Pathologie des Wohlstands -  Emil Kowalski

Pathologie des Wohlstands (eBook)

Bewährungsprobe der liberalen Demokratie
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
179 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043446-2 (ISBN)
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Schwere Zeiten stehen uns bevor. Auf den erreichten Wohlstand möchten wir nicht verzichten, durch die Klimaentwicklung könnten wir uns aber dazu gezwungen sehen. Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und Putins Ukraine-Krieg machen die Situation nicht einfacher. Die Lösungen, die uns die Politik präsentiert, überzeugen nicht. Die Gesellschaft ist polarisiert. Einige meinen, dass ein breit verteilter Wohlstand eine konstituierende Voraussetzung für die liberale Demokratie ist. Der Klimakrise sollten wir ohne Abstriche am Lebensstandard begegnen, mit allen verfügbaren Technologien. Andere lasten die vorliegenden Probleme dem Kapitalismus und seiner energieintensiven Industrie an. Sie suchen die Lösung im Ideal des Menschen als Beschützer einer romantisch überhöhten Natur und Tierwelt, und sind bereit, diese Ziele zur Not auch über die demokratischen Freiheiten zu stellen. In seinem aufrüttelnden Essay analysiert Emil Kowalski die Wurzeln dieser Kontroverse unter verschiedenen Aspekten. Seiner Meinung nach trägt die Situation die Züge eines ideologisch-religiösen Konflikts, eines ökologischen 'clash of cultures'. Und solche Konflikte sind nicht durch symmetrische Kompromisse zu lösen, sondern nur durch das Setzen klarer Prioritäten - das Klima wird so zur Gretchenfrage der liberalen Demokratie. Eine Pflichtlektüre für alle, denen der Erhalt der demokratischen Freiheiten am Herzen liegt!

Dr. Emil Kowalski ist Physiker, bewandert auf den Gebieten der Energie, Entsorgung und Umwelt. Er war in diversen gesellschaftspolitischen Gremien tätig.

Dr. Emil Kowalski ist Physiker, bewandert auf den Gebieten der Energie, Entsorgung und Umwelt. Er war in diversen gesellschaftspolitischen Gremien tätig.

Vorwort


Das Neue an jedem ›Anti‹ erschöpft sich in einer leeren Gebärde der Verneinung, und sein positiver Gehalt ist nur – eine Antiquität. José Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen.

Wollten Chinesen im Ming-Reich unliebsame Menschen verfluchen, so wünschten sie ihnen angeblich »Möget ihr in interessanten Zeiten leben«. Ob diese Anekdote wahr oder apokryph ist, jedenfalls kontrastiert sie mit Goethes Ansicht, nichts sei schwerer zu ertragen als »eine Reihe von schönen Tagen«. Da irrte der Geheimrat, schöne Tage sind leichter zu ertragen als eine Reihe interessanter Katastrophen.

Nach Jahrzehnten alles in allem ruhiger und schöner Nachkriegszeit der laufend steigenden Prosperität, unterbrochen nur durch kurze Aufregungen unserer sensationslüsternen Medien, sind wir in eine interessante Zeit mehrfacher Krisen geraten. Die als sicher geglaubten Grundlagen unseres Wohlergehens erweisen sich plötzlich als fragil. Unversehens müssen wir um unsere Energieversorgung Angst haben, der coronabedingte Zusammenbruch der Lieferketten gefährdet die Bereitstellung der wichtigsten Güter des täglichen Bedarfs, kriegerische Verwicklungen, die lange weit weg von den Oasen unserer friedlichen Existenz wüteten, erreichten mit der Ukraine den Rand von Europa. Das politische Leben unserer liberalen Demokratien wird zunehmend ›interessanter‹.

Leben wir in einer Zeitenwende, wie gerne proklamiert wird, oder ist dieses bedeutungsschwangere Wort zu viel für die Aufregungen der Gegenwart? Wenn nicht alles täuscht, befinden wir uns jedenfalls in einer Periode außerordentlich schwerer Herausforderung der liberalen Demokratie. Unsere Staatsordnung wird einer Bewährungsprobe unterzogen, vergleichbar mit dem Marxismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nur diesmal kaschiert mit einem lieblich grünen Mäntelchen. Die Frage werden erst die Historiker der nächsten Generation schlüssig beantworten können – wir Heutigen können nur unsere Irrtümer auflisten und versuchen, unsere Erwartungen an die Zukunft zu formulieren. Werden wir uns der Herausforderung stellen, finden wir realistische Lösungen für die angehäuften Probleme unserer Zeit?

