Herzenskinder -  Gabriele Stangl

Herzenskinder (eBook)

Die Gründerin der ersten Klinik-Babyklappe erzählt von abgegebenen Kindern, Müttern in Not und geschenkter Zukunft
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
256 Seiten
adeo (Verlag)
978-3-86334-867-0 (ISBN)
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Gabriele Stangl ist eine warmherzige und tatkräftige Frau, die unzähligen Frauen und Familien in großer Not geholfen hat. Als Seelsorgerin in der Klinik Waldfrieden in Berlin-Zehlendorf hat sie schwangere Frauen begleitet, die keine Unterstützung oder Fürsorge hatten, die verzweifelt und völlig auf sich allein gestellt waren. Und die sie oft abweisen musste. Zutiefst schockierend sind Berichte von ausgesetzten oder getöteten Säuglingen. Welche Not die Mutter und das Ungeborene im Vorfeld mitmachen, wissen hingegen nur wenige. Vor diesem Hintergrund hat Gabriele Stangl mit einem engagierten Team von Unterstützern im Jahr 2000 die erste Babyklappe in einer Klinik weltweit ins Leben gerufen. Endlich können Mütter ihre Kinder in sichere Hände geben, wenn sie weder ein noch aus wissen! Lesen Sie von den Schicksalen der Kinder, die Gabriele Stangl entgegen allen Widerständen von Behörden und Politik in Obhut geben und begleiten konnte. Wie haben die Kinder von ihrer Herkunft, von ihrer Bauchmama erfahren und wie hat dies ihr Leben geprägt bei ihrer späteren Familie, ihren Herzmamas? Emotional packend skizziert dieses Buch tatkräftige Unterstützung für die Schwächsten und Hilfsbedürftigen in unserer Gesellschaft.

Gabriele Stangl war von 1996 bis 2017 als Pastorin und Krankenhausseelsorgerin im Krankenhaus Waldfriede (Berlin) tätig, wo sie im Jahr 2000 die erste Babyklappe in einer Klinik weltweit einführte. Dafür erhielt sie 2011 die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik. Zusammen mit ihrem Mann lebt sie am Rande Berlins und pflegt nach wie vor Kontakt zu vielen ihrer Kinder und Frauen. Foto © Privat

Gabriele Stangl war von 1996 bis 2017 als Pastorin und Krankenhausseelsorgerin im Krankenhaus Waldfriede (Berlin) tätig, wo sie im Jahr 2000 die erste Babyklappe in einer Klinik weltweit einführte. Dafür erhielt sie 2011 die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik. Zusammen mit ihrem Mann lebt sie am Rande Berlins und pflegt nach wie vor Kontakt zu vielen ihrer Kinder und Frauen.

Nur eine Handvoll Leben


Und wenn nur ein einziges Kind durch das Hilfsangebot „Babyklappe“ gerettet werden würde, so hat sich der ganze Aufwand gelohnt!

Kinderschwester Antje war in einem Nebenraum des Kinderzimmers verschwunden, das ganz am Anfang des langen Ganges der Geburtshilfe des Krankenhauses untergebracht war, und hatte mich angerufen. Heimlich. Eigentlich hatte sie warten sollen, bis man mehr wusste.

Dr. Siegbert Heck, der Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe im „Waldfriede“, wollte mich erst dann informieren, wenn er sich ganz sicher war, das Kind retten zu können. Aber meine liebe Antje wusste, was mir die Nachricht bedeutete, die sie mir gleich überbringen würde. Und so wollte sie die Erste sein, die mir die Neuigkeit erzählte.

„Echt …?!“ Ich hatte mich auf dem Sofa aufgesetzt, auf dem ich schon den ganzen Vormittag gelegen und meine Backe gekühlt hatte. „Antje, das ist ja ganz wunderbar!“ In dem Moment erinnerte mich ein heftiger Schmerz im Kopf an meine prekäre Lage. „Nein, das kann doch nicht wahr sein! Gerade jetzt, wo ich krankgeschrieben bin! Bitte, liebe Antje, ist Dr. Heck irgendwo in der Nähe? Kannst du ihn mir an den Apparat holen? Das muss er mir sofort ganz genau erzählen!“

„Aber sag bitte nicht, dass ich dich zuerst angerufen habe. Er wollte es dir selbst sagen.“

„Keine Angst, ich verrate dich nicht. Bring den Apparat einfach zu ihm und sag ihm, ich würde ihn gerne sprechen.“

Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet! Mir wurde ganz heiß vor lauter Aufregung. Man hatte mir tags zuvor einen eitrigen Backenzahn gezogen, der mir noch immer ordentlich zu schaffen machte, aber es war nicht das Fieber, das diese Hitzewallung verursachte. Das, was man mir soeben mitgeteilt hatte, kam irgendwie so unerwartet und war deshalb besonders schön, sodass mein Schmerz wie weggeblasen schien!

