People of Deutschland (eBook)
240 Seiten
Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-95910-419-7 (ISBN)
Martina Rink, aufgewachsen zwischen Großbritannien und Deutschland mit persischen Wurzeln, begann in der Modebranche als persönliche Assistentin der legendären Isabella Blow und baute sich schnell ein internationales Netzwerk auf. Ihre Bestseller »Isabella Blow« und »Fashion Germany« haben sich weltweit verkauft. Simon Usifo ist als President & Managing Director für das Europageschäft der international renommierten Kreativschmiede 72andSunny verantwortlich. Davor war der Werbemanager u. a. für Ogilvy in London, Shanghai und Berlin tätig. Er ist gebürtiger Rheinländer und Sohn einer französischen Mutter sowie eines nigerianischen Vaters.
Martina Rink, aufgewachsen zwischen Großbritannien und Deutschland mit persischen Wurzeln, begann in der Modebranche als persönliche Assistentin der legendären Isabella Blow und baute sich schnell ein internationales Netzwerk auf. Ihre Bestseller »Isabella Blow« und »Fashion Germany« haben sich weltweit verkauft. Simon Usifo ist als President & Managing Director für das Europageschäft der international renommierten Kreativschmiede 72andSunny verantwortlich. Davor war der Werbemanager u. a. für Ogilvy in London, Shanghai und Berlin tätig. Er ist gebürtiger Rheinländer und Sohn einer französischen Mutter sowie eines nigerianischen Vaters.
EINE PERSÖNLICHE VORBEMERKUNG VON JON AYLING
Berater für Strategie & Innovation, Co-Gründer/CEO bei LOUPE 16
Meine Erfahrungen mit Rassismus während meiner Zeit in Deutschland sind eher begrenzt und beschränken sich auf persönliche Begegnungen. Da gab es den leitenden Creative Director einer Werbeagentur, der beim Pitch für eine neue Lautsprechermarke erklärte, er wolle jetzt »keine kreativen Vorschläge, wo massenhaft Schwarze oben ohne rumtanzen«. Oder den Ü-80-Großvater auf jener Hochzeit, auf der ich als Einziger keinen Adelstitel trug. »Wo kommst du her, Junge?«, fragte er mich, weil er offenbar davon ausging, dass ich nur zu Besuch war und aus Bongo-Bongo-Land stammte und meine Speere in einer entfernten Ecke des Schlosses zur Aufbewahrung abgegeben hatte. Ich nahm es mit Humor.
In Deutschland begegnet mir so etwas deutlich seltener als in meiner Jugend, die ich in einer Stadt in Großbritannien verbracht habe, deren Bild einerseits von einer Universität und andererseits vom Militär geprägt war. Beide, Uni und Militär, konnte man damals nicht gerade als ethnisch divers bezeichnen.
Meine Erfahrungen als eines von zwei »Kolonialkindern« in der Schule könnte ich bestenfalls als »heiter bis wolkig« bezeichnen. Zufällige Anspielungen auf die Reggae-Pop-Gruppe UB40, die ein gemischtrassiges Mitglied hatte, oder ein abfälliges »Geh wieder nach Hause, Kanake« gehörten zum Alltag. Meine Großmutter väterlicherseits verglich mich mit dem Golly – dem Schwarzen kraushaarigen Golliwog-Maskottchen der britischen Marmeladenmarke James Robertson & Sons von 1910, das auf jedem Marmeladenglas prangte. Einem Leitartikel der Times zufolge wurden Golliwog-Puppen in Deutschland 1934 verboten, weil sie deutschen Kindern angeblich schadeten – »denn unter allem Unarischen ist nichts unarischer als dieses … manche glauben, der Golliwog verleihe dem Schwarzgesicht so viel Reiz, dass sich den Kindern immer schwerer beibringen ließe, sich zu waschen.«1
Ständig werden wir mit »Rassismus« als Begriff oder Thema konfrontiert, aber ich frage mich, ob die Menschen den Begriff in seiner Bedeutung auch wirklich verstehen. Einer bestimmten Doktrin zufolge besteht die menschliche Weltbevölkerung aus verschiedenen »Rassen«, welche die Wesenszüge und Fähigkeiten der Menschen hauptsächlich bestimmen. Das Konzept ist relativ neu und kam im Zeitalter des europäischen Imperialismus und im daraus folgenden Aufstieg des Kapitalismus auf und war vor allem für den Sklavenhandel auf der Atlantikroute eine treibende Kraft. Dieser Doktrin nach ist eine Rasse allen anderen überlegen. Sie gehört auch zu den wichtigen Antriebskräften der Rassentrennung, insbesondere in den USA im 19. und frühen 20. Jahrhundert und im südafrikanischen Apartheid-Regime. Rassistische Lehren werden allgemein von Hass und Diskriminierung zwischen den Gruppen begleitet und spielen eine wichtige Rolle bei Völkermorden wie dem Holocaust, dem Völkermord an den Armeniern, dem der Serben, ebenso wie im Kolonialismus und der Vertreibung indigener Minderheiten.2
Aus sozialwissenschaftlicher Sicht kommt Rassismus auf drei miteinander zusammenhängenden Ebenen vor.3 Es gibt:
1.) individuellen Rassismus – bestimmt von Individuen, die rassistische Überzeugungen vertreten. Rassistische Vorstellungen sind oft Teil eines von Vorurteilen, Xenophobie, religiösem Eifer und Intoleranz bestimmten Weltbildes. Das entscheidende Merkmal des individuellen Rassismus ist es, die Unterschiede zwischen den Gruppen als angeboren und unveränderlich anzusehen.
