Logik der Angst (eBook)

Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln
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2023 | 1. Auflage
208 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01698-9 (ISBN)

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Logik der Angst -  Peter R. Neumann
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Die Mordserie des NSU (2000-2006), der Terroranschlag von Anders Breivik (2011), das Attentat in München (2016), das Massaker von Christchurch (2019), der Mord an Walter Lübcke (2019), die Anschläge von Halle (2019) und Hanau (2020), zuletzt ein vereitelter Putschplan deutscher Reichsbürger (2022): Rechtsextreme Gewalt beschäftigt uns schon lange - und in den letzten Jahren besonders massiv. Mit Wahlerfolgen radikaler Parteien, wie in Schweden, Italien oder mit der AfD in Deutschland, droht der Rechtsextremismus mehrheitsfähig zu werden; im Zuge sozialer Proteste könnten extreme Gruppierungen zu einer umfassenden Bewegung zusammenfinden. Peter R. Neumann, einer der weltweit profiliertesten Experten, zeigt, wie real diese Gefahr ist - und wo ihre tieferen, ideologischen Wurzeln liegen. Statt nur einzelne Gruppen zu beschreiben, legt er das Wesen, die Logik des Rechtsextremismus frei - ebendas, was all diese Gruppen verbindet, ob Alte oder Neue Rechte, Neoreaktionäre oder Identitäre, Reichsbürger oder Verschwörungstheoretiker, AfD oder Rassemblement National. Anhand zahlreicher Beispiele, von der völkischen Bewegung im 19. Jahrhundert bis zum Populismus der Gegenwart, zeigt Neumann: Am Anfang steht nicht der Hass, sondern eine Logik der Angst. Ein Psychogramm des Rechtsextremismus - das zugleich eine dringende Warnung ist.

Peter R. Neumann, geboren 1974 in Würzburg, ist Professor für Sicherheitsstudien am King's College London und leitete dort lange das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR). Als international gefragter Experte war Neumann 2017 Sonderbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und berät die Europäische Kommission zum Thema Extremismus. Daneben schreibt er u. a. für den «Spiegel» und die «New York Times». Nach seinem viel gelobten Buch «Die neue Weltunordnung» erschien von ihm zuletzt «Logik der Angst. Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln».

Peter R. Neumann, geboren 1974 in Würzburg, ist Professor für Sicherheitsstudien am King's College London und leitete dort lange das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR). Als international gefragter Experte war Neumann 2017 Sonderbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und berät derzeit die Europäische Kommission zum Thema Extremismus. Daneben schreibt er u.a. für den «Spiegel» und die «New York Times». Zuletzt erschien sein vielgelobtes Buch «Die neue Weltunordnung».

Teil eins Wurzeln


1. Pessimismus


Die erste Wurzel, die die rechte Weltsicht bestimmt, ist ein tief sitzender Pessimismus. Statt einer Welt, in der sich Wohlstand und Freiheit immer weiter ausbreiten, sehen Rechte in jeder erfolgreichen und aufstrebenden Gesellschaft eine, die am Ende an sich – oder anderen – scheitert. Fortschritt ist aus ihrer Sicht zwar möglich, aber niemals von Dauer.

Selbst die Rhetorik von Donald Trump lässt sich auf diese Weise erklären. Das Bild, das der ehemalige Präsident in seinem Wahlkampf im Jahr 2016 von den USA zeichnete, ging weit über die in solchen Wettbewerben übliche Kritik hinaus. Er beschrieb die Vereinigten Staaten in bitteren Tönen als ein Land im Niedergang – vom Ausland nicht mehr respektiert, eine Volkswirtschaft auf dem absteigenden Ast und eine Gesellschaft, die von Drogen, Kriminalität und illegalen Einwanderern zerfressen ist. Genauso dramatisch klang auch seine Antrittsrede im Januar 2017. Darin sprach er von «Müttern und Kindern, die in unseren Innenstädten in Armut gefangen sind; verrosteten Fabriken, die wie Grabsteine über die Landschaft unserer Nation verstreut sind; (…) Kriminalität, Gangs und Drogen, die zu viele Leben gestohlen haben». Das gegenwärtige Amerika, so Trump, sei ein einziges, riesiges «Gemetzel».[26]

