Das Ende der Ehe (eBook)
384 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2902-4 (ISBN)
Emilia Roig ist die Gründerin und Geschäftsführerin des in Berlin ansässigen Center for Intersectional Justice (CIJ), einer gemeinnützigen Organisation, die sich für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und ein Leben frei von systemischer Unterdrückung für alle einsetzt. Ihre Erfahrung, in einer algerisch-jüdisch-karibischen Familie in Frankreich aufzuwachsen, prägte ihr Engagement und ihre Leidenschaft für intersektionale soziale Gerechtigkeit. Seit 2020 lehrt sie an der Hertie School in Berlin, von 2015 bis 2020 war sie Faculty Member des Social Justice Study Abroad Program der DePaul University of Chicago und hat an Universitäten in Frankreich, Deutschland und den U.S.A. zu Intersektionalitätstheorie, Postcolonial Studies, Critical Race Theory, Queer Feminism und Internationalem und Europäischem Recht unterrichtet. Sie hat in Politikwissenschaft promoviert, und hat einen Master of Public Policy und einen MBA in internationalem Recht. Vor ihrer Promotion arbeitete sie intensiv zu Menschenrechtsfragen bei der UN in Tansania und Uganda, bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Kambodscha und bei Amnesty International in Deutschland - und entschied sich, den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu verlassen, um sich auf soziale Gerechtigkeit in Europa zu konzentrieren. Sie war Jurymitglied des Deutschen Sachbuchpreises 2020, wurde 2020 zum Ashoka Fellow ernannt und erhielt 2021 den Edition F Award 'Wege aus der Krise' in der Kategorie 'Gesellschaft'. Emilia widmet sich der Aufgabe, Menschen zu inspirieren, sich von Unterdrückungssystemen zu lösen, neue Narrative zu schaffen und das kollektive Bewusstsein zu verändern. Sie ist die Autorin des Bestsellers WHY WE MATTER. Das Ende der Unterdrückung. 2022 wurde sie als 'Most Influential Woman of the Year' im Rahmen des Impact of Diversity Prize gewählt.
Emilia Roig ist die Gründerin und Geschäftsführerin des in Berlin ansässigen Center for Intersectional Justice (CIJ), einer gemeinnützigen Organisation, die sich für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und ein Leben frei von systemischer Unterdrückung für alle einsetzt. Ihre Erfahrung, in einer algerisch-jüdisch-karibischen Familie in Frankreich aufzuwachsen, prägte ihr Engagement und ihre Leidenschaft für intersektionale soziale Gerechtigkeit. Seit 2020 lehrt sie an der Hertie School in Berlin, von 2015 bis 2020 war sie Faculty Member des Social Justice Study Abroad Program der DePaul University of Chicago und hat an Universitäten in Frankreich, Deutschland und den U.S.A. zu Intersektionalitätstheorie, Postcolonial Studies, Critical Race Theory, Queer Feminism und Internationalem und Europäischem Recht unterrichtet. Sie hat in Politikwissenschaft promoviert, und hat einen Master of Public Policy und einen MBA in internationalem Recht. Vor ihrer Promotion arbeitete sie intensiv zu Menschenrechtsfragen bei der UN in Tansania und Uganda, bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Kambodscha und bei Amnesty International in Deutschland - und entschied sich, den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu verlassen, um sich auf soziale Gerechtigkeit in Europa zu konzentrieren. Sie war Jurymitglied des Deutschen Sachbuchpreises 2020, wurde 2020 zum Ashoka Fellow ernannt und erhielt 2021 den Edition F Award "Wege aus der Krise" in der Kategorie "Gesellschaft". Emilia widmet sich der Aufgabe, Menschen zu inspirieren, sich von Unterdrückungssystemen zu lösen, neue Narrative zu schaffen und das kollektive Bewusstsein zu verändern. Sie ist die Autorin des Bestsellers WHY WE MATTER. Das Ende der Unterdrückung. 2022 wurde sie als "Most Influential Woman of the Year" im Rahmen des Impact of Diversity Prize gewählt.
1 Einleitung
Im Kern geht es beim Feminismus um nichts anderes als Liebe. Der Feminismus behandelt den Stoff des Lebens, er schält Schicht für Schicht unsere Identitäten, unsere Affekte, unsere Beziehungen. Er verbindet das Politische mit dem Persönlichen – »the personal is political«, so das bekannte Motto, das wir den Feministinnen der Siebzigerjahre zu verdanken haben. Der Feminismus versucht, unsere individuellen Erfahrungen, Emotionen, Wahrnehmungen in einem größeren Ganzen zu verankern. Deshalb ist es unmöglich, feministisch zu sein, ohne über sich selbst zu reflektieren und zu sprechen. Wir müssen uns entblößen, um die transformative Kraft des Feminismus auszuschöpfen. Der Feminismus verändert uns. Er bringt uns dazu, die erlernte, verzerrte Version unserer selbst hinter uns zu lassen. So fühlt sich Befreiung an. Das damit verbundene Unbehagen, die Angst und der Widerstand sind Teil davon.
Verheiratet und glücklich – Brauche ich dieses Buch?
Das Prinzip einer sozialen Norm ist, dass sie über den Rahmen der Einzelnen hinausgeht. Auch wenn Menschen individuell das Gefühl haben, dass sie dem Patriarchat entkommen können und nicht darin gefangen sind, sind wir alle Teil des patriarchalen Systems. Durch unsere Sozialisation glauben wir, unsere Liebesbeziehungen seien eine individuelle Angelegenheit, losgelöst von gesellschaftlichen Mustern, von Hierarchien, Dominanz oder Unterdrückung. »Das mag alles draußen passieren, aber nicht bei mir, mein Mann ist anders. Uns betrifft das nicht« – solche Sätze höre ich oft, wenn ich mich mit heterosexuell gebundenen Frauen über das Patriarchat unterhalte, ob sie verheiratet sind oder nicht. Doch was in unseren intimen Leben geschieht, ist politisch und strukturell, nicht nur individuell. Frauen4 sitzen einem Trugschluss auf, wenn sie glauben, sie selbst blieben verschont vom Patriarchat. So entsteht eine Leerstelle: Das Patriarchat wird innerhalb von heterosexuellen Paarbeziehungen nicht gern thematisiert. Feminismus ja – aber nur, wenn es die öffentliche Sphäre betrifft: Gender Pay Gap, sexuelle Belästigung auf der Straße, mangelnde Repräsentation von Frauen in Politik und Wirtschaft. Aber was zu Hause passiert, ist zu empfindlich, zu privat, zu fragil. Die affektive Betroffenheit ist zu groß. Entsprechend werden patriarchale Muster innerhalb von heterosexuellen Beziehungen oft individualisiert und nicht als systemisch betrachtet. Es handelt sich demnach um »Beziehungsprobleme«, nicht um patriarchale Unterdrückung. Die Ehe hat nach wie vor die wichtige politische Funktion, die allgemein unterlegene Position der Frauen zu verklären. Man erhebt sich nicht gegen diejenigen, die man liebt.
Feministinnen sorgen seit Jahrzehnten unermüdlich dafür, dass die Unterdrückung der Frauen nicht mehr in den Gesetzen und der Rechtsprechung verankert ist. Auch wenn wir weiter sind als vor fünfzig Jahren, ist der Weg noch lang. Aber je »gleicher« Frauen und Männer vor dem Gesetz werden, desto ungreifbarer und unterschwelliger wird die Unterdrückung der Frauen, weil die zugrunde liegenden Muster noch wirksam sind – was nicht bedeutet, dass die Unterdrückung nicht gewaltvoll ist. Viele Frauen erliegen der Illusion, sie lebten emanzipiert in einer postpatriarchalen, vom Übel der Unterdrückung befreiten Gesellschaft (und vor allem viele Männer sind überzeugt, Frauen seien ihnen längst gleichgestellt). Zwar gäbe es das Patriarchat noch, aber nur in »anderen«, nichtwestlichen Teilen der Welt. Bei »uns« sei das Problem längst bewältigt worden. Doch der feministische Kampf ist heute nicht viel einfacher geworden, weil das Patriarchat subtiler wirkt und viele Menschen seine Ausprägungen nicht erkennen.
Viele Feministinnen in heterosexuellen Beziehungen befinden sich in einer unangenehmen Situation. Die Erkenntnis, dass ihre Beziehung in patriarchalen Mustern gefangen ist, wird als persönliches Scheitern betrachtet. Offen über die Schwierigkeiten innerhalb der Beziehung zu sprechen, könnte ihre Glaubwürdigkeit als emanzipierte Frau beschädigen. Deshalb ist die Versuchung groß, Beziehungsprobleme für sich zu behalten und nicht zu viel über die eigene Unzufriedenheit zu verraten. Doch die Feministin bell hooks warnt vor dieser Falle und ermutigt, sich den Problemen ehrlich zu stellen. Sie schreibt: »Es ist klar, dass wir ein System nicht abschaffen können, solange wir seine Auswirkungen auf unser Leben kollektiv leugnen. […] Eine Möglichkeit, die patriarchale Kultur aufrechtzuerhalten, besteht darin, Männer und Frauen daran zu hindern, die Wahrheit darüber zu sagen, was ihnen in der Familie widerfährt.«5 Wenn wir unsere patriarchalen Erfahrungen verschweigen, tragen wir dazu bei, dass die Ungleichheit bestehen bleibt. Wenn wir die Ehe als private Angelegenheit betrachten, tragen wir dazu bei, dass die innerhalb der Ehe wirkende Unterdrückung unsichtbar bleibt. Schon Marx beobachtete, dass die Familie »im Kern all die Antagonismen enthält, die später weite Verbreitung in der Gesellschaft und im Staat finden«.6 7 Das gilt heute immer noch, trotz der vielen Veränderungen, die unsere Gesellschaft seither durchlaufen hat. Die Untersuchung der intimen Beziehungen zwischen Frauen und Männern liefert auch heute einen tiefen Einblick in die Logik der patriarchalen Unterdrückung.
