Die Reue des Prometheus (eBook)

Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung
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2023 | 1., Originalausgabe
80 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-77672-8 (ISBN)

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Die Reue des Prometheus - Peter Sloterdijk
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Von jeher muss der Mensch seinen »Stoffwechsel mit der Natur« organisieren. Für Marx war der wichtigste Faktor dabei die Arbeit. Als Prometheus, dem Mythos zufolge, das Feuer auf die Erde brachte, kam ein weiterer entscheidender Input hinzu. Seit Hunderttausenden Jahren wird es genutzt, um Nahrung zu garen und Werkzeuge zu härten. In diesem Sinne lässt sich sagen: Alle Geschichte bedeutet die Geschichte von Applikationen des Feuers.
Doch wo Bäume sich vormals nur je einmal verbrennen ließen, verschoben sich die Gewichte der Faktoren Arbeit und Feuer mit der Entdeckung unterirdischer Lagerstätten von Kohle und Öl. Die moderne Menschheit, so Peter Sloterdijk, kann als ein Kollektiv von Brandstiftern gelten, die an die unterirdischen Wälder und Moore Feuer legen. Kehrte Prometheus heute auf die Erde zurück, würde er seine Gabe womöglich bereuen, schließlich droht nicht weniger als die Ekpyrosis, der Untergang der Welt im Feuer. Die Katastrophe verhindern kann nur ein neuer energetischer Pazifismus.



<p>Peter Sloterdijk wurde am 26. Juni 1947 als Sohn einer Deutschen und eines Niederländers geboren. Von 1968 bis 1974 studierte er in München und an der Universität Hamburg Philosophie, Geschichte und Germanistik. 1971 erstellte Sloterdijk seine Magisterarbeit mit dem Titel <em>Strukturalismus als poetische Hermeneutik</em>. In den Jahren 1972/73 folgten ein Essay über Michel Foucaults strukturale Theorie der Geschichte sowie eine Studie mit dem Titel <em>Die Ökonomie der Sprachspiele. Zur Kritik der linguistischen Gegenstandskonstitution</em>. Im Jahre 1976 wurde Peter Sloterdijk von Professor Klaus Briegleb zum Thema<em> Literatur und Organisation von Lebenserfahrung. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte der Autobiographie der Weimarer Republik 1918-1933</em> promoviert. Zwischen 1978 und 1980 hielt sich Sloterdijk im Ashram von Bhagwan Shree Rajneesh (später Osho) im indischen Pune auf. Seit den 1980er Jahren arbeitet Sloterdijk als freier Schriftsteller. Das 1983 im Suhrkamp Verlag publizierte Buch <em>Kritik der zynischen Vernunft</em> zählt zu den meistverkauften philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts. 1987 legte er seinen ersten Roman <em>Der Zauberbaum</em> vor. Sloterdijk ist emeritierter Professor für Philosophie und Ästhetik der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und war in Nachfolge von Heinrich Klotz von 2001 bis 2015 deren Rektor.</p>

14B
Sklavenarbeit und Arbeit überhaupt


Die lange Nacht der Prähistorie ging in das Zwielicht der geschichtlichen Zeit über, als die Jäger und Sammler archaischer Welten zu der folgenschweren Entdeckung gelangten, die Jagd auf tierische Beute lasse sich zur Jagd auf menschliche Beute ausweiten. Deren Folge ist die Etablierung der Sklaverei – einer Institution, die über lange Zeiten parallel mit der Haltung der Nutztiere bestand. Auch der Umgang mit Tieren wurde in jener Dämmerungszeit von der Jagd mit Tötungsabsicht auf Hegung mit Nutzungsabsicht umgestellt, mit Folgen, die in historischer Zeit nie wieder vergehen sollten. Nun kann die primäre Stoffwechselformel: »Muskelkraft plus X« präzisiert werden. In allem, was folgt, ist zwischen eigener (herrischer) und fremder (sklavischer, nutztierischer) Muskelkraft zu differenzieren. Dies ergibt den zweiten Unterschied, der außerhalb des Symbolischen einen Unterschied macht. Neben dem pyrotechnischen Plus kommt in den frühen viehzüchterischen und in den ersten sklavenhaltenden Gesellschaften ein prägnantes Mehr an lenkbaren Muskelkräften ins Spiel; diese lassen sich für alle möglichen Ausführungshandlungen vom Typus »Arbeit« einsetzen, vor allem in der Sphäre des beginnenden Ackerbaus und in Kontexten palastwirtschaftlicher Dienste, doch auch bei der Errichtung von Tempeln und fürstlichen Grabanlagen.

