Schuldlos in Haft (eBook)

Ein Schwarzbuch der Justizirrtümer | Ein Kompendium fataler Fehlurteile
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2962-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schuldlos in Haft -  Patrick Burow
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Es kann jeden treffen! Kaum zu glauben: Selbst in Rechtstaaten wie dem unseren ist fast jede vierte richterliche Entscheidung falsch. Oft genug werden  hierzulande Menschen grundlos verurteilt und landen unschuldig hinter Gitter. Genauso schlimm: Die Justiz lernt nicht aus ihren Fehlern, sondern verteidigt (Fehl-)Urteile mit Zähnen und Klauen. Justizopfer werden mit ihren Problemen allein gelassen. Patrick Burow bietet ein bestürzendes Kompendium an fatalen Fehlurteilen und deckt die Gründe dafür auf, die zum Teil systemimmanent, mitunter aber auch erschreckend banal sind. Und er macht Reformvorschläge, wie man Justizirrtümer wenn schon nicht gänzlich vermeiden, so doch wenigstens verringern kann. 

Dr. iur. Patrick Burow, geboren 1965 in Hamburg, promovierte in seiner Geburtsstadt und ist seit 1996 Richter in Sachsen-Anhalt. Unter seinem Pseudonym Falk van Helsing veröffentlichte er bereits 14 Humorbücher beim Eichborn- und Lappan-Verlag mit einer Gesamtauflage von rund 130.000 Exemplaren. Bei Ullstein erschien von ihm unter anderem 'Ich habe nicht geschossen, nur ein bisschen'.

Dr. iur. Patrick Burow, geboren 1965 in Hamburg, promovierte in seiner Geburtsstadt und ist seit 1996 Richter in Sachsen-Anhalt. Unter seinem Pseudonym Falk van Helsing veröffentlichte er bereits 14 Humorbücher beim Eichborn- und Lappan-Verlag mit einer Gesamtauflage von rund 130.000 Exemplaren. Bei Ullstein erschien von ihm unter anderem "Ich habe nicht geschossen, nur ein bisschen".

Einleitung


Was ist ein Justizirrtum? Eine Definition


»Ich bin unschuldig!«, schreien viele Verurteilte, wenn sie aus dem Gerichtssaal abgeführt werden. »Das ist ein Justizirrtum!«, ergänzen sie gerne noch. Jeder hat so etwas schon einmal gehört, sei es real, sei es in Film und Fernsehen. Es klingt billig, kitschig, abgedroschen.

Doch was, wenn der Verurteilte die Wahrheit sagt?

Von einem Justizirrtum spricht man, wenn ein Angeklagter verurteilt wird, obwohl er unschuldig ist. Der Richter unterliegt einer Fehlvorstellung über den tatsächlichen Geschehensablauf. Dabei muss ein Justizirrtum nicht immer ein Urteil sein. Auch der Haftbefehl gegen einen Unschuldigen oder die Freilassung eines Schuldigen kann ein Justizirrtum sein.

Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, und stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie liegen gemütlich in Ihrem Bett. Plötzlich wird mit einem lauten Krachen Ihre Wohnungstür eingetreten. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei stürmt in Ihr Schlafzimmer. Während zwei maskierte Einsatzkräfte Ihnen den Lauf einer MP5 vor die Nase halten, dreht Ihnen ein Dritter die Arme auf den Rücken und fixiert Ihre Hände mit einem Kabelbinder. Sie werden mäßig bekleidet durchs Treppenhaus hinabgezerrt, in einen Einsatzwagen bugsiert und stehen schon bald vor dem Ermittlungsrichter. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines Anschlags. Sie beteuern Ihre Unschuld, versichern verzweifelt, es müsse sich um einen Irrtum handeln, eine Verwechslung, ein Missverständnis. Doch man glaubt Ihnen nicht, weder jetzt noch später im Prozess. Sie wandern jahrelang unschuldig hinter Gitter. In den USA werden Sie vielleicht sogar hingerichtet.

Es kann jeden treffen. Jeder von uns kann Opfer eines Justizirrtums werden. Auch der unbescholtene Bürger, auch die unbescholtene Bürgerin kann fast über Nacht zum verurteilten Verbrecher oder zur verurteilten Verbrecherin werden. Die spektakulärsten Fälle dieser Art werden in diesem Buch geschildert. Sie lassen tief blicken in den Abgrund hoch angesehener Justizsysteme.

