Das Geheimnis der Sprakkar (eBook)

Isländische Frauen und wie sie die Welt verändern

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
320 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-29619-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Geheimnis der Sprakkar -  Eliza Reid
Systemvoraussetzungen
17,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ein kraftvolles, atmosphärisch dichtes Porträt eines einzigartigen Landes, das zum Vorbild für uns alle taugt.
In den letzten zwölf Jahren stand Island im World Economic Forum's Global Gender Gap Report immer auf Platz 1 der Liste jener Länder, die auf dem Weg zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau die entscheidensten Schritte unternommen haben. Warum erzielt Island solch beachtliche Fortschritte in diesem andauernden Kampf? Die Antwort darauf liefern die SPRAKKAR des Landes - dieses uralte isländische Wort meint außergewöhnliche, herausragende Frauen.

Die in Kanada geborene und aufgewachsene Eliza Reid, derzeitige First Lady Islands, interviewte Dutzende SPRAKKAR, um deren inspirierende Geschichten zu erzählen. Geschickt bindet sie ihre eigenen Erfahrungen als Zugezogene aus einer kanadischen Kleinstadt mit ein. Sie nimmt die Haltung ihrer zweiten Heimat gegenüber Frauen unter die Lupe, das tiefverwurzelte gesellschaftliche Gespür für Fairness sowie den Einfluss aktueller und historischer weiblicher Vorbilder. Wobei sie nicht verschweigt, dass es in punkto Gleichstellung selbst in Island noch Verbesserungspotenzial gibt.

Wie andere einflussreiche und progressive First Ladies vor ihr - Eleanor Roosevelt, Hillary Rodham Clinton oder Michelle Obama - nutzt Reid ihre Position, um der Welt das Beste an ihrer Nation zu vermitteln. Das Geheimnis der SPRAKKAR ist ein kraftvolles, atmosphärisch dichtes Porträt eines einzigartigen Landes, das zum Vorbild für uns alle taugt.

Eliza Reid ist Journalistin, Lektorin und Mitbegründerin des jährlichen Iceland Writers Retreat. Sie war Mitglied eines Ruderteams in Oxford, bereiste Russland und Zentralasien mit der Transsibirischen Eisenbahn und war für längere Zeit mit dem Rucksack in Südostasien unterwegs. Reid wuchs auf einer kleinen Farm in der Nähe von Ottawa in Kanada auf und zog 2003 nach Island - fünf Jahre nachdem sie ihren Mann kennengelernt hatte, Gudni Th. Jóhannesson. Seit dieser 2016 zum Staatspräsidenten gewählt wurde, fungiert sie als Islands First Lady.

KAPITEL 2
WER ELTERN HILFT, HILFT UNS ALLEN


Die Rosine am Ende des Hotdogs1

Als ich 2016 First Lady von Island wurde, stellte ich mich zahlreichen Interviewanfragen aus meiner kanadischen Heimat. Es war ja gelinde gesagt unwahrscheinlich, dass ein Landei aus Ontario Gattin des Staatsoberhaupts eines Landes wird, das Tausende Kilometer entfernt liegt. Ich war so aufgeregt (und bin es bis heute!), diese Rolle zu übernehmen, und so begeistert, dass ich vor den Zuschauern und Hörern jenseits des großen Teichs gern mit meiner Wahlheimat angab.

Unvermeidlich kamen in den verschiedenen Interviews ähnliche Themen zur Sprache. Die seltsamste Frage, die ich erschreckend regelmäßig zu hören bekam, war: »Hätten Sie sich, als Sie auf einer Hobbyfarm im Ottawa Valley aufwuchsen, jemals vorstellen können, eines Tages First Lady von Island zu werden?« Es dauerte ein paar solcher Interviews, bis ich begriff, dass das nie als rhetorische Frage gemeint war.

In meiner Jugend schmiedete ich überhaupt keine langfristigen Pläne. Und schon gar nicht hatte ich vor, das künftige Staatsoberhaupt eines Landes zu heiraten, über das ich fast nichts wusste. Ich wollte an die Uni gehen und irgendwas in Richtung Gesellschafts- oder Geisteswissenschaften studieren. Außerdem wollte ich ein bisschen was von der Welt sehen, einen Job finden, der mich forderte, und bei all dem meinen Spaß haben. Ehe und Kinder waren damals noch kein fester Bestandteil meiner Lebensplanung.

Ich war nicht grundsätzlich gegen die Idee. Aber ob ich heiraten wollte, würde davon abhängen, ob ich jemanden kennenlernte, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Kinder zu bekommen sollte voraussetzen, dass erwähnter Partner auch dahinterstand und alle Umstände dafürsprachen.