Was heißt überhaupt »glücklich verheiratet«? Glück ist kein fest definierter oder beständiger Zustand und ändert sich im Laufe des Lebens ständig. Grundsätzlich kann ein breites Spektrum an emotionalen Zuständen nebeneinander bestehen. Die Ehe kann eine Person zugleich erfüllen und einsam machen oder unglücklich und sicher fühlen lassen. Eine Ehe kann zugleich glücklich und ungerecht sein, zum Beispiel wenn Frauen sich in der Rolle der unterwürfigen, fürsorglichen Ehefrau wohlfühlen. Die Autorin Sara Ahmed erklärt, dass Glück ein Versprechen ist, das uns zu bestimmten Lebensentscheidungen hinführt und von anderen abhält. Glück wird denjenigen prophezeit, die bereit sind, ihr Leben auf die »richtige« Weise zu leben. Glücklich zu sein heißt daher, den eigenen Zustand zu mögen, sich darin wohlzufühlen und die Realität so anzunehmen, wie sie ist, ohne Anspruch oder Drängen auf Veränderung.8 Sich an die Norm zu halten, verleiht ein Gefühl von Glück und ist gekoppelt an soziale Anerkennung, die uns versichert, ein gutes Leben zu führen und alles richtig zu machen. Wer die Logik des Patriarchats für sich noch nicht bloßgelegt hat, kann darin besser – und glücklicher – leben. Ignorance is bliss – Unwissenheit ist Glückseligkeit.
Ich möchte keinesfalls allen Frauen unterstellen, dass sie in ihrer heterosexuellen Ehe unglücklich, ausgebeutet und unterdrückt sind, es sich aber nicht eingestehen wollen. Es gibt tatsächlich viele Frauen, die glücklich verheiratet sind. Es ist nicht alles schlecht an der Ehe. Die Liebe, das Engagement, die Fürsorge, das Gefühl von Geborgenheit sind schöne Dinge, die innerhalb einer Ehe entstehen können. Doch diese Emotionen und Verbindungen sind nicht an die Ehe gebunden, sie können ohne die Institution und die Heiratsurkunde existieren. Ehe wird oft mit Liebe und Familie gleichgesetzt, doch Liebe und Familienbindungen würden die Abschaffung der Ehe überleben.
Auch glücklich verheiratete oder in festen Beziehungen lebende Menschen können sich in diesem Buch wiederfinden, denn es geht nicht um die Liebe, sondern um die Infrastruktur, die das Funktionieren der Beziehung regelt. Das Ende der Ehe bedeutet nicht, dass verheiratete Paare geschmäht werden oder sich gar scheiden lassen sollen. Es soll auch nicht ein anderes Lebensmodell durchgesetzt werden. Mit dem »Ende der Ehe« fordere ich das Ende einer obsoleten Institution, die die Ungleichheit und Unterdrückung der Frauen in unserer Gesellschaft produziert und aufrechterhält.
Ehe wird heutzutage stark mit persönlicher Selbstverwirklichung verbunden. Menschen heiraten, um sich weiterzuentwickeln, ihr Selbstbewusstsein zu stärken, sich selbst zu entdecken – eine »self-expressive marriage«, so der Psychologe Eli Finkel. Den Soziologinnen Kathryn Edin und Maria Kefalas zufolge geht es bei der Ehe längst nicht mehr um Familiengründung, sondern in erster Linie um persönliche Erfüllung im Erwachsenenleben.9 Eine kritische Bestandsaufnahme der Ehe wird deshalb von vielen Menschen abgelehnt, weil sie dadurch die Grundlage ihres Glücks, ihrer Erfüllung und Selbstverwirklichung infrage gestellt sehen. Glücklich verheiratet zu sein, sollte aber kein Grund sein, die Kritik an der Ehe zu unterlassen oder zu diskreditieren, denn meine Kritik geht weit über die individuelle Ebene hinaus. Hängt das Glück der Ehepaare von der gesellschaftlichen Norm ab, die die Ehe als überlegene Lebensform darstellt und definiert? Wären die Verheirateten weniger glücklich, wenn sie nicht täglich mit der normativen Überlegenheit der Ehe konfrontiert wären – in Filmen, Büchern, im Fernsehen und in...
Erscheint lt. Verlag | 30.3.2023 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Befreiung • Beziehungen • Feminismus • Frau • Heiraten • Hochzeit • Kritik • Partnerschaft • Patriarchat • Unterdrückung |
ISBN-10 | 3-8437-2902-6 / 3843729026 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2902-4 / 9783843729024 |
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