2.) situativen Rassismus – er tritt auf, wenn rassistisches Verhalten vom gesellschaftlichen Kontext bestimmt wird. Wo persönliche Begegnungen rassistischen Mustern folgen, ist eine Gruppe bei den Interaktionen zwischen den Gruppen unterlegen.
3.) strukturellen/kulturellen Rassismus – das Ergebnis von rassistischen Überzeugungen bestimmter gesellschaftlicher Institutionen. Die Folge ist die Diskriminierung ganzer Gruppen. Es gibt in der Gesellschaft keine Institution, die nicht rassistisch unterwandert werden kann. Rassismus unterteilt Menschen in sogenannte »Rassen«, was zu Einschränkungen von wirtschaftlichen Möglichkeiten und anderen Formen der Ungleichheit führt. Zum Beispiel durch Geschlechtsidentität, Volks- und Klassenzugehörigkeit.
In unterschiedlichen Gesellschaften können sich unterschiedliche Grade von Rassismus bilden. Deshalb ist es wichtig anzuerkennen, dass Rassismus eine weltweite Herausforderung darstellt. Peter Espeut, Umweltschützer und Experte für Entwicklungshilfe auf Jamaika, bemerkt zu Rassismus im karibischen Inselstaat Trinidad und Tobago: Als ehemals Zucker produzierende Kolonie hat Trinidad »Arbeitskräfte aus Indien angeworben, die Seite an Seite mit den Nachkommen der befreiten afrikanischen Sklaven arbeiteten«.4 Espeut stellt fest: »Heute, da die Wählergruppen afrikanischer und indischer Abstammung fast gleich groß sind, orientiert sich deren Politik fast völlig an den ethnischen Unterschieden. Der Wahlsieger sackt die gesamte politische Beute ein.«5 Aus dieser Perspektive sind Wahlen in Trinidad als »Rassenwettkämpfe«6 – ein Beispiel für strukturellen Rassismus. Allerdings müssen wir im Blick behalten, dass Rassismus auf vielen, oft weniger beachteten Ebenen und zwischen verschiedensten Rassen auftritt – nicht nur zwischen Weiß und Schwarz.
