Gleißen (eBook)

Wie mich LSD fürs Leben kurierte
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
176 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9620-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gleißen -  Anuschka Roshani
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Durch die Forschungsrenaissance von LSD neugierig geworden, fängt Anuschka Roshani an, zu recherchieren: Sie erfährt, wie vielversprechend es heute als Medikament etwa bei Depressionen und Angststörungen erscheint - aber auch, warum es über ein halbes Jahrhundert als Teufelszeug verbannt wurde. Und dann ist plötzlich die Gelegenheit da für einen radikalen Selbstversuch: Als Probandin kann sie unter ärztlicher Aufsicht mehrere Trips machen. So naiv wie kühn stürzt sie sich ins große Ich-Abenteuer. Seitdem ist nichts mehr, wie es war: eine Menge euphorische Gelassenheit.

Anuschka Roshani studierte Verhaltensbiologie und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule, bevor sie viele Jahre Redakteurin und Reporterin beim Spiegel und dem Tages-Anzeiger-Magazin war. Seit 2002 lebt die gebürtige Berlinerin mit ihrer Familie in Zürich. Bei Kein & Aber hat sie Truman Capotes Gesamtwerk herausgegeben, darunter das bis dahin unbekannte Frühwerk The Early Stories, das sie 2014 entdeckt hat. 2018 erschien ihr Debüt Komplizen. 2022 folgte Gleißen. Sie schreibt ihre Dissertation über Truman Capote.

Anuschka Roshani studierte Verhaltensbiologie und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule, bevor sie viele Jahre Redakteurin und Reporterin beim Spiegel und dem Tages-Anzeiger-Magazin war. Seit 2002 lebt die gebürtige Berlinerin mit ihrer Familie in Zürich. Bei Kein & Aber hat sie Truman Capotes Gesamtwerk herausgegeben, darunter das bis dahin unbekannte Frühwerk The Early Stories, das sie 2014 entdeckt hat. 2018 erschien ihr Debüt Komplizen. 2022 folgte Gleißen. Sie schreibt ihre Dissertation über Truman Capote.

 


NÜCHTERN BESEHEN, bin ich dieselbe geblieben, so stinknormal wie eh und je. Doch gucke ich bei vollem Bewusstsein durch das Brennglas LSD, versuche ich meine Reiseerfahrungen in einem einzigen Satz zu bündeln, dann läuft es auf diese eine Zeile heraus: Ich ist eine andere.

Im Rückspiegel betrachtet, habe ich den Eindruck, bis dahin mehr als fünfzig Jahre lang durchs Tal der Ahnungslosen gewandelt zu sein, über ein Feld, von dessen feiner Beschaffenheit ich nicht den leisesten Schimmer hatte. Über ein höchst privates Feld, nicht weniger als mein Leben.

Mittlerweile erscheint mir die Erfahrung, sechsmal under the influence gewesen zu sein, zu einem einzigen Paradoxon zusammengeschnürt, das bis in meine Gegenwart ausgestrahlt hat, noch immer weiter ausstrahlt – in einer Widersprüchlichkeit auf immens vielen verschiedenen Ebenen.

Seitdem mutet das tägliche Leben schlichtweg eigenartig an, so, als würde alles und jedes miteinander zusammenhängen, obgleich ich nach wie vor nicht unbedingt zu sagen wüsste, wie: Überall entdecke ich jetzt lauter Querverbindungen zu dem Dreh- und Angelpunkt meines »Überwältigungserlebnisses«.

Heute Morgen etwa sah ich einen kleinen Jungen mit großer Begeisterung wieder und wieder in eine Pfütze springen, und mir schoss durch den Kopf, dass meinem Alltag im Grunde genau dieses magische Aufleuchten banaler Momente verloren gegangen ist – ein solch simpler Freudensprung!

Mit jedem Jahr, das ich älter wurde, war aus dem ursprünglichen, kindlichen Erleben mehr und mehr ein bloßes Wegleben meiner Tage geworden, und ein nervtötendes Planer-Temperament übernahm an dieser Stelle. Anstatt mich dem Geschehen hinzugeben, wertvollere Augenblicke auszukosten und Unangenehmes schlicht und einfach, ohne allzu viel Grübeln und Hadern, durchzustehen, kommentierte eine penetrante Stimme in meinem Schädel permanent die nichtigsten Ereignisse, noch während sie stattfanden.

