Welt der Autokraten -  Gideon Rachman

Welt der Autokraten (eBook)

Wie Xi, Putin, Trump und Co. die Demokratie bedrohen
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
364 Seiten
Edition Weltkiosk (Verlag)
978-3-942377-26-3 (ISBN)
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Moskau und Ankara, Peking und Brasilia, Neu-Delhi - und Washington: In all diesen Hauptstädten kamen zuletzt Autokraten an die Macht. Diese «strongmen» sind Nationalisten und gesellschaftspolitische Konservative mit Hang zum Personenkult. Für Minderheiten und Einwanderer haben sie wenig übrig. Daheim behaupten sie, an der Seite der «einfachen Leute» gegen die «globalen Eliten» zu stehen. Auf der Weltbühne nehmen sie für sich in Anspruch, die Nation zu verkörpern. Dieser Politikertyp herrscht längst nicht mehr nur über autokratische Systeme, sondern taucht selbst im Herzen liberaler Demokratien auf. Gideon Rachman spürt dem Aufstieg der Autokraten als globalem Phänomen nach.

Gideon Rachman wurde 1963 in London geboren und studierte Geschichte in Cambridge. Seine journalistische Karriere begann er beim BBC World Service. Es folgten 15 Jahre beim internationalen Magazin The Economist, für das er aus Washington, Bangkok und Brüssel berichtete. Seit 2006 ist er außenpolitischer Chefkommentator der Financial Times. 2016 wurde er für seinen Journalismus mit dem Orwell-Preis und dem European Press Prize ausgezeichnet.

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE


Die letzte Zeile dieses Buches schrieb ich im Dezember 2021. Meine Vorhersage, dass die Welt der Autokraten noch »zu vielen Wirren und viel Leid» führen würde, wurde dann schneller bestätigt, als ich angenommen hatte. Am 24. Februar 2022 marschierten russische Truppen auf Befehl von Präsident Wladimir Putin in die Ukraine ein. Binnen weniger Wochen waren über zehn Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer zur Flucht gezwungen, Tausende Soldaten und Zivilisten waren ums Leben gekommen und die Küstenstadt Mariupol vollkommen zerstört.

Putin war der erste autokratische Führer — der Archetyp. Das allein bedeutet, dass die Auswirkungen des Kriegs gegen die Ukraine tatsächlich global sind. Ein Erfolg der Russen könnte andere strongmen dazu verleiten, ebenfalls auf Kriege zu setzen. Eine Niederlage der Ukraine, während die Vereinigten Staaten abseitsstünden, könnte gar einem chinesischen Angriff auf Taiwan den Weg bereiten.

Doch das frühe Stadium des Kriegs verlief schlechter, als Putin es angenommen hatte. Der russische Führer schien davon ausgegangen zu sein, dass sein neuester Angriff auf die Ukraine dem Muster von 2014 folgen würde. Damals gelang Russland die schnelle Annexion der Krim praktisch kampflos. Die Sanktionen, die der Westen daraufhin verhängte, fügten der russischen Wirtschaft keinen nennenswerten Schaden zu.

Die Invasion von 2022 folgte diesem Muster nicht. Die ukrainischen Streitkräfte leisteten erbitterte Gegenwehr. Russland gelang es nicht, im ersten Monat des Kampfes auch nur eine große Stadt einzunehmen. Manchen Berichten zufolge verlor Moskau so viele Soldaten binnen eines Monats in der Ukraine (15000) wie in zehn Jahren des russischen Kriegs in Afghanistan (1979–89). Die Sanktionen, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in Europa und anderswo verhängten, waren viel härter, als der Kreml erwartet hatte — wie Russlands Außenminister Sergej Lawrow später einräumte. Insbesondere die Entscheidung, die Auslandsvermögen der russischen Zentralbank einzufrieren, bedrohten die Fähigkeit des Kremls, wichtige Importe zu sichern und seine Auslandsschulden zu bedienen.

Die Fehler, die Putin bei der Vorbereitung der Invasion gemacht hatte, lassen sich direkt auf die Schwächen zurückführen, die autokratischer Herrschaft innewohnen. Ein System, das vom Urteil und von der Klugheit eines einzelnen Mannes abhängt, ist stets anfällig für katastrophale Fehler. Putin regiert Russland heute wie ein Zar — mit größerer persönlicher Autorität, als sie selbst der Generalsekretär der Kommunisten Partei in sowjetischen Zeiten innehatte.

Wie ein Monarch hat Putin Ratgeber und Höflinge, aber die letztliche Entscheidung liegt stets bei ihm allein. Während der Coronavirus-Pandemie hatte sich der russische Präsident immer stärker isoliert. Er tauschte sich nur noch mit einer kleinen Gruppe nationalistischer Berater aus, wie Nikolai Patruschew, Vorsitzender des russischen Nationalen Sicherheitsrats — den Putin kennt, seit beide Kollegen beim KGB im damaligen Leningrad in den 1970er Jahren waren.

Die Gedankengänge, die Putins Entscheidung für einen Einmarsch untermauerten, sind ebenfalls typisch für den autokratischen Regierungsstil: die Behauptung eines angeblichen nationalen Notstands, der radikales Handeln rechtfertigt; die Verherrlichung von Stärke und Gewalt; die Verachtung für Liberalismus und das Gesetz; und eine personalisierte Herrschaft, die Kritik und konträre Ratschläge unterdrückt.

Insbesondere verstand Putin die Realität des ukrainischen Nationalismus nicht. In einem Essay, das im Sommer 2021 veröffentlicht wurde, bestand der russische Präsident darauf, dass Russen und Ukrainer ein Volk seien. Als jemand, der für eine eigenständige ukrainische Identität nur Verachtung übrighatte, war er unvorbereitet auf die Heftigkeit, mit der die Ukraine für die Verteidigung ihrer Unabhängigkeit kämpfen würde.

