Angepasst, strebsam, unglücklich (eBook)

Die Folgen der Hochleistungsgesellschaft für unsere Kinder

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
192 Seiten
Kösel-Verlag
978-3-641-28750-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Angepasst, strebsam, unglücklich - Margrit Stamm
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Erwarten wir zu viel von unseren Kindern? - Geht es immer nur um Leistung?
Besonders fleißig, gute Noten und beliebt - ein solches Kind hat scheinbar beste Aussichten. Unsere Hochleistungsgesellschaft setzt auf leistungsstarken Nachwuchs, auf hohe Bildungsabschlüsse und auf Väter und Mütter, die nach Kräften fördern und so den Erfolg ihrer Kinder möglich machen.

Das erzeugt Stress, bei den Eltern, vor allem aber bei den Kindern. Mit oft traurigen Folgen:

»Überleister« sind Kinder, die permanent mehr leisten, als man von ihnen erwarten dürfte.

Sie sind angepasst, unauffällig und erfolgreich, doch ihre Erfolge erzielen sie nicht in erster Linie wegen ihres IQs oder ihrer Talente, sondern durch Fleiß, Elternunterstützung und Druck. Der muss gar nicht explizit von den Eltern ausgeübt werden - die Kinder spüren die Erwartungen an sie. So setzen sich schon junge Schulkinder selbst unter Druck.

Die Überleister-Kultur ist ein unterschätztes Problem und schuld an mangelnder Lernfreude sowie der Zunahme emotionaler Probleme bei Kindern. Für ihr Buch hat Margrit Stamm intensiv zu der bisher noch zu wenig beachteten Überleistung bei Kindern geforscht.

Ihr Ziel ist es, das gesellschaftliche Bewusstsein für dieses Problem zu schärfen und Eltern sowie Erziehungsexperten neue Wege aufzuzeigen.

Margrit Stamm ist Professorin em. für Pädagogische Psychologie und Erziehungswissenschaften an der Universität Fribourg-CH und Direktorin des Forschungsinstitut Swiss Education. Sie war Gastprofessorin an diversen Universitäten im In- und Ausland sowie in verschiedenen wissenschaftlichen Beiräten von nationalen und internationalen Organisationen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Frühkindliche Bildung und Familie, Begabungsforschung und Talententwicklung über die Lebensspanne, Chancengerechtigkeit und Berufsbildungsforschung. Margrit Stamm ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Kindern.

Einleitung

Überleistung? Dieser Begriff ist im deutschen Sprachraum nicht geläufig. Ganz anders in den USA, dort gehört Overachievement zum Alltagsvokabular und gilt als etablierter Fachbegriff, eine deutsche Übersetzung gibt es nicht. Dass Überleistung dort so populär ist, dürfte in den Auswahlsystemen der renommierten Colleges liegen, die neben reichen Eltern hervorragende Leistungen voraussetzen, um überhaupt aufgenommen zu werden. Overachievement gehört deshalb für viele Familien zur strategischen Tagesordnung. Es gibt nur ein Ziel: Bestnoten – unbesehen davon, welche Anstrengungen erforderlich und welche psychischen Beeinträchtigungen damit verbunden sind.

Hierzulande ist die Situation nicht derart krass, doch die Tendenz ist unübersehbar. Manche Kinder sollen unentwegt hochleistungsbereit sein und Ergebnisse liefern, die jedoch nicht selten über ihrem Motivations- oder Fähigkeitsniveau liegen. Manchmal gilt dies auch für ihre anspruchsvollen Freizeitaktivitäten. Solche Kinder wirken wie Hochleister, die fleißig lernen und sich Anforderungen anpassen können. Doch der Eindruck täuscht. Kinder, die mehr leisten müssen als sie eigentlich können, dürfen nicht mehr »normal« sein, weil Scheitern gewissermaßen verboten ist. Deshalb werden schlechte Noten sofort mit zusätzlichem Engagement ausgebügelt oder es wird nach einer Lernstörung gesucht, um nicht zufriedenstellende Leistungen legitimieren zu können.

Das Grundproblem: Die Fixierung auf Hochleistung

In den letzten Jahren sind viele Bücher mit teils aufsehenerregenden Titeln (Die Burnout-Kids) erschienen, die von massiven emotionalen Problemen heutiger Kinder und Jugendlicher berichten. Meist werden der schulische Leistungsdruck, die sozialen Medien und der verwöhnende Erziehungsstil dafür verantwortlich gemacht. Solche Parameter sind keinesfalls zu leugnen, aber sie verkörpern vor allem Begleiterscheinungen, welche die Sicht auf das Grundproblem verdecken.