Übrigens: Bedenken Sie bei jedem Urteil, das Ihnen in den folgenden Kapiteln begegnet: Jedes Urteil, auch das Fehlurteil, wird »Im Namen des Volkes« verkündet – also in unser aller Namen!

Justizirrtümer sind häufig,
werden jedoch verschwiegen


Sie werden erkennen, dass Justizirrtümer viel öfter vorkommen, als man denkt. Ihre Ursachen sind so banal wie alltäglich: Augenzeugen irren sich, Informanten lügen, Geständnisse werden erzwungen, Verteidiger schlafen während der Verhandlung, Sachverständige begutachten ohne Sachverstand. Opfer eines Justizirrtums kann jeder werden, vom vorbestraften Junkie über den biederen Familienvater bis hin zum Prominenten. Dabei wird die Existenz von Justizirrtümern offiziell meist verschwiegen, um das hohe Ansehen, das sich die Justiz selbst zuschreibt, nicht zu gefährden. Das institutionelle Verschweigen zeigt sich schon daran, dass »Justizirrtum« kein juristischer Fachbegriff ist: Nicht ein einziges deutsches Gesetz verwendet diesen Begriff. »Ein Richter irrt nicht« und »Wir wollen die Bevölkerung nicht beunruhigen« – das scheinen die Leitlinien zu sein. Auch die juristische Fachliteratur, die sich sonst jedes noch so unbedeutenden Rechtsproblems in epischer Breite annimmt, schweigt hierzu überwiegend. Folglich gibt es auch keine amtlichen Statistiken über Justizirrtümer oder Fehlurteile, obwohl in der Justiz sonst so gut wie alles statistisch erfasst wird. Beispielsweise wird akribisch aufgelistet, wie viele Verfahren ein Richter monatlich erledigt und auf welche Weise. Es existieren auch Statistiken zur Verfahrensdauer und zu den entstandenen Kosten. Ob das Resultat richtig oder falsch war, scheint dagegen niemanden zu interessieren. Die Justiz hat aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen nicht das geringste Interesse daran, die Häufigkeit und Ursachen von Fehlurteilen zu dokumentieren, geschweige denn zu erforschen.

Dabei ist es ein Leichtes, zumindest die Erfolgsquote von Wiederaufnahmeanträgen statistisch zu erfassen. Einige wenige Autoren haben immerhin versucht, aufgrund der Anzahl erfolgreicher Wiederaufnahme- und Revisionsverfahren sowie anhand der von der Justiz gezahlten Haftentschädigungen Rückschlüsse auf die Fehlurteilsquote zu ziehen. Die Schätzungen variieren zwischen einem und 30 Prozent. Laut dem Richter am Bundesgerichtshof Eschelbach sei es die »Lebenslüge« der Justiz, dass es »kaum falsche Strafurteile« gebe. Er schätzt die Fehlurteilsquote auf 25 Prozent. Nach Angaben des rechtspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, werden pro Jahr in Deutschland 400 Menschen zu Unrecht inhaftiert. Aber gleichgültig, ob es ein Prozent oder 30 Prozent sind, es sind auf jeden Fall zu viele.

Ein Blick nach Amerika zeigt das Ausmaß dieses Problems noch deutlicher. Ein Juraprofessor hat in New York das Innocence Project (deutsch: Projekt Unschuld) gegründet, das sich um die Aufklärung von Justizirrtümern bemüht. Studenten nehmen sich alte Strafakten vor, suchen nach Fehlern in der jeweiligen Verurteilung und versuchen, gegebenenfalls eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen. Seit 1992 hat das Innocence Project 375 Menschen aus den Gefängnissen befreit, darunter 21 Todeskandidaten. Das National Registry of Exonerations ist ein Projekt dreier Universitäten. Es sammelt alle bekannten Fehlurteile in den USA. Seine Mission ist, umfassend über nachträgliche Entlastungen unschuldiger Angeklagter zu informieren, um künftige Fehlverurteilungen durch Lehren aus vergangenen Fehlern zu verhindern. Seit 1989 wurden in der Datenbank über 3 200 Fehlurteile erfasst. Das entspricht 27 000 Jahren Lebenszeit, die unschuldigen Menschen geraubt wurden. Eine systematische Untersuchung in den USA kam zu dem Schluss, dass 11,6 Prozent der Häftlinge unschuldig im Gefängnis sitzen.

