toxisch.14 Wer sich dagegen wehren will, kann entweder dem ganzen Feel-good-Game mit widerspenstigem Pessimismus und Melancholie begegnen. In der Kunst war das über Jahrhunderte hinweg eine beliebte Strategie, Stichwort »romantischer Weltschmerz«. Oder man spielt das Spiel mit und versucht es um jeden Preis zu gewinnen. Doch kann das gut gehen?

Stellen wir uns doch mal Folgendes vor: Du kommst gerade von der Arbeit. Ziehst die Schuhe aus, lässt deine Tasche im Gang fallen und wirfst dich erschöpft aufs Sofa. Es war mal wieder einer dieser Tage. Du bist frustriert – der Grund ist dein neuer Kollege. Eigentlich kommst du mit den unterschiedlichsten Menschen gut aus, aber zu ihm dringst du einfach nicht durch. Er gibt sich unkooperativ, egal wie du dich verhältst. Du probierst es auf die verständnisvolle Art – funktioniert nicht. Du zeigst klare Kante – genauso nutzlos. Er scheint einfach ein Problem mit dir zu haben. Als du später am Abend mit einer Bekannten telefonierst und ihr von der Situation erzählst, gibst du dich abgeklärt. Du willst nicht als Jammerlappen dastehen. Alles halb so wild: Klar sei das ein unangenehmer Konflikt, aber an solchen Konflikten müsse man wachsen, sagst du dir. Und überhaupt sei das ja eine tolle Möglichkeit, deine interpersonale Problemlösungskompetenz zu verbessern.

Bullshit.

Niemand mag Konflikte, und das aus gutem Grund. Mag schon sein, dass du an einem Konflikt auch irgendwie wachsen kannst. Aber erst mal ist ein Konflikt ein Konflikt. Und keine dornige Chance. Was heißt das für unser Arbeitskollegen-Szenario? Natürlich gibt es Spannungen, die durch gegenseitiges Verständnis und Aufeinanderzugehen gelöst werden können. Aber in diesem Fall hat die Blockadehaltung des Kollegen vermutlich gar nichts mit dir zu tun. Vielleicht hat er einfach Probleme; vielleicht muss er privat gerade eine schwere Zeit durchstehen, vielleicht hat er viele schlechte Arbeitserfahrungen gemacht. Oder er ist einfach soziopathisch veranlagt, kann ja auch sein. Aber für dich ist das alles egal. An ihm als Mensch kannst du nichts ändern – und kurzfristig auch nichts an der Situation. Klar, langfristig sieht das anders aus: Du kannst dich selbst um eine Veränderung bemühen, kannst kündigen oder wenigstens in eine andere Abteilung wechseln. Oder dafür sorgen, dass er das Feld räumen muss – vorausgesetzt, du bist in der entsprechenden Position, das durchzusetzen. Doch solche Veränderungen brauchen Zeit. Im Hier und Jetzt geht’s erst mal ums Ertragen einer spannungsgeladenen zwischenmenschlichen Konstellation.

Egal ob im beruflichen oder im privaten Kontext: Solche Probleme kennt jeder – du bestimmt auch. Sie lassen sich um einiges leichter aushalten, wenn du sie benennst statt verdrängst: »Das ist eine Scheißsituation. Ich komm da momentan nicht raus.«

Also doch lieber mal der Frustration Raum geben. Eine Runde heulen oder eine Runde um den Block rennen – was auch immer du in dem Moment brauchst. Vielleicht bist du dann morgen bei der Arbeit sogar wieder entspannter, weil nicht mehr der Druck auf dir lastet, etwas geradebiegen zu müssen, was sich nicht einfach so geradebiegen lässt. Wenn du deiner Umwelt das Märchen auftischst, du müssest einfach nur an dir arbeiten und schon werde alles gut, dann magst du dich zwar tapfer fühlen – ein schlechtes Vorbild bist du trotzdem. Denn dein Verhalten suggeriert allen anderen, dass sie sich, wenn sie selbst mal in einer solchen Lage sind, lieber auch nicht beklagen sollten. Wenn das alle so machen, ist das Resultat eine Gesellschaft des »Du kriegst das hin!«.

Dieses »Du kriegst das hin!« ist bestimmt oft aufmunternd gemeint. Aber gute Intentionen schützen nicht vor schlechten Folgen. Schauen wir auf die zugrunde liegende rhetorische Figur, das »Ich tu doch nichts, ich rede ja nur«-Manöver. Dieser verbale Schachzug wird gern dann bemüht, wenn jemand sich aus der Verantwortung ziehen will, indem er auf den vermeintlich beschreibenden Charakter seiner Worte verweist. »Du bist aber blass«, »nur so als Feststellung: Dortmund hat gestern zum vierten Mal hintereinander verloren«, »in dreißig Minuten haben wir unseren Termin. Ich sag ja nur«. Dabei ist doch klar, dass diese Sätze zwar der Form nach einen beschreibenden Charakter haben, dem Effekt nach aber nicht neutral ankommen. Sondern eher so: »Du siehst fürchterlich aus«, »Dortmund ist echt ein Loser-Team«, »komm endlich in die Pötte, du Trantüte«. Wenn Menschen mit dieser »Ich tu doch nichts, ich rede ja nur«-Attitüde daherkommen, dann nervt das. Und zwar ganz gleich, ob sie dir ein schreckliches Aussehen attestieren oder ein »Du kriegst das hin!« vor den Latz knallen.

