Der Preis der Freiheit -  Edzard Reuter

Der Preis der Freiheit (eBook)

Was Europa jetzt tun muss - Ein Weckruf
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
100 Seiten
S.Hirzel Verlag
978-3-7776-3156-1 (ISBN)
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Edzard Reuter ist überzeugter Europäer und überzeugter Kämpfer für eine Wirtschaft, die auch am Wohl der Mitarbeiter*innen, der Umwelt, der Gesellschaft ausgerichtet ist. In seinem neuen Buch zieht er ein Fazit seines über 90-jährigen Lebens als politisch und gesellschaftlich engagierter Mensch und als langjähriger Vorstandsvorsitzender der Daimler Benz AG. Der Kenner und Beobachter der Weltpolitik und der Weltwirtschaft zeigt umfassend auf, wie die Welt sich verändert hat und welche Rolle dabei der Nahe Osten, Russland, die USA und China spielen. Die aktuelle Situation in der Ukraine bezeugt die Dringlichkeit eines Paradigmenwechsels in der EU. Für Reuter ist angesichts vielschichtiger Herausforderungen der Weg für die Europäische Union klar: Sie muss sich zu einem eigenständigen Staatsgebilde wandeln. Was hierfür nötig ist, sind vor allem visionäre Menschen, die klar und deutlich sagen, wohin der Weg führen soll - und die zugleich den Mut aufbringen, sich selbst zu korrigieren, wenn ein Irrweg eingeschlagen wurde.

Edzard Reuter war von 1987 bis 1995 Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG. Er ist Ehrenbürger von Berlin, Vorsitzender der Kuratorien der Helga und Edzard Reuter Stiftung zur Förderung der Völkerverständigung und Integration und der Stiftung Ernst- Reuter-Archiv. Zugleich wirkt er als Mitglied im Kuratorium der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Reportageschule Reutlingen und der Hilfsorganisation CARE Deutschland mit.

Weit hinten in der Türkei?


Erinnern Sie sich noch an nine eleven?

Ich jedenfalls erinnere mich sehr genau daran. Der Nachmittag des 11. September 2001 – vor inzwischen 20 Jahren. Zusammen mit einem guten Bekannten saßen wir hinten in einem komfortablen Auto, auf der Rückfahrt von einem Treffen außerhalb Berlins zurück in die Stadt. Zum Zeitvertreib baten wir den Fahrer, die Radionachrichten anzustellen. Übergangslos wurden wir in den Bericht geworfen, der ebenso atem- wie fassungslos schilderte, was geschehen war: dass zwei Flugzeuge, voll mit unschuldigen Passagieren, nacheinander mutwillig in die beiden Türme des World Trade Center in New York gesteuert worden waren, dort explodiert seien, die Gebäude zuerst in Brand gesteckt und anschließend zum Einsturz gebracht hätten.

Uns verschlug es die Sprache. Weit mehr als das: Was da geschildert wurde, überstieg jedes Vorstellungsvermögen. Es schien, als stamme es aus einem Fantasieroman.

Erst als am Abend die Bilder des Grauens über die Bildschirme gingen, wurde für alle von uns Realität daraus. Das setzte sich in den folgenden Wochen täglich fort, als Schritt um Schritt die Einzelheiten des Verbrechens und der beiden anderen Anschläge vom gleichen Tag bekannt und mit Bildern unterlegt wurden, als wir Näheres über die Täter, ihr Aussehen, ihr Herkommen erfuhren – und davon, welche wahnwitzigen Motive sie angetrieben hatten.

Monatelang gab es kein anderes Thema. Sensationen dieser Art haben nun einmal die Eigenschaft, nicht nur das eigene Empfinden zu vernebeln, sondern darüber hinaus auch das Denken lahmzulegen. Seien wir doch ehrlich: Ist uns das hier bei uns, hier in Europa, alles wirklich genauso nahe unter die Haut gegangen wie denjenigen, die es in New York aus der Nähe miterlebten oder gar ihre Nächsten verlieren mussten? Haben wir wirklich verstanden, dass sich das grauenhafte Ereignis nicht nur in der Ferne jenseits des Ozeans abgespielt hatte, sondern dass es uns selbst nicht minder unmittelbar anging als das unsägliche Leid derer, die selbst – oder deren Angehörige – zum Opfer der Mordtat geworden waren?

