Der menschliche Faktor (eBook)

Ein Chirurg über die verlorene Kunst des Heilens
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2023 | 1. Auflage
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-4272-6 (ISBN)

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Der menschliche Faktor -  Axel Haverich
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Axel Haverich ist ein Ausnahmearzt. Als langjähriger Herzchirurg revolutionierte er die Transplantationsmedizin und rettete Hunderte Menschen. Sein ganzes Leben steht im Zeichen der modernen Medizin. Und doch plagen ihn Zweifel. Personalmangel, ökonomischer Druck, schlechte Ausbildung machen krank statt gesund. Es fehlen die Zeit und oft das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, die persönliche Geschichte des Patienten zu kennen. Er fordert, Krankheit nicht nur als zu behebenden Schaden, sondern als Ausprägung der ganzen Persönlichkeit zu begreifen. Nur so werden wir den fatalen Vormarsch chronischer Erkrankungen in den Griff bekommen.



Prof. Dr. Axel Haverich ist Transplantationsmediziner und Herzchirurg. Er gilt als Koryphäe auf seinem Gebiet. Seit 1985 hat er Hunderte von Herzen und Lungen verpflanzt. Er war Chefarzt der Herzchirurgie an der Uniklinik Kiel. Als langjähriger Klinikdirektor entwickelte er zudem die Medizinische Hochschule Hannover zu einem der führenden Transplantationszentren Europas. Zu seinen Patient:innen gehörten u.a. Johannes Rau, Boris Jelzin und Doris Schröder-Köpf.

Prof. Dr. Axel Haverich ist Transplantationsmediziner und Herzchirurg. Er gilt als Koryphäe auf seinem Gebiet. Seit 1985 hat er Hunderte von Herzen und Lungen verpflanzt. Er war Chefarzt der Herzchirurgie an der Uniklinik Kiel. Als langjähriger Klinikdirektor entwickelte er zudem die Medizinische Hochschule Hannover zu einem der führenden Transplantationszentren Europas. Zu seinen Patient:innen gehörten u.a. Johannes Rau, Boris Jelzin und Doris Schröder-Köpf.

Vorwort:

Wie können wir das besser machen?


Die heutige Medizin zeigt ein ganz anderes Gesicht als die, der ich mich vor fünfzig Jahren zuwandte. Die Grundbeziehung jedoch ist unverändert: Das ist der hilfesuchende Kranke auf der einen und der helfende Arzt auf der anderen Seite. Allerdings wissen inzwischen beide mehr über Krankheiten und ihre Ursachen, und wir Chirurgen verfügen über ein weitaus größeres Repertoire an möglichen Eingriffen. Drei Viertel der Patienten, die ich derzeit betreue, hätten wir damals nicht operieren können. Entweder gab es den Eingriff noch gar nicht, oder wir hätten sie aus Altersgründen abgelehnt. Dennoch stößt unsere Hochleistungschirurgie immer wieder an ihre Grenzen, und zwar jeden Tag.

Diese Grenzen haben sich seit Beginn meines Studiums im Jahr 1972 erheblich verschoben. Wissenschaftliche Erkenntnis, technologische Entwicklung und Spezialisierung haben geholfen, ein breiteres Spektrum an Eingriffen mit erheblich verbesserten Ergebnissen für unsere Patienten zu schaffen. Auch ich habe mich bemüht, meinen Anteil zu dieser Grenzerweiterung unseres Faches, der Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie, beizutragen. Freilich, die individuelle Leistung zählt, aber jeder versteht, dass Chirurgie immer Teamarbeit sein muss. Ohne die Richtung genauer bezeichnen zu können, weiß ich, dass der nächsten Generation der Drang nach Verbesserung auferlegt bleibt. Auch wenn meine Laufbahn ans Ende gekommen sein mag, die ärztliche Kunst ist es noch lange nicht.

Als Chirurg, Wissenschaftler und Hochschullehrer habe ich mich stets bemüht, meinem Auftrag in Lehre, Forschung und Krankenversorgung (so lautet die Jobbeschreibung für Staatsdiener wie mich) gerecht zu werden. »Stets bemüht« bescheinigt im Arbeitszeugnis nicht ausreichende Leistungen, aber mehr kann ich mir nicht zumessen: Zu wenig Lehre habe ich für die Studierenden aufgebracht, nicht allen Assistenten konnte ich das Operieren wirklich gut vermitteln. Das wissenschaftliche Arbeiten war mir nicht in die Wiege gelegt, ich musste mühsam lernen, die Vielzahl meiner Ideen in praktikable Konzepte umzusetzen. Auch bei der Krankenversorgung trügt der Schein: Zwar werde ich seit vielen Jahren in der Herzchirurgie unter den »1000 besten Ärzten« geführt, dennoch konnte ich nicht allen 10.000 von mir operierten Patienten helfen. Einige meiner chirurgischen Niederlagen müssen daher hier auch Erwähnung finden.

