Selbstliebe. Über Herkunft und Gerechtigkeit (eBook)
288 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0626-0 (ISBN)
What's Love Got to Do with It? - Warum Liebe(n) eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist
»Dieses Buch, das sich mit der aktuellen Bedeutung der Liebe im Leben der Schwarzen befasst und eine Vorlage für das Überleben und die Selbstbestimmung der Schwarzen bieten soll, führt uns kühn zum Kern der Sache. Uns selbst mit Liebe zu begegnen, unser Schwarzsein zu lieben, ermöglicht uns allen, zur wahren Bedeutung von Freiheit, Hoffnung und einem Leben voller Möglichkeiten zurückzufinden.«
In »Selbstliebe« entwickelt bell hooks das Fundament für eine Gemeinschaft, in der Schwarze sowie alle anderen dem Schwarzsein voller Liebe begegnen können. Welche Rolle spielt die Liebe für den politischen Widerstand? Wie konnte der Diskurs über Liebe im Zuge der Befreiungsbewegungen deren Wert für eine selbstbestimmte Schwarze Identität torpedieren? Wie kann die Entscheidung, zu lieben, wieder als Akt der Befreiung erfahrbar werden? Und wie können wir unsere Kultur der Lieblosigkeit überwinden?
Ob es um das Erbe der Sklaverei, die Bedeutung von Ehe und Beziehung oder um den großen Einfluss der Kunst, Medien und Politik geht, bell hooks eröffnet uns einen klaren Blick auf das Machtgefüge, das bestimmt, wie wir uns selbst und andere lieben.
»Wenn eine so wahrheitsliebende und umsichtige Autorin wie bell hooks ein Buch veröffentlicht, möchte ich draußen vor der Tür der Buchhandlung stehen, wenn sie öffnet.«
Maya Angelou, Autorin des Bestsellers »Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt«
BELL HOOKS, geboren am 25. September 1952 als Gloria Watkins in Hopkinsville, Kentucky, war eine US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Aktivistin. Seit den 1970er-Jahren zählt sie zu den bedeutendsten Stimmen für Frauen- und Bürgerrechte. Sie unterrichtete u. a. an der Yale-Universität und am Oberlin College und lehrte zuletzt als Professorin am Berea College, Kentucky. bell hooks ist der Name ihrer indigenen Großmutter und war ihr Pseudonym. bell hooks starb am 15. Dezember 2021 in Kentucky.
Vorwort
Liebe ist unsere Hoffnung
Liebe und Tod stellten die großen Mysterien meiner Kindheit dar. Wenn ich mich nicht geliebt fühlte, wollte ich sterben. Mit dem Tod würde das traumatische Gefühl verschwinden, nicht gewollt, fehl am Platz zu sein, nie irgendwo hinzugehören. Ich wusste schon damals, dass die Liebe dem Leben eine Bedeutung verleiht. Mich beunruhigte nur, dass nichts von dem, was ich über die Liebe hörte, zu der Welt um mich herum passte. In der Kirche lernten wir, dass die Liebe friedlich, gütig, nachsichtig, erlösend und treu sei. Und dennoch schienen alle Beziehungen von Problemen geprägt zu sein. Schon als Kind brachte mich die Diskrepanz zwischen dem, was die Leute über die Liebe sagten, und dem, wie sie sich verhielten, zum Grübeln.
Als junge Frau, die hoffte, Liebe zu finden, war ich enttäuscht von den Beziehungen, die ich erlebte, und beunruhigt von meinen eigenen Bemühungen. Obwohl ich in einer Zeit zur Frau heranwuchs, in der es viel um freie Liebe und offene Ehen ging, träumte ich davon, einen Partner für den Rest meines Lebens zu finden. Meine Vorstellungen von der Ehe waren vom Verhältnis meiner Großeltern mütterlicherseits geprägt, die mehr als fünfundsiebzig Jahre lang zusammen gewesen waren. In einem Essay über ihre Beziehung mit dem Titel »Inspired Eccentricity« (dt. »Geniale Exzentrik«) beschrieb ich, wie unterschiedlich die beiden waren, und trotzdem war ihr Verhältnis zueinander von dem geprägt, was der Psychologe Fred Newman als »radikale Akzeptanz« bezeichnet. Ihnen gelang die ungewöhnliche Mischung aus Zusammensein und Unabhängigkeit, die gesunde Beziehungen ausmacht, jedoch schwer zu erreichen ist. Ich selbst habe sie bisher nicht gefunden, die Suche aber noch nicht aufgegeben.
