Mord ist eine Wissenschaft (eBook)
448 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46426-7 (ISBN)
Carla Valentine studierte forensische Wissenschaften und anschließend forensische Archäologie und Anthropologie. Sie hat mehrere Jahre bei namhaften forensischen Pathologen gearbeitet, u. a. für eine Channel 4-Serie. Während ihrer Tätigkeit in einem Bestattungsinstitut, genauer gesagt der Leichenhalle, war sie auch Avon-Vertreterin und bewahrte die Proben immer in Beweismitteltütchen auf, leitete einen Backclub, organisierte Charity-Veranstaltungen und Afternoon-Tea-Partys. Aktuell ist sie Kuratorin eines Pathologiemuseums. Außerdem schreibt sie einen Blog 'The Chick and the Dead' und veranstaltet eine Datingseite für Leute, die mit dem Tod zu tun haben, 'Dead Meet'
Carla Valentine studierte forensische Wissenschaften und anschließend forensische Archäologie und Anthropologie. Sie hat mehrere Jahre bei namhaften forensischen Pathologen gearbeitet, u. a. für eine Channel 4-Serie. Während ihrer Tätigkeit in einem Bestattungsinstitut, genauer gesagt der Leichenhalle, war sie auch Avon-Vertreterin und bewahrte die Proben immer in Beweismitteltütchen auf, leitete einen Backclub, organisierte Charity-Veranstaltungen und Afternoon-Tea-Partys. Aktuell ist sie Kuratorin eines Pathologiemuseums. Außerdem schreibt sie einen Blog "The Chick and the Dead" und veranstaltet eine Datingseite für Leute, die mit dem Tod zu tun haben, "Dead Meet" Dr. Caroline Draeger (geb. 1967) ist promovierte Sinologin und arbeitet seit über 20 Jahren als Verlagslektorin.
Kapitel 1
Fingerabdrücke
Bloß – was hatte die Alte eigentlich in meinen Händen gesehen? Ich hielt sie vor mich hin, die Innenflächen nach oben gekehrt, und betrachtete sie. Was war Händen schon abzulesen?14
Zehn dunkle, verschmierte Ovale auf einem blassen Rechteck aus Pappe – tintenschwarze Abdrücke der Fingerspitzen krimineller Finger – symbolisieren die Geschichte polizeilicher Ermittlungsarbeit. Der Fingerabdruck mit seinem ausgeprägten Muster aus Linien und Kurven ist zum Inbegriff des Verbrechens geworden. Zahllose Filme, Dokumentationen, Spiele und Podcasts bedienen sich der Abbildung eines Fingerabdrucks, der synonym steht für Verbrechen und Forensik. Es ist ein derart charakteristisches und spezielles Muster, dass es kaum der Erklärung bedarf. Ein Fingerabdruck an einem Tatort, heutzutage von der Spurensicherung üblicherweise als Fingerspur (»fingermark«) bezeichnet, lässt keinen Zweifel daran, dass die betreffende Person vor Ort war. Oder, wie Hercule Poirot es in Agatha Christies erstem Kriminalroman Das fehlende Glied in der Kette ausdrückt: »Wie erklären Sie sich dann die Tatsache, dass Sie ganz eindeutig Ihre Fingerabdrücke darauf hinterlassen haben?«15
Nur ein Anwesender kann seine Fingerabdrücke auf einem Gegenstand hinterlassen – es sei denn, seine oder ihre Finger wurden abgetrennt und waren anstelle der Person vor Ort!
Aufgrund ihres Symbolcharakters und weil sie recht einfach abgenommen werden können, wurden Fingerabdrücke häufig Gegenstand von Kriminalgeschichten, und auch Agatha Christie machte sie sich wie so viele andere Schriftsteller auf verschiedene Weise raffiniert zunutze. Ob versehentlich platziert oder mit Vorsatz, ob auf Glas geschmiert oder auf Papier gedrückt – Fingerspuren ziehen sich durch Agatha Christies gesamtes Werk. Zweifelsohne war sie sich ihres forensischen Stellenwerts bewusst, und so finden Fingerabdrücke in ihren Romanen mehr Erwähnung als alle anderen forensischen Teilgebiete. Da das Scotland Yard seine Fingerabdruckzentrale bereits 1901 gegründet hatte, standen Agatha Christie fünfzehn bis zwanzig Jahre an Informationen über diese bahnbrechende »neue« Technik zur Verfügung, als sie sich 1916 daranmachte, Das fehlende Glied in der Kette zu verfassen. Dennoch, hinsichtlich von Fingerabdrücken geht sie in ihrem Debütroman erstaunlich ins Detail; bedenkt man, dass damals, anders als heute, nicht massenhaft Forensik-Dokus und Krimiserien über die Bildschirme flimmerten. Wir können jedoch davon ausgehen, dass Christie im Vorfeld ihres ersten Romans über das Thema in der Zeitung las und sich vielleicht sogar ganz gezielt neue Informationen darüber beschaffte.