Die herrschende Krise ist nicht nur durch handfeste technische, wirtschaftliche und ökologische Probleme bedingt, sie trägt die Züge eines ideologisch-religiösen Konflikts. Auf der einen Seite steht das Anliegen der Wahrung des liberal-demokratischen Menschenrechts auf das individuelle Streben nach Glück und Wohlbefinden, das Ur-Anliegen unserer demokratischen Wohlstandsgesellschaft. Der Anspruch soll trotz Klimakrise durch die Mittel einer ökologisch ›mutierten‹ Technologie und Wirtschaft ermöglicht werden, ohne schmerzhafte Einbußen am erreichten Lebensstandard. Auf der anderen Seite haben wir eine Denkweise, welche die vorliegenden Probleme dem herrschenden Wirtschaftssystem des sozial-demokratisch eingehegten Kapitalismus und seinen energieintensiven Technologien anlastet. Diese Denkweise sucht ihre Lösung im Ideal des Menschen als Beschützer einer romantisch überhöhten Natur und Tierwelt und ist zur Erreichung dieser Ziele auch zu dirigistischen Maßnahmen und zu obrigkeitlichen Vorgaben des zulässigen Glücks und Wohlbefindens bereit – in diametraler Abkehr vom demokratisch verbrieften Recht auf das pursuit of happiness. Pragmatik stößt auf Ideologie.

Europa ist immer dann gut gefahren, wenn es sich auf die mesotes des Aristoteles besonnen hat, auf die goldene Mitte, auf einen tragfähigen Kompromiss. Weder der extreme Raubtier-Kapitalismus noch ein totalitärer Kommunismus führten zu einem politisch akzeptablen und wirtschaftlich leistungsfähigen System, sondern die Wandlung des Kapitalismus zur sozialen Marktwirtschaft der liberalen Demokratie, mit besserer Berücksichtigung des Postulats der Gleichheit. Es ist klar, dass weder ein kompromissloser Naturidealismus der radikalen Anbeter der Photovoltaik noch die extreme Technologiehörigkeit der Befürworter der Kernkraft zum Ziel führen werden, sondern nur ein Ausgleich der beiden. Ist eine aristotelische Mitte erreichbar?

Wir haben es heute mit einem genuinen clash of cultures zu tun, und solche sind nicht durch symmetrische Kompromisse zu lösen. Auch wenn sich die Seiten annähern, bleibt stets eine der beiden führend. 1991 siegte die liberale Demokratie – der real existierende Sozialismus hat abgedankt, und Herr Fukuyama konnte vom ›Ende der Geschichte‹ träumen. In diesem Essay versuche ich den Gründen nachzugehen, warum wir auch diesmal der liberalen Demokratie, der freien Marktwirtschaft und einer primär technologischen Lösung Vorrang einräumen müssen. Die manifesten Kulturunterschiede der beiden Seiten sind der Grund, warum es bisher zu keinem sinnvollen und damit auch strategisch wirksamen Kompromiss gekommen ist. Die langen Zeitkonstanten einer kulturellen Änderung machen dies zwar verständlich, aber die Zeit drängt – die heute schon schmerzhaft spürbaren meteorologischen Auswirkungen der Klimaänderung warten nicht und erfordern zügiges Handeln. Bisher hat sich primär die bürgerliche Mitte der Gesellschaft bewegt, zum Teil weit über das Zweckmäßige hinaus, die ideologisch erstarrte grüne Linke wird bald nachziehen müssen.

