Mohn und Regen (eBook)

Wie die Reise mit meiner Mutter zu mir selbst führte - Memoir

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
272 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-27571-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mohn und Regen -  Alexa Heyden
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Alexa von Heyden, Journalistin, erfolgreiche Mode- und Lifestyle-Bloggerin und Autorin steht mit Ende dreißig an einem Wendepunkt in ihrem Leben. Der unerfüllte Kinderwunsch hat sie in eine tiefe Krise gestürzt. Sie sucht Halt bei ihrer eigenen Mutter - die mit 70 Jahren gerade auf Wolke sieben schwebt. Auf einer spontanen gemeinsamen Reise nach Amerika, lernen sich beide neu kennen. Während die pensionierte Ärztin ihre Jugendliebe wiedertrifft, lernt Alexa loszulassen und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Zwei starke Frauen, die ihre Rollen als Mutter und Tochter hinterfragen, zwei Menschen im Umbruch, die voneinander lernen, Schicksal als Chance zu verstehen.

Alexa von Heyden, geb. 1978, ist Journalistin und Autorin. Nach ihrem Studium und 15 Jahren in Berlin und Hamburg lebt sie heute mit ihrer Familie in Brandenburg in einem alten Haus am See. Sie schrieb unter anderem für ELLE, Harper's Bazaar, Stern und Journelles. Seit 2007 füttert sie ihren persönlichen Blog 'Alexa von Heyden. Villa Peng' mit allen Themen, die sie in Sachen Mode, Interior, Beauty und Food inspirieren. 2013 erschien ihr Buch »Hinter dem Blau«, das ein SPIEGEL-Bestseller wurde. Ein Jahr später folgte »Meine Sonne. Mein Mond. Meine Sterne.« Beide Bücher beruhen auf der persönlichen Lebensgeschichte der Autorin, genau wie «Mohn und Regen. Wie die Reise mit meiner Mutter zu mir selbst führte».

MOHN & REGEN – KAPITEL 2

PAPIER

Ich gähne, die Luft im Arbeitszimmer wird stickig. Wir sortieren Versicherungsschreiben, Werbung, die schwarz umrahmten Todesanzeigen von Freunden und Verwandten der vergangenen Jahre, Hefte mit Diät- und Reise-Tipps, Ärztezeitungen, Rechnungen, Kontoauszüge. Mit jedem Blatt, das ich in die Hand nehme, werde ich müder. Schnell voran kommen wir nicht.

Meine Mutter dreht und wendet jedes Blatt und prüft seinen Inhalt. Es passiert immer wieder, dass sie sich in einen Artikel vertieft, so als habe sie die Zeitung gerade aus dem Briefkasten geholt. Dabei liegt sie hier schon seit mindestens fünf Jahren. Der Papierkorb ist noch nicht mal zur Hälfte gefüllt.

»Wie es Tom wohl geht? Ich habe so lange nichts von ihm gehört. Habe ich eigentlich seine aktuelle Adresse?«, fragt meine Mutter in den Raum, so als könnten die Papierberge oder ich die Antwort wissen. Sie legt die Zeitung, die sie gerade in den Händen gehalten hatte, zur Seite, statt in den Papierkorb, und fängt an, ihre kleinen Adressbücher, die in der linken Schublade des Sekretärs liegen, durchzublättern.

Ihren Ex-Mann zu sehen, das fände ich witzig. Dann könnte ich mir vielleicht auch besser meinen Vater vorstellen, von dem ich mich immer frage, wie er jetzt wohl mit inzwischen siebzig aussähe. Manchmal denke ich an ihn, aber es ist nicht mehr oft, so als hätte ich fast vergessen, überhaupt jemals einen Vater gehabt zu haben. Aber so, wie ich an vielen anderen Punkten immer wieder Bezug zu meiner Vergangenheit aufnehme, merke ich, dass meine Mutter ihre Zeit in Kalifornien nicht loslässt. Sie könnte alle ihre Fotos in die Tonne werfen, immerhin hat sie diese Bilder viele Jahre nicht angeschaut, wahrscheinlich noch nicht einmal daran gedacht. Warum also ausgerechnet jetzt längst vergangenen Tagen hinterherhängen und alte Adressen suchen?

Es verunsichert sie vielleicht, nicht zu wissen, ob der Mann, mit dem sie einmal verheiratet war, noch lebt oder schon gestorben ist, sodass sie nie wieder die Möglichkeit haben wird, mit ihm zu sprechen. Sie ist keine junge Frau mehr, so wie damals, sondern Rentnerin mit einem Hallux valgus, wegen dem sie weiche Schlappen aus Hirschleder trägt.

