Die große Arbeiterlosigkeit (eBook)
256 Seiten
FinanzBuch Verlag
978-3-98609-126-2 (ISBN)
Sebastian Dettmers ist CEO eines der größten europäischen Digitalunternehmen, der Online-Jobplattform StepStone. Durch die Arbeit mit über 100.000 Unternehmen und Millionen von Nutzern in mehr als 20 Ländern verfügt er über eine einzigartige Expertise zur globalen Entwicklung von Arbeit, Wirtschaft und Technologie. Die Arbeiterlosigkeit ist für ihn, neben dem Klimawandel, die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Es ist ihm deshalb ein Herzensanliegen, mit diesem Buch Impulse zu setzen für eine positive Zukunft, neue Formen von Arbeit und einen funktionalen Arbeitsmarkt im Dienste der Menschen.
Sebastian Dettmers ist CEO eines der größten europäischen Digitalunternehmen, der Online-Jobplattform StepStone. Durch die Arbeit mit über 100.000 Unternehmen und Millionen von Nutzern in mehr als 20 Ländern verfügt er über eine einzigartige Expertise zur globalen Entwicklung von Arbeit, Wirtschaft und Technologie. Die Arbeiterlosigkeit ist für ihn, neben dem Klimawandel, die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Es ist ihm deshalb ein Herzensanliegen, mit diesem Buch Impulse zu setzen für eine positive Zukunft, neue Formen von Arbeit und einen funktionalen Arbeitsmarkt im Dienste der Menschen.
VORWORT
Vor etwa 200.000 Jahren entwickelte sich der moderne Mensch. Die ersten 199.750 Jahre sind schnell erzählt: Es war eine Zeit minimalen Fortschritts und stagnierender Lebensbedingungen. Ob ein Mensch vor 2000 Jahren, im Mittelalter oder im 18. Jahrhundert geboren wurde – es erging ihm kaum besser, als wenn er in der Steinzeit geboren wäre. Die Lebenserwartung stagnierte bei gut 30 Jahren, 95 Prozent der Menschen lebten in Armut und kämpften jeden Tag ums Überleben.1 Die Bevölkerung wuchs in homöopathischen Dosen. Doch vor rund 250 Jahren geschah etwas in der Geschichte absolut Einzigartiges: Der Mensch entkam der Armutsfalle.
Die Industrialisierung brachte den Menschen innerhalb weniger Generationen einen zuvor unvorstellbaren Wohlstand. Am Anfang stand ein aus heutiger Sicht simpel anmutendes Gerät: die »Spinning Jenny«. Die weltweit erste Spinnmaschine leistete genauso viel wie bis dahin acht Arbeiter. Sie gab den Startschuss zu einer einzigartigen Explosion der Produktivität. In den USA, in Deutschland und England stiegen die Produktivität und damit der Wohlstand bis heute um das bis zu Dreißigfache, weltweit immerhin um das Fünfzehnfache.2
Das Automobil ersetzte das Pferd, und nur 40 Jahre später flog der Mensch mit dem Flugzeug um die ganze Welt. Auf eines konnten sich die wachsenden Volkswirtschaften und ihre Unternehmen dabei immer verlassen: einen nicht versiegenden Zustrom an Arbeitskräften, vom Land in die Städte und von Land zu Land. Zudem wurde der Mensch nun immer älter. Dank ausreichender Ernährung und medizinischem Fortschritt – Antibiotika, Impfstoffe und moderne Operationstechniken – kam es global zu mehr als einer Verdoppelung der Lebenserwartung. Die Weltbevölkerung verachtfachte sich, von 1 Milliarde im Jahr 1800 auf heute fast 8 Milliarden Menschen.3
Der immense technische Fortschritt war nicht nur in der Lage, die rasant wachsende Zahl von Menschen zu ernähren. Global gesehen mehrte er auch deren Wohlstand enorm. Die weltweite Wirtschaftsleistung wuchs in den vergangenen 250 Jahren um mehr als das Hundertfache.4 Natürlich gibt es nach wie vor gravierende Unterschiede zwischen einzelnen Regionen, Ländern und Kontinenten, doch auch in weniger entwickelten Ländern sind heute Güter und Dienstleistungen in breiten Bevölkerungsschichten selbstverständlich, die noch vor wenigen Generationen weltweit nur wenigen vorbehalten oder schlicht unvorstellbar waren. Dazu gehört sauberes Trinkwasser genauso wie eine medizinische Grundversorgung und die Möglichkeit, in kurzer Zeit große Distanzen zu überbrücken, genauso wie der Schulbesuch für alle Jungen und Mädchen.