Genauso wenig wie den Umzug nach Island und die Rolle der First Lady hätte ich mir jemals vorstellen können, in knapp sechs Jahren vier Kinder zu kriegen und die Stiefmutter eines weiteren zu werden. Aber so ist eben das herrlich unvorhersehbare Leben.

Wäre ich in Kanada geblieben, hätte ich mich wohl nicht als so gebärfreudig erwiesen. Aber in Island schien es irgendwie so einfach, ein Kind zu haben – und dann noch eins, noch eins und noch eins. Hier ist die komplette, von Hebammen durchgeführte pränatale Betreuung kostenlos. Sogar die geringen Gebühren, die sonst bei Arztbesuchen und Behandlungen anfallen, gibt es nicht. Mein Mann und ich nahmen uns jeweils mehrere Monate Elternzeit, in denen wir Unterstützung vom Staat erhielten. Als wir in unsere Vollzeitjobs zurückkehrten, wurden die Kinder zunächst von geprüften Tagesmüttern betreut, später besuchten sie einen Kindergarten, der nur fünf Minuten zu Fuß entfernt lag. Beides wurde von der Stadt Reykjavík massiv subventioniert. Angesichts eines solchen Systems mussten wir die Entscheidung über die Größe unserer Familie nicht primär von finanziellen Überlegungen abhängig machen.

Da verwundert es nicht, dass Islands Geburtenrate mit zu den höchsten in Europa zählt. Derzeit liegt sie bei 1,97 Kindern pro Frau, ist aber erst kürzlich unter 2 gerutscht. In früheren Generationen waren es sogar noch mehr. Das hing mit dem fehlenden Zugang zu Verhütung und hoher Kindersterblichkeit zusammen. Es war allerdings auch nötig, das Land mit neuen Generationen von Bauern und Fischern zu bevölkern. Wenn Isländer jemanden »reich« nennen, ist tatsächlich nach wie vor oft Kinderreichtum, nicht Geld gemeint. Steigender Lebensstandard und Wohlstand haben die durchschnittliche Kinderzahl sinken lassen, doch Nachwuchs gilt immer noch als eine der größten Freuden des Lebens. Und meine vierköpfige Brut ist überhaupt nichts Ungewöhnliches.

Auch wenn das Land dafür bekannt ist, viele Lebensweisen zu tolerieren, lastet auf Frauen immer noch starker gesellschaftlicher Druck, Kinder zu bekommen. Zwar nicht zwingend im Rahmen einer traditionellen Kernfamilie wie man sie aus TV-Serien der 1950er kennt. Diejenigen, die entschieden haben, sich über diese Konvention hinwegzusetzen, begegnen einer beinah wissenschaftlichen Neugier und stoßen nicht immer auf Verständnis. Gudni und ich waren schon fünf Jahre ein Paar, als wir nach Island zogen; ich war in meinen späten Zwanzigern. Von Beginn an gab es Stupser, Augenzwinkern und oft direkte Fragen von wohlmeinenden Schwiegereltern und neuen isländischen Freunden. Alle wollten wissen, wann wir »loslegen« würden. (Da Gudni ja bereits eine Tochter hatte, schien irgendwie klar, dass jede Verzögerung unserer Fortpflanzung allein auf mich zurückzuführen war). Als wir ein Jahr später heirateten, wurde der Druck noch stärker. Dabei kommt die große Mehrheit der Erstgeborenen in Island bei unverheirateten Eltern zur Welt. (Hochzeiten sind teuer, und es gibt keine moralischen Vorbehalte gegen Paare, die »in Sünde leben«.) Weil ich eine Ausländerin war, dachten manche Leute, wir hätten altmodische Ansichten. Nach der Hochzeit war diese Entschuldigung allerdings passé. Jemand fragte mich, ob ich mich vielleicht einfach davor fürchtete, Kinder zu haben.

Die Kosten für Kinder, also die großen Brocken wie Betreuung und Universität, sind in Island relativ gering. Eltern müssen also keine speziellen Sparbücher für die spätere Ausbildung eröffnen oder kostspielige Sommercamps im jährlichen Familienbudget berücksichtigen. Das lindert auch ein wenig den Schmerz, wenn man Windeln und andere hochpreisige, aber notwendige Importwaren kaufen muss, die doppelt so teuer sind wie auf Amazon beworben. Die Regierung bezahlt Alleinerziehenden, die die Hauptbetreuer der Kinder sind (also meist den Müttern), den Mindestunterhalt und holt sich diesen vom anderen Elternteil zurück. Das verhindert die Wahrscheinlichkeit von belastenden Auseinandersetzungen mit dem Ex-Partner über Geld. Und es nimmt einem den Stress, darüber zu spekulieren, ob die nächste monatliche Zahlung kommen wird.2

Diese Politik hilft, die mentale Belastung zu verringern, aber die logistische Herausforderung, eine Familie zu managen, bleibt natürlich. An den meisten Tagen scheint es ein endloser Balanceakt zwischen bezahlten und unbezahlten Verpflichtungen zu sein. Und die üblichen Anforderungen der Elternschaft, etwa Herumkutschieren zu außerschulischen Aktivitäten, Erinnern an Hausaufgaben oder Nachbringen von Schwimmsachen in die Schule, Naseputzen, Verpflastern von aufgeschlagenen Knien und all die anderen Details, die zu einem funktionierenden Alltag gehören. Selbst ein starkes System gesellschaftlicher Unterstützung hilft nicht gegen dieses Gefühl, gleichzeitig in viele verschiedene Richtungen gezogen zu werden.

