Blackbox Bundeswehr (eBook)

Die 100-Milliarden-Illusion - Was unsere Truppe jetzt wirklich braucht | Von der Zeitenwende zu echten Reformen in der deutschen Armee
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
320 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2898-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blackbox Bundeswehr -  Achim Wohlgethan,  Martin Specht
Systemvoraussetzungen
18,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Der Ex-Fallschirmjäger Achim Wohlgethan ist als Mitarbeiter im Außendienst für den Deutschen Bundeswehrverband nahezu täglich in halb Deutschland an Liegenschaften der Bundeswehr im Einsatz. Er kennt die Sorgen und Nöte der Soldatinnen und Soldaten, die Probleme, Mängel, verkrusteten Strukturen und politischen Fehler aus erster Hand. Seine Analyse zeigt, was in der Truppe und den einzelnen Einsatzbereichen, der Führungskultur und beim Commitment der Politik im Argen liegt und warum wir uns mit dieser Bundeswehr nicht sicher und gut verteidigt fühlen können. 100 Milliarden sind ein Tropfen auf den heißen Stein - zumal die Herausforderungen der neuen Bedrohungslage sowie die internationalen Aufgaben innerhalb der NATO die Bundeswehr künftig immer stärker fordern werden. Achim Wohlgethan beschreibt das Versagen der Politik und bei der Nachwuchsgewinnung sowie den katastrophalen Umgang mit Veteranen. Er berechnet die wahren Kosten für eine einsatzfähige Bundeswehr und gibt der Politik eine konstruktive To-do-Liste an die Hand.

Achim Wohlgethan, geboren 1966 in Wolfsburg, diente als Fallschirmjäger bei der Bundeswehr. Endstation Kabul, der Tatsachenbericht über seinen Einsatz in Afghanistan, war 2008 monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Wohlgethan lebt als Autor und Sicherheitsberater in Wolfsburg.

Achim Wohlgethan diente als Fallschirmjäger bei der Bundeswehr. Endstation Kabul, der Tatsachenbericht über seinen Einsatz in Afghanistan, war 2008 monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Wohlgethan lebt als Autor und Sicherheitsberater in Wolfsburg.

1. Glück ab mit dem »Gefechtshelm Zwischenlösung«


Fahrzeuge, die nicht fahren, Flugzeuge, die nicht fliegen, Schiffe, die nicht in See stechen, um die Worte des Bundeskanzlers abzuwandeln, davon hat die Bundeswehr genug. Doch für mich ist nicht das mängelgeplagte Großgerät ausschlaggebend für den Zustand einer Armee, sondern der einzelne Soldat oder die Soldatin. Diese Menschen sind die Truppe! Darum möchte ich meine Betrachtung über den Zustand der Bundeswehr auch gerade bei ihnen beginnen. Besonders in diesem Punkt müssen wir genau hinschauen, wenn wir über die Blackbox Bundeswehr und deren Zustand sprechen. Was wird ganz konkret dem einzelnen Soldaten – oder der Soldatin – vom Dienstherrn an die Hand gegeben, damit er seinen Auftrag erfüllen kann? Da wären zunächst einmal so grundlegende Ausrüstungsgegenstände wie Einsatzbekleidung, Helm und Waffe. Diese drei Dinge braucht jeder Soldat zwingend. Laut Bundeswehr ist er damit so ausgestattet, dass er seinen Auftrag unter allen klimatischen Bedingungen erfüllen kann. Ich werde hier exemplarisch an den Beispielen Einsatzbekleidung, Gefechtshelm und Sturmgewehr aufzeigen, wie es in Wirklichkeit darum bestellt ist.