Nein! Allzu bald wich der erste Schreck einem allenfalls neugierigen Desinteresse. Zwar erklärte der ominöse damalige Präsident George W. Bush offiziell dem »Terror« und insbesondere jener Organisation, die sich unter der Bezeichnung al-Qaida in so widerlicher Selbstgerechtigkeit der Mordserie in den USA rühmte, den Krieg.

Die meisten von uns, genau wie die Mehrzahl unserer Politiker und der Medien, waren hingegen schnell genug dabei, das schreckliche Geschehen in den Hintergrund ihres Interesses zu verbannen. Stattdessen stritten wir mit messerscharfen Argumenten über das Für und Wider des nun wahrhaft weltbewegenden Themas, ob man tatsächlich als Staat einer solchen Bande von Terroristen »den Krieg erklären« könne oder dürfe, wo doch als Empfänger derartiger Mitteilungen laut Völkerrecht nur ein anderer Staat legitimiert sei.

Es dauerte dann auch nicht lange, bis die neuesten Fußballergebnisse und die Schlagzeilen von »Bild« über die letzten Seitensprünge der Schickeria, ergänzt um unsere eigenen täglichen Erlebnisse, wieder die Gedanken und Gefühle beherrschten. Al-Qaida – je mehr sich ihre Gräueltaten an allen möglichen Plätzen der Erde wiederholten, desto mehr wurden sie zur Gewohnheit. Achselzuckend gewöhnten wir uns daran, dass brutale Mordanschläge mit unzähligen unschuldigen Menschen als Opfern zur täglichen Nachrichtensendung wurden: Sie fanden ja irgendwo in der Ferne statt, uns selbst trafen sie nicht.

Aufgeweckt wurden wir erst wieder, als der amerikanische Präsident sich 2003 mit seinem britischen Freund, dem Premierminister Tony Blair, und einigen anderen Partnern zu einer »Koalition der Willigen« zusammenfand. Man hatte beschlossen, unter offener Verletzung des Völkerrechts tatsächlich einen Krieg zu beginnen.

Dieses Mal ging es allerdings tatsächlich um einen Staat: den Irak und dessen Alleinherrscher Saddam Hussein. Ebenjenen Herrn hatte man freilich nicht lange zuvor durch die Lieferung von Unmengen Kriegsmaterial bei seinem brutalen, mit einer Million Toten gesegneten Krieg gegen den Iran unterstützt und gefördert, obwohl sich weltweit längst zur Genüge herumgesprochen hatte, dass es sich um einen grausamen Diktator handelte, der vor keinem Mord – auch nicht dem durch Giftgas begleiteten Holocaust an der kurdischen Minderheit seines Landes – zurückschreckte.

Zu Recht regten sich wenigstens vorübergehend manche von uns darüber auf, dass eine junge deutsche Politikerin namens Angela Merkel, kurz zuvor zur Vorsitzenden der damals größten Oppositionspartei CDU gewählt, es für angebracht hielt, in Washington dem Präsidenten schöne Augen zu machen und offen gegen den Bundeskanzler Schröder Stellung zu beziehen, weil dieser in deutschem Namen den amerikanischen Freunden die Gefolgschaft verweigert hatte.

Das aber war auch schon alles, was wir an innerem Engagement aufbrachten, obwohl wir wussten, dass es um wahrhaft dramatische Ereignisse nicht weit vor den europäischen, also unseren eigenen Grenzen ging. Über der gewohnten Nabelschau war daraufhin der skandalöse Betrug, den man der Welt zur Begründung des militärischen Einmarsches im Irak vorgespielt hatte, schnell wieder ad acta gelegt worden.

Davor, noch im Jahre 2001, hatte derselbe Präsident Bush unter dem Deckmantel einer Resolution der Vereinten Nationen die NATO-Verbündeten dazu gebracht, die afghanische, von der religiösen Taliban-Bewegung getragene Regierung als vermeintliche oder tatsächliche Verbündete jener Terrororganisation al-Qaida mit einer Invasion durch die sogenannten ISAF-Truppen zu beehren.

Auch dort ging es, so wurde verkündet, nicht etwa um die eigenen strategischen Interessen, sondern um die Trockenlegung einer Heimstatt für weltweit gefährliche Terroristen. Beschönigt wurde der ins Auge gefasste militärische Einsatz zudem mit der Zielsetzung, der einheimischen Bevölkerung dabei zu helfen, ihr Land in eine freiheitliche Demokratie zu verwandeln. In diesem Sinne waren wohl auch tatsächlich die meisten der hierzulande politisch Verantwortlichen überzeugt, dass es den federführenden amerikanischen Partnern im Kern um die Befreiung von religiöser Unterdrückung ginge – Anlass genug für den damaligen deutschen Verteidigungsminister Peter Struck, die Beteiligung der Bundeswehr ebenso lapidar wie trocken mit dem berühmt gewordenen Argument zu begründen, unser Land werde »auch am Hindukusch verteidigt«.