„Ja, hallo Gabi, schön, dass du anrufst. Ich habe eine Überraschung für dich: Wir haben vor einer halben Stunde unser erstes Baby aus der Babyklappe geholt. Es ist ein kleines Mädchen, dunkle Haare, viel zu früh geboren, nur 32 Grad kalt und leider nicht unbedingt im besten Zustand …!“

Ein kleines Mädchen! Meine Begeisterung wurde schnell gedämpft durch die Worte: nicht im besten Zustand. Ich kannte Siegbert, er neigte dazu, einen schlimmen Zustand immer etwas freundlich zu schönen, damit man nicht zu tief fallen würde.

In meine Freude von gerade eben mischte sich nun große Sorge. „Was ist los mit der Kleinen, bitte sag es mir, verschweig mir nichts!“

„Na ja“, er stotterte ein wenig herum. Ich hörte dieses leise, unterdrückte Stöhnen, das er immer von sich gab, wenn er nach Worten suchte. Mit jeder Sekunde, die er nichts sagte, wuchs meine Angst um dieses kleine Wesen.

Ich war vom Sofa aufgesprungen, die Decke noch immer um mich gewickelt und den Eisbeutel gegen die Schmerzen in der einen, das Telefon in der anderen Hand.

„Also … sie hat auffällig viele blaue Flecken, ihr linker Arm ist sehr dick, ihr Allgemeinzustand ist schlecht. Sie wiegt nur 1450 Gramm, ist nur Haut und Knochen und ziemlich apathisch, was bei dieser Körpertemperatur aber kein Wunder ist. Sie war wirklich gut angezogen: Unterwäsche, Strampelhöschen, Jäckchen … das ganze Programm halt. Und dann war sie auch noch in einen Fußsack von einem Kinderwagen gehüllt.“

Siegbert versuchte, mir alles so schonend wie möglich zu berichten. Genau wie ich hätte er sich über ein gesundes und kräftiges Baby gefreut, dem man schnell hätte helfen können.

„Kann ich sie gleich einmal besuchen kommen? Ich kann doch jetzt nicht zu Hause bleiben.“

„Leider hätten wir sie hier in Waldfriede nicht durchbekommen, dafür haben wir nicht das medizinische Equipment. Wir haben sie vor ein paar Minuten auf die Neonatologie des Klinikums Benjamin Franklin verlegen lassen. Tut mir leid, Gabi, dass wir dich nicht gleich benachrichtigen konnten, damit du sie noch siehst. Aber wir hatten alle Hände voll damit zu tun, sie zu stabilisieren!“

Ich setzte mich, ein wenig kraftlos und mit einem tiefen Seufzen, zurück auf das Sofa. Natürlich konnte ich verstehen, dass jetzt nur das Leben des Kindes zählte.

„Habt ihr ihr schon einen Namen gegeben?“, war meine nächste Frage.

„Die Hebammen meinten, LISA wäre doch ein schöner Name, und ich dachte mir, WALD für Waldfriede wäre der perfekte Nachname. Bist du damit einverstanden?“

Damit konnte ich leben, wenngleich ich schon ein bisschen traurig darüber war, dass ich so gar keinen Einfluss mehr auf ihren Namen hatte. Doch das alles war im Moment gar nicht wichtig. Ich wollte jetzt nur mehr bei diesem kleinen Kind sein, das mir schon jetzt so viel bedeutete.

Meine Backe tat mir überhaupt nicht mehr weh. Was saß ich hier noch herum? Doch wie immer nach solchen Gefühlswallungen schaltete sich doch noch mein Verstand ein und ermahnte mich, dass ich jetzt ja doch nichts für unsere kleine Lisa tun könnte. Besser noch eine Nacht die Backe kühlen, das Fieber senken und erst am nächsten Tag ins Klinikum fahren.

Dichter, weißer Nebel hing am nächsten Morgen über Berlin. Wie mit diesem Nebel ist es manchmal im Leben, dachte ich mir. Er nimmt uns die Sicht und hüllt alles in dichtes Grau. Doch wenn er sich verzieht, wird es meistens ein strahlend sonniger Tag. Wäre es nicht schön, wenn es im Leben unserer Kleinen genauso würde?

Ich war mit einer Bekannten ins Krankenhaus gefahren. Sie war am Anfang der Ideen und Planungen für unsere Babyklappe dabei gewesen. Doch schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass es schwierig war, „Nicht-Personal“ in ein Krankenhausgeschehen mit einzubinden. Da ich wusste, dass sie sich als leidenschaftliche Mutter genauso über dieses kleine Geschenk freuen würde wie ich, fuhren wir gemeinsam zu Lisa.