Allein diese aufgedeckten Fehlurteile zeigen deutlich, dass die Anzahl der Justizirrtümer allgemein viel zu hoch ist, als dass man noch von Einzelfällen sprechen könnte. Es gibt inzwischen Unschuldsprojekte in allen US-Bundesstaaten und Ländern wie Australien, Kanada und Großbritannien. Zusammengerechnet gehen die aufgedeckten Fehlurteile in die Zehntausende. In Deutschland gibt es auch erste Ansätze dazu. So haben die Universitäten Berlin und Göttingen das gemeinsame Projekt »Fehlurteil und Wiederaufnahme« ins Leben gerufen (www.wiederaufnahme.com).

Die Justizopfer der in diesem Buch geschilderten rund hundert Fehlentscheidungen haben zusammengerechnet 955 Jahre unschuldig in Haft gesessen, 13 wurden sogar hingerichtet.

Dabei sind die aufgedeckten Fehlurteile nur die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer unschuldig Verurteilter ist sehr hoch. Denn viele Justizirrtümer werden nur durch Zufall aufgedeckt, zum Beispiel, wenn der wahre Täter überraschend die Tat gesteht oder durch massive Hilfe Dritter wie Journalisten oder eben der genannten Unschuldsprojekte. Nicht wenige unschuldig Inhaftierte werden über die Jahre eher resignieren, anstatt weiter für die Aufklärung ihres Justizirrtums zu kämpfen. Auch in deutschen Gefängnissen sitzen unter Garantie zahlreiche unschuldig Verurteilte ein, denen kein rettender Zufall oder Journalist zu Hilfe kommt.

Ein weiterer Faktor, der in den letzten 20 Jahren zu einer Welle von aufgedeckten Fehlurteilen geführt hat, sind neuartige DNA-Analysen. Dadurch ist das Thema der Justizirrtümer aktueller denn je. Während früher die Analyse von am Tatort gesicherten Blutspuren, Spermien und Haaren nur ungenaue Ergebnisse lieferte, kann heute durch den genetischen Fingerabdruck eine Person zu 99,99 Prozent als Täter überführt oder aber entlastet werden. Solche wissenschaftlichen und forensischen Fortschritte machen Hoffnung, dass dadurch in Zukunft die Dunkelziffer unschuldig Verurteilter verringert, deren Wiederaufnahmeverfahren ermöglicht und bestenfalls Fehlurteilen vorgebeugt werden kann.

Verheerende Folgen von Justizirrtümern


Die Fehler von Strafrichtern zerstören Leben, denn die Folgen von Justizirrtümern sind für die Betroffenen desaströs:

  • Den unschuldig Verurteilten wird wertvolle Lebenszeit, bei Todesstrafe sogar ihr Leben geraubt.
  • Der wahre Täter bleibt auf freiem Fuß und kann weitere Verbrechen begehen.
  • Die bürgerliche Existenz wird vernichtet. Der Arbeitsplatz geht verloren, und etwaiges Vermögen wird für hohe Rechtsanwaltskosten aufgebraucht. Eine Rückkehr in den alten Beruf ist selbst nach einer Rehabilitierung oft nicht möglich. Ein Justizopfer zu werden ist für die meisten gleichbedeutend mit dem existenziellen Ruin.
  • Ehen und Familien zerbrechen. Kinder müssen ohne ihren Vater oder ihre Mutter aufwachsen, manche davon im Heim. Auch das Leben der Angehörigen des oder der Verurteilten wird durch den Justizirrtum aus der Bahn geworfen oder sogar mit zerstört.
  • Unschuldig Verurteilte werden durch das Fehlurteil und ihre Inhaftierung oft traumatisiert. Eine langjährige Gefängnisstrafe ist wie ein »Tod auf Raten«. Viele Inhaftierte verlassen das Gefängnis trotz späteren Freispruchs als gebrochene, gesundheitlich und psychisch angeschlagene Menschen; einige von ihnen...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Behördenwillkür • Fehlurteil • Gefängnis • Haftstrafe • Jurafakten • Justizirrtum • Monte Christo • Polizei • Rechtstaat • Richter • Staat • Staatsanwalt • True Crime • Unrecht • Unschuld • unschuldig verdächtigt • Verbrechen • wahre • Willkür
ISBN-10 3-8437-2962-X / 384372962X
ISBN-13 978-3-8437-2962-8 / 9783843729628
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