Die zerrissene Gesellschaft (eBook)

So überwinden wir gesellschaftliche Spaltung im neuen Krisenzeitalter
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2023 | 1. Auflage
272 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30333-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die zerrissene Gesellschaft -  Claudine Nierth,  Roman Huber
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Das resiliente Wir
Wieviel Polarisierung können wir aushalten und wann bricht eine Gesellschaft einfach auseinander? 2015/2016 führt die Flüchtlingskrise zu einem Erstarken rechtspopulistischer Kräfte; 2020 ändert ein neuartiges Virus schlagartig unsere Lebensrealität und wirkt wie ein Brandbeschleuniger für soziale Ungleichheiten; 2022 beginnt Putin vor den Augen der Welt einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, mit schweren Folgen auch für die deutsche Wirtschaft. Und die größte Krise in Form der sich anbahnenden Klimakatastrophe steht uns erst noch bevor. Wie können wir in dieser hoffnungslosen Situation wieder Vertrauen schöpfen, wie kann sich die Gesellschaft stabilisieren? Claudine Nierth und Roman Huber spüren den gesellschaftlichen Gräben im neuen Krisenzeitalter nach, identifizieren kollektive Traumata und deren Einfluss auf politische Ansichten und Entscheidungen. Und sie formulieren unter Rückgriffen auf die Resilienzforschung und die Sozialpsychologie einen heilsamen Fahrplan zu einem neuen, kompetenten Wir, in dem jede*r Einzelne sein Potenzial mobilisieren und entfalten darf.

Claudine Nierth, geboren 1967, engagiert sich seit den 1980er Jahren für die Einführung und Verbesserung von Volksentscheiden und Bürgerräten. Seit ihrem Kunststudium und ihrer mehrjährigen Bühnentätigkeit liegt Nierths Schwerpunkt auf der künstlerischen Gestaltung sozialer Prozesse. Sie war 1997 eine der drei Initiatoren des ersten Volksbegehrens 'Mehr Demokratie in Hamburg' und 2011 der Volksinitiative 'Mehr Demokratie in Schleswig-Holstein'. 2000 fuhr sie mit dem 'Omnibus für Direkte Demokratie', einer rollenden Skulptur, quer durch Deutschland. Anschließend schrieb sie sich die Einführung des bundesweiten Volksentscheids auf die Fahnen. Seit 1998 ist Nierth Bundesvorstandssprecherin des Vereins 'Mehr Demokratie e.V.' Die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein entsandte sie in die 15. Bundesversammlung, die 2012 den deutschen Bundespräsidenten wählte. 2014/2015 war sie Mitglied der Enquete-Kommission betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich des österreichischen Nationalrats. 2018 erhielt Nierth für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz am Bande. 2019 hat sie den ersten bundesweite Bürgerrat Demokratie mit initiiert und organisiert, 2020 startete sie unter der Schirmherrschaft des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble und dem Vorsitz von Marianne Birthler den ersten Bürgerrat für den Bundestag.

Einleitung


Wir leben in einer zerrissenen Welt.

Die Welt um uns ist zerstritten, gespalten und in Lager zerteilt. Mobbing, Konkurrenz und Schuldzuweisungen, die »anderen« sind schuld und müssen umerzogen, zur Seite geschoben oder unterdrückt werden. Sie dürfen auf keinen Fall ans Ruder kommen. Gruppen schotten sich voneinander ab und reden nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander. Man umgibt sich lediglich mit seinesgleichen. Linke sprechen kaum mit Rechtskonservativen, geschweige denn mit Rechten. Und umgekehrt. Gleichzeitig vereinsamen immer mehr Menschen. Sie sind innerlich heimatlos und ohne emotionalen Halt.

Währenddessen türmen sich die Probleme. Klimawandel, Mikroplastik in allen Organismen, Artensterben, tote Meereszonen, Umweltverschmutzung. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden wird größer. Und vieles mehr. Obendrauf zu alledem kommt der Krieg in der Ukraine, der uns bis ins Mark erschüttert und unsere Gewissheiten schwinden lässt.

Als Demokratieaktivisten dachten wir immer, wir müssen unser Regierungssystem nur demokratischer machen und mehr am Gemeinwohl orientieren. Wenn wir immer mehr Menschen einbeziehen, dann kommen wir einen entscheidenden Schritt weiter. Aber selbst da, wo dies gelungen ist, hört der Streit und die Spaltung nicht auf.

Und gleichzeitig haben wir in dreißig Jahren in der Politik, in dreißig Jahren Aufbau von zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Lebensgemeinschaften immer wieder eines erlebt: Probleme lassen sich lösen, oder zumindest können wir in einen konstruktiven Dialog miteinander treten und die Umstände ein Stück weit voranbringen und verbessern.