Neben der Auffassung von den »unterdrückten Rassen« gibt es eine alternative Perspektive. Während der Hochphase der Black-Lives-Matter-Proteste interviewte die Zeitschrift GQ den Sänger Simon Webbe zu seiner Erfahrung des Schwarzseins. Seine Antwort: »Als einziger Schwarzer in der Gegend fühlt man sich im Leben meistens ziemlich allein.«7 Von meiner persönlichen Warte aus könnte ich dasselbe sagen. Oft war und bin ich der »einzige Schwarze in der Gegend« – schließlich bin ich in einer Stadt aufgewachsen, die zu 99,9 Prozent weiß war. In meinem Bachelorstudiengang war ich einer von drei Schwarzen Menschen, im Master der Einzige. Inzwischen bin ich seit Langem einer der wenigen People of Color in Terminen im beruflichen Kontext. Das hat mich nie gestört. Weil ich glaube, dass unser Verhalten von unseren Werten bestimmt wird. Viele Firmen stellen Menschen ein, welche die gleichen Werte teilen, was sich in Aktivitäten zeigt, die andere Menschen entweder bewusst oder unbewusst ausschließen. Vor vielen Jahren nahm ich an einer Reihe von Bewerbungsgesprächen von Werbeagenturen teil. Zu jeder Interviewrunde gehörte ein förmlicher Lunch in einem Restaurant mit fest angestellten Kellner*innen und und weißen Stofftischdecken. Das Ziel war herauszufinden, ob die Bewerber*innen Alkohol vertrugen, wussten, in welcher Reihenfolge das Besteck benutzt wird und dabei interessante Gespräche führen konnten. Für viele der Bewerber*innen war das die einfachste Sache der Welt. Aber wenn man nicht von klein auf (oder spätestens in der Studienzeit) gelernt hat, wie man den Suppenlöffel hält, wie sollte man das erfolgreich meistern? Ganz unabhängig von Rasse oder Gender zeigte dieser Bewerbungsprozess, welchen Hintergrund und welche Werte ein Mensch haben musste, um Zugang zum Marketingagenturumfeld zu haben. Aus dieser Sichtweise gab es keinen strukturellen Rassismus, es gab vielmehr die klassische britische Zugangsbeschränkung – Klassenzugehörigkeit.
Auf irgendeine Weise sind wir alle Rassist*innen. Durchgängiger Rassismus ist das Resultat der Werte, die unsere Denkweise und Weltwahrnehmung prägen. Wenn wir eine bessere Welt wollen, müssen wir an unseren Werten arbeiten, um anders denken zu können.
So ungern die Menschen es zugeben würden – wir leben nicht in einer Meritokratie, wo harte Arbeit den Aufstieg garantiert. Ganz unabhängig von Rasse gibt es in einer Gruppe mit geteilten Werten mehr Harmonie und Einigkeit. Ein Netzwerk zu haben, zum Beispiel über über die Schule, Universität oder die sogenannten »richtigen Kreise«, ist immer noch wichtig – egal ob man weiß oder Schwarz ist oder einer anderen »Rasse« angehört. Es geht um gemeinsame Werte, auf die man aufbauen und auf deren Basis man seine Lebensentscheidungen treffen kann.
Wenn wir unsere Werte verstehen wollen, müssen wir über unsere Kinderstube nachdenken. Wenn wir klein sind, liegt der Fokus auf Schutz und Geborgenheit aus, aber dann entwickeln sie sich rasch in andere Richtungen weiter – oft geprägt von unseren Eltern und anderen Bezugspersonen während der ersten Lebensjahre. Was aber, wenn wir ganz das Ergebnis der Wertvorstellungen, Denkweisen und Glaubenssätze unserer Eltern sind? Der englische Dichter Philip Larkin hat diese Sichtweise in der ersten Strophe seines Gedichtes This Be The Verse auf den Punkt gebracht:
They fuck you up, your mum and dad.
They may not mean to, but they do.
They fill you with the faults they had
And add some extra, just for you.8
(übersetzt: »Sie versauen dich, Mama und Papa. / Vielleicht nicht absichtlich, aber sie tun es. / Sie füllen dich mit Fehlern ab, mit ihren / Und mit extra noch dazu, nur für dich.«)
Vielleicht kommen wir einen Schritt weiter, wenn wir unsere Werte und unsere Herkunft kritisch hinterfragen, anstatt alles blind zu akzeptieren. Wir...
Erscheint lt. Verlag | 4.2.2023 |
---|---|
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | aber wissen sollten • Afrodeutsch • Aktivismus • Alltagsrassismus • Anti-Diskriminierung • Bildband • Bin ich rassistisch • #blacklivesmatter • BlackLivesMatter • cancel culture • Cultural Approbriation • Debatte • Dialog • Diskriminierung • Feminismus • Fotografien • Hautfarbe • Heimat • Herkunft • Identität • Integration • Intersektionalität • Kolonialismus • Macht • Politik • Privileg • Rassismus • rassismuskritisch • Soziale Gerechtigkeit • struktureller Rassismus • systematischer Rassismus • Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen • white privilege • Zugehörigkeit • Zuwanderung |
ISBN-10 | 3-95910-419-7 / 3959104197 |
ISBN-13 | 978-3-95910-419-7 / 9783959104197 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 9,5 MB
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich