Die dreckige Seidenstraße (eBook)
288 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30560-4 (ISBN)
Philipp Mattheis, geboren 1979, hat Philosophie studiert und die Deutsche Journalistenschule besucht. Seit 2011 arbeitet er als Auslandskorrespondent für verschiedene deutsche Medien, darunter den Stern, Capital, die WirtschaftsWoche und den STANDARD. Von 2011 bis 2016 und 2019 bis 2021 lebte er in Shanghai, von 2016 bis 2019 berichtete er aus Istanbul über die Türkei und den Nahen Osten. Er ist Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschien »Die dreckige Seidenstraße« im Mai 2023 im Goldmann Verlag. Online findet man ihn unter: philipp-mattheis.com
Die Diplomaten staunten nicht schlecht, als sie im Juni 2017 wie jedes Jahr beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf Klage über die Lage in China erheben wollten. Zu einer gemeinsamen Erklärung kam es nicht, weil ausgerechnet das kleine Griechenland blockierte. »Unproduktive und oftmals selektive Kritik gegenüber bestimmten Ländern erleichtert die Förderung der Menschenrechtslage in diesen Staaten nicht«, lautete die Begründung eines griechischen Diplomaten. Zwar machte man trotz der desaströsen humanitären Situation in Provinzen wie Xinjiang und Tibet gute Geschäfte mit China. Doch auf verbale Kritik an der Menschenrechtssituation in China konnte man sich stets einigen. Das war nun vorbei: Beim EU-China-Gipfel wurden die Menschenrechte nicht öffentlich angesprochen; und auch am 4. Juni, zum Jahrestag des Tiananmen-Massakers, äußerte sich die EU nicht. Der Trend sei »extrem beunruhigend«, urteilte Amnesty International.
Ein Jahr zuvor hatte sich ein chinesisches Staatsunternehmen im griechischen Hafen Piräus eingekauft. Und auch wenn es keinen Beweis für eine direkte Einflussnahme Chinas auf das Abstimmungsverhalten Griechenlands gibt, liegt der Verdacht doch nahe.
»Wir brauchen Investitionen«, sagte Fotis Provatas, der Vorsitzende der griechisch-chinesischen Handelskammer, im Frühjahr 2018. Griechenland besitze keine Industrie und sei hochverschuldet. »Und von den Chinesen bekommen wir sie.« Für ihn ist ein Kampf im Gange. Ein Krieg um 5-G-Technologie und künstliche Intelligenz, um Marktzugänge und eigentlich um die Vormachtstellung im 21. Jahrhundert. Das kleine Griechenland müsse da irgendwie überleben und für sich das Beste herausschlagen.
Vom Fenster seines Büros versperrten damals bereits Kreuzfahrtschiffe die Sicht auf die Ägäis. Bis zu 14 solcher schwimmenden Fabriken können mittlerweile am Hafen anlegen. Die Gäste kommen nicht selten aus China. Denn seit 2017 fliegt Air China direkt von Peking nach Athen. Chinesische Touristikunternehmen bringen zahlungskräftige Kunden, denen die griechischen Inseln als Inbegriff von Romantik überhaupt gelten. Chinesische Immobilienunternehmen wie Wanda bauen dafür die entsprechenden Hotels und Shoppingmalls.
Es sind All-inclusive-Investitionen aus Peking, fast alle finanziert von der China Development Bank, einer der größten Banken Chinas und der Welt, und dabei fest in den Händen der Kommunistischen Partei. Die Unternehmen, die in Griechenland investieren, unterstehen direkt ebenfalls dem chinesischen Staat oder sind Töchter von Staatsunternehmen. Sie bilden ein Cluster, und es ist nur mehr als wahrscheinlich, dass diese Unternehmen sich untereinander absprechen und konzertiert vorgehen. Dahinter steht ein politischer Plan, mit dessen Hilfe chinesische Unternehmen langfristig in Europa Fuß fassen sollen.
