Anti-Girlboss (eBook)

Den Kapitalismus vom Sofa bekämpfen | Plädoyer für das gute Leben in der Komfortzone
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
220 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2894-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Anti-Girlboss -  Nadia Shehadeh
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»Work hard, party hard!« »Leistung zahlt sich aus!« Solche hohlen Phrasen kann Nadia Shehadeh nicht mehr hören. Was, wenn der Führungsjob mit Verantwortung keinen Spaß macht, Papier sortieren am Kopierer aber schon? Was, wenn man kein Leben auf der Überholspur führen möchte, sondern lieber auf der Couch liegt und auf »productivity« pfeift? Und was, wenn das von vielen gelobte Leistungsprinzip eigentlich nur eine Mär ist, die Statusunterschiede nicht erklären kann und Menschen unglücklich macht?  Vor allem Frauen wird eingetrichtert, dass sie sich mit individuellem Ehrgeiz aus gesellschaftlichen Ungerechtigkeitsstrukturen befreien könnten. Das ist kollektiver Selbstbetrug, der uns auf perfide Art Chancengleichheit vortäuscht und zu immer mehr bezahlter und unbezahlter Arbeit antreibt, findet Nadia Shehadeh. Statt ein stressiges Leben auf der Überholspur befürwortet sie das Leben als Anti-Girlboss: Ambition spielt darin keine Hauptrolle mehr und das Durchschnittliche wird nicht verachtet, sondern begrüßt. Sie plädiert dafür, sich eine Komfortzone zu bewahren, die davor schützt, für Anforderungen von außen auszubrennen.  Wenn wir erkennen, dass es nicht so wichtig ist, alles zu haben, alles zu können und immer am Limit zu arbeiten, lebt sich das Leben nicht nur leichter, sondern auch glücklicher. 

Nadia Shehadeh, geboren 1980, ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Livemusik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie betreibt ihren eigenen Blog shehadistan.com und ist Mitbetreiberin des Blogprojekts maedchenmannschaft.net. Shehadeh ist Kolumnistin des Missy Magazine sowie bei Neues Deutschland und freie Autorin bei der taz. Hauptberuflich arbeitet sie seit 2007 als Soziologin in der Erwachsenen- und Jugendarbeit.

Nadia Shehadeh, geboren 1980, ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie betreibt ihren eigenen Blog shehadistan.com und ist Mitbetreiberin des Blogprojekts maedchenmannschaft.net. Shehadeh ist Kolumnistin des Missy Magazine sowie bei Neues Deutschland und freie Autorin bei der taz. Hauptberuflich arbeitet sie seit 2007 als Soziologin in der Erwachsenen- und Jugendarbeit.

Prolog


»Oh Mann, heute habe ich richtig Bock zu arbeiten!«, ist wahrscheinlich einer meiner Lieblingssätze. Lol. Leg das Buch noch nicht weg. Das war ein kleiner Witz. »Heute nicht mit mir!«, trifft es schon eher, denn »Heute nicht mit mir«-Tage sind einfach die besten. Arbeiten? Na ja. Keine Termine und keine Verpflichtungen? Das trifft schon eher meine Vorstellung von einem perfekten Tag!

Müßiggang und gemütliche Stunden, in denen ich im Schlafanzug vor mich hinchillen kann, ohne dass irgendjemand etwas von mir will oder mir sonst wie auf den Keks gegangen wird – das ist meine Vorstellung vom Paradies. Und meine Lieblingsbeschäftigungen sind an »Heute nicht mit mir!«-Tagen die, die genau genommen eigentlich gar keine richtigen Beschäftigungen sind: chillen, die Wand anstarren und über sinnloses Zeug nachdenken – zum Beispiel darüber, ob die Schauspielerin Brittany Murphy 2009 an einem grippalen Infekt oder einem Schimmelproblem in ihrem Haus gestorben ist. Ihr seht schon: Ich liebe »Aktivitäten«™, von denen immer gesagt wird, dass man sich ihnen eher nur dosiert hingeben soll, wenn man ein produktives und salonfähiges Mitglied der Gesellschaft sein will. Ich mag Dinge, die ich in meinem Alter (ich bin Jahrgang 1980) eigentlich nicht mehr so gut finden sollte. Dazu gehören:

Prokrastinieren. Prokrastination hat einen furchtbar schlechten Ruf, und seit man herausgefunden haben will, dass es sich um ein emotionales und kein Zeitmanagement-Problem handelt, ist sie sozusagen der Endfeind – aber nicht für mich. Prokrastination hat mir schon viele gute Dinge beschert: Ein neues Badezimmer, saubere Fenster, eine von A bis Z sortierte Plattensammlung. Es gibt durchaus Schlimmeres. Wenn es also heute etwas gibt, das du auf morgen verschieben kannst: Nur zu. Solange keine_r stirbt und du nicht im Gefängnis landest, kann es so schlimm nicht sein!