Meine Mutter reicht mir eine Kiste mit den Minikalendern meines Vaters aus den Jahren 1976, 1977, 1978 und 1981. Das ist das Jahr, bevor er gestorben ist. An meinem Geburtstag steht kein Eintrag, auch nicht an dem meiner Schwester oder meiner Mutter. Als hätte er sich schon damals aus dem Leben verabschiedet. Jeder Tag blieb für ihn ein leeres Blatt. 365 Tage ohne Bedeutung für ihn. Dabei ist in diesem Jahr viel passiert: Er kündigte seinen Job im Krankenhaus. Wir zogen mit ihm nach Norddeutschland, wo er seine eigene Praxis gründen wollte. Eine Woche nach der Eröffnung nahm er sich das Leben. Meine Mutter mietete das Haus aus der Zeitung mit dem Strom- und Müllkasten vor der Tür, und wir zogen ohne Vater zurück.

Es tut nicht mehr weh, wenn ich an ihn denke oder seine Sachen in der Hand halte. Ich habe meinen Frieden mit ihm geschlossen, und ehrlicherweise ist er für mich weit weg. Sein Kalender bedeutet mir nichts. Es ist keine Reliquie, einfach nur ein altes kleines Buch mit weißen Seiten. Ich überlege, ob wir ihm zu Ehren ein großes Feuer im Garten anzünden und seine Sachen in einem feierlichen Ritual vernichten sollten, anstatt sie in die Mülltonne zu werfen. Ich habe mich schon lange innerlich mit meinem Vater ausgesöhnt, es wäre okay, wenn die Sachen nicht mehr da sind.

Mama will das nicht, sagt sie. Sie wendet immer noch jedes einzelne Blatt, ihre Lesebrille sitzt auf ihrer Nasenspitze, während sie den Inhalt des Schreibens studiert.

»Das ist Werbung, das kann weg«, sagt sie nach drei Minuten über einen zweiseitigen Brief.

Mir wird klar, dass wir es gar nicht schaffen können, rechtzeitig aufzuräumen, selbst wenn die Möbelpacker erst in ein paar Wochen kommen. Ich scheine jedoch die Einzige zu sein, der das bewusst ist. Ich will meine Mutter nicht im Stich lassen, aber die Aufgabe, die vor uns liegt, erledigen wir niemals in der Zeit, in der ich hier bin. Irgendwann will ich zurück nach Berlin. Wir hätten vor Monaten mit dem Ausmisten anfangen müssen. Wir schaffen kein Döstädning.

»Sollen wir schauen, ob Tom auf Facebook ist?«, frage ich, während ich eine Ärztezeitung mit einer Titelgeschichte über die Ursachen von Myomen entdecke.

Auf dem Ultraschallbild sah meine Gebärmutter wie »ein Sack Kartoffeln« aus, wie meine Frauenärztin bemerkte. Vorher waren die Dinger niemandem aufgefallen, und ich hatte keine Beschwerden, bis auf Regelschmerzen, aber dafür gibt es ja Schmerzmittel. Und davon schlucke ich während meiner Periode immer reichlich. Schließlich muss ich arbeiten. Jede dritte Frau ist von Myomen betroffen. Als Ursache für diese Art von gutartigen Tumoren werden unter anderem Weizen, tierisches Eiweiß, Stress, Weichmacher oder Bewegungsmangel vermutet. All das kann ich vorweisen, so leben und ernähren sich viele Menschen auf der Welt. Es klang so allumfassend, als wäre die Ursache für Myome: Atmen.

»Ich habe irgendwo noch Toms alte Adresse. Aber ich glaube kaum, dass er dort noch lebt.«

»Wieso nicht? Du wohnst doch auch seit über dreißig Jahren im selben Haus. Wir brauchen gar keine Adresse. Der ist doch bestimmt auf Facebook«, sage ich wieder.

Ich denke, dass wir in der Hinsicht gute Chancen haben, weil er Amerikaner ist und in Kalifornien lebt. Ich meine, all diese Tech-Firmen wie Facebook, Google und Apple sitzen im Silicon Valley in Kalifornien. Wenn man in der Gegend wohnt, ist man doch sicher auf dem neuesten Stand der Technik.

Anders als meine Mutter.

Ich drücke auf den Einschaltknopf ihres Computers, der mit einem verschlafenen Brummen reagiert. Eine Staubwolke steigt aus dem Belüfter hoch.

»Was machst du?«, fragt Mami.

