Anstandslos (eBook)

Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
128 Seiten
Paul Zsolnay Verlag
978-3-552-07348-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Anstandslos - Armin Thurnher
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Armin Thurnher, 'einer der scharfsinnigsten Analytiker österreichischer Politik' (NZZ) über die Politik Österreichs, von Sebastian Kurz über Korruption zum Weltuntergang
'Die Welt steht auf kan Fall mehr lang', heißt es in Nestroys berühmtem 'Kometenlied'. Vieles von dem, was einst zum festen Bestand demokratischer Selbstverständlichkeiten zählte, scheint abgeschafft zu werden. Wir wissen nicht mehr, was wir für wahr halten sollen. Ganz schnell löste sich etwa der falsche Glanz des konservativen Hoffnungsträgers Sebastian Kurz auf in einer Wolke von Skandalen, Korruption und dubiosem Gefolge. Während die multiplen Krisen das Publikum aber vollends verunsichern, findet Kurz mühelos Anschluss an jene Kreise um Donald Trump, die unser politisches System lieber heute als morgen über Bord werfen möchten.
In seinem neuen Buch sondiert Armin Thurnher die Lage und zeigt, dass der große Weltuntergang wie immer in Österreich seine kleine Generalprobe hält.

Armin Thurnher, geboren 1949 in Bregenz. Mitbegründer, Miteigentümer und Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Preis des österreichischen Buchhandels für Toleranz und Otto-Brenner Preis für seinen Einsatz für ein soziales Europa. Bei Zsolnay erschienen zuletzt Republik ohne Würde (2013), der Essay Ach, Österreich! Europäische Lektionen aus der Alpenrepublik (2016) und Fähre nach Manhattan (2019).

2. Die beschissene Republik:
Sebastian Kurz


Beschissen, das klingt unartig für dieses propere Wesen, diesen Inbegriff rosiger Positivität, wie man früher sagte. Für diesen zart blühenden Knaben, diesen Schönling mit kastanienbraunem Haar, sauber zurückgegelt, als wäre es die Lederkappe eines Autorennfahrers aus den 1930ern; für diesen durch und durch Anständigen, modern Anständigen — in einer Beziehung ja, Kind ja, Ehe nicht ausgeschlossen, aber noch nicht jetzt —; für diese manierliche Hoffnung von Europas Schwiegermüttern und Konservativen, für dieses fesche Gegenbild zur müden Angela Merkel, dieser Kompromiss-Sozialdemokratin im christlichsozialen Tarngewand. Niemanden wolle er anpatzen, mit diesem Slogan bewarb sich der Musterknabe vor der Öffentlichkeit für seine erste Kanzlerschaft. Diese mochte nur den Willen zum Sauberen, nicht aber das Fäkale am Patzen begreifen, nicht die Lust spüren, mit der er mit weinerlichem Aufbegehren in der Stimme beklagte, er werde schon wieder angepatzt, während er insgeheim — aber das bemerkte man erst später — selber lustvoll andere anpatzte. Es war eine Patzerei, die jeder frühkindlichen analen Phase zur Ehre gereicht hätte, nur dass sie halt in der Arena der Politik stattfand und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen.

Ein Knabe war Kurz in der Tat. Er weckte eine doppelt puerile Assoziation. Einerseits erinnerte er mich an das Chint von Pülle, so nannten Zeitgenossen das politische Wunderkind Friedrich den Staufer, das Staunen Europas, welches Kurz ja auch zu erregen vermochte, bei modernen Mächten wie dem Springer Verlag zumal. Andererseits evozierte er den puer robustus, eine historisch wiederkehrende Figur, an die der Philosoph Dieter Thomä im Zusammenhang mit Donald Trump und dessen disruptivem Politikkonzept erinnerte, eine Analyse, die ich ohne zu zögern auf Kurz anwenden konnte.