Griechenland ist für Peking ein Sprungbrett nach Mitteleuropa und in den südlichen Mittelmeerraum. Die Krise war für die Chinesen eine großartige Kaufgelegenheit. Dabei konzentrierten sie sich auf bestimmte Schlüsselbranchen. Der chinesische Hafenbetreiber China Ocean Shipping Company (Cosco) kaufte sich in zwei Tranchen 2008 und 2016 in den Athener Hafen ein, der im Zuge der Krise privatisiert wurde. Er betreibt nun zwei von drei Terminals. Im Sommer legte Cosco noch einmal nach und besitzt nun 67 Prozent des Hafens. 2017 erwarb der chinesische Netzbetreiber State Grid eine 24-prozentige Beteiligung am griechischen Stromnetz. Außerdem investierten Chinesen in den Tourismus und in Immobilien. Dabei hilft das griechische Golden-Visa- Programm: Wer für mehr als 250.000 Euro eine Immobilie erwirbt, bekommt eine fünfjährige Aufenthaltserlaubnis obendrauf – Schengen-Visa inklusive. Das ist gerade für die chinesische Oberschicht sehr attraktiv.
Die großen und wegen ihrer Staatsnähe berüchtigten Konzerne Huawei und ZTE sind mit Forschungslaboren und Kooperationen mit chinesischen Universitäten im Land vertreten. Zur Frage, ob weitere Investitionen geplant sind, schweigt sich Handelskammerchef Provatas aus. Immer wieder betont er aber, auch die Amerikaner würden ihre Netzwerkdienstleister zur Spionage einsetzen. Warum sollte man das den Chinesen verwehren, schwingt ungesagt darin mit.
Tatsächlich hatte man damals in Griechenland nur wenig gegen die Gäste aus Fernost. Laut einer Umfrage des griechischen Kappa-Instituts von 2017, sagten 40 Prozent der Griechen, man solle die Beziehungen zu China ausbauen – nur die Russen punkten höher. Ein Jahr zuvor bezeichneten 82 Prozent der Griechen die Beziehungen zur EU als freundlich. Mittlerweile ist der Anteil etwas zurückgegangen.
Von der EU und den Amerikanern fühlt man sich dabei eher im Stich gelassen. »Das Problem ist: Von dort bekommen wir keine Investitionen«, sagt Provatas, der früher einmal stellvertretender Bürgermeister von Athen war.
Das Engagement Chinas beim Athener Hafen gilt als Erfolgsgeschichte. Die Menge an umgeschlagenen Containern stieg von 0,8 Millionen 2009 auf 4,9 Millionen 2018. Von 2017 auf 2018 allein nahm die Menge um 190 Prozent zu, wohl weil China Güterströme umgeleitet hatte. Im Mai 2022 vermeldete der Hafen sogar den größten Profit seiner Geschichte. Selbst die Gewerkschaftler, scharfe Gegner jeglicher Privatisierungsprogramme, sagen: Mit dem neuen chinesischen Management komme man eigentlich gut aus. Nick Georgiou, der damalige Präsident der Hafenarbeiter-Gewerkschaft in Piräus, beklagt zwar, dass der neue Betreiber lieber auf Zeitarbeitsfirmen zurückgreife, muss aber zugeben, dass seit der Übernahme niemand entlassen wurde. Tatsächlich wurden sogar mehr Leute eingestellt.
Griechenland ist ein wichtiger Brückenkopf in der von Peking entworfenen Neuen Seidenstraße, jenem Netz von Infrastrukturprojekten und Investitionen, das der chinesischen Wirtschaft den Exportweg über Land und See nach Europa sichern soll. Seit 2014 flutet Peking zentralasiatische Staaten von Kasachstan, Pakistan bis Iran mit Milliardeninvestitionen. Ein Netz aus Häfen, Straßen und Zugstrecken zieht sich langsam über den Kontinent Richtung Nordwesten.