Wo der Horizont der so verstandenen ursprünglichen fremdmuskulären »Arbeit« wächst, erfährt der Energiehaushalt der »Gesellschaften«, besser: der frühen Staatskonstrukte, eine explosive Erweiterung. Durch sie treten die anfänglichen Hochkulturen als Überbauungen von massenhafter sklavischer Anstrengung ins Dasein. Dabei konn15te der trügerische Schein aufkommen, die allgemeine »Arbeit«, als summierte Leistung der muskulären Aufwendungen einer Population begriffen, rücke in der Energiebilanz der despotischen Staaten an die erste Stelle, indes die Beiträge aus der Sphäre der Brennstoffe nachrangig würden. Tatsächlich setzt sich die Summe der muskulären Verausgabungen in einem frühen staatlichen oder agroimperialen System primär aus sklavischen Leistungen zusammen – sei es, daß diese durch den von Platon so genannten, zur Bewirkung des Nützlichen und Notwendigen bestimmten »Dritten Stand« erbracht werden (in dem auch die Handwerker [banausoi, demiourgói] enthalten sind), sei es, daß sie von unterworfenen »Barbaren« geleistet werden, die dem Philosophen ihrer Barbarei, das heißt ihrer Vernunftlosigkeit wegen »von Natur aus« (kata physin) als zum Sklave-Sein geeignet gelten.

Die aristotelische Definition des Sklaven als eines »belebten Werkzeugs«, in diesem Rahmen aufgefaßt, erwies sich jedoch von Anfang an als unzureichend: Es kam ja weniger auf die mechanischen Werkzeugqualitäten des Sklaven an als auf seine Beschaffenheit als anthropomorphe Muskelgruppe, somit auf seine Verwendbarkeit als erste Kraftmaschine. Die Geschichte der mechanischen Kraftanlagen (in denen ein Kraftsystem mit einem Ausführungssystem gekoppelt ist) beginnt nicht mit den zahlreichen Wassermühlen des Mittelalters und den Windmühlen, die vom 16. Jahrhundert an die Landschaften der nordeuropäischen Länder belebten (allein Holland soll mehr als 10 ‌000 Mühlen besessen haben, das Deutsche Reich 20 ‌000), auch nicht mit den Dampfmaschinen, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts an die älteren Energiesysteme überflügelten, sondern, Jahrtausende früher, mit dem Einsatz von humanoiden Biomaschinen als muskelbewegten und befehlssensiblen Erzeugern von gewünschten Effekten.

16In juristischer Hinsicht besteht das Merkmal des sklavischen Status in der Abwesenheit des Vermögens freier Selbstverfügung. Der Sklave, die Sklavin sind auch nach antiker Auffassung menschenförmige Geschöpfe, sie gelten jedoch ihren Besitzern als Automaten, bei denen gewissermaßen die Ich-Taste deaktiviert ist. Daher mangelt es ihnen an der Fähigkeit, sich selbst zu besitzen und sich selbst zu beherrschen. Sie scheinen »von Natur aus« auf Lenkung durch andere programmiert zu sein, sei es im Rahmen staatlicher Verwendungen, sei es im Kontext des zivilen Haushalts, in welchem die Sklaven den Herren unmittelbar zuhanden sind. Dem Codex Justinianus von 529 zufolge ist einem Sklaven, der seinem Herrn entläuft, der Tatbestand des »Selbstdiebstahls« (furtum sui) vorzuwerfen – ein paradoxes Verbrechen, bei dem ein und dieselbe rechtsunfähige Nicht-Person den Dieb und das Diebesgut bildet.

