Mein wütendes Land (eBook)

Eine Reise durch die gespaltenen Staaten von Amerika | Vom Pulitzer-Preisträger, National-Book-Award-Gewinner und Autor des internationalen Bestsellers »Joe Biden. Ein Porträt«

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
635 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77399-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein wütendes Land -  Evan Osnos
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»Osnos erzählt die bewegende Geschichte düsterer Zeiten mit einer Menschlichkeit, die Hoffnung auf etwas Besseres verspricht.« Michael J. Sandel

Nach zehn Jahren als Korrespondent im Nahen Osten und in China zieht Evan Osnos 2013 zurück in die USA. Doch das Land, in das er heimkehrt, ist kaum wiederzuerkennen. Chancengleichheit, Rechtsstaatlichkeit, der Glaube an die Macht der Wahrheit - die fundamentalen Prinzipien der ältesten Demokratie der Welt scheinen ihre Selbstverständlichkeit eingebüßt zu haben. 2016 wird Donald Trump zum Präsidenten gewählt, vier Jahre später stürmen seine Unterstützer das Kapitol. Aus den vereinigten sind die gespaltenen Staaten von Amerika geworden.

Evan Osnos hat diese Entwicklungen über Jahre beobachtet. Er versucht zu verstehen und zu erklären: warum im reichen Greenwich an der Ostküste, wo er aufgewachsen ist, aus gemäßigten Konservativen eingefleischte Trump-Anhänger wurden. Wie sich in Clarksburg, West Virginia, wo er seinen ersten Job bei einer Zeitung annahm, die Opioid-Krise zur nationalen Katastrophe ausweiten konnte. Und was die Ursachen sind für den Rassismus, die Waffengewalt und die Ungleichheit in Chicago, wo er selbst zu einem gefragten Journalisten aufstieg. Aus eindringlichen Porträts entsteht eine große Erzählung, die vom 11. September 2001 bis zum 6. Januar 2021 reicht. Der Pulitzer-Preisträger zeichnet nach, wie die USA den moralischen Kompass verloren, der einst aus einer Vereinigung von Staaten die Vereinigten Staaten machte.



<p>Evan Osnos, geboren 1976, ist ein US-amerikanischer Buchautor und Journalist. Seit 2008 ist er Redakteur beim Magazin The New Yorker. Zusammen mit Kollegen erhielt er 2008 den Pulitzer-Preis für investigativen Journalismus. Sein Buch <em>Große Ambitionen. Chinas grenzenloser Traum</em> wurde 2014 mit dem National Book Award ausgezeichnet.</p>

Vorwort


Potter Valley, Kalifornien

27. Juli 2018

Auf einem Hügel drei Autostunden nördlich von San Francisco wanderte ein Rancher durch das raschelnde goldgelbe Gras einer Wiese. Glenn Kile lebte in einem Landstrich im Westen der Vereinigten Staaten, der von der Natur derart gesegnet ist, dass die Indianer ihm den Namen »Ba-lo Kai« gegeben haben – das grünende Tal. Doch an diesem Tag war es ein erbarmungsloses Tal. Die Temperatur lag bei fast 40 Grad Celsius im Schatten, und die extreme Hitze dauerte schon seit Tagen an. Die heißesten Sommer in der Geschichte Kaliforniens waren alle in den letzten zwei Jahrzehnten registriert worden, und auf den Feldern im grünenden Tal roch es nach trockenem Stroh.

Etwa 30 Meter von seinem Haus entfernt blieb der Rancher bei einem kleinen Loch im schwarzgrauen Boden stehen. Es war der Eingang zu einem unterirdischen Wespennest. Er holte einen Stahlhammer und trieb eine rostige Eisenstange in das Loch, um es zu verschließen. Als Metall auf Metall traf, flog ein Funke, der Funke flog ins Gras, und das Gras fing Feuer. Der Rancher versuchte mit dem Fuß, die Flammen mit Erde zu ersticken, aber die Hitze dieses schlimmen Sommers hatte das Erdreich zu Stein gebacken. Kile probierte, das Feuer mit einem alten Trampolin zu ersticken, aber das trockene Gewebe fing ebenfalls Feuer. Kile wollte das Feuer mit Wasser löschen, aber der Gummischlauch schmolz. Als der Rancher ins Haus lief, um die Feuerwehr zu Hilfe zu rufen, konnte er den Lauf der Geschichte nicht mehr ändern. Innerhalb einer halben Stunde hatte das Inferno 20 Morgen Land verschlungen und wälzte sich auf die ausgedörrten Wälder und verstreuten Häuser am Horizont zu. Die Feuerwehrleute bezeichnen diese Gegend als »Wildland« – ein mit nahezu perfektem Zündholz bedecktes Gebiet, das eher ein Zustand als ein Ort ist.