Dabei ist das, was dabei für Griechenland abfällt, eine eher kleine Summe. Knapp zehn Milliarden Euro hat Peking seit 2005 dort investiert. Nach Deutschland floss im selben Zeitraum das Vierfache. Provatas aber ist sich sicher: »Das ist erst der Anfang.«
Einige hundert Kilometer weiter nördlich wurde 2022 mit chinesischem Geld eine Straße fertiggestellt: Mit einer Länge von 41 Kilometern, einer Bauzeit von acht Jahren und Kosten von einer Milliarde US-Dollar gilt die Autobahn in Montenegro als eine der teuersten der Welt. Das liegt auch daran, dass die Strecke über Schluchten, Täler und durch zahlreiche Berge führt. Luftaufnahmen zeigen spektakuläre Szenen: insgesamt 20 Brücken, von denen sich manche in schwindelerregender Höhe durch pittoreske Flusstäler ziehen, und 16 Tunnel. Viele Anwohner freuen sich, dass die Straße im Sommer 2022 eröffnet wurde: Die ehemals beschwerliche Reisezeit über die Berge von Smokovac nach Matesevo verkürzt sich auf 35 Minuten. Zudem seien früher auf der gefährlichen Straße viele Menschen ums Leben bekommen.
Der größere geostrategische Profiteur der Straße ist allerdings das Nachbarland Serbien, das seit jeher gute Beziehungen zu Peking pflegt. Einmal fertiggestellt, verbindet sie die serbische Hauptstadt Belgrad mit der Adria. Damit ist sie ein wichtiger Zugang des Binnenstaats zum Mittelmeer. Montenegro dagegen könne, so hieß es 2014 bei den Verhandlungen mit der chinesischen Export-Import Bank of China (Exim), »ein Transport-Hub der Region« werden.
Für China ist der Süden und Osten Europas so etwas wie die offene Flanke der EU. Chinesische Staatsunternehmen können hier üben«, wie gut sie mit den Standards und Auflagen der Europäischen Union zurechtkommen. Denn während man im Westen der Union eher skeptisch gegenüber Chinas neuen Ambitionen ist, bezeichnete der tschechische Präsident Miloš Zeman sein Land schon als »Chinas unversenkbaren Flugzeugträger«. Der griechische Premierminister Alexis Tsipras bot sein Land 2016 als »Tor nach Europa« an. Und der serbische Bauminister sagte 2017, es sei »nicht vermessen oder falsch zu sagen, Serbien ist Chinas Hauptpartner in Europa«.
Doch blickt man genauer auf die Verbindungsstraße, ist die Bilanz plötzlich nicht mehr so berauschend wie beim Hafen von Piräus. Das Problem: Die restlichen 122 Kilometer nach Belgrad wurden nicht fertiggestellt, und daran dürfte sich so bald nichts ändern. »Wir haben einen Witz«, sagte der ehemalige Justizminister von Montenegro, Dragan Soc 2021. »Das ist eine Straße von Nirgendwo nach Nirgendwo.« Ein Kredit von einer Milliarde, den Montenegro bei Peking aufnahm, mag im bundesdeutschen Haushalt keine große Rolle spielen. In dem kleinen Balkanstaat aber macht er knapp ein Drittel der Wirtschaftsleistung aus und katapultierte die Verschuldung schlagartig auf 100 Prozent der Wirtschaftsleistung. Erschwerend hinzu kam, dass man sich bei dem Kredit nicht gegen Währungsschwankungen absicherte.
Warum die Straße nicht weitergebaut wird, ist nicht ganz klar. Angesichts der immens hohen Kosten von über 22 Millionen Dollar pro Kilometer fragen sich viele, ob nicht Korruption im Spiel war. NGOs hatten von Anfang an das Projekt wegen mangelnder Transparenz und Umweltschäden kritisiert.
Dieses Muster, eine Mischung aus Fehlplanung, Korruption und plötzlichem Stillstand, wird uns auf der Neuen Seidenstraße noch öfter begegnen.
Auf jeden Fall fehlt Montenegro Geld. Einspringen soll deswegen der...
Erscheint lt. Verlag | 24.5.2023 |
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Zusatzinfo | s/w-Illustrationen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2023 • Afrika • Autoritäre Systeme • China • Diktatur • eBooks • Frank Sieren • Geopolitik • Geostrategien • Geschichte • Handlungswege • Kai Strittmacher • Kolonialismus • Kommunistische Partei Chinas • Machtpolitik • Marcel Grzanna • Marco Polo • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Putin • Regime • Russland • Sachbuch • Seidenraupe • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Unterwanderung des Westens • Wirtschaftskolonialismus • Xi Jinping |
ISBN-10 | 3-641-30560-8 / 3641305608 |
ISBN-13 | 978-3-641-30560-4 / 9783641305604 |
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