Der Ursprung von Überleistung liegt kaum in den Kindern selbst und nur teilweise in Lehrkräften oder Eltern, sondern vor allem in Gesellschaft und Bildungspolitik. Wettbewerbsorientierung, Akademisierung sowie der Appell an eine »verantwortete Elternschaft«1 waren um die Jahrtausendwende die Wegbereiter, welche die Überleisterflamme entzündet haben. In der Zwischenzeit hat sie auf Bildungssystem und Familie übergegriffen. Entstanden ist eine Optimierungskultur, welche Überleistung zu einem gesellschaftlichen Mandat macht. Damit ist gemeint, dass Ideen, welche die Sichtweisen von immer mehr Menschen steuern, einen bestimmten Verhaltens- und Denkstil vorgeben, der zu einem gesellschaftlichen Code wird.

Doch es wäre falsch, Überleistung ausschließlich als negatives oder gefährliches Phänomen zu verstehen. Es gibt Kinder, die Merkmale von Überleistung zeigen, aber seelisch in ausgewogener Verfassung sind, ein gutes Selbstwertgefühl haben und sich positiv entwickeln. Beispiele sind durchschnittlich intelligente, wissensdurstige Kinder, die gerne zur Schule gehen, sodass sie von Eltern und Lehrkräften manchmal fast gebremst werden müssen. Doch solche Kinder gibt es eher wenige.

Wie versetzt man Kinder in einen
gebildeten Zustand?

Dass Überleistung mit ihren vielen Facetten zwar ein verdecktes, aber belastendes Thema in Schulen und Familien ist, erfahre ich jeweils im Anschluss an meine Referate, gerade im Zusammenhang mit meinem Buch Lasst die Kinder los – Warum entspannte Erziehung lebenstüchtig macht. In solchen Veranstaltungen schlagen die Emotionen hoch, sobald die Frage auftaucht, wie Kinder in einen gebildeten Zustand versetzen werden können und wie ihr Potenzial auszuschöpfen ist.

Meine Erfahrung entspricht keinesfalls dem, was in den Medien immer wieder berichtet wird: dass alle Eltern überehrgeizig seien. Oder dass Schulen grundsätzlich stresserzeugend wirken und die individuellen Möglichkeiten der Kinder zu wenig berücksichtigen würden. Mein Eindruck ist eher der, dass sowohl Lehrkräfte als auch Eltern die Folgen ihres Engagements respektive ihrer Erwartungen sensibilisierter wahrnehmen als je zuvor. Deshalb melden sich in meinen Referaten auch durchaus selbstkritische Zuhörerinnen und Zuhörer zu Wort, die als Väter, Mütter, Lehrkräfte oder Fachexpertinnen und -experten sowie als bildungspolitisch Tätige nach zukunftsträchtigen Lösungen suchen. Trotzdem schwingen in den Diskussionen häufig die Optimierungsgesellschaft und der unbedingte Erfolg der Kinder oder die damit verbundenen Unsicherheiten in Schule und Freizeit als übergreifendes Mantra mit. Im Mittelpunkt stehen beispielsweise Fragen, inwiefern Lehrkräfte und Eltern die Kinder dazu anhalten sollten, ihr Talent zu optimieren und das Potenzial nicht zu vergeuden oder ob frühe Leseinstruktion als Schulvorbereitung Erfolg verspricht. Fast immer schimmert die Sorge durch, die Kinder könnten zu wenig gefördert werden. Selten geht es aber um die vielleicht wichtigsten Fragen: Wie kann man als Lehrperson, Mutter oder Vater Standfestigkeit entwickeln und sich vom Optimierungs-Mainstream abgrenzen? Was braucht es, um realistische Erwartungen zu entwickeln, ohne in überfördernde und überfordernde Erziehungs- und Ausbildungsmuster hineinzuschlittern? Und: Wie können die Entwicklung einer intrinsischen Motivation der Kinder unterstützt und Fallstricke umgangen werden, welche lediglich auf konforme Leistungsprodukte – die Noten – ausgerichtet sind?