Der von Glenn Kile geschlagene Funke löste den bis dahin größten Waldbrand in der Geschichte Kaliforniens aus, doch dieser Rekord sollte bald gebrochen werden – und dann ein weiteres Mal. Der Flächenbrand, der die Bezeichnung »Mendocino Complex Fire« erhielt, wütete einen Monat lang – dieses Triebwerk aus Wind und Flammen verschlang eine Fläche, die doppelt so groß war wie die von New York City. Es war ein Meilenstein in den Annalen der Erderwärmung. Als das Inferno endlich vorüber war, gelangten die kalifornischen Behörden zu dem Ergebnis, dass der Rancher Glenn Kile nicht für die Katastrophe verantwortlich war. Er hatte den Funken entzündet, aber die wirklichen Ursachen der Katastrophe lagen tiefer. Das Feuer war Ausdruck von Kräften, die sich seit Jahrzehnten sammelten.

Diese Geschichte erinnerte mich an ein politisches Bonmot aus einem Buch von Mao Tse-tung. »Aus einem Funken kann ein Steppenbrand entstehen«, schrieb Mao. Er wusste wenig über die Vereinigten Staaten, aber mit den brutalen Wahrheiten der Politik war er vertraut. Als ich in der Regierungszeit Donald Trumps in Washington lebte, musste ich oft an das Bild der Landschaft denken, in der ein Flächenbrand bevorsteht. Manchmal wirkte es wie eine Metapher, manchmal wie eine Tatsachenbeschreibung. Aber am Ende deutete ich es anders, nämlich als eine Parabel auf eine Zeit in der amerikanischen Geschichte, in der das Land und die Menschen einander als Spiegelbilder ihrer Wut dienten. Ich wollte herausfinden, wie es dazu gekommen war und was diese Zeit uns hinterlassen würde.

***

Die Amerikaner zählen zu den rastlosesten Völkern auf der Erde. In den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts packte jedes Jahr ein Fünftel der amerikanischen Bevölkerung seine Siebensachen und brach auf, um sich anderswo einen Ehepartner, einen Arbeitsplatz oder ein Haus mit Garten in einem Vorort zu suchen. Meine eigene Familie machte es auch so. Mein Vater kam im Jahr 1944 als Flüchtling in die Vereinigten Staaten; er war als Sohn jüdischer Eltern in Indien zur Welt gekommen und musste im Weltkrieg mit seiner Familie aus Polen fliehen. Meine Mutter wurde in Marokko geboren, sie war die Tochter amerikanischer Diplomaten aus Chicago. Meine Eltern lernten sich während des Vietnamkriegs in Saigon kennen, wo meine Mutter für eine Hilfsorganisation und mein Vater als Zeitungsjournalist arbeitete. Als die beiden in die Vereinigten Staaten zurückkehrten, um zu heiraten, hatte der Anlass einen sehr amerikanischen Eklektizismus an sich: Ein in Indien geborener Jude und eine in Marokko geborene angelsächsische Protestantin gaben einander auf einem Standesamt in Michigan das Jawort.

Ich verließ die Vereinigten Staaten gut ein Jahr nach dem Terrorangriff am 11. September 2001. Das Land bereitete sich auf den Krieg gegen den Irak vor, und ich berichtete aus Bagdad, Kairo und von anderen Orten im Nahen Osten. Einige Jahre später ging ich nach Peking, wo ich Sarabeth Berman aus Massachusetts kennenlernte, die als Theater- und Tanzproduzentin ins Ausland gegangen war. Wir heirateten und entschlossen uns schließlich zur Heimkehr. Wenn wir zu lange im Ausland blieben, meinte Sarabeth, würde es uns am Ende schwerfallen, überhaupt in unser Heimatland zurückzukehren.