Die Wucht des Medienereignisses namens Kurz soll man gerade dann nicht vergessen, wenn der Komet dieses Anstandsstrebers zu verglühen scheint. Kurz hat zwei schmale Kanzlerschaften von jeweils zwei Jahren hinter sich, nach der ersten wurde er vom Parlament abgewählt, nach der zweiten zwang ihn der Koalitionspartner zum Rücktritt. Die Versuche zur Legendenbildung nehmen sich mittlerweile müde aus, lappen ins Läppische, stehen als bloße Manöver da, die eigene Haut vor der Justiz zu retten; und der Mann, der niemanden anpatzte, wird kenntlich als einer, der die ganze Republik beschiss. Andererseits aber setzt er unbeirrt seine Karriere in den politisch-lobbyistischen Teil des Finanzkapitals fort, und das bedeutet heutzutage, seine politische Karriere hat erst begonnen. Er ist und bleibt, um Nestroy zu paraphrasieren, ein Investor seiner selbst. Er strebt nicht mehr nach Anstand, nur mehr nach Geld und Macht.

Ich kannte den großen Kurz schon, als er noch ganz klein war. Zu jener Zeit wurde ich in Medien und zu Debatten mit dem damaligen Chefredakteur der Tageszeitung Die Presse, Andreas Unterberger, als Schwarzweißprogramm gecastet, bis sich der Spaß aufhörte, weil Unterberger ins allzu weit rechte Lager abdriftete und — nicht deswegen — von der Presse entlassen wurde. Eine dieser Debatten fand in der ÖVP-Zentrale statt. Für Kurz war die Veranstaltung eine Übungssache. Stocksteif saß er in einer Art Tweed-Sakko da, als hätte er sein Gewand aus dem Katalog für junge Lords im mittleren Management bestellt. Mir fiel er durch eindrückliche Nichteindrücklichkeit auf. Als ich etwas über die katholische Kirche und den Nationalsozialismus sagte und darauf hinwies, dass Adolf Hitler »Christus als den größten Vorkämpfer im Kampf gegen den jüdischen Weltfeind« bezeichnet habe, wachte er auf. Solche Zusammenhänge könne man doch nicht herstellen, protestierte er. Von Carl Schmitt absehend, der Hitler zum Wiedergänger von Jesus Christus erklärt hatte, fragte ich Kurz, ob er Friedrich Heers »Der Gaube des Adolf Hitler« kenne, aber er kannte nicht einmal Friedrich Heer. Dieser Linkskatholik und bedeutende Publizist war einer der wichtigsten österreichischen Intellektuellen der Nachkriegszeit. Ein sich katholisch gebender jungkonservativer Politiker, eine konservative Zukunftshoffnung sollte ihn kennen, dachte ich. Weit gefehlt: Auf sogenannte politische Substanz, also darauf, sein Tun mit geistigen Fundamenten zu unterlegen, verzichtete Kurz geradezu programmatisch.

Das hatte ich, hoffnungslos rückwärtsgewandt, damals aufs Erste nicht kapiert: Hier lag keine Lücke vor, deren er sich zu genieren gedachte. Hier war die Ignoranz Programm. Hier kam ein neuer Typus in die Politik, den seine Bindungslosigkeit und sein politischer Agnostizismus dazu führten, sich auf reinen Machiavellismus zu beschränken. Agnostizismus bezieht sich auf das Wesen der Politik: Kurz hatte erkannt, dass der verzweifelte Versuch, Politik auf Weltanschauung zu gründen — in seinem Fall hätten sich die katholische Soziallehre und die Idee der ökosozialen Marktwirtschaft angeboten —, Teil jenes konservativen Problems war, das er mit alexanderhafter Wucht zu lösen gedachte. Den gordischen Knoten aus miteinander konkurrierenden Ideologien, die sich zur Verschlingung von Staat und Gesellschaft schürzten, den Knoten aus katholischer Soziallehre und Raubtierkapitalismus, von ländlichen Genossenschaften und internationalem Rustikalkapital löste er mit einem einfachen Streich, indem er sich gegen den Staat entschied und das Motto seines Vorläufers Wolfgang Schüssel radikalisierte: mehr privat, weniger Staat.