Damals war Kriminalliteratur für die breite Öffentlichkeit eine der besten Möglichkeiten, um an derartiges Fachwissen zu gelangen, und für Agatha Christie – die insbesondere Arthur Conan Doyles Detektivgeschichten mit Begeisterung las – bot Sherlock Holmes ganz bestimmt jede Menge Stoff, mit dem sie arbeiten konnte. Auch andere belletristische Titel wie Mark Twains Erzählung Leben auf dem Mississippi und sein Roman Knallkopf Wilson enthielten Informationen zu Fingerabdrücken. Die Schriftsteller des Goldenen Zeitalters der Kriminalliteratur bezogen wissenschaftliches Faktenwissen wohl größtenteils aus Zeitungen und später vielleicht aus Büchern wie dem 1935 in Erstauflage erschienenen Modern Criminal Investigation. Allerdings waren das keine Quellen für Durchschnittsleser, sondern doch eher etwas für Fachkreise.
In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass Arthur Conan Doyle Mitglied des 1903 gegründeten Crimes Club war, beschrieben als »eine Handvoll Männer, deren gemeinsames Interesse Mordfällen galt«. Der Crimes Club war ein Männerzirkel – und zwar ausschließlich Männer –, die sich für Verbrechen erwärmten, aber aus ganz unterschiedlichen, »mehr oder minder juristischen« Berufen stammten. Ihr Ziel war es, mehr über ein Thema zu erfahren, das ihrem Eindruck nach hauptsächlich von den Medien beherrscht – und zum Skandal aufgebauscht – wurde. Die Gruppe bestand sowohl aus Schriftstellern als auch aus Juristen, Gerichtsmedizinern und Chirurgen, die zu ihren exklusiven Treffen regelmäßig Gastredner einluden, wie beispielsweise den bereits erwähnten, höchst renommierten Bernard Spilsbury. Der Crimes Club versammelte sich (und versammelt sich auch heute noch, obgleich unter anderem Namen) mehrmals jährlich zu einer Veranstaltung namens »Supper and Crime« – und ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass auch ich Zutritt zu diesen privilegierten Abendessen erhalten habe, da der Club nicht mehr ausschließlich Männern vorbehalten ist.
Eine andere Gruppe, der Detection Club (der, bei dem die Mitglieder einen Schwur auf Eric den Totenkopf ablegen mussten), wurde später, im Jahr 1930, gegründet und stand schon immer beiden Geschlechtern offen, war allerdings einzig Krimiautorinnen und -autoren vorbehalten. Anthony Berkeley, der bei seiner Gründung federführend gewesen war, orientierte sich dabei an Conan Doyles Crimes Club, und sein erster Präsident war G. K. Chesterton (der, der die Kriminalromane mit dem scharfsinnigen Father Brown verfasst hat, der sich immer wieder in polizeiliche Ermittlungen einmischt). Häufig wird auch Agatha Christie als eines der Gründungsmitglieder des Detection Clubs angeführt, da sie höchstwahrscheinlich bei Berkeleys ersten Abendessen im engsten Kreis anwesend war, die um 1928 begannen und zu denen ausschließlich Krimiautoren geladen waren. Damals entspann sich wohl der Plan, einen richtigen Club zu gründen, mit Regeln, Zusammenkünften und Mitgliederabstimmungen. Im Laufe der Zeit engagierte sich Christie immer mehr, unter anderem wohl auch, weil ihre Ehe zwei Jahre zuvor ein tragisches Ende genommen hatte. (Martin Edwards, der heutige Präsident des Clubs, hat ein ganzes Buch über seine interessanten Anfänge geschrieben, das ich wärmstens empfehlen kann. Es heißt The Golden Age of Murder.16) Agatha Christie, damals bereits die berühmteste Krimiautorin der Welt, war von 1957 bis zu ihrem Tod im Jahr 1976 Präsidentin des Clubs, wobei sie einen Co-Präsidenten hatte, da sie ausgesprochen schüchtern war und öffentliche Auftritte scheute. Im Lauf ihrer Zeit als Vorstand wurden die Aufgaben unter den Mitgliedern aufgeteilt – ein bisschen so wie beim Jobsharing heutzutage. Da Eric der Totenkopf im Rahmen des Aufnahmerituals berührt werden musste, frage ich mich, wie viele hochkarätige Fingerabdrücke wohl auf ihm zu finden sind!