Zu gültigem Selbstbesitz konnten Sklaven auf legale Weise allein durch den Rechtsakt der Freilassung (emancipatio) gelangen – wörtlich: durch die »Aus-der-Hand-Gebung« von Seiten des vormaligen Herrn. Eine Massenflucht von Sklaven ließe sich eventuell durch einen Akt nachträglicher Legalisierung in Zustände relativer Freiheit überführen – sei es durch eine allgemeine Verleihung des Bürgerrechts (in Analogie zum Edikt von Caracalla 212), sei es durch eine religiöse Nachahmung der zivilen »Emanzipation«. Hierbei würde der Sklave sich von seinem irdischen Herrn lösen, um sich Christus als neuem Herrn anzugeloben. In Luthers Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520) kulminiert das christliche Paradoxon, indem die Lossagung von aller äußeren Herrschaft mit der freiwilligen Knechtschaft unter dem Liebesdienst verbunden wird – indessen die Gehorsamsschuld gegenüber der weltlichen Obrigkeit von Luther durch das latent blasphemische Argument, auch diese sei von 17Gott, erschlichen wird. In diesem Zusammenhang ist die Selbstbezeichnung des Paulus als »Sklave Christi« programmatisch folgenreich (doulos Christou: Römer 1,1 und an vier weiteren Stellen[4] ); sie enthält in nuce die Begründung einer Assoziation aus Dienern im Haus einer jenseitigen Autorität – weswegen der westliche Mensch, als Christ, immer schon als Diener zweier Herren auf der Bühne steht.

Für das gesamte Weltalter der sklavenhaltenden Gesellschaften macht sich eine neue Stoffwechselformel geltend: Befehlsgewalt plus Biomaschinenpark plus pyrotechnisches X. Die massive Sichtbarkeit der arbeitenden Sklavenheere verdeckte seit je die Tatsache, daß auch auf dem Höhepunkt der muskelenergetischen Kraftentfaltung die pyrotechnischen Helfer der Kulturen ein mindestens gleichwertiges Plus in die metabolischen Regime reifender Hochkulturen einbrachten – sie leisteten dies in Gestalt der zahllosen Feuerstellen, die in Kaminen, Küchenherden, Backstuben, Schmieden, metallurgischen Manufakturen, keramischen Brennöfen und Bädern für die erwünschten Wirkungen sorgten. In besonderer Weise gilt das für die bronzezeitlichen Zivilisationen, als das Schmelzen von Zinn und Kupfer zu einem waffentauglichen Amal18gam bereits einen nicht unbeträchtlichen Aufwand an Brennstoffen nötig machte. Aristoteles hatte freilich schon das Holz als Materie ohne Eigenschaften zum Schweigen gebracht, und vor der Erfindung der deutschen Forstwissenschaft im frühen 19. Jahrhundert besaß der Wald keine Lobby – das försterliche Grundwort »Nachhaltigkeit« (1713 von Hans Carl von Carlowitz in dem Buch Sylvicultura oeconomica geprägt) ist erst seit wenigen Jahren in aller Munde, begleitet von seinem englischen Double »sustainability«. Mit ihm wird von den Angehörigen fossilenergetisch basierter Gesellschaften dem alten Forstwissen billiger Lippendienst geleistet, indessen man seine wirkliche Bedeutung weiterhin auf breitester Front ignoriert: daß aus Beständen nur entnommen werden darf, wofür, gemäß dem Prinzip der stetigen Erneuerung, adäquater Ersatz, försterlich gesprochen: »Nachwuchs« geleistet wird.

Mit der Erhebung von befehlenden Menschen über Sklaven, Diener und Gehorsamspflichtige entwickelt sich in den imperialen Sprachen die Anredefunktion formal und pragmatisch zum Imperativ. Die Fähigkeit, Befehlssätze sinnvoll und wirksam zu gebrauchen, charakterisiert die Klasse der Herren. Den Sklaven wird der Habitus anerzogen, Befehlen mit Gehorsam zu entsprechen, besser: ihnen in der Disposition der gehorsamen Verfügbarkeit zuvorzukommen: Daher der lateinische Gruß ego sum servus tuus, aus dem im Süddeutschen servus wurde, im Italienischen io sono il schiavo tuo, sprich Ciao! – indessen beide Wendungen heute nur noch beim Austausch von Höflichkeiten zwischen Gleichberechtigten vorkommen. Aristoteles insistierte in seinen politischen Schriften ...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte aktuelles Buch • bücher neuerscheinungen • Ethik • Fossile Brennstoffe • Ideengeschichte • Klima • Klimawandel • Luzern • Natur • Neuerscheinungen • neues Buch • Rede • Umwelt • Umweltzerstörung
ISBN-10 3-518-77672-X / 351877672X
ISBN-13 978-3-518-77672-8 / 9783518776728
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