Meinem Naturell entsprechend, habe ich mich wiederholt außerhalb dieser drei Arbeitsfelder begeben und dabei nicht selten Missfallen erregt. Die Kopfnoten sind seit meiner Schulzeit problematisch geblieben. Übrigens wäre ich mit meinem damals durchaus sehr guten Abitur unter den heute gültigen Numerus-clausus-Bedingungen nicht unmittelbar für einen Studienplatz in der Humanmedizin qualifiziert.

Ist da etwas schiefgelaufen? Keineswegs, ich bin genau an den Job gekommen, den ich immer schon wollte.

Der Beruf des Arztes bringt es mit sich, dass man ständig mit dem Leiden der anderen konfrontiert ist. Wenn man sich dem uns innewohnenden Antrieb, helfen zu wollen, nicht verschließt – wir sind nun einmal soziale Wesen, die noch dazu mit einem moralischen Kompass ausgestattet sind –, prüft man sich nach jedem Einsatz: Wie können wir das besser machen? Diese Selbstbefragung kann nie streng genug ausfallen.

Ich verwende hier keinen Pluralis Majestatis, wie ihn Kollegen gern benutzen, die bei ihren Patienten mehr Disziplin anmahnen: »Herr Meyer, hier müssen wir noch ein paar Kilo abnehmen!«, ich meine die kollektive Anstrengung eines Teams von Ärzten und Pflegern, die sich um das Wohl der ihnen Anvertrauten bemühen. Ich war aktiver Handballspieler und habe daher das Trainerwort verinnerlicht, dass nicht der Einzelne, sondern die Mannschaft der Star ist. Das gilt vor allem für Institutionen, die Hochleistungsmedizin betreiben wollen, denn neue medizinische Techniken und Eingriffe werden nur von einer eingespielten Gruppe bewältigt, deren Mitglieder sich bereitwillig zur Hand gehen. Das Gleiche gilt für die Forschung, bei der vor allem interdisziplinär aufgebaute Projekte neue Wege erkunden und so rascher ans Ziel kommen.

Wer sich um Besserung bemüht, hat zunächst einmal seinen ganz persönlichen Einsatz in die Waagschale zu werfen. Der Wille dazu fällt einem nicht Tag für Tag in den Schoß, aber ohne die notwendige innere Spannung gelingt nichts. Das Ungenügen, das ich dennoch immer wieder verspüre, geht darüber hinaus, es rührt nicht von fehlender Disziplin oder einer mangelhaften Organisation des Heilens her, sondern von den Defiziten der ärztlichen Kunst und Wissenschaft. Wir können und wissen noch nicht genug! Regelmäßig stoßen wir an unsere Grenzen, wenn nicht im Operationssaal, dann auf der Intensivstation.

Deutlich wird das, wenn man die sogenannten Volkskrankheiten betrachtet. Darunter versteht man heute vor allem Lungenkrankheiten, Atherosklerose, Infektionskrankheiten, wie z. B. Covid, Diabetes, Demenz und natürlich Krebs.

Nimmt man die Krebsmedizin oder die Herzchirurgie, in der ich tätig bin, so ist unabweisbar, dass wir seit den fünfziger und sechziger Jahren beträchtliche Fortschritte erzielt haben. Krebs oder ein krankes Herz waren damals in aller Regel ein Todesurteil, heute ist es gelungen, durch frühzeitige Entdeckung, Verfeinerung der Behandlungsmethoden und langfristige Nachbehandlung die Überlebenschancen deutlich zu erhöhen. Als Forscher kann ich mich jedoch nicht damit abfinden, dass die Ursachen dieser Volkskrankheiten immer noch unverstanden sind. Schon deshalb kann man sich nicht mit dem Erreichten abfinden.

Wer sich auf die Suche macht, darf sich keiner Illusion hingeben: Die Zeit der großen, eleganten Lösungen, die die frühe Phase der modernen Medizin von Ignaz Semmelweis über Louis Pasteur zu Alexander Fleming bestimmt hat, ist vorbei. Wer bei Volkskrankheiten nachgräbt, wird nicht auf den einen Erreger stoßen, wie das bei Tbc, Pocken oder Pest der Fall war, sondern auf ein ganzes Bündel von Ursachen. Der Forschungsimpuls gerät auch deshalb an seine Grenzen, weil sie struktureller Natur sind, denn die Entstehung von Volkskrankheiten hat Gründe, die eng mit unserer Kultur und Zivilisation verwoben sind.