In ihrem Club diskutierten Christie und ihre Schriftstellerkollegen ganz ähnliche Themen wie die, über die sich Conan Doyle im früher gegründeten Crimes Club mit den seinen ausgetauscht hatte – darunter auch der raffinierte Einsatz von Fingerabdrücken. Bekannt ist das, weil in Berkeleys Einladungsschreiben an andere Krimiautoren stand, man wolle sich in regelmäßigen Abständen zum Abendessen treffen, »um unser Handwerk betreffende Angelegenheiten zu diskutieren«17. Im Jahr 1936 veröffentlichten mehrere Mitglieder des Detection Clubs eine umfassende und akribisch recherchierte Sammlung von Essays über Mordfälle, die den Titel The Anatomy of Murder trug. In der 2014 erschienenen Neuauflage des Buches schreibt Martin Edwards, der auch als Archivar des Clubs tätig ist, in seiner Einleitung: »Diskussionen über wahre Mordfälle waren Teil der Treffen des Detection Clubs.«18 Damit legt er zugleich nahe, Christie und ihre Zeitgenossen könnten einen großen Teil ihrer Inspiration möglicherweise aus diesen Treffen gezogen haben. Ach, wie gerne wäre ich zur Blütezeit des Clubs doch eine Fliege an der Wand gewesen!
Von Beginn ihrer Karriere an erwies sich der Detection Club also als ungemein wichtige Quelle für Agatha Christies Schaffen, da er es ihr ermöglichte, sich mit anderen Schriftstellern über Kriminalfälle und Literatur auszutauschen. Sie warfen einander Ideen zu und kritisierten einander, sie schrieben gemeinsam Bücher und arbeiteten an Radiosendungen, um Geld zu verdienen, damit sie den Club am Leben erhalten und für die opulenten Abendessen und Feierlichkeiten aufkommen konnten. Und über den beruflichen Nutzen hinaus bot er einer schüchternen und zurückgezogenen Person eine kostbare Möglichkeit, einfach sie selbst und mit ihren Freunden zusammen zu sein.
Es ist kaum zu glauben, dass die Kammdetails von Fingerabdrücken eigentlich einigen Säugetierarten dazu dienen, ihnen an Körperteilen eine Reibungsfläche zu verschaffen, die ansonsten zu glatt wären, um etwas zu greifen. Dass sich die Abdrücke, die dabei als Nebenprodukt entstanden sind, als eines der besten forensischen Identifikationsmittel erwiesen haben, ist reiner Zufall.
Die Fingerabdruckmuster bilden sich beim Fötus im frühen Stadium der Schwangerschaft. Um die zehnte Woche herum fängt das Ganze an und ist bis zur siebzehnten Woche abgeschlossen. Die Fingerabdrücke, mit denen ein Baby geboren wird, bleiben sein gesamtes Leben lang unverändert. Allein tiefe Gewebeschäden an den Fingerkuppen – wie Verbrennungen oder Vernarbungen – können die Abdrücke auf unnatürliche Weise nachhaltig verändern. Fingerabdrücke bilden sich nicht nur bereits vor der Geburt, sie gehören auch zu den letzten Merkmalen, die nach dem Tod und dem körperlichen...
Erscheint lt. Verlag | 4.10.2022 |
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Mitarbeit |
Assistent: Dr. Caroline Draeger |
Übersetzer | Christiane Bernhardt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Abenteuerthriller • Agatha Christie • Agatha Christie Crime Scene • Agatha Christie Forensik • Agatha Christie Kriminalfälle • Agatha Christie Kriminaltechnik • Agatha Christie Krimis • Ballistik • Barts Pathology Museum London • Bestatterin • britische Krimis • Bücher über Bücher • Bücher über Literatur • Carla Valentine • Echte forensische Geschichten • Echte Verbrechen • englische Krimis • Englische Literatur • englische Polizei • Ermittlungsmethoden • Erzählendes Sachbuch • Fachbuch Kriminologie • Fingerabdrücke • Forensik • Forensik Bücher • Forensik Krimi • Forensik Kriminalistik • Früher war mehr Verbrechen • Gerichtsmedizin Bücher • Gerichtsmedizin Krimi • Hercule Poirot • Historischer Kriminalfall • Klassiker • Kriminaltechnik • Krimis über Gerichtsmedizin • Krimi Überführung Mörder • Kuratorin • Leiche • Literatur Klassiker • Michael Tsokos Bücher • Miss Marple • Mord • Mord ist Wissenschaft • Murder Isn't Easy • Mystery und Krimis • Pharmakologie • Rechtsmedizin • Rechtsmedizinerin • spannende Kriminalfälle • Toxikologie • True Crime • True Crime Bücher |
ISBN-10 | 3-426-46426-8 / 3426464268 |
ISBN-13 | 978-3-426-46426-7 / 9783426464267 |
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