Solche Fragestellungen haben mannigfaltige Berührungspunkte mit dem Thema Hoch- und Überleistung. Sie zwingen uns, zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich dabei um ein komplexeres Phänomen handelt, als es der alleinige Fokus auf ehrgeizige Eltern suggeriert. Oft spüren Kinder zwar, dass sich die Eltern viel von ihnen erhoffen und auch Druck machen. Doch nicht selten sind es ebenso schulische Anforderungen, Leistungs- und Selektionsdruck. Manchmal sind es auch Freundinnen und Freunde, welche überleistende Kinder nicht verlieren wollen.

Überleistung als gesellschaftliches Mandat:
die These

Zu hohe Erwartungen, ein angeschlagenes Selbstbewusstsein, die Angst vor Fehlern – solche Merkmale lassen manche Kinder zu Überleistern werden. Sie können kaum eigenmotiviert Interessen entwickeln, werden immer abhängiger von der Unterstützung durch Dritte und verlieren manchmal sogar die Freunde, die ihnen eigentlich wichtig wären. Und vor allem können sie trotz guten Leistungen kaum je wahrhaftige Freude am eigenen Erfolg entwickeln. Damit bekommen sie einen schweren und mit Risiken bepackten Rucksack auf ihre Schultern geladen.

Solche Erkenntnisse bilden die Basis für die zentrale These meines Buches:

Bildungspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen wie Leistungsorientierung und Optimierungszwang, schulische Testkultur oder Akademisierungsbestrebungen sind Hauptursachen dafür, warum immer mehr Kinder auf Hochleistung getrimmt werden. Sie müssen Ergebnisse liefern, die eigentlich über ihren Fähigkeiten liegen. Diese Überleisterkultur ist ein gesellschaftliches Mandat, dem zu widerstehen für Schule und Elternhaus eine Herausforderung geworden ist. Es braucht deshalb einen Perspektivenwechsel hin zum authentischen Kind.  

Warum Überleistung als Thema oft verschwiegen wird, ist Thema des hinführenden Kapitels. Anhand von vier Faktoren zeige ich die Hauptpfeiler auf, welche Hoch- und Überleistungen in einem zwiespältigen Licht erscheinen lassen – auch wenn sie vordergründig als bewundernswert gelten. Anschließend konzentriere ich mich im ersten Schwerpunkt auf die Katalysatoren von Überleistung und die damit verbundenen Player: die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, den auf Optimierung ausgerichteten Zeitgeist, das Bildungssystem und die Probleme und Herausforderungen des Leistungssports.

Im zweiten Schwerpunkt geht es um die überleistenden Kinder selbst, genauer um ihre unterschiedlichen Merkmale. Dabei wird deutlich, dass es den Überleister oder die Überleisterin zwar nicht gibt, sie jedoch einen gemeinsamen Nenner haben: wenig Selbstvertrauen und viele Selbstzweifel. Im Mittelpunkt des dritten Schwerpunkts stehen Väter und Mütter, welche wegen den vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingungen zu Maximierern der kindlichen Leistungsfähigkeit werden. Ausdruck dieser Maximierer-Haltung sind Bildungspanik und kontinuierliche Kontrolle der Kinder – beides Phänomene als Folgen der Angst, aus dem Nachwuchs könnte nichts Rechtes werden.

Schließlich ziehe ich im vierten Schwerpunkt Bilanz: Was eine entwicklungsangemessene und humane Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit sein soll, ist neu zu definieren. Kinder müssen nicht durchgehend Hochleistungen an den Tag legen. Sie dürfen manchmal auch lediglich durchschnittlich sein und hin und wieder scheitern. »Das authentische Kind und seine Rechte« wird deshalb zur Leitidee für einen Perspektivenwechsel. Ich zeige Leitideen auf, anhand derer sich Schulen, Lehrkräfte und Eltern von der Überleisterkultur distanzieren können und Bildungssysteme entsprechende Vorkehrungen treffen können. Auf diesem Weg brauchen Kinder und Jugendliche bestimmte...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • Anna, die Schule und der liebe Gott • Bildungsdebatte • Bildungskrise • bildungswissenschaftlerin • Burnout bei Kindern • du musst nicht perfekt sein, mama • eBooks • Gesundheit • Hochleistungs-Gesellschaft • Hochstapler-Syndrom • Kinder unter Druck • Leistungsdruck • Lernstress • Neuerscheinung • Overachiever • Pädagogik • Schulstress • Schulverweigerer • Stress bei Kindern • stressfrei erziehen
ISBN-10 3-641-28750-2 / 3641287502
ISBN-13 978-3-641-28750-4 / 9783641287504
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