Statt des heute herrschenden Mangels an grundlastfähigen karbonfreien Energien werden wir für eine wahre Überschwemmung mit erschwinglicher, rund um die Uhr verfügbarer sauberer Elektrizität sorgen müssen, damit der Umbau der Wirtschaft und Industrie auf ökologisch unbedenkliche Alternativen in der notwendig kurzen Zeit gelingt. Neben der Lösung und Beherrschung aller anderen Krisen unserer ›interessanter‹ Gegenwart, wohlgemerkt.

In der Auseinandersetzung mit der Problematik versuchte ich auf Zahlen zu verzichten, und mich stattdessen auf eine grundsätzliche, qualitative Argumentation zu stützen. Es gibt genügend Literatur, voll von wichtigen Diagrammen und Tabellen über die zahlenmäßige Seite des Problems. Zahlen spielen aber bei weltanschaulichen Fragen selten eine Rolle – man glaubt bekanntlich nur den Statistiken, die man selbst gefälscht hat. Ich bekenne, dass ich als Physiker überrascht war, wie weit man mit einigen wenigen quantitativen Angaben kommt.

Bei jeder Analyse global-historischer Probleme darf man nicht vergessen, dass man stets den Kenntnisstand, die Perspektive der Gegenwart hat und dementsprechend betroffen reagiert. Jede Generation ist bei ihrer Geburt in eine gefühlt ›fertige Welt‹ getreten, einem Kind ist die Vorstellung einer Entwicklung noch nicht zugänglich. In unserer Wohlstandsgesellschaft empfinden die allermeisten Kinder die vorgefundene Welt als gut, als angenehm, jedenfalls als einfach gegeben. Erst mit der Adoleszenz sieht man plötzlich die Fehler und Probleme der Gesellschaft und entwickelt einen Heißhunger, den unerträglichen Zustand zu verbessern – das ist der ewige Kampf der Generationen. Man kämpft für eine bessere Welt – und realisiert nicht, dass diese neue Welt in den Augen der nächsten Generation wieder zur alten Welt der ewig gleichen, ewig neuen Unvollkommenheiten wird. Es ist angeblich das Vorrecht der Alten, weise zu sein in dem Sinne, dass sie diesen Kreislauf durchschauen. Dass sie zur klassischen Erkenntnis des panta rhei kommen, des ewigen Flusses der Zeit, und zur Einsicht, dass ein jedes Paradies nur ein Paradies der mannigfachen Unvollkommenheiten sein kann.

Wenn nicht alles täuscht, steht unsere Gesellschaft nicht nur vor den üblichen Problemen eines Kampfes Neu gegen Alt. Wir müssen vielmehr eine bestehende Zivilisation, das Ergebnis einer über zweihundertjährigen Entwicklung auf eine neue, CO2-freie Basis stellen – es geht um die Neuerfindung unserer Zivilisation in einer umweltgerechten Version. Und das innerhalb einer einzigen Generation. Das ist ein Einschnitt, der die Bezeichnung ›Paradigmenwechsel‹ wirklich verdient. Dabei gilt es, nicht in die Aufregung eines besserwisserischen Aktivismus zu verfallen, sondern die Gelassenheit derjenigen zu behalten, die nicht nur laut aufbegehren, sondern die Probleme unaufgeregt angehen und lösen wollen. Dieses Büchlein soll dazu ein wenig beitragen.

* * *

Das vorliegende Essay baut auf meinen früheren Veröffentlichungen auf, in denen ich dem Missverhältnis zwischen dem begrenzten Wissen des Menschen als Teilnehmer der technisch-industriellen Zivilisation und der Fülle der Artefakte und organisatorischer Strukturen nachgegangen bin, mit welchen ihn seine Zivilisation ausstatten kann – ohne dass er die magische Welt hinter den Drucktasten und anderen Bedienungselementen seiner Apparate und den Mechanismen des heutigen Wohlfahrtsstaates verstehen muss und kann. Den Anstoß...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2023
Zusatzinfo 1 Abb.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Demokratie • Energieversorgung • Energiewende • Gesellschaft • Klimamaßnahmen • Klimapolitik • Klimaschutz • Klimawandel • Krisenbewältigung • Liberalismus • Problemlösen • Verzichtkultur
ISBN-10 3-17-043446-2 / 3170434462
ISBN-13 978-3-17-043446-2 / 9783170434462
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