Die vergangenen 250 Jahre seit Beginn der industriellen Revolution waren in vielerlei Hinsicht einzigartig. Mittlerweile ist der daraus resultierende Wohlstand zu einer Selbstverständlichkeit geworden – und wir beginnen zu vergessen, dass er auf Wachstum gründet und ohne Wachstum nicht funktioniert. Eine gefährliche Entwicklung, denn schon seit den 1970er-Jahren stottert der Wachstumsmotor. Dies zeigt sich insbesondere bei der Produktivität, der entscheidenden Triebfeder für einen steigenden Wohlstand. 2018 kam der Anstieg der Pro-Kopf-Produktivität in Deutschland zum Stillstand. Ein Alarmzeichen, denn je produktiver die Beschäftigten, desto größer die Spielräume für Lohnzuwächse und desto höher letztendlich der Wohlstand.
Mittlerweile zerbrechen sich Wissenschaftler in vielen Ländern über ein Phänomen den Kopf, das in Deutschland »Produktivitätsparadoxon«, in Großbritannien »Productivity Puzzle« und in den USA »Productivity Slowdown« genannt wird. Es erscheint unbegreiflich, dass die Beschäftigten trotz Automatisierung, trotz Digitalisierung nicht produktiver werden. Erfüllen Roboter, Internet und Smartphones die in sie gesetzten Hoffnungen nicht? Nutzen wir sie nicht richtig? Messen wir eventuell ihren Beitrag zum Wirtschaftsgeschehen falsch? Oder gibt es andere Faktoren, die unsere Produktivität zunehmend hemmen?
Der stotternde Wachstumsmotor trifft uns zur Unzeit. Denn obendrein versiegt nun auch noch der Zustrom an Arbeitskräften. Schon bald wird die Menschheit zu schrumpfen beginnen. Und es werden weder ein Virus noch ein Krieg, noch eine Naturkatastrophe sein, die zu Bevölkerungsverlusten führen. Es wird vielmehr der Wohlstand sein.
Mit den Wohlstandsgewinnen der letzten 250 Jahre ging nicht nur eine steigende Lebenserwartung einher, sondern auch eine rückläufige Geburtenrate. Egal ob wir nach Deutschland, Italien oder Spanien, in die USA, nach China oder Japan blicken: die Fertilität reicht nicht mehr aus, um die Bevölkerung stabil zu halten. Dieser länder- und kulturübergreifende Trend wird China, Japan, Italien und Spanien bis Ende des Jahrhunderts die Hälfte ihrer Einwohner verlieren lassen, Deutschland mindestens 20 Prozent und sogar rund ein Drittel der Erwerbsbevölkerung.5
Wir erleben eine Zeitenwende. Der wichtigste Treiber des Wachstums der letzten 250 Jahre geht zur Neige: der Mensch. Statt Arbeitslosigkeit droht die Arbeiterlosigkeit. Mehr noch: Treffen sinkende Bevölkerungszahlen und eine stagnierende Pro-Kopf-Produktivität aufeinander, bedeutet das nichts anderes als ein Schrumpfen der Wirtschaft oder mit anderen Worten: jahrzehntelange Rezession. Auf die industrielle Revolution könnte ein Jahrhundert des Rückschritts folgen. Wobei es die einzelnen Wirtschaftsmächte mit unterschiedlicher Wucht treffen wird.
Die noch größte Volkswirtschaft der Welt, die USA, ist traditionell ein Einwanderungsland und kann so dem eigenen Bevölkerungsschwund entgegenwirken. Zudem investiert das Land mittlerweile Billionen US-Dollar in eine Stärkung von Industrie, Infrastruktur und Bildung und profitiert darüber hinaus von einem innovativen Hightech-Sektor. China wird noch jahrzehntelang damit beschäftigt sein, die Produktivitätslücke zum Westen schließen. Allerdings wird das Reich der Mitte schon bald die verheerenden Folgen der viel zu niedrigen Geburtenraten zu spüren bekommen.