Nun, mit einem Schlag, wars damit aus und vorbei. Auf dem Zenit meines Trips hatte ich gemeint, die Schönheit der Existenz in all ihrem Gleißen wahrzunehmen; alles flammte auf.

Und diese einmalige Anschauung – so sah es auf eine fast gespenstische Weise aus – trudelte mit einem geradezu phänomenalen Langzeiteffekt bei mir ein! Denn allem Anschein nach taugte LSD auch fürs prosaische Dasein als Blicköffner: Plötzlich begann ich, die ordinäre Welt ebenfalls mit radikal anderen Augen zu sehen – und das, nachdem ich sie nur für wenige Stunden derart verändert und unmittelbar angetroffen hatte.

Die Substanz hatte mein Ich in eine gefühlte Ewigkeit gebombt – ich glaubte zu sterben –, und meinem Alltagsbefinden währenddessen, so unmerklich wie unverkennbar, eine funkelnagelneue Dimension hinzugefügt. Das Zeug machte mich offensichtlich über den Trip hinaus quicklebendig, in einem Maße lebendig, wie ich es zuvor niemals für möglich gehalten hätte.

Unter LSD hatte ich mir eingebildet, dass die Zeit gar nicht existiert, sie lediglich ein Konstrukt des Gehirns war, das die Tage strukturieren wollte, und dank dieser unschuldig daherkommenden Eingebung ergriff mich ein sagenhafter Gleichmut. Mehr noch: euphorische Gelassenheit.

Fortan, folgerte ich, musste ich zu keinem Zug mehr hetzen; wenn ich ihn verpasste, konnte ich genauso gut den nächsten nehmen. Ich musste keine E-Mail unverzüglich beantworten; das konnte ich auch eine Woche später machen, sollte es sich dann nicht eh schon von allein erledigt haben.

Das meiste – so meine Gemütsverfassung – geschah ja sowieso ohne mein Zutun.

Sechsmal hatte ich im Basler Universitätsspital die ekelerregende LSD-Alkohollösung hinuntergewürgt. Ich war sehr nervös (und sehr blauäugig) in dieses tolldreiste Experiment gegangen; und ohne jede Heilserwartung.

Anders als jene wissenschaftlichen Studien, welche die Forschungsrenaissance von LSD in den letzten Jahren eingeleitet haben: Sie richten ihr Interesse auf psychische Erkrankungen – besonders auf Depressionen, Angststörungen und Süchte.

Die Aufbruchstimmung in der Psychiatrie kommt nicht von ungefähr, rund 200 bis 300 Millionen Menschen weltweit sind seelisch krank. Ein Markt von schätzungsweise einer Milliarde Konsumenten wartet auf neue Arzneimittel, die eine Alternative zu den herkömmlichen Antidepressiva und Angstlösern sein könnten. (Und wenn die finsteren Prognosen sich bewahrheiten, wird die Zahl durch die Pandemie noch um ein Vielfaches größer werden.)

Die klinische Studie in Basel, an der ich als Probandin teilnahm, befasste sich mit der pharmazeutischen Wirkung von verschiedenen LSD-Dosierungen – wie der 5-HTA-Rezeptor durch welche Dosis stimuliert wird –; eine Heilwirkung aber sollte nicht untersucht werden.

Wenn ich nun darüber schreibe – und schreiben heißt ja auch, sich selbst zu lesen – muss ich mich erst einmal an die Unschuld erinnern, die meine Tage davor hatten. Und gleichzeitig in dieses Davor miteinbeziehen, dass ich nie von mir dachte, ich würde mit einem stumpfen Blick durchs Leben gehen.

Erst von heute aus zurückgeschaut, wird es zu einer Behauptung (noch nicht Lüge), dass ich dieses Wagnis damals in erster Linie im Namen der Wissenschaft eingegangen bin. Sicherlich kann ich weiter annehmen, dass ich mir erhoffte, die Ergebnisse der Studie würden dazu beitragen, LSD als Medikament in naher Zukunft in der Praxis erproben zu dürfen: Die Droge werde nach ihrem nahezu weltweiten Verbot 1971 und ihrer damit einhergehenden jahrzehntelangen Dämonisierung wieder für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Untersuchungsgegenstand salonfähig. Diese wären bereit, das vermeintliche Gift mit altem, neuem medizinischen Sachverstand anzugehen.