Ich gehöre zu den glücklichen Frauen, die schnell schwanger werden, nachdem sie beschlossen haben, es zu versuchen. Als an einem dunklen Dezembermorgen 2006 die schwache blaue Linie auf dem Schwangerschaftstest sichtbar wurde, fühlte ich mich kein bisschen anders, und kein sechster Sinn ließ mich meine bevorstehende Mutterschaft ahnen. Aber ich hatte viel gegoogelt – hauptsächlich auf Englisch, was mich unvermeidlich auf Webseiten aus den USA, aus Großbritannien und Kanada (und manchmal auf noch andere) brachte. Daher war ich anschließend eher mit dem pränatalen Programm dieser Länder vertraut. Ich tat, was man mir auf diesen Seiten empfahl, und rief bei meiner lokalen Gesundheitseinrichtung an, erklärte, dass ich schwanger sei, und vereinbarte einen Arzttermin. Dort erwartete ich, dass man mir Blut abnehmen würde, um die Schwangerschaft zu bestätigen, und ich einen detaillierten Plan mit den bevorstehenden Untersuchungsterminen und entsprechende Ratschläge bekommen würde.

Ein paar Tage später erschien ich pünktlich, bezahlte die siebenhundert Kronúr (umgerechnet ungefähr fünf Dollar), um einen Arzt zu sehen. Auch wenn dieser symbolische Betrag offensichtlich nicht die Kosten meines Besuchs deckte, fand ich es als Kanadierin dennoch befremdlich, überhaupt irgendetwas berappen zu müssen, um einen Arzt zu Gesicht zu bekommen. (Nur Erwachsene zwischen achtzehn und siebenundsechzig Jahren, die nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind, müssen diese Gebühr entrichten, und auch nur bis zu einer bestimmten jährlichen Obergrenze.) Die regelmäßigen Termine bei Hebammen sind dagegen kostenlos, ebenso wie alles andere, was direkt mit Schwangerschaft und Geburt zusammenhängt. Diese Kosten sind durch meine Steuern abgedeckt, von denen ein Teil ins allgemeine Gesundheitswesen Islands fließt.

»Herzlichen Glückwunsch!«, meinte der Arzt lächelnd, als ich ihm die Neuigkeit mitteilte. »Vergessen Sie nicht, ein paar Vitamine zu nehmen.«

Und das war’s. Keine Warnung vor Listerien, dem Wechseln der Katzenstreu oder bestimmter Übungen im Fitnessstudio. Ganz zu schweigen von irgendwelchen Tests, um meinen Zustand nachzuweisen. Ich wusste damals noch nicht, dass in Island die komplette Schwangerenbetreuung von Hebammen anstatt von Ärzten gemanagt wird. Dieser erste Arztbesuch war demnach überflüssig. Ich verließ die Praxis mit dem Hinweis, die Hebamme am Ort anzurufen.

Ich ahnte nicht, dass dieses erste Telefonat mit der Hebamme Gígja Sveinsdóttir der Beginn einer langen, engen Beziehung sein würde. Gígja wiederholte die Erinnerung des Arztes an Vitamine und empfahl außerdem Folsäure. Nachdem sie gehört hatte, dass es mir grundsätzlich gut ging und ich keinerlei Vorerkrankungen hatte, sollte ich sie aufsuchen, sobald ich ungefähr drei Monate schwanger war.

Das war mein erster Kontakt mit dem typisch nordischen, pragmatischen Umgang mit Schwangerschaft und Geburt, an den ich mich erst gewöhnen musste, den ich letztlich aber sehr gut fand. Eine Schwangerschaft ist...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2023
Übersetzer Henriette Zeltner-Shane
Sprache deutsch
Original-Titel Secrets of the Sprakkar: Iceland’s Extraordinary Women and How They Are Changing the World
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • eBooks • female empowerment • Feminismus • First Lady • Frauenrechte • Frauenrechtlerin • Gleichberechtigung • Island • Neuerscheinung • Skandinavien
ISBN-10 3-641-29619-6 / 3641296196
ISBN-13 978-3-641-29619-3 / 9783641296193
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99