Viele der Politikerinnen und Politiker, die während der Rede hinter Trump saßen, konnten nicht glauben, was sie da hörten. Antrittsansprachen in den USA sind in aller Regel optimistisch und versöhnlich; eine Chance, die harten Auseinandersetzungen des Wahlkampfs hinter sich zu lassen. Doch Trump tat das Gegenteil. Er präsentierte eine dunkle, nahezu depressive Vision seines Landes, die wenig Grund zur Hoffnung gab und alle Erfolge, die unter seinem Vorgänger Barack Obama erzielt worden waren, in ihr Gegenteil verkehrte. Der vormalige Präsident George W. Bush, wie Trump Republikaner, meinte: «Was für ein seltsamer Scheiß!»[27]

Eine der wahrscheinlichsten Quellen für Trumps Pessimismus ist Steve Bannon, sein damals wichtigster Berater und Wahlkampfmanager. Bevor er für Trump zu arbeiten begann, hatte Bannon als Investmentbanker und Filmproduzent ein Vermögen gemacht und anschließend die Leitung der konservativen Online-Plattform Breitbart übernommen. Zeit seines Lebens beschäftigte er sich außerdem intensiv mit Philosophie, hatte großes Interesse an nichteuropäischen Religionen und kam auf diese Weise in Berührung mit dem sogenannten Traditionalismus – einer obskuren, extrem rechten Strömung, die Esoterik mit einer harschen Kritik an der Moderne verbindet.[28]

Grundidee des Traditionalismus ist, dass alle Zivilisationen von einer «Ur-Zivilisation» abstammen, die – je nach Interpretation – in der Arktis, im mythischen Atlantis, in Indien oder dem Kaukasus entstanden ist. Laut dem Historiker Mark Sedgwick glauben Traditionalisten an eine Philosophia perennis, einen Kern ewiger Erkenntnis, der allen Religionen gemein ist.[29] Ihr Vordenker ist der französische Philosoph René Guénon (1886–1951), der die Theorie vertrat, dass Geschichte in Zyklen verläuft und jeder Zyklus aus vier Zeitaltern – golden, silbern, bronzen und eisern – besteht. Das Zeitalter seit Beginn der Modernen entspricht seiner Auffassung nach einem «eisernen» Zeitalter – dem hinduistischen Kali Yuga –, was bedeutet, dass sich die Menschheit im Niedergang befindet und es in absehbarer Zukunft keine Chance gibt, Zugang zu den wahren, spirituellen Werten der Philosophia perennis zu erlangen.[30]

Ein entscheidender Aspekt des Traditionalismus besteht in dem, was Sedgwick «Inversion» nennt: die Umkehrung von allem, was Anhängern der liberalen Moderne als gut und positiv erscheint, in ihr Gegenteil.[31] Aus Sicht der Traditionalisten ist gesellschaftliche Vielfalt keine Stärke, sondern Wurzel von Gewalt und Chaos; Wissenschaft verbessert nicht die Welt, sondern verursacht seelische Entwurzelung; und Demokratie macht Gesellschaften nicht gerechter, sondern widerspricht der von Gott gegebenen Ordnung. Zwar sind Leute wie Bannon weit davon entfernt, alle Aspekte moderner Gesellschaften abzulehnen, doch drückt sich in ihren Vorstellungen eine tiefe Skepsis gegenüber der zentralen Idee der liberalen Moderne aus – dass Fortschritt positiv und unvermeidbar sei.

Historisch gesehen ist der Traditionalismus eine obskure Ideologie mit wenigen, meist zerstrittenen Unterstützern. Immer wieder gab es allerdings auch Traditionalisten, die sich ihren Weg in mächtige Positionen gebahnt haben. Ein oft genanntes Beispiel ist der russische Nationalrevolutionär Alexander Dugin, ein Berater von Präsident Wladimir Putin.[32] Und auch Bannon bekannte sich mehrfach zu der Ideologie und ihren Vordenkern.[33] Sein Biograf ist deswegen davon überzeugt, dass Trumps apokalyptische Vision von ihm stammt: «Jeder, der mit Guénons Traditionalismus vertraut ist», so der Journalist Joshua Green, «erkennt in dem Schreckgespenst, das Trump aus marodierenden Einwanderern, muslimischen Terroristen und dem Zusammenbruch der nationalen Souveränität konstruiert, die Zeichen eines dunklen Zeitalters – des Kali Yuga[34]

Im Folgenden wird gezeigt, dass die Traditionalisten nicht die einzigen Rechten sind, die den Lauf der Geschichte als Abfolge historischer Zyklen verstehen und in der liberalen Moderne ein Zeitalter der Dekadenz sehen. Eng damit verbunden ist ein Menschenbild, das nicht menschliche Stärken, sondern Fehler, Schwächen und Laster in den Vordergrund stellt. Fortschritt ist unter diesen Bedingungen nur vorübergehend und birgt in sich die Voraussetzungen für den unvermeidbaren Niedergang. Ein ums andere Mal stellte sich für Rechte deshalb die Frage, welchen Ausweg es aus der «Pessimismusfalle» gibt – und Trump war, je nach Interpretation, eine der Antworten.