Jetzt jedoch ist es für mich befremdlich, dass mir die Monate, in denen ich an der Studie teilnahm, irgendwie lebendiger vorkommen als die Monate davor. Natürlich erkenne ich mich in der Person davor wieder – ich kann mich sehr gut an sie erinnern –, bloß kann ich heute nicht um das leise Unbehagen drumrumdenken, ich könnte über manche Strecken in meinen vorübergezogenen Tagen davor unnötig abwesend gewesen sein. Etwas muss schon da gewesen sein (vielleicht nur zaghaft an eine Tür gepocht haben), als ich meine Exkursion begann. Hätte ich mir meine bevorstehende Reise sonst nicht als eine Wartung meines Selbst, anstatt als eine Reparatur erträumt? Anders kann ich es mir nicht mehr vorstellen: Mich wird die vage Aussicht gejuckt haben, meine eigene individuelle Wahrnehmung erweitern zu können – sie in unbekannte Höhen hinauf auszudehnen, beziehungsweise in unbekannte Tiefen.

Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, im etymologischen Wörterbuch nachzuschlagen, ob curious und »kurios« auf den gleichen Wortstamm zurückgehen; bevor ich loslief, schwante mir jedenfalls nichts Böses. Damals schätzte ich, Neugier würde die halbe Miete bei dieser Expedition sein und so etwas wie Mut überhaupt nicht vonnöten. Kurioserweise wähnte ich mich tatsächlich auf der sicheren Seite (und da spielt mir meine Erinnerung wohl auch keinen Streich): Ich musste keinen besonderen Unbilden ein Schnippchen schlagen – und meine Vorannahme, umgekehrt würde bestimmt noch genügend Vergnügliches für mich im Netz hängenbleiben, war weniger Unschuld als Erfahrungswert.

Alles in allem war ich mit meiner grundsätzlichen Verfassung und den näheren Umständen zufrieden, das heißt, mit all dem, was mir tagtäglich so geschah – und ich kam mir auch eher durchschnittlich neurotisch vor. Und dennoch muss in einer Ecke meines Wachbewusstseins schon ein Trotzdem gewesen sein, die stete Frage: Muss es nicht trotzdem noch mehr als alles geben?

Auch die Scham, vermute ich, war in der unschuldigen Vorzeit angelegt. Auf einem Nebengleis fürchtete ich mich bereits damals davor, mich unerträglich ich-besoffen aufzuführen. Gleichzeitig war mir eins von Anfang an ungeniert klar – ich würde diese Reise mit mir als einziger Reisebegleitung antreten. Der abgedroschene Werbeslogan fiel mir ein, »Machen Sie mal Urlaub vom Ich!«. Das Wenige, was ich wusste, als ich mich aufmachte zu meiner persönlichen Terra incognita, war: In Basel würde ich mich definitiv in die entgegengesetzte Richtung bewegen – Urlaub mutterseelenallein mit meinem Ich machen. Einsam mein Ich-Territorium durchqueren, und wer weiß, womit im Marschgepäck. Mir fehlte jegliche Vorstellung davon, ob dieser Vorstoß ein sonnenheller Spaziergang oder ein Horrortrip werden würde.

Wenn meiner Imagination auch inzwischen durch LSD beträchtlich auf die Sprünge geholfen wurde, der Ausklang dieser fundamentalen Sinnesreizung ist verquer geblieben: Das Surreale dieser Erfahrung machte mein Leben seltsamerweise auf Dauer, über die mehr als zwanzig Stunden hinaus, die ich im Krankenhausbett mit 200 Mikrogramm LSD im Blut dalag, realer denn je. Irgendwie fühlbarer.

Über Monate darauf war alles leicht und licht, unbeschwert und himmlisch. Keine kleinste Sorge, keine größere Angst dräute am Horizont. Ein früherer Gedanke – dass ich nicht bloß auf der Welt war, um etwas zu Lebzeiten auf die Beine zu stellen – streifte mich erneut und mit einer gewissen Penetranz: Vielleicht lag meine Aufgabe vielmehr darin, mich anständig an meinen Privilegien qua Geburt zu ergötzen – im richtigen Land, zur richtigen Zeit, in der richtigen Familie geboren zu sein.

Mein selbst antrainierter...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Drogen • Forschung • Heilmittel • LSD • Medizin • Microdosing • Rauschmittel
ISBN-10 3-0369-9620-6 / 3036996206
ISBN-13 978-3-0369-9620-2 / 9783036996202
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