Die Kunst der Diplomatie (eBook)
580 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2870-6 (ISBN)
Dr. Tobias Bunde hat in Dresden, Straßburg, Washington und Berlin studiert. Er ist Director of Research & Policy der Münchner Sicherheitskonferenz und forscht am Centre for International Security der Hertie School in Berlin.
Dr. Tobias Bunde hat in Dresden, Straßburg, Washington und Berlin studiert. Er ist Director of Research & Policy der Münchner Sicherheitskonferenz und forscht am Centre for International Security der Hertie School in Berlin.
„Speak softly and carry a big book!“
Tobias Bunde und Benedikt Franke
Es ist nicht einfach zu definieren, was Diplomatie ist. Ist sie eine Kunst, ein Handwerk oder etwas dazwischen? Was ist gute Diplomatie ... und was nicht? Wie Sie in diesem Buch lesen werden, gibt es die unterschiedlichsten Vorstellungen von Diplomatie – und ungezählte Definitionen. Eine der berühmtesten stammt von Präsident Theodore Roosevelt, der für seine big stick diplomacy bekannt war und seine diplomatische Maxime mit Verweis auf das Sprichwort beschrieb: „Speak softly and carry a big stick; you will go far.“1 Auf Deutsch: „Sprich sanft und trage einen dicken Knüppel bei dir, so wirst du es weit bringen.“ Für dieses Buch haben wir uns gewissermaßen einer big book diplomacy verschrieben und uns eine abgewandelte Form des Roosevelt’schen Spruchs zu eigen gemacht: Sprich sanft und trage ein dickes Buch bei dir.
Der Grund für dieses Buch ist einfach. Im April 2021 wurde Wolfgang Ischinger, unser langjähriger Chef und Mentor bei der Münchner Sicherheitskonferenz und darüber hinaus, 75 Jahre alt. Zur Feier seiner Person und seines Lebenswerks beschlossen wir, 75 Beiträge zur Kunst der Diplomatie in einem Band zu versammeln. Weder wir noch er wollten, dass dieses Buch von ihm handelte. Wir wünschten uns ein Buch für ihn – und für alle anderen, die wie er von der Macht der Diplomatie überzeugt sind. Ceci n’est pas une Festschrift – dachten wir jedenfalls.
Um an diese 75 Beiträge zu kommen, beschlossen wir, hundert von Wolfgangs engsten Kollegen und langjährigen Freunden und Partnern anzuschreiben und sie zu bitten, uns auf ihre je eigene Weise zu schildern, wie Diplomatie in ihren Augen funktioniert. Das Ergebnis war umwerfend. Erstens erhielten wir anstelle der 75 positiven Reaktionen, auf die wir spekuliert hatten, von nahezu allen hundert Angeschriebenen die spontane Zusage, einen Beitrag zu liefern. Zweitens reichten sie fast durchweg – entgegen unserer anderslautenden Bitte – Anekdoten ein, die sich in der einen oder anderen Weise um Wolfgang drehten. Während wir hier aufs Diplomatischste gegenzusteuern versuchten (erklären Sie mal einem amtierenden Präsidenten, dass er seinen Beitrag doch bitte überarbeiten möge), wurde rasch klar, wie wichtig Persönlichkeit und Charakter für den Erfolg eines Diplomaten oder einer Diplomatin sind. Ohne diese Eigenschaften ist kaum etwas möglich; mit ihnen hingegen fast alles. Wie viele der Verweise, die wir streichen mussten, zeigen, verfügt Wolfgang Ischinger über beides in beeindruckendem Maße.
Was ist gute Diplomatie ... und was nicht? Wie Sie in diesem Buch lesen werden, gibt es die unterschiedlichsten Vorstellungen von Diplomatie – und ungezählte Definitionen.