Seit meiner Studienzeit bis heute halten es die meisten Menschen, denen ich begegne, für albern und naiv, eine lebenslange Beziehung anzustreben. Immer wieder werden die hohen Scheidungsraten und die alltäglichen Trennungen homo- und heterosexueller Paare angeführt als Beweis dafür, dass es einfach kein realistischer Wunsch sei, das ganze Leben mit einem Menschen zu verbringen. Viele dieser Menschen sind zynischerweise davon überzeugt, dass Paare, die länger als zwanzig Jahre zusammen sind, im Normalfall unglücklich sind oder einfach nebeneinanderher leben. Auf viele Ehen trifft das sicherlich zu (meine Eltern sind seit fast fünfzig Jahren zusammen, waren aber niemals glücklich miteinander). Doch es gibt Paare, für die es das reinste Glück ist, ein ganzes Leben miteinander zu verbringen. Ihre Bande stehen genauso sehr dafür, was realistisch und möglich ist, wie die vielen kaputten und zerrütteten Beziehungen.
Ich lernte durch das Vorbild meiner Großeltern, dass eine beständige, von Freude erfüllte Beziehung zwischen zwei Menschen nicht bedeutet, dass es keine Tiefschläge oder schwierigen Zeiten gäbe. In meinem ersten Buch über Liebe – Alles über Liebe: Neue Sichtweisen – betone ich immer wieder, dass Liebe nicht das Ende aller Probleme bedeutet, sondern uns die Kraft verleiht, sie konstruktiv anzugehen. Jenes Buch ist, wie auch dieses hier, Anthony gewidmet, mit dem ich damals lange Gespräche über das Wesen der Liebe führte (und immer noch führe). Als Mann Mitte dreißig, dessen Eltern sich trennten, als er ein Kind war, kann er sich keine lebenslang andauernde Beziehung vorstellen. Schon der Gedanke daran kommt ihm »seltsam« vor. Er lernt erst durch eigene Erfahrung, darauf zu vertrauen, dass beständige Bindungen geschätzt und gepflegt werden sollten.
Es tut Liebesbeziehungen gut, wenn man stetig an ihnen arbeitet. Konstanz inmitten von Wandel stärkt jede Verbindung. Sowohl in Liebesbeziehungen als auch in Freundschaften genieße ich es, Veränderungen mit geliebten Menschen zu erleben und zu sehen, wie wir uns entwickeln. Was ich dabei empfinde, ist vergleichbar der Freude und dem Staunen, wie es liebevolle Eltern verspüren, wenn sie miterleben, dass ihre Kinder unzählige Veränderungen durchlaufen. Einen langjährigen Partner zu haben, der sowohl an unserem Wachstum teilnimmt als auch dessen Zeuge ist, zählt zu den größten Freuden der Liebe. Ich feiere die beständige Liebe in Alles über Liebe – Neue Sichtweisen, einem Werk, in dem es um die allgemeine Bedeutung von Liebe in unserer Gesellschaft geht und darum, was wir über Liebe wissen sollten.
Als ich während der Lesereise zum Buch in staatlichen Schulen auftrat, erschreckte es mich immer wieder, wenn Schwarze Kinder aller Altersstufen voller Überzeugung erklärten, dass die Liebe gar nicht existiere. Es erschütterte mich ein ums andere Mal bis ins Mark, dass junge Schwarze mit Nachdruck erklärten: »So etwas wie Liebe gibt es nicht.« In Alles über Liebe definiere ich Liebe als eine Kombination aus Fürsorge, Wissen, Verantwortung, Respekt, Vertrauen und Hingabe. Wenn man sich anschaut, wie zynisch unsere Nation in Bezug auf die Liebe geworden ist, überrascht es nicht groß, dass die allgegenwärtige Lieblosigkeit, von der ich spreche, am stärksten die Herzen von Kindern prägt, und zwar besonders die Herzen der Schwarzen Jungen und Mädchen, die von der Gesellschaft kollektiv übergangen, vernachlässigt oder unsichtbar gemacht werden. Dieses Gefühl brachten sie ganz offen zum Ausdruck. Wenn die Dramatikerin Lorraine Hansberry von weißen Kritikern, die kein Verständnis für die Notwendigkeit militanter Proteste hatten, nach dem antirassistischen Kampf gefragt wurde, antwortete sie häufig, dass »die Akzeptanz unserer aktuellen Lebensumstände die einzige Form des Extremismus ist, die uns unseren Kindern gegenüber diskreditiert.« Wenn ich vor Schwarzen Kindern stehe, die mir mit klarer, emotionsloser, unbewegter Stimme erklären, dass es keine Liebe gebe, zeigt mir das unser kollektives Versagen als Nation – und als Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner –, eine Welt zu erschaffen, in der wir alle Liebe erfahren können. Dieses Buch ist eine Reaktion auf diesen krisenhaften Liebesmangel. Es fordert uns dazu auf, voller Mut für die Liebe zu sorgen, die unsere Kinder brauchen, um ein wahrhaft gutes und erfülltes Leben zu führen.