Politik reduzierte er auf das von Carl Schmitt popularisierte Konzept der Freund-Feind-Beziehung und begriff sie von Anfang an als eine Frage der Macht und der richtigen Beratung. Man musste die Macht in der Partei von außen ergreifen, nicht über die Bünde, deren Einzelinteressen und deren divergierende Ansprüche die Volkspartei lähmten, nicht über die Sozialpartnerschaft, in der die alten Koalitionspartner Rot und Schwarz ihren sublimierten Bürgerkrieg zur Totalblockade gesteigert hatten, nicht über die Bundesländer, die den jeweiligen Parteichef, gleich ob Vizekanzler oder Kanzler, nur als ihren Unterläufel betrachteten. Mit einem Wort, man musste ein Parteipolitiker sein, dem man von außen den Parteipolitiker nicht ansah und der die Partei nach innen mit dem Versprechen bezwang, ein ganz anderer zu sein. Nur so konnte er Hoffnungen schüren, dass endlich ein Neuanfang gelingen möge.

Heute nennt man die Zerschlagung des gordischen Knotens Disruption. Sebastian Kurz war nach Jörg Haider der zweite disruptive Politiker der Zweiten Republik Österreichs. Unser zweiter puer robustus. Dass er im Rahmen der konservativen ÖVP blieb, war nicht ausgemacht; offenbar spielte er mit der Idee eines parteilichen Neuaufbruchs nach dem Muster Emmanuel Macrons und führte auch Gespräche mit den NEOS, einer aus abtrünnigen liberalen ÖVP-Mitgliedern bestehenden Parlamentspartei. Dem Zeugnis von Matthias Strolz zufolge, dem Gründungsobmann der NEOS, beendete dieser die Gespräche, als sich ihm sein Gegenüber Sebastian Kurz als abgebrühter Lügner zu erkennen gab. Nicht nur im Nachhinein kann man das als leicht überempfindlich qualifizieren, denn die Lüge gehört zur Politik wie der Pool zur Hollywood-Villa; es kommt immer auf die Umstände und die Art der Durchführung an.

Kurz, das erregte den leicht erregbaren Strolz und seine Mitstreiter vermutlich am meisten, gehört zu jenem soziopathischen Typus, der nichts dabei findet, alles zu unternehmen, was ihm selbst nutzt, und alle zu verachten, die dabei nicht bis zum Äußersten gehen. Er ist darin Jared Kushner frappierend verwandt, dem Schwiegersohn Donald Trumps, mit dem er sich bei seinen USA-Besuchen, wie berichtet wurde, glänzend verstand und mit dem er ganze Abende verbrachte. Kushner geht es, wie die New York Review of Books bemerkte, immer nur um den besten Deal. Für seinen Auftraggeber, wer immer das ist, vor allem aber für ihn selbst. Besser könnte man eine Geistesverwandtschaft nicht skizzieren.

Warum Kurz? Es ist eines der Mysterien der österreichischen Publizistik, dass sie inmitten einer Periode des Friedens, des Wachstums und des Wohlstands die Idee ins Unüberhörbare verstärkte, die Politik, die all das herbeigeführt hatte, also die Koalition von Rot und Schwarz, habe das Land mit einer unerträglichen Lähmung überzogen, habe zu einem quälenden Stillstand geführt, der jeden Fortschritt verhindere, und...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 21. Jahrhundert • Analyse • Donald Trump • Falter • Feuilleton • Florian Klenk • Journalismus • Korruption • Medien • Österreich • Politik • Republik ohne Würde • Sebastian Kurz • Türkis • Wien • Wolfgang Sobotka
ISBN-10 3-552-07348-5 / 3552073485
ISBN-13 978-3-552-07348-7 / 9783552073487
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