Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte (eBook)

Warum im Berufsleben nicht alle die gleichen Chancen haben - und wie wir uns trotzdem durchsetzen -

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
320 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-29819-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte - Mirijam Trunk
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Insiderwissen für Berufseinsteigerinnen: Was die Chancengleichheit am Arbeitsplatz verhindert und wie man sich dennoch seinen Platz erkämpft
Karrieren von Frauen werden aus vielfältigen Gründen ausgebremst, schon die ersten fünf Jahre im Beruf sind entscheidend. Mirijam Trunk, eine der jüngsten Führungskräfte Deutschlands, zeigt, welche Fallen zu umgehen sind. Wie man systemgemachte Hürden überwindet, eingeübte Verhaltensweisen herausfordert und Netzwerkstrukturen für sich nutzt, um im Job zum verdienten Erfolg zu gelangen.

Mit Einsichten von Tijen Onaran, Lou Dellert, Fränzi Kühne, Tessa Ganserer, Alice Hasters, Sigrid Nikutta u.a.

MIRIJAM TRUNK, geb. 1991 in Bamberg, studierte Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Politik in München und Washington, D.C. Nach ihrem Master und der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München arbeitete sie als Reporterin beim Bayerischen Rundfunk. 2019 wurde sie im Alter von 27 Jahren Geschäftsführerin der Bertelsmann Audio Alliance und baute das Podcast-Geschäft des Unternehmens auf. Seit 2022 ist sie Teil der ersten Führungsebene von RTL Deutschland und als Chief Crossmedia Officer verantwortlich für die Marken-, Inhalte- und Talent-Entwicklung, weiterhin leitet sie den Bereich Nachhaltigkeit und DE&I (Diversity, Equity & Inclusion). Neben ihrem Beruf ist Mirijam Trunk passionierte Unterstützerin von Gleichstellungsinitiativen und tritt als Autorin und Speakerin für Aufklärung zu struktureller Chancenungleichheit in Deutschland ein.

Worum es hier eigentlich geht


Wahrscheinlichkeitsrechnungen gehören zu den Dingen aus dem Matheunterricht, die mir bis heute wirklich etwas bringen. Wenn ich in einer Urne fünf rote und fünf blaue Kugeln habe, habe ich beim ersten Zug mit genau fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit eine rote Kugel in der Hand. Wenn ich sie nicht zurücklege, ist es beim zweiten Zug wahrscheinlicher, dass ich eine blaue ziehe und so weiter. Stellen wir uns die blauen Kugeln als weiße Männer und die roten als alle anderen Menschen vor. Wer sich anschaut, wie in Deutschland der Weg vom Schulabschluss hin zu Positionen relevanter Mitbestimmung verläuft – zum Beispiel in Vorständen oder Parlamenten – merkt schnell, dass die Regeln der Stochastik hier nicht mehr greifen. Soziale und ethnische Herkunft führen dazu, dass sich während und nach der Schulzeit die ersten Wege trennen: Während 79 % der Kinder aus Akademikerfamilien studieren, sind es bei Nichtakademikerfamilien gerade mal 27 %.[1] Was die Verteilung der Geschlechter angeht, sind die Urnen zumindest bis nach der Uni noch zu gleichen Teilen mit roten und blauen Kugeln gefüllt, doch mit jedem Schritt auf der Karriereleiter werden die roten weniger. Und irgendwann sind die Urnen nur noch blau gefüllt, mit vereinzelten roten Kugeln.

Die AllBright Stiftung setzt sich für mehr Frauen und mehr Diversität in den Führungsetagen ein und veröffentlicht jedes Jahr verschiedene Studien zum Stand der Führungsverteilung in Deutschland. Laut der letzten Erhebung der Stiftung aus dem Herbst 2022 gibt es in den 160 börsennotierten deutschen Unternehmen neun weibliche Vorstandsvorsitzende. Das ist eine Quote von knapp 6 %. [2] In den Vorständen insgesamt waren es im AllBright-März-Bericht 2022 14,3 % Frauen, was immerhin ein Wachstum zum Vorjahr bedeutet, aber nur um ein knappes Prozent.[3] Die Besetzung der Aufsichtsräte, also der Kontrollgremien großer Firmen, entspricht der gesetzlich vorgeschriebenen Frauenquote von etwas über 30 %, bei der sie Jahr für Jahr stagniert und sich teilweise sogar rückläufig entwickelt. 5 % der deutschen Aufsichtsratsvorsitzenden waren im Jahr 2022 weiblich, 95 % männlich.[4] Bei den Familienunternehmen wie Fressnapf, Brose oder Kühne+Nagel sieht es noch schlechter aus: Die hundert größten deutschen Familienunternehmen hatten 2022 eine Frauenquote von 8,3 % in Geschäftsführung oder Vorstand.[5] Während sich Aufsichtsräte und Vorstände der börsennotierten Unternehmen, auch durch den Druck von Quotengesetzen und gesellschaftlichem Wandel, langsam in die richtige Richtung bewegen, hat sich der Anteil von Frauen in den Geschäftsführungen von Familienunternehmen im vollständigen Familienbesitz seit 2020 sogar rückläufig entwickelt.[6]

