Der Freiwillige (eBook)

Die wahre Geschichte des Widerstandskämpfers, der Auschwitz unterwanderte - Die erste umfassende Biografie über Witold Pilecki
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2022 | 1. Auflage
592 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-27325-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Freiwillige -  Jack Fairweather
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Eine wahre Geschichte über Widerstand und den Versuch eines Mannes, den Lauf der Geschichte zu ändern.
Im Sommer 1940, nach der Besetzung Polens durch die Nazis, nahm der polnische Untergrundagent Witold Pilecki eine Mission an, um das Schicksal Tausender Menschen aufzudecken, die in einem eben erst errichteten Konzentrationslager interniert waren. Seine Mission war es, über die dortigen Verbrechen zu berichten und im Geheimen eine Truppe aufzustellen, um einen Aufstand anzuführen. Der Name des Internierungslagers - Auschwitz. In den nächsten zweieinhalb Jahren, die Pilecki im Lager verbrachte, schuf er ein Untergrundnetzwerk, dem es gelang, Beweise für die Gräueltaten der Nazis nach draußen zu schmuggeln. Die Berichte aus dem Lager prägten die Reaktion der Alliierten auf den Holocaust - doch Pileckis Geschichte geriet jahrzehntelang in Vergessenheit.

Jack Fairweather stützt sich für seine umfassende Biografie von Witold Pilecki auf unveröffentlichte Familienpapiere, neu veröffentlichte Archivdokumente und exklusive Interviews mit überlebenden Widerstandskämpfern.

Jack Fairweather, geboren 1978, ist Autor des internationalen Bestsellers »The Volunteer«, der bereits in über 25 Sprachen übersetzt wurde und als Grundlage einer großformatigen Ausstellung über das Leben des polnischen Widerstandskämpfers Witold Pilecki in Berlin dient. Als Journalist war er lange Zeit als Kriegsreporter tätig, wurde bald Büroleiter des Daily Telegraph in Baghdad und berichtete außerdem regelmäßig aus dem Nahen Osten als Videokorrespondent für die Washington Post. Seine Arbeiten wurden u.a. mit dem British Press Award und dem Costa Book of the Year Award ausgezeichnet. Derzeit arbeitet er an einem neuen Buch über Fritz Bauer. Jack Fairweather lebt und arbeitet sowohl in Großbritannien und in den USA.

Einleitung


Draußen kommen Lastwagen rumpelnd zum Stehen. Schreie und Schüsse sind zu hören. Der Hauswart hämmert gegen die Tür.

»Die Deutschen sind da«, schreit er. »Versteck dich im Keller oder verschwinde nach hinten durch den Garten.«1

Der Mann rührt sich nicht.

Es ist früh am Morgen des 19. September 1940 im von Nazis besetzten Warschau. Ein Jahr zuvor sind die Deutschen in Polen einmarschiert und haben Europa in den Zweiten Weltkrieg gestürzt. Hitler hat seine Pläne zur Vernichtung der Juden noch nicht formuliert. Vorläufig beabsichtigt er, Polen zu zerstören, indem er dessen Akademiker eliminiert. Das Land wird einer brutalen Terrorherrschaft unterworfen. Tausende Menschen – Ärzte, Lehrer, Schriftsteller, Rechtsanwälte, ob Juden oder Katholiken – werden auf offener Straße verschleppt. Man erschießt oder interniert sie. Im Juni haben die Deutschen ein neues Konzentrationslager errichtet, um einige der Gefangenen zu internieren. Es heißt Auschwitz. Man weiß nur wenig darüber, was dort passiert.

Der Mann in der Wohnung weiß bereits von der morgendlichen Verhaftungswelle und dass die Festgenommenen wahrscheinlich in das neue Lager kommen. Deshalb ist er hier. Sein Auftrag für das Wirken im Untergrund lautet, sich ins Lager einzuschleusen, Widerstandszellen zu bilden und Beweise über Nazi-Verbrechen zu sammeln.

Unten fliegt krachend die Tür auf. Stiefel trampeln über die Stufen. Der Mann zieht seinen Mantel an und bemerkt erst in dem Moment, dass der dreijährige Junge im Zimmer auf der anderen Seite des Flurs mit großen Augen in seinem Gitterbett steht. Sein Teddybär ist auf den Boden gefallen. Fäuste beginnen, gegen die Wohnungstür zu hämmern. Der Mann hebt rasch den Bären auf und gibt ihn dem Jungen, während die Mutter des Kleinen die Deutschen hereinlässt.