Manche Probleme sind wirklich schwierig zu lösen, wie zum Beispiel soziale Ungerechtigkeit. Es gibt kein Patentrezept dafür. Es gibt keine eindeutig richtigen oder falschen Antworten. Aber auch hier kommen wir mit kreativen Lösungsstrategien für komplexe Probleme weiter.

Es sei denn, es sind neben den Sachfragen ungeklärte emotionale Themen im Spiel. Angst, Neid, Gier, Egoismus, Eitelkeit, Sturheit, Geltungsdrang, ungeklärte und unter den Tisch gekehrte Konflikte. Das Problem ist, dass diese Faktoren fast immer eine Rolle spielen. In fast jedem Meeting, in jeder Talkshow, in jeder Parlamentsdebatte, in jeder Kirchenratssitzung oder in jedem Lehrerzimmer. Und zwar in einem Ausmaß, das einem in der Regel nicht mehr bewusst ist, weil es so normal ist. Dies fällt den Beteiligten erst dann auf, wenn es überraschenderweise einen freien und superkreativen Lauf gibt. Alle tragen bei, die Ideen sprudeln, die Moderation unterstützt den Prozess an der richtigen Stelle und lässt die Energie auch mal laufen. Wenn wir in einer geklärten und psychologisch sicheren Umgebung in einem Team an der Sache arbeiten. Dann werden in kürzester Zeit kreative oder einfach nur alltagstaugliche, kluge Lösungen gefunden. Die Dinge fallen wie von selbst an ihren Platz.

Viel zu oft findet das nicht statt. In manchen Unternehmen oder in der großen Politik fast nie. Je mehr Krise, desto enger wird es. Es gibt kaum mehr langfristiges Denken. Obwohl sich doch alle bemühen und das Beste wollen. Oft bricht die Kommunikation, es wird gelogen und übervorteilt, und jede:r versucht, das Beste rauszuholen. Aber nicht, weil die Menschen schlecht sind. In anderen Zusammenhängen sind dieselben Menschen liebevolle Mütter und Väter, gute empathische Freunde oder kümmern sich aufopfernd um die Umwelt oder Menschen in Not.

Wir kennen es ja selbst, wir nehmen uns vor, anders zu agieren und tappen immer wieder in die gleichen Muster und alte Verhaltensweisen.

Wir folgen einigen Grundannahmen, denen Sie sich nicht gleich anschließen müssen. Wir glauben, dass der Mensch im Grunde gut, willens und in der Lage ist, sich zu verändern. Nahezu alle Menschen streben nach Glück oder Zufriedenheit und wollen auch, dass es anderen gut geht. Das bezieht sich auch auf unsere Umwelt und die ganze Welt. Und alle Menschen brauchen eine Grundstabilität, einen Platz, an dem sie zu Hause und sicher sind, an dem sie anerkannt sind und gesehen werden.

Wenn wir – mit wir ist sowohl jede:r Einzelne als auch wir als Gesellschaft gemeint – uns nun verändern wollen, aber es nur schwer schaffen, muss es dafür Gründe geben. Einer der wichtigsten Gründe sind die unbewältigten Schatten der Vergangenheit, die uns immer wieder einholen. An diesen können wir arbeiten. Das ist die eigentliche Aufgabe und das Schicksal unseres Lebens. Wir gehen also davon aus, dass wir nicht einfach nur so sind, wie wir sind und unveränderbare Charaktere haben, sondern jede:r kann sich an dem Platz, an dem er oder sie gerade steht, ein wenig dem Licht zuwenden. Nach dem Wahren, Guten und Schönen streben. Wäre dies nicht so, wären wir wahrscheinlich gar nicht mehr da.

Eine weitere Annahme, von der wir ausgehen, ist: Hinter allen fixierten Problemen und schlechten Eigenschaften oder Mustern, in denen wir uns befinden und die wir kaum selbst gelöst kriegen, die sich nicht verändern lassen oder immer wiederkehren, liegen meistens Traumata. Alte und unbewusste Wunden aus der Vergangenheit. Wir definieren Trauma breiter, verwenden also nicht nur die klassische Definition, die auf Opfer von Gewalt, Krieg oder Missbrauch zutrifft. Sehr viele Menschen haben ein Entwicklungs- bzw. Bindungstrauma, das bereits in ganz frühen Jahren entstanden ist. Meist vergessene und verdrängte Kindheitserfahrungen können die Psyche vergiften und einem das ganze Leben im Weg stehen.

Der für uns jetzt neue Ansatz ist, dass Traumata nicht nur individuell wirken und entstehen, sondern dass auch die schlimmen Wunden der Vergangenheit, die Traumata unserer Ahnen auf uns bis in die Gene wirken. Und noch frappierender gibt es sogar gesellschaftliche oder kollektive Traumata.

