Rechtspopulismus in der Opposition (eBook)
406 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45423-8 (ISBN)
Fedor Ruhose, Dr. phil., ist seit 2024 Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz; zuvor war er Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz. Zwischen 2014 und 2021 arbeitete er als Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz. Darüber hinaus ist er Policy Fellow am Berliner Think Tank »Das Progressive Zentrum«.
Fedor Ruhose, Dr. phil., ist seit 2024 Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz; zuvor war er Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz. Zwischen 2014 und 2021 arbeitete er als Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz. Darüber hinaus ist er Policy Fellow am Berliner Think Tank »Das Progressive Zentrum«.
2.Forschungsstand
2.1Rechtspopulismus – eine Begriffsklärung
Die Frage, was Rechtspopulismus ist, prägt die wissenschaftliche Debatte (Wolf 2017: 7–16, Decker 2018a; Minkenberg 2018). Decker weist darauf hin, dass der Begriff Populismus – ob von rechts oder links verwendet –insbesondere wegen seiner »Wertgeladenheit« (2004: 21) umstritten sei. Für zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist er ein »ungenauer, schillernder und nebulöser« Begriff (Hartleb 2011: 53). Priester (2012) vergleicht den Populismus im Gesamten daher schon im Titel ihres Buches mit einem »Chamäleon«. Mudde überschreibt seinen Versuch mit der Überschrift »defining the undefinable« (2004: 542). Nach Dubiel ist Populismus immer dann erfolgreich, wenn das gesellschaftliche Gefüge »von wirtschaftlichen Notwendigkeiten, sozialstrukturellen Machtverteilungen und kulturellen Bewusstseinsformen in Bewegung gerät« (1986: 47).
Um zu ergründen, wie populistische Kräfte diese Situationen, die sogenannten »populistischen Momente« (Goodwyn 1978) nutzen, haben sich in der Forschung zwei Herangehensweisen herausgebildet. Forscher wie Hartleb (2004) versuchen, möglichst genau die Merkmale der populistischen Politik zu beschreiben. Hier wird Populismus als politischer Stil verstanden und von der inhaltlichen Komponente gelöst. Andere Autoren, wie z. B. Bauer (2010: 4) fassen Populismus eher als bestimmte Form politischer Kommunikation auf. In der Forschung hat sich mittlerweile die breiter ausgelegte erstgenannte Ansicht durchgesetzt. Dem Populismus wird deshalb nicht mehr – wie noch weithin in den 1980er und 1990er Jahren – »jede ideologische Qualität« (Decker 2021: 777) abgesprochen. Die zweite Herangehensweise versucht daher, einen ideologischen Kern des Populismus herauszuarbeiten. Nach Mudde (2004: 543) teilt der Populismus die Gesellschaft in zwei sich gegenüberstehende Einheiten: das ›wahre Volk‹ gegen ›die korrupte Elite‹. Daraus resultiert die Kennzeichnung des Populismus als »dünne Ideologie« (Mudde 2004: 544). In der ursprünglich von Freeden entwickelten Bezeichnung spiegelt sich die Ansicht, dass der Populismus einen ideologischen Kern aufweist, der mit weiteren ideologischen Konzepten angereichert werden kann (1998: 750). Decker bezeichnet diesen Kern als »Anti-Establishment-Haltung« und Vereinnahmung des »Volkswillen« (2021: 777).
Das Fundament der Ideologie des Rechtspopulismus ist mithin eine verkürzte Vorstellung eines kulturell homogenen ›Volkes‹, das sich gegen eine vermeintlich vermachtete und abgehobene ›politische Klasse‹ abgrenzt. Der Populismus nimmt für sich in Anspruch, den ›kleinen Mann‹ gegen das politische Establishment zu verteidigen und zu vertreten. Unterschiede zwischen Parteien und Politikern werden bewusst ignoriert. Diese Strömung kennt nur ›die Parteien‹ oder ›die etablierte Politik‹. Hiermit gehen häufiger Forderungen nach (mehr) direkter Demokratie einher, um dem ›Willen des Volkes‹ oder der ›schweigenden Mehrheit‹ Ausdruck zu verleihen. »Der Souveränität des Volkes wird absolute Geltung zugemessen« Lewandowsky (2012: 391).9 Der Rechtspopulismus nutzt zudem eine zweite Abgrenzungsfolie nämlich die, gegenüber »den Anderen« (Wolf 2017: 16). Diese Abgrenzung dient der Erschaffung oder Stärkung eigener Identitäten, eines homogenen ›Wir‹ gegen ›Die‹. Nativismus und Autoritarismus sind deshalb laut Mudde (2020: 44-46) weitere zentrale Merkmale der rechtspopulistischen Ideologie.
Decker (2021: 778) weist jedoch darauf hin, dass die rechtspopulistische Identitätspolitik breiter gefasst müsste, da sich »das Bedürfnis nach kultureller Identität unterschiedlich« begreifen lasse. Das ›Fremde‹ – das die Abgrenzung zur eigenen Identität ausmacht – sei nahezu beliebig austauschbar. Dahinter können sich Migranten, der Islam, Intellektuelle, die EU oder die Globalisierung verbergen. Der Rechtspopulismus sei folglich auch für solche Menschen anschlussfähig, die einer nicht-nativistischen Sichtweise anhängen, entscheidend seien das populistische Demokratieverständnis (Steiner/Landwehr 2018; Loew/Faas 2019) und der emotional aufgeladene »Verlust der hergebrachten Identität […]. Dieser Verlust wiegt umso schwerer, als im Zuge von Individualisierungsprozessen auch andere Gruppenbindungen schwinden (Identitäts-/Sinnkrise)« (Decker 2021: 778 f.; Hervorhebung im Original).
