Das Universum in einem Staubkorn (eBook)

Eine kurze Geschichte des Staubs vom Wohnzimmer bis ins Weltall
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2023
224 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-30393-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Universum in einem Staubkorn - Joseph Scheppach
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Winzige, unscheinbare Phänomene wie die Wollmaus unter dem Sofa verbinden sich mit kosmischen Dimensionen. Ein ganzes Universum eröffnet sich dem interessierten Laien, betrachtet man den Staub mal völlig frei vom Gefühl der Vergeblichkeit beim Putzen und Saugen. Die Spurensuche auf dieser einzigartigen Entdeckungsreise durch Raum und Zeit beginnt bei der Frage nach unserer »Personal Cloud«, der ganz persönlichen Staubwolke, die jeden von uns umgibt. Woher kommt der Staub? Nach welchen Gesetzen verbindet er sich? Und wie können wir uns diesen faszinierenden Stoff zunutze machen?

Joseph Scheppach, geboren 1952, ist Wissenschafts-Journalist und Autor zahlreicher Bücher im Bereich Natur und Technik. Er schreibt unter anderem für die Magazine Natur, mare und Technology Review. 2020 erschien sein Buch über die Menschenrechts-Aktivistin Asia Bibi. 2009 veröffentlichte er, noch vor dem Nature Writing-Trend, das in mehrere Sprachen übersetzte Sachbuch »Das geheime Bewusstsein der Pflanzen: Botschaften aus einer unbekannten Welt«. Er lebt in Schäftlarn bei München.

1.
AM ANFANG WAR DER STAUB

Wo soll man beginnen mit der Milliarden Jahre alten Geschichte des Wichtigsten, was es im Weltall gibt? Fangen wir mit einer Erkenntnis an, über die sich der britische Kosmologe Fred Hoyle lustig machte. Im Jahr 1929 hatte der amerikanische Astronom Edwin Powell Hubble entdeckt, dass sich im Himmel alles auseinanderbewegt. Seine Kollegen folgerten logisch, dass irgendwann einmal alles in einem Punkt verbunden sein musste. Von dort wurde alles erzeugt. Als handle es sich um einen Silvesterkracher, sprach Hoyle spöttisch vom »Big Bang«. Er konnte nicht ahnen, dass seine ironische Metapher die Kosmologie des 20. Jahrhunderts prägen würde.

»Urknall« nennen Forschende das Phänomen, das vor rund 13,8 Milliarden Jahren zündete. Die Ursachen sind bis heute rätselhaft, der Ablauf aber ist genau bekannt: Die Formeln der Astrophysiker besagen, dass die Materie des Universums drei Minuten nach dem Big Bang aus 75 Prozent Wasserstoff und 25 Prozent Helium bestand, angereichert mit den Leichtmetallen Lithium und Beryllium. Diese Zusammensetzung wird im heutigen Universum beobachtet – eine Bestätigung der Urknalltheorie.

Am Anfang gab es keinen Staub, nur sogenanntes primordiales Gas. Es ist nicht leicht zu entzünden. So konnten sich Gasmassen schwerlich zu Sternen zusammenballen. Denn wenn sich Gas zusammenballt, heizt es sich auf, und dieser Hitze wirkt die Schwerkraft entgegen. »Erst als sich 100 Sonnenmassen oder mehr angesammelt hatten, war die Schwerkraft groß genug, um den Kern so stark zusammenzudrücken, dass die Kernfusion zündete: Nun war der Stern geboren«, schreiben Volker Bromm und seine Kollegen von der Universität Texas. »Unsere Simulationen zeigen, dass sich die Sterne der ersten Generation grundlegend von den heutigen Sternen unterschieden: Sie waren durchschnittlich einige Hundert Mal massereicher und mehrere Millionen Mal heller als unsere Sonne. Ihre energiereiche Strahlung durchdrang das umgebende Gas und heizte es auf. Ein einziger dieser Megasterne konnte um sich herum eine heiße Blase von bis zu 15 000 Lichtjahren Durchmesser erzeugen. Zum Vergleich: Unsere Milchstraße hat einen Durchmesser von 100 000 Lichtjahren.«

Im Wettstreit der Kräfte hatte die Hitze gegenüber der Gravitation zunächst die Oberhand. Erst in Galaxien der zweiten Generation, wie der Milchstraßen-Galaxis, gab es Staub, der jene Hitze abführen konnte. Dieser Staub bestand aus schweren Elementen, die sich auch in unserem Körper wiederfinden. Sie entstanden bei der Explosion der Gasgiganten der ersten Generation und sind mit Grillanzündern vergleichbar: Sie brennen sehr schnell und heftig, geben viel Energie ab und verglühen rasch. Ist ihr Brennstoff aufgebraucht, stürzen sie in sich zusammen. Ihr Leben endet in einer ungeheuerlichen Explosion, einer Hypernova.