Ich nutze die Zahlen für Vorstände, Aufsichtsräte und Geschäftsführungen großer Unternehmen, weil sie für Positionen relevanter Mitbestimmung in Deutschland stehen. Genauso könnte man auf die Parlamente blicken: In sieben deutschen Landesparlamenten sind, Stand November 2022, Frauen mit weniger als einem Drittel repräsentiert. In allen ist es weniger als die Hälfte.[7] Im Bundestag sind es 35 %.[8]

Wie passen die Regeln der Stochastik zu diesem Ergebnis? Wenn wir an unsere Urne mit den roten und blauen Kugeln denken: Wie läuft die Ziehung ab und welche besonderen Ereignisse gibt es, die die Wahrscheinlichkeiten derart verändern oder manipulieren?

Ich denke nun schon einige Jahre über diese Frage nach – auch, weil ich eine von wenigen roten Kugeln bin, die es geschafft haben, immer in die nächste Urne zu kommen und irgendwann eine der wenigen unter blauen Kugeln zu sein. Die Antworten, die ich in Gesprächen und Texten auf die Frage bekommen habe, sind vielfältig.

Die wohl beliebteste ist der Verweis auf die Biologie. Frauen kriegen halt die Kinder, und damit schwimmen sie von allein aus dem Pool der Menschen, die für die Positionen von Mitbestimmung infrage kämen. Es sei eben der natürliche Lauf der Dinge, dass die Frau, getrieben vom Mutterinstinkt, mit dem Moment der Befruchtung einer Eizelle gar keine Lust mehr habe, in die Urne für den nächsten Karriereschritt zu gelangen. Die Hormone, der Mutterinstinkt, der Bedarf zu versorgen und ein Nest zu bauen seien wie eine starke Droge, deren Wirkung erst nach vielen Jahren wieder nachlasse. Und dann sei es zu spät, die mangelnde Erfahrung und möglicherweise auch Lücken, was technologische Standards und Marktentwicklungen angeht, für eine berufliche Spitzenposition aufzuholen. Und ja, wir haben in Deutschland ein Betreuungsproblem. Der Staat tut nicht das, was er könnte – und solange das Problem nicht gelöst ist, wird die Farbe Blau weiter die Urnen dominieren.

So simpel die Antwort auf meine Frage klingt, so wenig konnte ich sie akzeptieren. Zum einen gibt es zahlreiche Studien, die die hormonelle Steuerung, wie sie hier gerne angeführt wird, widerlegen. Es ist weder biologisch noch evolutionär belegt, dass Frauen in der Mutterrolle alles andere um sich herum vergessen. In frühen Kulturen war es sogar so, dass der Stamm als Gruppe die Kinder aufzog und die Mütter sehr schnell nach der Geburt wieder ihrer gewohnten Tätigkeit nachgingen.[9] Außerdem erklärt die Theorie der Hormonsteuerung als Karrierekiller nicht, warum so wenige Schwarze* Männer in relevanten Positionen der Mitbestimmung sind, oder Menschen mit Behinderung, oder queere Menschen.

Ich suchte also weiter nach einer Antwort auf meine Frage, wann und warum die roten Kugeln in den Urnen verlorengehen. Eine andere gerne angeführte Theorie ist, dass Männer eben einfach mehr verdienen als Frauen und, sobald die Familienplanung beginnt, die Rollen dadurch klar in die des Versorgers und die der Nestbauerin und eventuell Unterstützerin des Versorgers aufgeteilt werden. Diese Erklärung beschränkt sich offensichtlich auf heteronormative Beziehungen und scheint für sich genommen Sinn zu ergeben: Wenn einer so viel mehr Geld verdient als die andere, ist die Frage, wer zu Hause bleibt, zum Beispiel um sich um die Kinder zu kümmern, eine rein wirtschaftliche Entscheidung.