Wolfgang ist gewissermaßen der „Forrest Gump“ der deutschen Diplomatie. Seit den frühen 1980er-Jahren befand er sich fast immer an den Brennpunkten des Geschehens. Nachdem er als junger Diplomat im Büro des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher angefangen hatte, wurde er Zeuge hitziger Debatten über die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Deutschland und die anschließende Entspannungsphase, die ein friedliches Ende des Kalten Krieges ermöglichte. Am Ende des Jahrzehnts gehörte er zu den westdeutschen Diplomaten, die die Züge mit DDR-Bürgern begleiteten, die in der deutschen Botschaft in Prag Zuflucht gesucht hatten. Als Leiter der politischen Abteilung der deutschen Botschaft in Paris erlebte er 1990 die Geburt der Charta von Paris. Als Leiter des Planungsstabs und Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes war er im Zentrum deutscher Außenpolitik, als Deutschland seine ersten Schritte als vereinigtes Land machte und versuchte, seine Rolle in dieser neuen Ära zu finden. Er vertrat Deutschland in der Kontaktgruppe während der Balkan-Kriege und gehörte zu den Verhandlungsführern beim Friedensabkommen von Dayton. Er war auch an den Verhandlungen zur NATO-Russland-Grundakte beteiligt – einem weiteren diplomatischen Meilenstein der 1990er-Jahre. Als Staatssekretär spielte er eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen, die in der Operation Allied Force und dem Abschluss des Stabilitätspakts für Südosteuropa 1999 mündeten. Angesichts dieser Vorgeschichte überrascht es dann auch kaum noch, dass er den 11. September 2001 als deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten erlebte. Es war tatsächlich sein erster Tag im Amt. Bis heute speist sich sein Ruf in den USA aus dem bemerkenswerten Eindruck, den er während seiner Amtszeit in Washington, D.C. hinterließ.
Nach zwei Jahren als Ambassador to the Court of St. James’s (Botschafter im Vereinigten Königreich) wurde ihm 2008 von der Bundesregierung die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) angetragen. Rasch hauchte er dieser 1963 von Ewald von Kleist unter der Bezeichnung „Wehrkundetagung“ gegründeten ehrwürdigen Institution neues Leben ein. Was als jährliche Konferenz begann, ist mittlerweile zu einem unverzichtbaren Familientreffpunkt für die transatlantische Gemeinschaft geworden – ein hocheffizienter privater diplomatischer Dienstleistungsanbieter und die weltweit führende Plattform für Debatten zur Außen- und Sicherheitspolitik. Auch wenn sie im Kern noch immer transatlantisch ist, hat sie auf ihren Bühnen rund um den Globus regelmäßig die wichtigsten Entscheidungsträger der Welt zu Gast und lenkt mit ihren Berichten die Aufmerksamkeit auf zentrale Themen und Herausforderungen. Fast alle Aufnahmen in diesem Buch (die gewissermaßen die Kunst zur Diplomatie beisteuern) stammen von MSC-Veranstaltungen des letzten Jahrzehnts.
Nahezu hundert prominente Autoren lassen uns hier aus ihrem je eigenen Blickwinkel hinter die Kulissen der Weltpolitik schauen. Fast alle sind selbst Meister der Diplomatie – viele haben in ihrem Berufsleben Jahre damit verbracht, schwierige Abkommen auszuhandeln oder Möglichkeiten der friedlichen Konfliktlösung auszuloten.
Auch während er die MSC durch das letzte Jahrzehnt steuerte, widmete sich Wolfgang weiterhin diversen diplomatischen Aufgaben. Bis 2009 vertrat er die Europäische Union in der Kosovo-Troika, die versuchte, eine gemeinsame Lösung für den völkerrechtlichen Status des Kosovo zu finden. Später war er Representative of the OSCE Chairperson-in-Office for National Dialogue Roundtables in der Ukraine und Chairman des Panel of Eminent Persons on European Security as a Common Project und beteiligte sich im Rahmen zahlreicher Track-II-Bemühungen und Expertenkommissionen an der Suche nach Lösungen für schwierige Probleme – von der atomaren Rüstungskontrolle bis zur Cybersicherheit. In allen diesen Rollen konnte er seine Stärken nutzen, die ihn zum exemplarischen Diplomaten machen: seine Bereitschaft, sich zu engagieren, zuzuhören und offen für andere Sichtweisen zu bleiben, seine Fähigkeit, sich auf unterschiedliche Gruppen und Umgebungen einzustellen, und sein klarer moralischer Kompass.