Bei Volkskrankheiten haben wir es immer mit Zivilisationsschäden zu tun. Ich will ein kurzes Beispiel geben: Vor einigen Jahren habe ich einen neuen Ansatz zum Verständnis der Entstehung von Atherosklerose vorgestellt. Die bisher verbreitete Lehrmeinung macht die im Blut vorhandenen Fette, das Cholesterin, dafür verantwortlich. Diese Fette lagern sich an der Arterienwand ein und bilden Plaques, Verdickungen, die den Blutdurchfluss behindern oder gar abschneiden. Zudem ist die Gefahr gegeben, dass sich solche Plaques von der Arterienwand lösen und an anderer Stelle eine Embolie verursachen, die die Versorgung lebenswichtiger Organe unterbinden kann. Dieser Auffassung nach sind in erster Linie ein erhöhter Cholesterinspiegel und die ihn bedingende Risikoernährung dafür maßgeblich. Um dem entgegenzuwirken, werden dem Patienten sogenannte Statine verabreicht, Mittel, die den Fettstoffwechsel beeinflussen und den Cholesterinspiegel senken. Des Weiteren werden Risikopersonen zu diätetischen Einschränkungen angehalten. So weit die gängige Theorie.

Als Herzchirurg bin ich ständig mit Arterien befasst, noch dazu auf eine buchstäblich handgreifliche Weise. Bei den Tausenden von Eingriffen fiel mir auf, dass Arterien, die in oder an einem Muskel verlaufen, nie von solchen Plaques befallen waren. Geschädigt waren nur solche, die durch ein Netzwerk kleiner Blutgefäße in den äußeren Schichten der Arterie versorgt werden. Entzünden sich die Vasa vasorum genannten kleinen Gefäße, sterben Zellen ab und werden einschließlich der Fettreste vom Immunsystem abgebaut. Durch diesen Reparaturprozess entstehen Zellabfälle, Plaques, die eine Verdickung an der Innenwand des Muttergefäßes herbeiführen. Als wir diese Plaques genauer untersuchten, ließen sich dreißig verschiedene Keime nachweisen, unter anderem auch Dieselpartikel, die zweifellos von Verbrennungsmotoren herrührten. Versucht man, diesen Zusammenhang statistisch auszudrücken, stellt man fest, dass immer dann, wenn Entzündungsherde verstärkt auftreten, bei Grippeepidemien oder unter hoher Feinstaubbelastung, die Anzahl der Herzinfarkte ebenso deutlich zunimmt. Der entscheidende Ansatz wäre daher, entzündliche Prozesse so gut wie möglich zu unterbinden.

Entzündungen also! Bei der Vielzahl äußerer Einflussfaktoren, die auch noch eine Reihe von Krankheiten gleichzeitig auslösen, können molekularbiologische Testverfahren, die üblicherweise an genetisch modifizierten Mäusen vorgenommen werden, der Wahrheit trotz großer Anstrengungen nicht näher kommen. Hier fehlt es der Wissenschaft an übergeordneten, vor allem aus klinischen Krankheitsbildern entwickelten Hypothesen zur Entstehung dieser Entzündungen.

Wie könnten sie aber verhindert werden? An diesen Überlegungen lässt sich das Dilemma mit den Volkskrankheiten ablesen. Sie sind eng verflochten mit unserem Lebensstil, wer nach der Krankheit fragt, beginnt unseren Way of Life in Zweifel zu ziehen. Als Herzchirurg stehe ich mitten im Geschehen, denn die WHO beziffert die jährliche Anzahl von Todesfällen, die auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückgehen, auf 17,5 Millionen. Geht man das Ursachenpaket für Atherosklerose durch, so wird man schnell die üblichen Verdächtigen ausmachen können, die wir zwar gut genug kennen, aber immer wieder ausblenden: Feinstaub, Stress, übergroße Arbeitsbelastung, ungesunder Lebenswandel, zu wenig Sport. Natürlich kann man sich als Arzt darauf beschränken, akute körperliche...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Boris Jelzin • Doris Schröder-Koepf • Fachkräftemangel • Forschungsstandort Deutschland • Hans Georg Borst • Medizinische Hochschule Hannover • Ökonomisierung der Medizin • Patient-Arzt-Verhältnis • Pflegekrise • Politik und Gesellschaft • Transplantationschirurgie • überlastung des gesundheitssystems • versorgungsengpässe
ISBN-10 3-7517-4272-7 / 3751742727
ISBN-13 978-3-7517-4272-6 / 9783751742726
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