Meine These ist, dass bereits in den ersten fünf Berufsjahren die Karrierepfade zwischen den Geschlechtern auseinandergehen. Ich denke, dass Familie und Care-Arbeit nur verstärken, was sich viel früher strukturell festlegt. Die offensichtliche, messbare und objektiv nachvollziehbare Tatsache, dass die Diskrepanz ja nicht nur zwischen Mann und Frau besteht – also zwischen trägt kein Kind aus und trägt ein Kind aus –, sondern dass zum Beispiel Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Herkunft, Geschlechtsidentität oder Behinderung ebenfalls dazu zu führen scheinen, dass Menschen es nicht in die nächste Urne schaffen, verstärkt diesen Gedanken.

Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto öfter kam das Wort strukturell auf. Strukturell ist das Gegenteil von individuell: Es bedeutet also, dass der Grund für bestimmte Umstände außerhalb des Einflussbereichs der Entscheidungen einzelner Menschen zu suchen ist. Strukturen liegen all unserem Tun und jeder Interaktion zugrunde, sie bestimmen den Rahmen, in dem wir uns entwickeln, in dem wir interagieren, in dem wir entscheiden. Strukturell bedeutet, dass unser Verhalten nicht immer auf bewussten Entscheidungen beruht. Strukturen geben Denkmuster, Rollenbilder, Annahmen über die Welt vor.

Wenn das Problem also strukturell ist, heißt das, dass es keinen evil board room gibt, von dem aus ein paar mächtige weiße Männer die Welt steuern und sich über all die blauen Kugeln in den Positionen relevanter Mitbestimmung freuen. Es bedeutet, dass alles noch viel komplexer ist, als ich dachte. Denn weiße Männer als augenscheinliche Profiteure des strukturellen Problems sind dann nicht etwa die Täter, sondern ebenso Betroffene, wenn auch die mit den höchsten Gehältern und meisten Möglichkeiten.

Ich habe mich also auf die Suche begeben nach den strukturellen Hürden, die die Regeln der Stochastik so gänzlich aushebeln.

Es gibt keine Chancengleichheit


Ich verspreche, es wird konstruktiver, aber mit einer schlechten Nachricht müssen wir uns abfinden: Es gibt keine Chancengleichheit in Deutschland. Genau genommen gibt es eine ganze Reihe von Dingen, die für eine Frau deutlich wahrscheinlicher sind, als in irgendeine Position von relevanter Mitbestimmung zu kommen. In der Altersarmut zu enden, zum Beispiel, was ein Drittel aller Frauen betrifft.[10] Oder in finanzielle Abhängigkeit von ihrem Mann zu geraten, was die Hälfte aller verheirateten Frauen betrifft.[11] Oder natürlich Opfer von Gewalt zu werden, was jeder dritten Frau mindestens einmal im Leben passiert.[12] Je nachdem, ob eine Frau weiß ist oder eine andere Hautfarbe hat, wen sie liebt und in welchem Körper sie geboren wurde, fallen die Wahrscheinlichkeiten nochmal drastischer aus: Unter gehörlosen Frauen, beispielsweise, geben drei von vier Befragten an, im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt geworden zu sein, über die Hälfte davon von sexualisierter Gewalt.[13]

Die Ansichten und Argumente, die mir in diesem Zusammenhang begegnen, wiederholen sich. Stellen wir uns eine Geburtstagsparty vor: Harald, 62 Jahre, Campingwagenbesitzer und frisch in...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • Alice Hasters • Berufseinstieg • buch feminismus • caroline criado-perez • eBooks • Empowerment • Erfolg • Feminismus • Fränzi Kühne • Frauen und Karriere • Janina Kugel • Judith Williams • Karriereratgeber Frauen • Lean in • Lou Dellert • Margarete Stokowski • Neuerscheinung • Sheryl Sandberg • Springer Verlag • Stuckrad-Barre • Tijen Onaran • Unsichtbare Frauen • Was Männer nie gefragt werden • Weltfrauentag
ISBN-10 3-641-29819-9 / 3641298199
ISBN-13 978-3-641-29819-7 / 9783641298197
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