Dies alles klingt wie etwas, das vor langer Zeit und in weiter Ferne passiert ist – und für den Stoff, aus dem wir gemacht sind, war es das auch. Aber der Prozess ist immer noch im Gange: Ein vor wenigen Jahrzehnten verstorbener Stern in der Großen Magellanschen Wolke, nur eine Galaxie von der Milchstraße entfernt, lieferte Astronomen den Beweis dafür, dass sich alles so abgespielt hat, wie sie es in ihren Theorien beschrieben haben. Mit Hilfe der 64 zusammengeschalteten Antennen des ALMA-Teleskops (Atacama Large Millimeter/submillimeter Array), das sich in der Atacama-Wüste im Norden Chiles befindet, haben Astronomen eine Staubwolke analysiert, die sich nach einer gigantischen Supernova-Explosion zusammenbraute.

Die Geburt der Elemente

Diese kosmische Detonation wurde 1987 entdeckt – die erste mit bloßem Auge sichtbare Supernova, seit Johannes Kepler im Jahr 1604 ein solches Ereignis beobachtet hatte. Die Astronomen richteten ihre Teleskope auf den sterbenden Stern und beobachteten, wie der anfängliche Blitz verblasste und die Schockwelle der Explosion sich nach außen in einer Wolke ausbreitete. Von dieser Wolke erhofften sich die Astronomen die Antwort auf das alte astronomische Rätsel: Erzeugen Supernova-Explosionen wirklich Staub, der aus chemischen Elementen besteht? Wurden die meisten Elemente in unserem Körper, in der Luft, die wir atmen und im Gestein unter unseren Füßen tatsächlich im Inneren eines Sterns erzeugt?

Tatsächlich: Mit Hilfe des ALMA-Teleskops entdeckten die Astronomen endlich den Staub, den sie erwartet hatten. »Wirklich frühe Galaxien sind unglaublich staubig, und dieser Staub spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Galaxien«, so Mikako Matsuura vom University College London in einer Presseerklärung. »Heute wissen wir, dass im frühen Universum der meiste Staub von Supernovae stammt. Endlich haben wir direkte Beweise, die diese Theorie stützen.«

Sie besagt, dass im Inneren gigantischer Sterne Wasserstoff und Helium zu Kohlenstoff fusionierte und so die ersten Staubkörner gebar. »Es waren winzige Partikel, kleiner als der Durchmesser eines Haares«, sagt Nye Evans von der britischen Keele University. »Obwohl so winzig, enthält jeder dieser Staubbälle aber Millionen von Kohlenstoff-Stäubchen.« Wie es dazu gekommen ist, versetzte sogar den Urknall-Skeptiker Fred Hoyle in Begeisterung: »Ein höherer Intellekt muss die Eigenschaften des Kohlenstoffatoms entworfen haben«, staunte er. »Wären nur die blinden Kräfte der Natur im Spiel, wären die Chancen, ein solches Atom zu finden, minimal.« Denn Kohlenstoff konnte sich nur bilden, weil sich zur Wasserstoff-Helium-Fusion noch ein kurzlebiges Atom dazugesellte: Beryllium-8. Es verschwand gleich wieder. Das Millisekunden genaue Timing zwischen Entstehung und Zerfall muss perfekt austariert sein, gleich einem Orchester, bei dem die Resonanzen der Instrumente aufs Allerfeinste harmonieren. Physikalisch ausgedrückt: Die Energieniveaus aller beteiligten Atomkerne mussten exakt dem des Kohlenstoffs entsprechen. Er ist – abgesehen vom Sauerstoff – das häufigste Element in jedem Organismus. Ohne Kohlenstoff kein Stoffwechsel. Ohne Kohlenstoff wären Sie und ich jetzt nicht hier. »Wir sind Sternenstaub, wir sind golden«, singt die US-Kult-Band Crosby, Stills, Nash & Young in ihrem Song »Woodstock«: »Wir sind Milliarden Jahre alter Kohlenstoff.«

Mit jeder neuen Fusionsreaktion im Inneren eines Sterns ging es im Periodensystem weiter nach oben. So wie man Mehl in Brot verwandelt, bildeten sich immer schwerere Elemente: Magnesium, Schwefel, Natrium, Silizium, Platin, Gold, Titan und Uran. Das ging so lange gut, bis der Grenzwert von 56 Nukleonen erreicht war, der Gesamtzahl der Protonen und Neutronen im Kern. Bei einem Element, das im stabilen Zustand 56 Protonen und Neutronen in seinem Kern hat, hört Fusion auf. Dieses Element ist Eisen.