Im Jahr 2013 machten wir uns daran, unseren Umzug nach Washington zu planen. In den Jahren im Ausland hatten wir die globale Reaktion auf Barack Obamas Wahlsieg beobachtet – der mancherorts Begeisterung und andernorts Besorgnis geweckt hatte –, aber wir wussten nicht viel darüber, was seine Präsidentschaft für die Amerikaner selbst bedeutete. Ich hatte den Wahlabend im November 2008 umgeben von neugierigen Chinesen im Fernsehen verfolgt. Die Aussicht auf einen Schwarzen im Weißen Haus weckte überall ein Gefühl großer Möglichkeiten, vor allem bei Menschen, die sich noch daran erinnern konnten, dass die Vereinigten Staaten ihnen einst nach Maßgabe des Chinese Exclusion Act die Einreise verweigert hatten. Als Obama tatsächlich siegte, stieß Wang Chong, ein chinesischer Journalist, der neben mir stand, einen kleinen Jubelschrei aus. »Die ethnische Diskriminierung ist im Denken der Chinesen tief verankert«, sagte er.

Eine Heimkehr verspricht immer die Möglichkeit, den eigenen Herkunftsort mit neuen Augen zu sehen. Der Autor John Gunther kehrte in den vierziger Jahren in die Vereinigten Staaten zurück, nachdem er aus Europa über den Weltkrieg berichtet hatte. Manchmal, schrieb er in seinem 1947 veröffentlichten Buch Inside U. ‌S. ‌A., fühlte er sich wie »ein Marsmensch«. Gunther reagierte irritiert auf einige Wesenszüge seiner Heimat: Die rassistische Segregation im Süden, schrieb er, habe Ghettos geschaffen, die schlimmer seien »als alles, was ich in Europa gesehen habe, das Warschauer Ghetto inbegriffen«. Andere Eigenschaften des Landes erfüllten ihn mit Freude. Auf seinen Reisen durch die Vereinigten Staaten fragte er die Leute: »Woran glauben Sie am meisten?« Ihre Antworten: an Arbeit, Kinder, Thomas Jefferson, Gott, die Goldene Regel, den Satz des Pythagoras, hohe Zölle, niedrige Zölle, günstigere Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Glück, gute Straßen, Santa Claus. Aber die häufigste Antwort war: »An die Menschen, wenn man ihnen eine faire Chance gibt.«

Am 7. Juli 2013 landeten Sarabeth und ich am Dulles International Airport in Washington, D. ‌C. Bei der Passkontrolle nahm ich eine Broschüre mit, die den Titel »Willkommen in den Vereinigten Staaten« trug. Sie wurde von der Behörde für Zoll und Grenzschutz herausgegeben; das Titelblatt zierte ein Foto vom Washington Monument mit blühenden Kirschbäumen. Der erste Satz in der Broschüre lautete: »Wir freuen uns, dass Sie sich entschlossen haben, in die Vereinigten Staaten zu kommen, um das Land zu besuchen oder hier zu studieren, zu arbeiten oder zu leben.«

Wir blieben einige Wochen bei meinen Schwiegereltern, die in einem Vorort von Washington in einer beschaulichen Straße wohnten. Es war ein verblüffender Kontrast zu einer Gasse in Peking, wo Straßenverkäufer brüllend anboten, dir die Küchenmesser zu schleifen, das Horoskop zu lesen oder dein Haar für eine Perückenfabrik zu kaufen.

Auf der Anzeigenwebsite Craigslist fanden wir ein Reihenhaus in Washington, in dem wir uns einmieteten. Wir genossen den kleinen Luxus, den wir in China vermisst hatten: trinkbares Leitungswasser, saubere Luft, eine Spülmaschine. In den wohlhabendsten Stadtteilen hatte man den...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2022
Übersetzer Stephan Gebauer
Sprache deutsch
Original-Titel Wildland. The Making of America's Fury.
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
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ISBN-10 3-518-77399-2 / 3518773992
ISBN-13 978-3-518-77399-4 / 9783518773994
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