Stundenlang auf mein Handy starren. Ebenfalls sehr verpönt, weil es – so wird landläufig angenommen – dumm, träge und antriebslos machen kann. Stundenlang auf sein Smartphone gucken ist der Inbegriff von Losertum – und, wenn ich ehrlich bin, wahrscheinlich mein größtes und erfolgreichstes Hobby. Ich bin ein Champion am Smartphone und schäme mich nicht dafür. Auch Doublescreening, also das Benutzen von mehreren technischen Devices gleichzeitig, gehört zu meinen Spezialitäten: Auf einem Tablet eine Serie gucken und nebenbei auf dem Handy bei Instagram die Schauspieler_innen stalken? Meine Königsdisziplin!

Intensiv in den sozialen Netzwerken im Internet herumturnen: Auch hier bin ich Meisterin meines Fachs, obwohl ständig davor gewarnt wird, dass eine exzessive Nutzung negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben und im schlimmsten Fall zu Depressionen führen kann. Mir haben die Sozialen Netzwerke schon viele schöne Stunden und vor allem viele neue Freund_innen gebracht. Deswegen scrolle ich weiter – ohne schlechtes Gewissen.

Ich hänge so viel auf Facebook rum, dass ich wahrscheinlich eine der ersten User_innen war, bei denen diese neue Warnung auf der Startseite landete: »Nutze Facebook nicht, um dich abzulenken! Finde heraus, wie viel Zeit du in der Facebook-App auf diesem Gerät verbringst!« – ungefähr so. Und was soll ich sagen: Wenn sogar schon Mark Zuckerbergs Imperium dir mitteilt, dass du zu oft und zu lang in seinem sozialen Netzwerk rumpimmelst, dann ist da wahrscheinlich was dran. Ich bin eine Slackerin, ein Faulpelz, wenn FDP-Fritze Christian Lindner eine wie mich treffen würde, liefe es ihm kalt den Rücken runter.

Ich mache all das, was angeblich nicht so gut ist, wenn man die beste Version seiner selbst sein will. Aber was soll ich sagen: Ich bin zufrieden – meistens jedenfalls. Ich habe alles im Griff. Meine Wohnung ist sauber. Ich gehe arbeiten, ich bezahle meine Rechnungen und Steuern – richtig erwachsen. Ich will mich nicht optimieren, denn ich finde mich optimal genug. Ich bin durchschnittlich, glücklich damit, und Menschen, die mich persönlich kennen, würden das mit Sicherheit unterschreiben.

»Das Patriarchat hat uns lange genug ausgemergelt«, hat eine Freundin mal gesagt. »Ich finde, es ist an der Zeit, dass die Leute und vor allem auch wir uns endlich mal in Ruhe lassen.« Und ich finde, das trifft den Nagel auf den Kopf.

Seit ich beschlossen habe, dass Auszeiten nicht nur angenehm, sondern auch wunderbar subversiv sind, nehme ich sie mir öfter. Ich liebe es, mich in wirklich skurrile Themen zu vertiefen (meine Fachgebiete: das Schimmelproblem in Brittany Murphys Haus, die turbulente Beziehung von INXS-Sänger Michael Hutchence und Paula Yates und die Küchenutensilien von Schauspielerin Debi Mazar). Ich mache gern Dinge, die weder mir noch jemand anderem etwas bringen außer Spaß. Je sinnloser, desto besser.

Ich gehe zur Arbeit, weil ich muss. Ich mache Feierabend, sobald ich kann. Ich besitze mehrere Flauschbademäntel, und wenn ich mich nach einem Arbeitstag oder verrichteten Aufgaben in einen einpacke, überkommen mich nahezu religiöse Gefühle, die ich entsprechend verbalisiere: »Halleluja!«, stöhne ich dann, oder: »Gott sei Dank!«

Ich hänge gerne zu Hause herum, auch wenn einem ständig eingetrichtert wird, dass es da so stinklangweilig ist, dass man auf jeden Fall noch irgendwo arbeiten gehen muss, damit einem nicht die Decke auf den Kopf fällt. Mir fällt zu Hause nichts auf den Kopf, im Gegenteil: Ich kann lesen, Nickerchen machen, Videospiele spielen, Musik hören, Fernsehen gucken, und wenn es mir doch mal zu öde wird, kann ich Freund_innen einladen oder rausgehen und Orte aufsuchen, die nichts mit Arbeit zu tun haben. Denn davon gibt es eine Menge. Ich habe ein Lebensmotto, an das ich fest glaube: Ein halbwegs öder Tag zu Hause ist immer noch besser als ein interessanter Tag bei der Arbeit. Wer was anderes behauptet, soll mich vom Gegenteil überzeugen – und das wird schwer.