Eisen ist der Stoff, aus dem rote Farbe gemacht wird, die billigste Farbe, die es gibt. Roter Ocker, Fe2O3, eignet sich bestens als Konservierungsmittel, etwa als Anstrich für große Flächen – deshalb sind so gut wie alle Scheunen im Norden der USA und in Skandinavien rot gestrichen. »Diese Farbe ist billig, weil sie reichlich vorhanden ist«, schreibt Yonatan Zunger von der Stanford University. »Und sie ist reichlich vorhanden, weil ihr Ausgangsmaterial – Eisen – in einer Unmenge in sterbenden Sternen entstanden ist.«

Am »Eisen-Punkt« hören die Fusionsreaktionen im Stern auf, und er kollabiert. Er bebt und schüttelt schockartig seine Gashüllen ab. Dieses letzte Höllenfeuer lässt ihn in kaleidoskopartigen Farben erstrahlen – so hell wie Milliarden Sterne. Das ist es, was wir als Supernova erblicken. Es ist ein kosmisches Recycling-Feuerwerk. Der Stern gibt jetzt sein Material in Form von Staub ans Universum zurück: Staub aus Silizium, ein kristallines, gesteinsbildendes Mineral; Staub aus Periklas, ein Magnesiumoxid, das in Marmor enthalten ist; Staub aus Korund, ein Aluminiumoxid, das man auf der Erde je nach Verunreinigung als Rubin oder Saphir kennt.

Solcher Staub jagte vor Milliarden Jahren nach einer Hypernova-Explosion in einer 50 000 Grad Celsius heißen Wolke ins All hinaus. Mit 10 000 Atomen pro Kubikzentimeter war das interstellare Medium von äußerst geringer Dichte – normale Raumluft ist billiardenfach dichter. Aber die Wolke war so unvorstellbar groß, dass sich dennoch ungeheuer viele Staubkörner darin befanden, die größten gerade mal so staubig wie Zigarettenrauch. Und doch wurde aus diesen winzigen Partikeln einmal unsere Sonne – und unsere Erde.

Planetare Embryos und Goldilocks

Dieser Planet ist rund 4,51 Milliarden Jahre alt, aber seine Geschichte begann viel früher als Staubkörnchen auf der rotierenden Scheibe um die junge Sonne. Wie sich dieser Staub nach und nach zu Klümpchen verband, bis diese schließlich zu Planeten heranwuchsen, gab Wissenschaftlern lange Zeit Rätsel auf. Erst Experimente in der Schwerelosigkeit brachten die Lösung. Sechs Minuten lang trug eine unbemannte Maser-8-Rakete eine Versuchsanordnung durch die Mikrogravitation. Die Akteure an Bord waren winzige Kügelchen aus Siliziumdioxid mit einem halben Mikrometer Durchmesser – ultrafeiner Staub. Mikroskop-Kameras zeichneten auf, wie die Körnchen sich miteinander verbanden und zu welchen Strukturen sie heranwuchsen. Verwundert erkannten die Forscher, dass die Schwerkraft dabei keine nennenswerte Rolle spielte. Erst Klumpen mit Durchmessern im Kilometerbereich ziehen sich über ihre Gravitation so stark an, dass es zu Kollisionen kommt. »Auf der Ebene von Mikrometern dominieren dagegen zufällige Wärmebewegungen, die auch auf der Erde für die...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • Allgemeinwissen • Allgemeinwissen Erwachsene • eBooks • Fakten Buch • Feinstaub • Filter • Klima • lustiges Buch • lustiges Geschenk • Mikropartikel • Naturwissenschaft • Neuerscheinung • Physik • Popular science • Populärwissenschaft • Schmutz • science busters • Staubwolke • Universum • Verständlich • Wer nichts weiß, muss alles glauben
ISBN-10 3-641-30393-1 / 3641303931
ISBN-13 978-3-641-30393-8 / 9783641303938
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