Schon im Aufzug wurde ich ganz nervös. Nur keine Aufregung, versuchte ich mich zu beruhigen, es wird alles gut werden.

Tausend Gedanken stürmten auf mich ein. Was, wenn sie krank war? Was, wenn man keine Eltern für sie finden würde? Außerdem: Wir hatten zwar darüber gesprochen, wie es wäre, wenn wir die Leistungen eines anderen Krankenhauses in Anspruch nehmen müssten, wie es aber im Einzelfall aussehen würde, konnten wir uns nicht beantworten. Was würde da mit Lisas Behandlung auf uns zukommen?

Diese Gedanken verflüchtigten sich, als ich vor Lisas Brutkasten stand: Ein kleines, mageres, dennoch hübsches kleines Mädchen, mit einer Haut so dünn wie Pergament, lag da vor uns. Jedes Äderchen war sichtbar, kein Gramm Fett war an ihren Rippen. 1,45 Kilogramm Mensch, aber alles dran, was dran gehört. Eine viel zu große Windel war alles, was sie anhatte. Dieser Umstand ließ sie noch zerbrechlicher aussehen, als sie sowieso schon war. Ihr dicker rechter Arm fiel auf. Was war nur mit diesem kleinen Wurm geschehen? Und diese vielen blauen Flecken! War sie misshandelt worden? Ich wollte mir das gar nicht ausmalen.

„Darf ich mich vorstellen? Ich bin der behandelnde Arzt der kleinen Lisa. Wir freuen uns, dass wir Ihnen bei diesem kleinen Sonnenschein helfen können.“

Ein freundliches, braun gebranntes Gesicht schaute mir von der gegenüberliegenden Seite des Brutkastens entgegen. Ich hatte nur Augen für Lisa gehabt und nicht mitbekommen, dass zwei weitere Personen den Raum betreten hatten.

„Das ist Schwester Kerstin. Sie kümmert sich um diesen mageren Spatz.“ Zwei fröhliche Menschen begleiteten meine Süße vom ersten Tag an. Wie beruhigend!

Das Gespräch mit dem Kinderarzt und der Kinderschwester der Station brachte Klarheit in unsere Befürchtungen.

„Dieses Kind muss ein Armvorfall gewesen sein, das heißt, der Arm wurde zuerst geboren. Ein klarer Fall für einen Notkaiserschnitt. Wie die Mutter es geschafft hat, dieses Kind trotzdem auf normalem Wege und dann auch noch alleine zu gebären, wird uns ein Rätsel bleiben. Das Mädchen muss heftig am Arm gezogen worden sein, deshalb dieser dicke Arm. Auch die blauen Flecken zeugen davon, dass es keine leichte Geburt war.

Dass sie eindeutig in keinem Krankenhaus geboren wurde, zeigt die Versorgung des Nabels. Absolut unprofessionell. Leider kann ich Ihnen nicht sagen, ob sie ihren Arm jemals wird gebrauchen können. Es könnten wichtige Nerven verletzt worden sein. Bis jetzt jedenfalls kann sie ihren Arm nicht bewegen. Darüber hinaus wird sie wohl eine Bluttransfusion brauchen, wenn sich ihre Befunde in den nächsten 24 Stunden nicht bessern.“

Das waren keine guten Nachrichten. Aber sie lebte und man würde alles tun, damit sie die nächsten kritischen Tage gut überstehen würde.

„Wollen Sie ein wenig mit ihr kuscheln? Sie kann jede Streicheleinheit gut gebrauchen, um wieder gesund zu werden.“

Die Kinderschwester hatte uns die ganze Zeit beobachtet und gesehen, wie liebevoll wir dieses Baby betrachtet hatten. Sie wartete unsere Antwort gar nicht ab. Sie griff in den Brutkasten, stöpselte das Kindchen von den Überwachungsgeräten ab und gab uns zu verstehen, dass wir uns die Hände desinfizieren sollten. Dann legte sie uns das Baby abwechselnd in die Arme.

Das war mehr, als wir beiden Frauen erhofft hatten. Zärtlich und mit aller Vorsicht hielten wir sie, und wie alle Mütter dieser Welt, zählten wir die Fingerchen, staunten über die vielen Haare und freuten uns, wenn sie das Gesicht verzog und wir in diese Grimassen ihr erstes Lächeln hineininterpretierten. Lisa, unsere liebe kleine Lisa!

Als wir wieder nach Hause fuhren, ein wenig wie beschwipst vor lauter Glück, brach auf einmal die...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2023
Verlagsort Asslar
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Adoption • Anonym • auseinandersetzen • Elternwunsch • Findelkind • Pflegeeltern • Pro Life
ISBN-10 3-86334-867-2 / 3863348672
ISBN-13 978-3-86334-867-0 / 9783863348670
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