Da wir uns von jeher mit Gesellschaft beschäftigen, hat dies eine hochpolitische Dimension. Denn dann hätte jedes Kollektiv, also jede Gruppeneinheit, sei es ein Unternehmen, ein Dorf, ein Land oder eine Nation, nicht nur eine Licht-, sondern auch eine Schattenseite. Nicht nur spezifische Qualitäten und Kompetenzen, sondern auch kollektive Traumata. Darauf wollen wir besonders eingehen. Denn dies hat unseren Blick auf Politik und die mögliche Veränderung von gesellschaftlichen Verhältnissen stark verändert und bereichert. So vieles ist dadurch einfacher zu verstehen.

Gehen wir noch mal einen Schritt zurück: Sie meinen, so einfach ist das nicht. Es gibt doch auch handfeste ökonomische Interessen oder den Einfluss von Macht, wenn es um Politik geht. Es macht doch keinen Sinn, die Politik so zu psychologisieren. Wir müssen jetzt die Probleme lösen, die uns zu überrollen drohen. Wir haben einfach keine Zeit für solche Luxusthemen. Ja, wir haben wenig Zeit, und das Leben wird immer schneller. Denn wir leben in einem Wirtschaftssystem, das wachsen muss, nur um den Status quo zu halten, allein dadurch beschleunigt sich die Welt.

Aus unserer Sicht braucht es nicht weniger, sondern mehr Psychologie in der Gesellschaft und in der Politik, also mehr Wissen um die Seele des Menschen (Psyche altgriechisch »Seele, Schmetterling«). In der Politik geht es fast nur um Psychologie, denn Politik wird immer von Menschen gemacht. Oder wie es Abraham Lincoln, der berühmte amerikanische Präsident, formulierte, »Demokratie ist die Regierung der Menschen, durch die Menschen und für die Menschen«. Im Original heißt es Volk statt Menschen. Doch eines der deutschen kollektiven Traumata bewirkt, dass wir dem Volk misstrauen und uns sogar physisch unwohl fühlen, wenn wir »Volk« hören, zumindest in manchen Kreisen.

Auch nicht zu stillende Gier nach Reichtum und Macht lässt sich letztlich auf unerfüllte Grundbedürfnisse des Menschen nach Sicherheit und Selbstausdruck zurückführen.

Wir glauben, dass wir eine neue Herangehensweise in unserer krisengeschüttelten Zeit brauchen, ein neues Paradigma. Wir brauchen mehr als das mechanistische Denken, wir brauchen ein fühlendes Denken. Auch in der Politik. Wir brauchen nicht nur eine Demokratie der Gewaltenteilung, sondern zusätzlich eine Demokratie der Zuneigung. Wir wollen Rationalität nicht überwinden, sondern mehr Denken, Kreativität und Innovation ermöglichen, indem wir sie um die emotionale Ebene erweitern. Dafür brauchen wir ein umfassenderes Herangehen, wir brauchen den Menschen mit allen seinen Kompetenzen. Mit seinen Gedanken, seinen Empfindungen und seinem Handeln. Und dies ist wenig überraschend, denn wir sind ja sowieso immer als vollumfänglich da, auch mit unseren Emotionen, nur blenden wir dies meistens aus.

Neue Kompetenzen, ein neues Bewusstsein, ein neuer Blick auf die Welt wird nicht einfach entstehen, nur weil wir einmal die Notwendigkeit dazu verstanden haben. Wir bekommen das nicht geschenkt, sondern das bedeutet Arbeit, Inner Work.

Wir stellen in den Raum: Politische Arbeit wird sich ohne Persönlichkeitsentwicklung nicht grundlegend weiterentwickeln. Wir können heute diese Kompetenzen ausbilden, Selbstreflexion, Empathie und Mitgefühl lassen sich lernen. Transparente Kommunikation erfordert Übung. Selbstkontakt und Selbstreflexion ist eine lebenslange Schulung. Konfliktfähigkeit auch. Wer in der heutigen Zeit dauerhaft und wirksam politisch tätig sein will, ohne auszubrennen, braucht auch ein inneres Training, um stabil zu bleiben. Eine Form der An- und Rückbindung, des inneren Rückhalts.

Viel von dem Wissen um Achtsamkeit, Beziehungskompetenzen, agile Strukturen und Transformation wird in modernen Unternehmen und kulturellen Gruppen seit vielen Jahren entwickelt. Wir wollen davon mehr in der ganzen Gesellschaft, vor allem aber in der...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • AfD • aktueller Diskurs • Corona • Dauerkrise • Demokratie • eBooks • Extremismus • Flüchtlingskrise • gesellschaftliche Debatte • Gesellschaftlicher Zusammenhalt • gräben überbrücken • Hoffnung • Inflation • Klimawandel • Krieg • Krise • Krise der Demokratie • Lügenpresse • Montagsdemos • Neuerscheinung • Pandemie • Pegida • Psychologie • Querdenker • Resilienz • Sachbuch Neuerscheinung 2023 • Spaltung • Versöhnung • Vertrauen
ISBN-10 3-641-30333-8 / 3641303338
ISBN-13 978-3-641-30333-4 / 9783641303334
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