Europa, Ursprung der industriellen Revolution, wird hingegen gleich doppelt getroffen. Während der Bevölkerungsrückgang bereits im vollen Gange ist, stagniert hier auch die Produktivität und damit der Fortschritt. Die Folge: Unternehmen halten Investitionen zurück oder verlagern sie in wachstumsstärkere Regionen. Ähnliches ist bei Forschung und Entwicklung zu beobachten. Wo vor wenigen Jahrzehnten der alte Kontinent dominierte, rangeln nun amerikanische und asiatische Koryphäen um die Spitzenplätze. Die europäischen Staaten ächzen unter der Last steigender Sozialausgaben und suchen ihr Heil in einer wachsenden Verschuldung. Großer Protest bleibt bislang aus. Das Feuer, das die industrielle Revolution einst entfachte, brennt aus. Erleben wir bald ihr Gegenteil: die Unrevolution?
Die Unrevolution wäre eine stille Revolution – ohne Kämpfe und ohne Widerstand. Sie käme leise daher, kaum wahrnehmbar. Das Wachstum würde sich verlangsamen, der Fortschritt erlahmen, bahnbrechende Innovationen ausbleiben. Davon würde keine Zeitung Notiz nehmen, kein Fernsehsender berichten. Früher oder später käme es zu Rezessionen ohne erkennbare Ursache. Auch das wäre kein Grund zur Aufregung, denn bislang folgte auf jeden Abschwung ein Aufschwung.
Über die Jahre hinweg würden wir uns an negative Wachstumsraten gewöhnen. Daran, dass Unternehmen weniger investieren, weil sie keine Wachstumschancen sehen. Dass die Infrastruktur verfällt, weil die Steuereinnahmen sinken. Dass die Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie Bildung zurückgehen. Dass die Kosten für Rente und Gesundheit in einer alternden Gesellschaft explodieren. Dass die Staaten immer höhere Schulden aufnehmen, um handlungsfähig zu bleiben. Dass unser Wohlstand sinkt.
Und weiterhin bliebe es still. Niemand würde sich erheben, niemand auf die Straße gehen. Denn die Unrevolution breitet sich dort aus, wo Gesellschaften altern und die Bevölkerung schrumpft. Alte Gesellschaften meiden Konflikte, sie demonstrieren nicht und beginnen schon gar keine Revolution.6 Die Unrevolution wäre ihr Gegenteil. Sie wäre durch Nicht-Handeln charakterisiert – genau das macht sie so gefährlich. Und die Gefahr rückt näher. Sehr nah. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass die Unrevolution längst begonnen hat.
Doch die Unrevolution ist kein Schicksal, sie geschieht durch Unterlassen. Und dagegen können wir etwas unternehmen. Vielerorts ist dies bereits der Fall. Unternehmer gehen neue Wege, um die Produktivität zu steigern und Arbeitskräfte zu finden. Die Politik in anderen Ländern mobilisiert mehr Menschen für den Arbeitsmarkt und fördert gezielt hochproduktive Branchen. Öffentliche wie private Kapitalgeber investieren in Bildung sowie in disruptive Innovationen. All das macht Mut.
Noch können wir handeln, um die Wachstumskräfte auf unserem Kontinent neu zu entfachen. Dazu dürfen wir nicht mehr länger...
Erscheint lt. Verlag | 19.6.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Arbeiten • Arbeitgeber • Arbeitnehmer • Arbeitskräfte • Arbeitslos • Arbeitsmarkt • Arbeitsplätze • Arbeitswelt • Armut • Bevölkerung • Bildung • Demografie • Demographie • Fachkräfte • Fachkräftemangel • Fortschritt • Jobs • Mindestlohn • Rezession • Roboter • stepstone • Wachstum |
ISBN-10 | 3-98609-126-2 / 3986091262 |
ISBN-13 | 978-3-98609-126-2 / 9783986091262 |
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Größe: 799 KB
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