Nebenbei hat er eines der besten diplomatischen Netzwerke der Welt geknüpft, wie dieses umfangreiche Buch beweist. Nahezu hundert prominente Autoren lassen uns hier aus ihrem je eigenen Blickwinkel hinter die Kulissen der Weltpolitik schauen. Fast alle sind selbst Meister der Diplomatie – viele haben in ihrem Berufsleben Jahre damit verbracht, schwierige Abkommen auszuhandeln oder Möglichkeiten der friedlichen Konfliktlösung auszuloten. Viele sind oder waren Präsidenten, Außen- oder Verteidigungsminister, Leiter internationaler Organisationen, Botschafter, Militärführer oder Parlamentarier. Andere tragen als Journalisten, akademische Experten, Aktivisten oder Vordenker zur globalen Debatte bei. Sie alle schenken uns Einblicke in die Erkenntnisse über die Diplomatie von heute und morgen.
Natürlich ist das Buch nicht erschöpfend und deckt nicht jeden erdenklichen Aspekt der Diplomatie ab. Die Autoren und Autorinnen vermitteln uns vielmehr sehr persönliche Sichtweisen von der Kunst der Diplomatie. Mag auch der Charme des Buches darin liegen, dass diese Vielzahl von Blickwinkeln, Meinungen und Erfahrungen relativ ungeordnet erscheint, so liegt der Sammlung doch eine Struktur zugrunde.
Der erste Teil des Buches handelt von einigen der wichtigsten Elemente erfolgreicher Diplomatie. Es wird unsere Leser nicht verwundern, wenn hier von der Bedeutung des Vertrauens und der persönlichen Beziehung oder von der Rolle von Botschaftern und Parlamentariern die Rede ist. Wir erfahren aber auch, welche Rolle Tee für die Diplomatie spielen kann oder welche Parallelen es zwischen der Diplomatie und dem Jazz gibt.
In den Beiträgen des zweiten Teils geht es um einige der zentralen Herausforderungen, vor denen die Diplomatie heute steht oder schon morgen stehen könnte. Unsere Autoren blicken dabei nicht nur auf die großen Themen wie die Rivalität zwischen den Großmächten oder die Verteidigung freiheitlich-demokratischer Werte, sondern behandeln auch die Frage, wie die Diplomatie sich selbst, ihre Entscheidungsfindungsstrukturen, ihren Wirkungskreis und ihre Werkzeuge an sich wandelnde Umgebungsparameter wie die fortschreitende Digitalisierung oder die Entwicklung immer neuer Kommunikationsformen anpassen muss.
Im dritten Teil stehen Erlebnisberichte aus der diplomatischen Praxis im Vordergrund – Episoden, die ganz oder zumindest teilweise erfolgreich waren, oder auch solche, die sich als komplette Fehlschläge erwiesen. In vielen Fällen sprechen unsere Autoren zum ersten Mal öffentlich über das Erlebte. Alle diese Geschichten bieten den Diplomaten von...
Erscheint lt. Verlag | 27.10.2022 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Außenpolitik • Beziehungen • Flucht • Flüchtlingskrise • Green Deal • Internationale • Ischinger • Ivan Krastev • Jens Stoltenberg • Klimaabkommen • Klimapolitik • Konflikte • Krisenzeiten • Migration • MSC Munich Security • Münchner Sicherheitskonferenz • Sigmar Gabriel • Wolfgang Ischinger |
ISBN-10 | 3-8437-2870-4 / 3843728704 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2870-6 / 9783843728706 |
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Größe: 942 KB
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