Als die weißen Siedlerinnen und Siedler im Verlauf unserer Geschichte afrikanische Menschen durch systematische Zwangsarbeit und Versklavung kolonialisierten, rechtfertigten sie ihre rassistischen Taten durch die Behauptung, Schwarze seien keine vollwertigen Menschen. Dabei zogen sie vor allem Belange des Herzens, der Liebe und Fürsorge als Beispiele dafür heran, dass Schwarze weniger menschlich seien und uns die Bandbreite an Emotionen fehle, die unter zivilisierten Menschen als Norm galt. Laut dieser rassistischen Denkweise waren die versklavten Afrikanerinnen und Afrikaner unfähig zu tief reichenden Empfindungen und noblen Emotionen. Da Liebe als ein solches nobles Gefühl angesehen wurde, ging man davon aus, dass Schwarze nicht in der Lage seien, jemanden zu lieben.
Nach dem Ende der Sklaverei wurden viele der rassistischen Stereotype, die dazu gedient hatten, Schwarze herabzuwürdigen und auszugrenzen, infrage gestellt. Doch ob Schwarze fähig waren, Liebe und andere tief reichende, komplexe Gefühle zu empfinden oder nicht, galt weiterhin als umstritten und blieb Thema vieler heißer Debatten. Anfang des 20. Jahrhunderts fingen Schwarze Intellektuelle an, sich damit auseinanderzusetzen, ob die entmenschlichenden Auswirkungen des rassistischen Terrors und der Misshandlungen die Schwarzen in Sachen Liebe versehrt hätten. Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie Richard Wright, Zora Neale Hurston, Ann Petry, Lorraine Hansberry und James Baldwin beleuchteten das Thema Liebe sowohl in ihren fiktionalen als auch in ihren nichtfiktionalen Texten.
Wie Hurstons Roman Vor ihren Augen sahen sie Gott zeigte, war Liebe unter den Armen und Unterdrückten nicht nur möglich, sondern eine notwendige und wesentliche Lebenskraft. Ann Petry zeichnete in ihrem provokanten Protestroman Die Straße hingegen ein Bild der heterosexuellen Liebe, dem zufolge Schwarze Männer Schwarze Frauen durch sexuelle Objektifizierung und Manipulation hintergehen. Opportunistische Gier verführt den Schwarzen Helden dazu, die Integrität der Schwarzen Frau, die ihn liebt, anzugreifen und zu missachten. Wright bot der Welt in seinem Protestroman Sohn dieses Landes ein Bild vom Schwarzsein, das es einer Entmenschlichung, einer Abwesenheit von Gefühlen gleichsetzte. Die Hauptfigur Bigger Thomas verkörpert eine derart unerbittliche Lieblosigkeit, dass es bei den Schwarzen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich darum bemühten, gegen genau diese und ähnliche Bilder in der Vorstellungswelt der Weißen anzukämpfen, Entsetzen auslöste.
In seiner Autobiografie Black Boy stellte Wright die Behauptung auf, viele Schwarze Menschen seien derart entmenschlicht worden, dass der fortdauernde rassistische Genozid uns verletzt und uns dort, wo wir eigentlich Liebe hätten spüren sollen, eine unheilbare Wunde zugefügt habe. Baldwin und Hansberry übten scharfe Kritik an diesem eindimensionalen Bild der Schwarzen Erfahrung. In Nobody Knows My Name erklärte Baldwin: »Ich bin der Meinung, dass die Rolle Schwarzer Menschen im Leben der Amerikaner etwas mit unserem Verständnis von Gott zu tun hat […] Bei Gott zu sein bedeutet, eine enorme, überwältigende Sehnsucht zu verspüren, eine Freude und Kraft, die wir nicht kontrollieren können, sondern die uns kontrolliert. Ich stelle mir mein Leben als eine Reise vor hin zu einem Ziel, das ich nicht verstanden habe, das mich auf dem Weg dorthin aber zu einem besseren Menschen macht. Ich betrachte Gott genau genommen...
Erscheint lt. Verlag | 22.8.2023 |
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Übersetzer | Elisabeth Schmalen |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | salvation |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | antirassistisches Grundlagenwerk • Black Power • Buch über schwarzen Feminismus • Buch über Schwarzsein in den USA • eine neue Ethik der Liebe • feministische Bestseller • Gender-fragen • Intersektionaler Feminismus • Klassengesellschaft • Klassiker Feminismus und Antirassismus • neues Buch von bell hooks • Sister Outsider • Vordenkerin Schwarzer Feminismus und Antirasismuss in den USA • why we matter |
ISBN-10 | 3-7499-0626-2 / 3749906262 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0626-0 / 9783749906260 |
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Größe: 543 KB
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