Die Sprachphilosophen J. L. Austin und John Searle haben das in der Mitte des 20. Jahrhunderts in ihren Sprechakttheorien beschrieben. How to Do Things with Words heißt Austins zentrales Werk, also »Wie man Dinge mit Worten tut«. Sprechakte sind demnach nicht nur lokutionärer Natur, also Äußerungen mit einem bloß beschreibenden Gehalt, oder illokutionärer Natur, also Sprachhandlungen mit einem definierten Ziel (wenn ich eine Frage stelle, habe ich das Ziel, eine Antwort darauf zu erhalten). Sondern sie haben auch einen perlokutionären Aspekt, also eine umfangreiche Wirkung auf die Empfängerperson – egal ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt.15

Welche Wirkungen können das sein? Der Germanist Sven Staffeldt hat sich das mit Blick auf die deutsche Sprache überlegt und nennt drei Klassen von perlokutionären Wirkungen. Erstens erzeugen Sprechakte Gefühle: Sie erfreuen zum Beispiel, sie diffamieren, sie ängstigen, sie amüsieren. Zweitens erzeugen sie Absichten: Mit ihnen kann man jemanden breitschlagen, sich etwas erschwindeln, jemanden aus der Defensive locken oder vertrösten. Und drittens können sie einen Glauben erzeugen: Jemandem wird etwas eingeredet, jemand wird getäuscht, aufgeklärt oder überzeugt.16

Die Wirkungen, die Staffeldt skizziert, sind alle auch bei der übersteigerten Positivität am Werk. Wer ständig darum bemüht ist, allem einen positiven Dreh abzunötigen, erzeugt bei jenen Rezipienten, denen es schlecht geht, den Glauben, sie dürften ihre negativen Gefühle nicht zulassen. Das führt zu einem Gefühl der Unzulänglichkeit, und daraus resultiert dann die Absicht, sich künftig die eigene Niedergeschlagenheit nicht mehr anmerken zu lassen. Ich tu doch nichts, ich rede ja nur? Von wegen. Natürlich, du redest nur. Aber deine Rede hallt in den Köpfen anderer Menschen nach; sie beeinflusst das, was sie ihrerseits sagen und, ja, auch tun.

Die Psychotherapeutin Whitney Goodman hat in diesem Zusammenhang die Fotoplattform Pinterest genauer unter die Lupe genommen. Dort finden sich neben Do-it-yourself-Inspirationen und Shopping-Tipps vor allem toxisch positive Sinnsprüche à la »Du musst in allem das Gute sehen«. Goodman zeigt demgegenüber, wie ein gesunder Umgang mit Krisen aussehen könnte: Statt »Das wird schon wieder!« sagt sie lieber: »Das ist jetzt hart für dich. Aber du hast in der Vergangenheit Schwierigkeiten gemeistert.« Und statt »Gib niemals auf!« sagt sie: »Manchmal ist es okay, aufzugeben. Wie, denkst du, würde diese Situation denn idealerweise gelöst werden?«17

Goodman hat dem Thema ein ganzes Buch gewidmet: In Toxic Positivity liefert sie Belege aus ihrem Therapiealltag, die zeigen, dass »gut gemeint« tatsächlich »psychologisch bedenklich« bedeuten kann. Sie erzählt unter anderem die Geschichte der Familie Fernandez, die eines Dienstagmorgens aufgelöst in ihrer Praxis erschien. Der 23-jährige Sohn war am Wochenende bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen, und nun rang die in ihrer Schockstarre geeinte Familie – eine Tochter im Teenageralter, ein jüngerer Sohn, die Mutter und der Vater – um Antworten: Wie kann so etwas passieren? Wie kann ein Leben Sinn haben, das solch unsagbaren Schmerz zulässt? Der Vater erzählt, er habe Trost in seiner örtlichen religiösen Gemeinde gesucht. Dort habe man ihm vermeintlich Aufmunterndes mit auf den Weg gegeben: »Das, was passiert ist, ist Teil eines göttlichen Plans«, »er ist jetzt bestimmt an einem besseren Ort«, »alles passiert aus einem Grund«.18

Man kann sich vorstellen, dass das nicht sehr hilfreich ist. Will man wirklich an einen Gott glauben, dessen Absicht es ist, einen 23-Jährigen einfach so aus dem Leben zu reißen? Was soll das für ein Plan sein, welchen Zweck soll das erfüllen? Und wieso sollte ein ominöses Jenseits ein besserer Ort für einen jungen Menschen sein als das Diesseits, inmitten einer liebenden Familie? Religionen, deren Theologie auf der Allmacht und Güte Gottes aufbaut, stehen vor der nicht ganz einfachen Herausforderung, Ereignisse, von denen kein vernünftiger Mensch sagen würde, dass sie einen Sinn haben, in ein Heilsnarrativ einzusortieren. Das kann in manchen Fällen tröstlich sein. Doch im schlechtesten Fall kommt das dabei heraus, was die Familie Fernandez erlebt hat, und was auch wir bei Todesfällen erlebt haben: unbeholfene Versuche, Empathie zu zeigen und zugleich klarzumachen, dass alles doch eben irgendwie gut sei.

Nun ist die...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • Allgemeinbildung • buch zum podcast • eBooks • Gefühle • Gelassenheit • Gesundheit • Gewohnheiten ändern • hallo, ernstfall • ich möchte lieber nicht • Introvertiert • juliane marie schreiber • Mindfulness • negative Gedanken • Neuerscheinung • Philosophie • pop-sciene • Positive Psychologie • positives denken kritik • Psychologie • Resilienz • Sachbuch Philosophie • Selbstbewusstsein • Selbstfindung • Selbstoptimierung • Selbstreflexion • Toxic Positivity • toxische Positivität • Umgang mit Krankheit • Umgang mit Krebserkrankung • umgang mit negativen gefühlen • Zwangsgedanken
ISBN-10 3-641-30112-2 / 3641301122
ISBN-13 978-3-641-30112-5 / 9783641301125
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