Ein guter Tag geht für mich so: Ich wache auf, wann ich will, kann in meinem eigenen Tempo starten, ich kann mich treiben und überraschen lassen, welcher Schabernack mir als Nächstes einfällt. Bestenfalls verurteile ich mich am Ende eines solchen Tages nicht dafür, dass ich einfach nur gut gelaunt hindurchscharwenzelt bin, ohne etwas Bahnbrechendes auf die Reihe bekommen zu haben. Natürlich kenne auch ich all die Vorwürfe, die man sich machen kann, wenn man einfach nur existiert. Trotzdem versuche ich, mir diese Tage, wann immer es geht, zu gönnen – auch wenn sie selten sind. Oft müssen ein paar Stunden oder Minuten ausreichen, da auch ich meistens arbeiten oder Dinge erledigen muss, die mir von außen auferlegt worden sind, damit mein Alltag funktioniert. Und Verantwortung nehme ich nach wie vor ernst – auch wenn ich nicht ganz vorne mitschwimmen muss, heißt das nicht, dass ich mich komplett dem Nichtstun hingebe (obwohl es sehr schön wäre). Ich habe es aber geschafft, mich in einer Komfortzone einzurichten, in der ich mich meistens gerne aufhalte.

Und ich habe einen Verdacht: Es wimmelt da draußen nur so von Menschen, die das Gleiche empfinden wie ich. Menschen zum Beispiel, die nicht erfolgreich sein wollen oder können, sondern sich durchs Leben bewegen, ohne ständig irgendwelchen Fantasiezielen hinterherzuhecheln. Die sich an Quatsch erfreuen und keine Lust haben, ständig abzuliefern und zu glänzen. Die sich immer öfter zurücklehnen, ohne zu denken, dass es eine Todsünde ist und unbedingt abtrainiert gehört. Menschen, die verstanden haben, dass es nicht der Sinn des Lebens sein kann, sich für ein Gesellschaftssystem auszubluten, das einem jeden Tag Energie abzwackt.

Auch ich habe lange gedacht, ich müsste irgendwie motivierter, dynamischer, ambitionierter, durchdachter und planvoller durch mein Leben wandeln, aber egal, was ich tat, ich kam nie an einen Punkt, an dem ich das Gefühl hatte: Jetzt ist es genug. Jetzt bin ich genug.

Ein besserer Job, eine schönere Wohnung, noch mehr Geld, noch mehr Sport, noch mehr Wissen, noch mehr Fremdsprachen, noch mehr Soft Skills, noch mehr Qualifikationen. Wenn ich eine Sache von der »To-achieve«-Liste abgehakt hatte, kamen gleich zehn neue dazu. Ein Teufelskreis. Bis ich irgendwann beschloss: Ich lasse es jetzt. Nicht als Achtsamkeitsübung, nicht als Resilienzförderungsstrategie, nicht als Zaubertrick, der mich insgeheim zu noch mehr Produktivität verführen wird, nein: Ich lasse es einfach, aus Prinzip – und erlaube mir, aus dem Hustle auszusteigen.

Dieses Buch ist nicht für Girlbosse, sondern für Girl-Angestellte, Girl-Workerinnen, Girlloser und andere Anti-Girlbosse. Es ist kein Achtsamkeitsratgeber und keine »How to Upgrade Your Life«-Bibel. Es ist ein Plädoyer dafür, sich in eine Wolldecke zu wickeln, eine Pizza in den Ofen zu schieben und sich Tagträumen hinzugeben – und zwar ohne schlechtes Gewissen. Es soll einen Anreiz liefern, hier und da ein Extra-Schläfchen einzuplanen und es als Widerstand gegen den Kapitalismus zu begreifen. Wer sich jetzt schon hinlegen will: Nur zu. Niemand stirbt, wenn du erst morgen weiterliest! Ich schon gar...

Erscheint lt. Verlag 23.2.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Arbeit • Erholung • Feminismus • Freizeit • Gender • Hausarbeit • Karriere • Kritik • Load • Manifest • Mental • Neoliberalismus • Pay Gap • Pop culture • Regretting Motherhood • Seltbstverwirklichung • Work
ISBN-10 3-8437-2894-1 / 3843728941
ISBN-13 978-3-8437-2894-2 / 9783843728942
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