Das vorliegende Forschungsvorhaben richtet den Blick darauf in welcher Form und mit welchen Methoden diese Verlustängste angesprochen werden. »Innerhalb und jenseits der Organisationsstrukturen hängt die Mobilisierungsfähigkeit der populistischen Akteure maßgeblich davon ab, wie sie ihr Wählerpublikum adressieren« (Decker 2021: 778).
»Emotionalisierung« (Decker 2021: 779) ist dabei ein zentraler Faktor. Laut Taggart (2004: 274) führt die Bedrohung des rechtspopulistisch definierten ›heartland‹ – also der Bedrohung des ›Wir‹ durch ›Die‹ – in Zeiten von gesellschaftlicher Desintegration und Fragmentierung zu einer moralisch aufgeladenen Abgrenzung gegen ›die Elite‹ und deren Gesellschaftsbild. Die Rechtspopulisten sprechen die Verlustängste der von ihnen umworbenen Wählerinnen und Wähler dabei nicht nur offen an, sondern wollen auch den Eindruck erwecken, sie können ihnen diese Ängste nehmen.
2.2Die Zuordnung der AfD zu den rechtspopulistischen Parteien
Genau diese von Bargen (2019: 17) beschriebene Rolle strebt die AfD an. Sie wird in der politikwissenschaftlichen Literatur deswegen seit Längerem nahezu unisono als rechtspopulistische Partei charakterisiert (Arzheimer 2019; Franzmann 2018). Wurde in frühen Untersuchungen des Kommunikationsverhaltens im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 der AfD noch attestiert, sie konzentriere sich auf die Euro-Politik und die ›klassischen‹ Themen des Rechtspopulismus wie Islamkritik oder Migration spielten bei ihr kaum eine Rolle (Berbuir et al. 2015: 154 f.), konnte in einer Analyse des AfD-Bundestagswahlkampfs 2017 das typische Profil einer rechtspopulistischen Partei festgestellt werden (Häusler et al. 2017: 18 f.). Zu diesen ersten empirischen Forschungsarbeiten treten eine Reihe normativ orientierter Analysen, die die Partei von Anfang an auf der Seite der Neuen Rechten einordneten (bspw. Häusler/Roesler 2015).
Mudde/Rovira Kaltwasser (2019: 13 f.) klassifizieren die AfD als ›radikal rechte populistische Partei‹, die ›Nativismus, Autoritarismus und Populismus miteinander‹ verbindet. Einige Autoren schlagen andere Umschreibungen vor. Heitmeyer (2018: 231) spricht z. B. von einer nationalradikalen, autoritären Partei, Häusler (2018: 78) bezeichnet ihre Politik als völkisch-autoritären Populismus. Sie berücksichtigen dadurch, dass sich die AfD in besonderer Form und aus pragmatischen Gründen selbst radikalisiert und in Richtung Rechtsextremismus bewegt hat (Sundermeyer 2018: 69). Hier soll der Begriff Rechtspopulismus beibehalten werden, denn auch wenn es diese Selbstradikalisierung gibt, kann zumindest die AfD-Fraktion im Bundestag im Beobachtungszeitraum nicht als rechtsextrem beschrieben werden.
Bei der AfD sind die Wesensmerkmale des Rechtspopulismus klar zu beobachten, die Decker (2019: 250–270) herausarbeitet. Sie vertritt eine starke Elitenkritik, die als überwölbende Klammer die unterschiedlichen Strömungen verbindet. Bei Alexander Gauland (2018a: 10) wird dies sogar zu einer ideologisch unterlegten Anti-System-Haltung ausgebaut. Dieser Punkt wird in der Frage der Oppositionsführung der Alternative für Deutschland zu berücksichtigen sein. Während die AfD in Fragen der Wirtschafts- und Verteilungspolitik im Beobachtungszeitraum nicht über eine geklärte Positionierung verfügte, sind ihre Positionen in der Gesellschaftspolitik umso klarer und innerparteilich wenig umstritten.
Hier fordert sie die Begrenzung der Zuwanderung, unterstützt eine homogene Nationalkultur und vertritt traditionelle Positionen in der Geschlechter- und Familienpolitik. In ...
Erscheint lt. Verlag | 20.1.2023 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Politische Systeme |
Schlagworte | 19. Deutscher Bundestag • AfD • Alexander Gauland • Alice Weidel • Alternative für Deutschland • Arbeit • Bundesrepublik Deutschland • Bundestag • Bundestagswahl 2017 • Corona-Pandemie • Einzug • Entwicklung • Fraktion • Führung • Große Koalition • Landtagswahl • Opposition • Organisation • Parlament • Parlamentarismusforschung • Partei • Parteienforschung • Protest • Provokation • Rechtsextreme Partei • Rechtsextremismus • Rechtspopulismus • Sozialstuktur • Strategie • Wähler |
ISBN-10 | 3-593-45423-8 / 3593454238 |
ISBN-13 | 978-3-593-45423-8 / 9783593454238 |
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