Zyklentheorien


Geschichtliche Zyklentheorien sind älter als die Fortschrittsidee, und Guénon hat nicht ganz unrecht, wenn er in ihnen eine Art «ewige Erkenntnis» sieht. Die ersten Theorien, die Geschichte in mehrere, sich wiederholende Phasen einteilten, lassen sich bis ins babylonische Zeitalter im zweiten Jahrtausend vor Christus zurückverfolgen.[35] Beispiele finden sich nicht nur in den von Guénon zitierten hinduistischen Texten, sondern auch bei dem griechischen Historiker Thukydides (ca. 454–399 v. Chr.) und sogar bei dem chinesischen Historiker Sima Qian (ca. 145–90 v. Chr.).[36]

Wenn auch sehr unterschiedlich mit Blick auf Ablauf und Länge der Zyklen, so basierten die meisten dieser Theorien auf intensiver Beobachtung von Tagesabläufen, Jahreszeiten und der Bewegung von Sternen. Es erforderte keine höhere Erkenntnis, um zu verstehen, dass natürliche Prozesse nach immer gleichen, sich wiederholenden Rhythmen abliefen. Dies galt insbesondere für Pflanzen, Tiere und Menschen: Sie kamen zur Welt, blühten auf, reiften, und am Ende starben sie. Hieraus wurde gefolgert, dass es sich mit dem gesamten Universum genauso verhalte: Menschliche Gesellschaften seien Teil eines gigantischen Kreislaufs, der mit ihrer Geburt und Blütezeit beginne und mit ihrem Zerfall ende.[37] Fortschritt sei unter diesen Umständen zwar möglich, aber eben nicht – wie später vom aufklärerischen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz behauptet – «unendlich».[38]

Besonderen Einfluss auf die Vorstellungen vom Zerfall des Universums hatten die Ideen des griechischen Philosophen Platon (428–348 v. Chr.). Genauso wie seine Vorgänger war Platon von planetarischen Laufbahnen fasziniert. Er spekulierte, dass sich Planeten in zwei unterschiedliche Richtungen bewegten und es bei jedem Richtungswechsel zu einer Katastrophe komme, die zur Vernichtung allen Lebens führe. Hierdurch, so Platon, setze sich anschließend ein neuer Kreislauf in Gang, an dessen Anfang paradiesische Zustände und ein «Goldenes Zeitalter» stünden.[39] Diesen Gedanken nahmen später die Stoiker auf. Mit ihnen verbreitete sich die Vorstellung eines kosmischen Feuers – eines «Weltenbrands» –, das zunächst Zerstörung verursache und anschließend zur Wiedergeburt (palingenesis) führe. Dem Religionswissenschaftler Mircea Eliade zufolge waren solche Ideen während der Hochphase der griechisch-römischen Kultur sehr populär.[40] Und bis heute ist die Idee einer «nationalen Wiedergeburt» bei vielen, meist rechtsextremen Parteien ein wichtiges Leitmotiv – wenn auch oftmals ohne konkreten Bezug auf die Antike.

Vielen Vertretern von historischen Zyklentheorien, die ihre Vorstellungen in den darauffolgenden Jahrhunderten artikulierten, ging dies allerdings nicht weit genug. Auch wenn sie die zugrunde liegende Prämisse – nämlich den Aufstieg und Niedergang von Zivilisationen – akzeptierten, waren sie mit der «kosmologisch» fundierten Begründung nicht zufrieden. Stattdessen suchten sie nach Erklärungen im menschlichen Verhalten und endeten oftmals mit Hypothesen, die menschlichen Fortschritt als Grund und Ursache für den anschließenden Zerfall...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Angst • Chauvinismus • Deutsche Zeitgeschichte • Fremdenfeindlichkeit • Front National • Großer Austausch • Hanau • Hass • Identitäre Bewegung • Ideologie • Nationalismus • Nationalsozialismus • Neonazis • Neue Rechte • Populismus • Rechtsextremismus • Rechtsradikalismus • Reichsbürger • Ressentiment • Sachbuch Bestenliste • sachbuch politik • Verschwörungstheorien • Völkische Bewegung • Xenophobie
ISBN-10 3-644-01698-4 / 3644016984
ISBN-13 978-3-644-01698-9 / 9783644016989
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