Sie wird immer nervös, wenn ich ihre Sachen anfasse, vor allem, wenn es der Computer ist. Das mag sie nicht, so als hätte ich schon mal etwas kaputt gemacht, was noch nie passiert ist. Gut, früher habe ich ihr die ein oder andere Sache geklaut, Unterwäsche, Kosmetik oder Geld, aber damit habe ich aufgehört, seit ich ausgezogen bin und selber arbeiten gehe.

»Wir suchen deinen Tom!«

Ich suche auf dem Desktop den Internet-Browser, finde ihn aber nicht. Meine Mutter ruft mich immer wieder an und behauptet: »Ich habe das Internet gelöscht.« Tatsächlich finde ich das Browser-Symbol im Papierkorb.

»Echt, Mami, es ist unfassbar. Warum kaufst du dir einen Computer, wenn du damit nicht umgehen kannst?!«, schimpfe ich.

»Ich sehe das so schlecht«, entschuldigt sie sich und versucht zu verstehen, was ich mit meinen schnellen Handbewegungen an ihrem Rechner mache.

Ich starte den Browser, rufe die Facebook-Seite auf und logge mich in meinen Account ein.

»Wie heißt Tom mit Nachnamen? Hat er noch einen zweiten Vornamen oder einen Doppelnamen?«, frage ich meine Mutter, die auf den Bildschirm starrt. Sie glaubt vielleicht, dass ich den Namen eintippe und schon taucht ihr Ex vor uns auf, aber so einfach wird es vermutlich nicht.

Sie buchstabiert mir seinen vollen Namen.

Dann holt sie Stift und Notizzettel und schreibt Blauer Kompass = Internet auf. Mir fällt auf, dass sie irgendwie ganz schön schief schreibt. Früher war das nicht so, da hat sie mir von Hand Entschuldigungen für die Schule geschrieben, in kerzengerader Schrift.

»Ich finde keinen Mann, der so heißt. Aber hier ist eine Maggie Parker, die in Los Angeles wohnt. Vielleicht ist sie mit ihm verwandt. Soll ich sie als Freundin hinzufügen?«

»Wie geht das denn?«

»Ich schicke ihr einfach eine Freundschaftsanfrage.«

»Ist das wie eine E-Mail?«

»So ähnlich«, lache ich.

Irgendwie süß, dass das Internet so gar nicht die Welt meiner Mutter ist. Aber bald schon sollte sie mir zeigen, dass ich sie unterschätzt habe. Maßlos unterschätzt.

Am nächsten Morgen greift meine Hand zuerst nach meinem schwarzen iPhone, das neben dem Bett auf dem Teppichboden liegt, so als sei es eine Prothese, die ich nachts von meinem Körper abschnalle und morgens brauche, um aufstehen zu können.

Ich prüfe, ob ich neue Follower oder Likes für meine letzten Instagram-Posts oder neue E-Mails bekommen habe. Immer in dieser Reihenfolge: erst Instagram, dann E-Mails. Es ist meistens nie etwas wirklich Wichtiges oder Dringendes passiert, trotzdem schaue ich im Laufe des Tages immer wieder nach, ob ich etwas verpasst habe.

Dieses Nachschauen ist eine Sucht, es geht gar nicht darum, etwas Neues zu erfahren, sondern diese Tastenkombination auszuführen und mich wieder für zehn Minuten von den Dingen, die ich eigentlich machen sollte, abzulenken. Ich habe eine Kollegin gehabt, die gezählt hat, wie oft sie an einem Tag ihr Handy entsperrt, um Instagram aufzurufen und ihre E-Mails zu kontrollieren. Sie kam auf über achtzig Mal. Meine Bildschirmzeit liegt, seitdem ich bei meiner Mutter bin, unter zwei Stunden. Normalerweise daddele ich zehn Stunden pro Woche nur an meinem Smartphone herum. Das ist ein ganzer Arbeitstag, den ich mit meinem Handy verbringe. Kein Wunder, dass ich gefühlt wenig gebacken bekomme, wenn ich einen Tag lang mit Scrollen beschäftigt bin.

Doch heute gibt es eine wirklich wichtige Nachricht, und mein Bauchgefühl sagt mir, dass etwas passieren wird, mit dem wir nicht gerechnet...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • Alexa Peng • Autobiographie • Biografie • Biographien • Bloggerin • Bücher über starke Frauen • eBooks • Hinter dem Blau • influencerin • Instagram • Kinderwunsch • Meine Sonne. Mein Mond. Meine Sterne. • Memoir • Mutter-Tochter-Beziehung • Neuerscheinung • Reise zu sich selbst • Roadtrip mit Mutter • Selbstliebe • self care • Stefanie Luxat • Villa Peng
ISBN-10 3-641-27571-7 / 3641275717
ISBN-13 978-3-641-27571-6 / 9783641275716
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