Jedenfalls waren es nur wenige, die – zumindest achselzuckend oder gar zweifelnd – von diesem Abenteuer Kenntnis nahmen. So ist es denn auch ins weltweite Bewusstsein erst wieder gerückt, als sich im Sommer des Herrn 2021 sein grandioses Scheitern erwies und wir aus der Ferne am Bildschirm seine erschütternden Folgen für einen großen Teil der einheimischen Menschen erleben mussten, die vergeblich auf unsere andauernde Unterstützung vertraut hatten.

In gleicher Weise waren auch bereits die zu Beginn des Jahrtausends stattgefundenen Ereignisse erst dann wieder auf reges Interesse gestoßen, als fast zehn Jahre später, 2011, die verzerrten Bilder von der Hinrichtung von Osama bin Laden, dem teuflisch-verirrten Gründungsvater der al-Qaida-Sekte, durch ein amerikanisches Einsatzkommando in seinem pakistanischen Versteck über die Bildschirme flimmerten, mit dem neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama und seiner Außenministerin Hillary Clinton als digitalen Zuschauern.

Dazwischen lagen zwei lange Jahrzehnte der Gewöhnung an die sich endlos wiederholenden Berichte über den nicht enden wollenden Krieg in Afghanistan. Weit mehr noch galt das für den zunächst eroberten, dann zu Freiheit und Demokratie erzogenen und schließlich in die neue Unabhängigkeit entlassenen Irak: korrupte, sich selbst bereichernde Machthaber, mit Sprengbomben und Kalaschnikows ausgetragene Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen, Mord und Totschlag in den Städten, Armut und Verzweiflung, Demonstrationen und Hilflosigkeit.

Gewiss gab (und gibt!) es auch hierzulande genügend Menschen, die sich nicht mit dem Elend und dem Grauen abfinden wollen, die sich um Hilfe mühen und versuchen, die Welt aufzurütteln. Doch eine breite Welle der Anteilnahme? Sie wollte und will sich nicht einstellen, unser eigenes Wohl geht allemal vor. Selbstverliebt befreit uns der regelmäßige Millionenerfolg von Spendenaufrufen unserer Fernsehprogramme von der Last des eigenen Mitgefühls und der eigenen Verantwortung – denn was scheren uns schon ernsthaft die Taten von hoffnungslos Irregeleiteten in einer weit zurückgebliebenen Region?

Schließlich, wiederum 2011, ist auch im Nachbarland des Iraks, in Syrien, der Aufstand losgebrochen. Inzwischen hat sich daraus ein mörderischer Krieg entwickelt. Zwar nähert er sich mit dem Sieg der Mörderbande seinem grausigen Ende zu, fordert aber unverändert Tag um Tag schreckliche Opfer. Nicht nur waren die USA als veritable Weltmacht im Wettstreit mit dem erneut ans Sonnenlicht seiner regionalen Machtinteressen strebenden Russland Putins, sondern nahezu alle mittelöstlichen Staaten darin verwickelt: Plötzlich mussten die Europäer zur Kenntnis nehmen, dass auch sie selbst ganz unmittelbar davon betroffen sind.

Welchen Ameisenhaufen voller fundamental gegensätzlicher, sich nahezu täglich widersprechender Nachrichten haben wir seitdem erlebt – freilich nicht nur wir in unseren gemütlichen Wohnzimmern, sondern vor allem die unzähligen unschuldigen Menschen, die so grauenhaft durch die dahinterstehenden Realitäten am eigenen Leibe betroffen worden sind.

Aus sicherer...

Erscheint lt. Verlag 11.5.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Digitalisierung • Donald Trump • Edzard Reuter • Europa • Europäische Union • Globalisierung • Herausforderungen • Hoffnung • Industrialisierung • Joe Biden • Junge Generation • Klimakrise • Klimawandel • Krieg im Nahen Osten • Populismus • Sachbuch • westliche Wertegemeinschaft • Zukunft • Zukunftsausblick
ISBN-10 3-7776-3156-6 / 3777631566
ISBN-13 978-3-7776-3156-1 / 9783777631561
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