»Wir sehen uns bald wieder«, flüstert er dem Kind zu. Dann überwindet er den Fluchtinstinkt, den er zweifelsohne verspürt haben muss, und lässt sich festnehmen.2

Witold Pilecki ließ sich freiwillig verhaften und nach Auschwitz deportieren. Diese knappste Version einer Geschichte veranlasste mich zu einer fünfjährigen Suche, um Pileckis Weg nachzuverfolgen: vom Gutsherrn im ländlichen Polen zum Untergrundaktivisten im besetzten Warschau, vom Insassen eines Viehwaggons in Richtung KZ zum Spion im Epizentrum der schlimmsten Nazi-Gräuel. Inzwischen kenne ich Witolds Lebensgeschichte ziemlich gut. Und dennoch komme ich immer wieder auf diesen schlichten Satz und den Augenblick zurück, als er dasaß und darauf wartete, dass die Deutschen in seine Wohnung stürmten. Ich frage mich, was uns seine Geschichte über unsere eigene Zeit lehrt.

Zum ersten Mal hörte ich von meinem Freund Matt McAllester, mit dem ich gemeinsam aus Kriegen im Nahen Osten berichtet hatte, bei einem Abendessen auf Long Island im Herbst 2011 etwas über Witolds Geschichte. Matt und ich hatten Mühe, uns einen Reim darauf zu machen. In der für ihn typischen forschen Art war Matt nach Auschwitz gefahren, um sich den schlimmsten Gräueltaten der Geschichte zu stellen, und hatte dort von Witolds Widerstandsgruppe im Lager erfahren. Die Vorstellung von ein paar Menschen, die den Nazis die Stirn geboten hatten, tröstete uns an jenem Abend. Doch ich war auch schockiert davon, wie wenig über Witolds Mission bekannt war. Sein Auftrag lautete: den Westen vor den Verbrechen der Nazis zu warnen und eine Untergrundarmee zu formieren, um das Lager zu zerstören.

Einige Leerstellen des Bilds füllten sich ein Jahr später, als Witolds ausführlicher Bericht über das KZ ins Englische übersetzt wurde. Die Dringlichkeit des Berichts war an sich schon bemerkenswert. Ein polnischer Historiker namens Józef Garliński bekam in den 1960er-Jahren Zugang zu dem Dokument. Allerdings stellte er fest, dass Witold alle Namen darin kodiert hatte. Es gelang Garliński, viele davon zu erraten und durch Interviews mit Überlebenden zu enträtseln. So konnte er die erste Geschichte der Widerstandsbewegung innerhalb des Konzentrationslagers veröffentlichen. Im Jahr 1991 entdeckte Adam Cyra, ein Wissenschaftler am Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, Witolds unveröffentlichte Autobiografie, einen zweiten Bericht sowie andere fragmentarische Aufzeichnungen, die seit 1948 in polnischen Archiven unter Verschluss gehalten worden waren. Zu diesem Material gehörten auch Witolds Chiffren, um seine Mitverschwörer zu identifizieren.

Der Bericht, den ich 2012 las, zeigte Witold als genauen Chronisten seiner Erlebnisse in Auschwitz. Er beschrieb sie in schmuckloser und eindringlicher Prosa. Doch es handelte sich um einen fragmentarischen und gelegentlich verzerrten Bericht. Aus Furcht, seine Mitstreiter könnten verhaftet werden, ließ er kritische Episoden weg, verschwieg erschütternde Beobachtungen und schnitt die Schilderungen der Ereignisse auf seine militärische Leserschaft zu. Viele Fragen blieben offen, darunter die schwierigste und entscheidendste: Was wurde aus den geheimdienstlichen Erkenntnissen, für deren Beschaffung er in Auschwitz sein Leben riskierte? Hatte er den Briten und Amerikanern die Information über den Holocaust geliefert, lange bevor diese öffentlich die Rolle des Konzentrationslagers anerkannten? Und wenn ja, warum wurde sein Bericht unterdrückt? Wie viele Leben hätte man retten können, wären seine Warnungen beachtet worden?

Ich empfand die Story auch als persönliche Herausforderung. Als ich mit den Recherchen anfing, war ich genauso alt wie Witold zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, hatte ebenfalls eine junge Familie und ein Zuhause. Was brachte Witold dazu, alles für eine solche Mission zu riskieren, und warum berührte es mich derart, dass er sich freiwillig ausgeliefert hatte? Ich sah in ihm eine Rastlosigkeit, die mir nicht unbekannt war. Meine Kriegsberichterstattung hatte mir von jeher Probleme bereitet. Was konnte ich von Witold über mich selbst lernen?

Im Januar 2016 flog ich nach Warschau, um mit der Suche nach Antworten auf diese Fragen zu beginnen. Als Ersten wollte ich Witolds Sohn treffen. Andrzej. Vor der Begegnung war ich nervös. Denn was berechtigte mich, plötzlich in der Geschichte seines Vaters herumzustochern? Andrzej war fast noch ein Kind, als man Witold exekutierte. Fünfzig Jahre lang hatte man ihm erzählt, sein Vater sei ein Staatsfeind gewesen. Und obwohl er das nie geglaubt hatte, erfuhr er alle Einzelheiten der Mission seines Vaters erst in den 1990er-Jahren, nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft, als die Archive geöffnet wurden.

Natürlich war meine Sorge unbegründet. Andrzej war reizend und entgegenkommend, allerdings warnte er mich auch: »Ich bin mir nicht sicher, was du sonst noch finden wirst und wo du mit der Suche beginnen solltest.«

Da erklärte ich ihm: bei dir.

Weil über seinen Vater so wenig bekannt war, wusste ich, dass jede Einzelheit, die mir Andrzej mitteilen konnte, wichtig war. Über Witolds Gedanken wusste ich nur das, was er aufgeschrieben hatte – und was Menschen wie Andrzej mir über seine Denkweise sagen konnten. Ich war begeistert zu erfahren, wie viele Menschen, die Witold gekannt hatten, immer noch am Leben waren. Einige hatten ihre Erinnerungen noch nie zuvor mit anderen geteilt – entweder weil sie es unter der Herrschaft des Sozialismus nicht wagten, oder einfach, weil niemand sie danach gefragt hatte.

Ich wollte nicht nur Augenzeugenberichte sammeln, sondern auch Witolds Weg selbst nachvollziehen. Der Krieg hatte so viel zerstört, aber ein paar der damaligen Schauplätze existierten noch. Keiner war mir wichtiger als die Wohnung, in der man ihn verhaftet hatte. Die Orte mit eigenen Augen zu sehen, das würde mir helfen, Szenen zu schildern. Doch es war sogar noch besser, wenn ich diese Erfahrung gemeinsam mit Augenzeugen machen konnte. Wie sich herausstellte, lebte der Dreijährige von damals noch, sein Name war Marek. Er und seine Mutter, Witolds Schwägerin, hatten den Krieg überlebt und wurden anschließend von den Kommunisten aus ihrem Zuhause vertrieben. Zum ersten Mal nach siebzig Jahren brachte ich Marek dorthin zurück. Durch den Besuch kam bei ihm die Erinnerung an die Sache mit dem Teddy zurück. Für mich war das ein beredter Verweis auf Witolds Fähigkeit, selbst in einem Augenblick außergewöhnlicher Anspannung noch andere Menschen im Blick zu haben.

Natürlich würde ich, um dieses Buch schreiben zu können, Hunderte, wenn nicht Tausende solcher Details benötigen. Bei meinem Besuch des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau wurde mir klar, wo ich sie finden würde. Das Museum verfügt über mehr als 3500 Zeugenaussagen von Überlebenden des Lagers. Hunderte davon erwähnten Witolds Arbeit oder schilderten Ereignisse, die er miterlebt haben musste. Die meisten dieser Zeugnisse waren noch nie zuvor übersetzt oder veröffentlicht worden. Hier gab es das Material, das ich brauchte, um Witolds Reaktionen besser zu verstehen. Denn genau das wollte ich schließlich – mich in seine Denkweise hineinversetzen und versuchen, Antworten auf die Frage zu finden, was ihn in den Widerstand getrieben hatte.

Menschen, die sich mit dem Holocaust beschäftigen, erfassen rasch, dass es sich nicht nur um die Geschichte der Ermordung von Millionen unschuldiger Europäer handelt, sondern auch um das kollektive Versagen, diesen Horror wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Die Beamten der Alliierten hatten Mühe, die Wahrheit zu erkennen. Und als sie mit der Realität konfrontiert wurden, schreckten sie vor dem moralischen Sprung zurück, der nötig war, um zu handeln. Doch es war nicht nur ein politisches Versagen. Auch die Häftlinge in Auschwitz hatten Mühe,...

Erscheint lt. Verlag 26.10.2022
Übersetzer Sylvia Bieker, Henriette Zeltner-Shane
Zusatzinfo mit zahlreichen s/w-Abbildungen
Sprache deutsch
Original-Titel The Volunteer
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • 2. Weltkrieg • Antifaschismus • Antikommunismus • Antiziganismus • Auschwitz • Baracken • Befreiung • Biografie • Biographien • eBooks • Gaskammern • Gegen das Vergessen • Gerechte unter den Völkern • Geschichte • Hitler • Holocaust • Juden • Jüdisch • Konzentrationslager • Lebensraum im Osten • Nationalsozialismus • Nazis • Neuerscheinung • Polen • Trauma • ungewöhnliche Helden • Untergrund • Vernichtung • Wallenberg • Warschau • Weltkrieg • Widerstand
ISBN-10 3-641-27325-0 / 3641273250
ISBN-13 978-3-641-27325-5 / 9783641273255
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