In den Vereinten Nationen stimmten 141 von 193 Staaten für die Verurteilung der russischen Invasion. Allerdings enthielten sich China und Indien, die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt. Die Russen konnten sich damit trösten, dass die Staaten, die sich entweder enthielten oder Russland unterstützten, zusammengenommen für die Mehrheit der Weltbevölkerung standen.

Putin erhielt auch bedeutende Unterstützung der Mitglieder der informellen Bruderschaft der Autokraten. Noch kurz vor dem Einmarsch pries Donald Trump Putin für seinen Umgang mit der Ukraine-Krise — und lobte das strategische «Genie» des russischen Führers. Wie stets war Trump fasziniert von der Skrupellosigkeit eines echten strongman und völlig gleichgültig gegenüber den humanitären und moralischen Implikationen des Krieges.

Zwei Staatsmänner, die Putin kurz vor dem Einmarsch traf, waren Viktor Orbán und Jair Bolsonaro — zwei strongmen, mit denen er ein enges persönliches Verhältnis hat. Während die Atmosphäre bei den Vorkriegstreffen mit Frankreichs Emmanuel Macron und Deutschlands Olaf Scholz angespannt und antagonistisch verliefen, war die Abschluss-Pressekonferenz mit Orbán fast jovial: der Ungar gab mit der Enge seines Verhältnisses zum russischen Präsidenten an. Bolsonaro, der Trump verehrt hatte, ignorierte eine persönliche Bitte der US-Regierung, auf das Treffen im Vorlauf der Invasion zu verzichten.

Nichtsdestoweniger votierten Ungarn und Brasilien für eine Verurteilung Russlands in den Vereinten Nationen. Aber diese formale Position überdeckte eine tiefer liegende Ambiguität. Einen Monat nach Beginn der Invasion warf die ukrainische Vizepremierministerin Iryna Wereschtschuk Orbán vor, Militärhilfe für die Ukraine zu blockieren und eine «offen pro-russische» Linie zu verfolgen. Wereschtschuk spekulierte sogar, Orbán habe womöglich eigene Absichten, was die Aneignung ukrainischen Territoriums angehe, und träume insgeheim «von unserem Transkarpatien» — eine Anspielung auf Orbáns Hoffnung, eines Tages die Territorien wiederzugewinnen, die Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg verloren hatte.

Zwei andere wichtige Autokraten legten auffälligerweise ebenso große Zurückhaltung an den Tag, wenn es darum ging, Putin zu verdammen. Narendra Modis Indien machte deutlich, dass es nicht die Absicht habe, in dem Disput zwischen Russland und den Vereinigten Staaten Stellung zu beziehen. Viele indische Kommentatoren machten sich das russische Argument zu eigen, dass der Krieg durch die Osterweiterung der NATO provoziert worden sei — eine Haltung, in der sich Indiens Kalte-Kriegs-Sympathien für die Sowjetunion und seine aktuelle Abhängigkeit von russischen Waffenlieferungen widerspiegelte.

Mohammed bin Salman, Saudi-Arabiens Herrscher und langjähriger Bewunderer Putins, lehnte es ab, mit westlichen Staaten zusammenzuarbeiten, um den wirtschaftlichen Druck auf Moskau zu erhöhen. MBS war über den Fokus der US-Regierung auf den Mord an dem Regimekritiker Jamal Khashoggi so verärgert, dass er es ablehnte, auch nur mit US-Präsident Joe Biden zu sprechen. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson, der nach Riad geschickt wurde, um das Königreich zu überzeugen, mehr Erdöl auf den Weltmarkt zu bringen, kehrte offenbar mit leeren Händen zurück.

Aber der mit Abstand wichtigste strongman für Putin war Xi Jinping. Kurz vor der Invasion hatte Putin Xi in Peking getroffen. Zukünftige Historikerinnen und Historiker mögen herausfinden, was die beiden hinter verschlossenen Türen besprachen. Aber die öffentliche Erklärung, die die beiden Länder nach dem Treffen am 4. Februar herausgaben, war bemerkenswert genug. Russland und China verkündeten, ihre Partnerschaft kenne «keine Grenzen».

Die gemeinsame russisch-chinesische Erklärung wurde durch eine tiefgehende und offenkundige Feindseligkeit gegenüber der amerikanischen Weltmacht untermauert. Die Paranoia, die Xi und Putin in Sachen angeblicher amerikanischer Unterstützung für so genannte «Farbenrevolutionen» teilen, wurde sogar direkt angesprochen. Ganz so wie Putins Russland den Amerikanern vorwarf, sie hätten die Revolution in der Ukraine 2014 organisiert, so glaubte Xis China, die Protestbewegung in Hongkong sei von den Vereinigten Staaten finanziert und angestachelt.

Offenkundig besteht zwischen den beiden Präsidenten, die ihre Länder in ähnlicher Weise beherrschen, auch ein gutes persönliches Verhältnis. Sowohl Xi als auch Putin haben die Macht zentralisiert, Amtszeitbegrenzungen aufgehoben, Geld in das Militär gepumpt und einen Personenkult befördert. Beide teilen die Vorstellung, dass Beziehungen zwischen Großmächten am besten per Deals zwischen den Potentaten an der Spitze gemanagt werden. Der Russlandexperte Alexander Gabuew sprach von «Zar und Kaiser».

Die Feindschaft gegenüber den Vereinigten Staaten, die den Kitt des...

Erscheint lt. Verlag 22.8.2022
Übersetzer Matthias Hempert
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-942377-26-8 / 3942377268
ISBN-13 978-3-942377-26-3 / 9783942377263
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