Einsatzbekleidung


Infanteristen führen ihre Einsätze im Gelände durch. Dabei sind sie in unterschiedlichen Klimazonen mitunter extremer Hitze, aber auch extremer Kälte und Nässe ausgesetzt. Vom Konzept her will die Bundeswehr ihre Soldaten weltweit einsetzen können, darum müssen sie auf die speziellen Gegebenheiten im jeweiligen Einsatzgebiet vorbereitet sein. Dazu hat sie eine Reihe von Uniformen verschiedener Tarnmuster und zusätzliche Bekleidung in ihrem Bestand. Schutz gegen Kälte oder Hitze oder Nässe, Schneebekleidung, tropentaugliche Uniformen, schwere und leichte Kampfstiefel und so weiter. Bis hin zu Socken und Unterwäsche ist für den Soldaten alles da – oder sollte es zumindest sein. Tatsächlich ist dies jedoch nicht der Fall. Ich werde noch ausführlich darüber berichten, dass es bei der Einkleidung von Rekruten zu langwierigen Verzögerungen kommt, die einen reibungslosen Ablauf der Grundausbildung unmöglich machen. Rekruten, wird manch einer sagen, da kann es schon mal zu Engpässen kommen, damit muss man eben leben. Doch bei Soldaten im Auslandseinsatz sieht die Sache anders aus. So stellte die Wehrbeauftragte des Bundestages Eva Högl nach einem Besuch beim Kontingent der Bundeswehr in Litauen mit Befremden fest: »Hunderte von Kontingentsoldatinnen und -soldaten leisten jeden Tag ihren Dienst in Litauen professionell und engagiert und haben dafür jede erdenkliche Anerkennung verdient. Gleichzeitig hat die Battlegroup das Material zur Verfügung, um ihren Auftrag hier in Litauen zu erfüllen und einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des NATO-Bündnisgebietes zu leisten. Jedoch gibt es auch hier noch Nachholbedarf und Handlungsaufträge, die ich mit nach Berlin nehmen werde. Beispielsweise wurde mir in der Gesprächsrunde mit den Vertrauenspersonen berichtet, dass alle hier eingesetzten Soldatinnen und Soldaten ihre Winterbekleidung, die sie vorher im Rahmen des VJTF-Auftrages [der schnellen Eingreiftruppe der NATO] noch erhalten hatten, für diesen Einsatz wieder abgeben mussten. Das ist bei Temperaturen von zum Teil unter –20 Grad, die hier im litauischen Winter vorkommen, nicht hinnehmbar und auch aus meiner Bewertung sehr unverständlich.« In der Tat ist dieses gravierende Versäumnis bei der Planung eines wichtigen Auslandseinsatzes überhaupt nicht nachzuvollziehen. Die Führung der Bundeswehr muss sich auf alle Eventualitäten einstellen, wenn sie sich und ihre Einsatzkräfte vor fatalen Überraschungen bewahren will. Darum, so sollte man meinen, wäre es auch klug und umsichtig, wenn das Kontingent der Bundeswehr, das in den Wintermonaten in Litauen eingesetzt wird, mit entsprechendem Kälteschutz in diesen Einsatz geht. In Litauen – nahe Finnland – können im Winter durchaus arktische Temperaturen herrschen. Jeder Infanterist, der bei diesen Wetterverhältnissen draußen seinen Dienst verrichtet, weiß: Richtige Ausrüstung ist überlebenswichtig.

»Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Kleidung«, den Spruch bekommen schon Pfadfinder zu hören, und die Logik, die darin liegt, versteht sich von selbst. Umso schwerer ist es zu verstehen, dass den Bundeswehrsoldaten in Litauen, die an der wichtigen Ostflanke der NATO eingesetzt sind, diese Kälteschutzausrüstung in den Wintermonaten 2021 fehlte. Vielen Kameraden bleibt in so einer Situation nichts anderes übrig, als sich fehlende Ausrüstung selbst zu kaufen. Ich habe in meiner aktiven Dienstzeit insgesamt mehrere Tausend Euro in Equipment investiert, weil das dienstlich gelieferte Zeug entweder zu nichts taugte oder einfach nicht verfügbar war. Besonders in den Afghanistan-Einsätzen zeigten sich die Grenzen des Materials. Wer Wert auf Beweglichkeit – die im Kampfeinsatz zwingend nötig ist – und geringeres Gewicht legte, kaufte sich seine Sachen kurzerhand selbst. Ich erinnere mich noch an die Handschuhe, die die Bundeswehr ausgibt. Sie schützen nicht nennenswert vor Kälte oder Nässe und sind nicht sehr benutzerfreundlich. Wenn ich mit derart behandschuhten Fingern etwas auf einem Tablet oder Funkgerät – beides Werkzeuge eines modernen Soldaten – eingeben soll, habe ich keine Chance. Vom geringen Abzugsgewicht eines Scharfschützen- oder Präzisionsgewehrs, für das man sprichwörtlich Fingerspitzengefühl braucht, mal ganz zu schweigen. Ein ewiges Thema für jeden Soldaten sind auch die Kampfstiefel. Infanteristen marschieren viel. Gutes Schuhwerk ist darum von elementarer Bedeutung, und jeder weiß, dass man es einlaufen muss. Wenn es also erst kurz vor einem Auslandseinsatz ausgegeben wird, kann man das Einlaufen vergessen. Am besten, man zieht die Stiefel gar nicht erst an und nimmt die, die man sich schon gekauft und eingelaufen hat. Blasen an den Füßen im Einsatz braucht man nun wirklich nicht. Was ich hier erzähle, ist in der Truppe bekannt, und die meisten Kameradinnen und Kameraden werden mir beipflichten. Dass viel Privatausrüstung verwendet wird, zeigt sich übrigens, wenn man sich Bilder aus den Auslandseinsätzen ansieht und darauf achtet, wie zusammengewürfelt und uneinheitlich manche Einheiten gekleidet sind. Jeder erfahrene Soldat nimmt eben einfach das, was für ihn am besten funktioniert. Weil sie um die Mängel wissen und an der Sicherheit ihrer Soldaten interessiert sind, tolerieren die meisten Vorgesetzten diese Praxis. Damit könne man ja – abgesehen von den hohen Kosten, die der Soldat selbst tragen muss – leben, wird jetzt manch einer sagen, doch es gibt da einen Dämpfer. Aus Versicherungsgründen ist es Soldaten nicht gestattet, private Ausrüstung – also solche, die nicht von der Bundeswehr ausgegeben und zertifiziert wurde – in Dienst und Einsatz zu benutzen. Jeder Soldat ist durch seinen Dienstherrn im Schadens- und schlimmstenfalls Todesfall versichert. Dadurch steht der Soldat vor dem Dilemma: Bringt er sich und seine Kameraden durch minderwertige – oder ganz fehlende – Ausrüstung in Gefahr, oder handelt er verantwortungsvoll im Sinne der Auftragserfüllung und riskiert damit, dass er oder seine Angehörigen im Schadensfall ohne Hilfe dastehen? Ich erinnere mich an eine tragische Episode aus meiner aktiven Dienstzeit bei den Fallschirmjägern. Ein Kamerad kam bei einem Sprungunfall ums Leben. Wie bei solchen Vorfällen üblich, wurde von den Spezialisten der Bundeswehr eine Untersuchung gemacht. Aus den von mir erwähnten Gründen trug der Kamerad nicht die dienstlich gelieferten Stiefel. Auch als Fallschirmjäger muss man ja nach dem Absetzen erhebliche Distanzen zu Fuß und mit Gepäck zurücklegen, darum achtete jeder auf vernünftiges Schuhwerk. Jedenfalls weigerte sich die Versicherung, in diesem Fall zu zahlen. Der Kamerad war gerade zum zweiten Mal Vater geworden und hinterließ eine junge Familie. Wir sammelten daraufhin im Verband, und es kam eine stattliche Summe zusammen, aber verglichen mit der Versicherungsleistung waren es Peanuts. Was ich hier beschreibe, sind beileibe keine Einzelfälle, sondern Alltag in der Bundeswehr. Darum sind die meisten Einheiten dazu übergegangen, in ihren Sanitätsbereichen mindestens einen Satz dienstlich gelieferter Ausrüstung vorzuhalten, den sie im Ernstfall dem Verwundeten schnell überziehen. In Afghanistan hatte unser Sanitäter zu diesem Zweck immer noch einen zusätzlichen dienstlich gelieferten »Plattenträger« – die Weste, mit der keramische Platten zum Schutz vor Geschossen und Splittern getragen werden – mit dabei. Wirklich benutzt hat das schwere Ding in meiner Einheit kaum jemand. Manchmal wurden auch einfach die Platten herausgenommen, um beweglicher zu sein. Wie ich hier zu erklären versucht habe, besteht das Problem nicht nur in fehlender, sondern auch in mangelhafter, ungeeigneter Einsatzkleidung. In einer Bundeswehr, die weltweit einsatzbereit sein will, sollte also jeder Soldat ständig über mindestens einen Satz der entsprechenden Einsatzbekleidung und der persönlichen Ausrüstung verfügen. Das wäre zumindest nötig, wenn die...

Erscheint lt. Verlag 30.3.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Analyse • Armee • bundeswehrverband • Endstation Kabul • Ex-Soldat • Insider • Kritik • Militär • Schwarzbuch • Sicherheit • Soldat • Sondervermögen • Verteidigung • Veteranen • Zeitenwende
ISBN-10 3-8437-2898-4 / 3843728984
ISBN-13 978-3-8437-2898-0 / 9783843728980
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Warum sich im Rettungsdienst zeigt, was in unserer Gesellschaft …

von Luis Teichmann

eBook Download (2024)
Goldmann Verlag
14,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99