Putins Krieg - Wie die Menschen in der Ukraine für unsere Freiheit kämpfen (eBook)
288 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491702-3 (ISBN)
Katrin Eigendorf, geboren 1962, gehört zu den renommiertesten deutschen TV-Reporter*innen. Seit den 1990er Jahren ist sie Auslandskorrespondentin und berichtet für ZDF heute, heute journal und auslandsjournal aus Krisenregionen. Seit 2018 ist sie Internationale Reporterin des ZDF mit den Schwerpunkten Ukraine, Russland, Afghanistan, Libanon, Irak und Türkei. 2021 wurde sie zur Journalistin des Jahres in der Kategorie »Reportage national« gewählt und mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus ausgezeichnet, 2022 wurde sie für den Grimme-Preis nominiert. Seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 war Katrin Eigendorf über Wochen in der Ukraine und berichtete zeitweise täglich über die Situation der Menschen im Land. Katrin Eigendorf lebt in Berlin.
Katrin Eigendorf, geboren 1962, gehört zu den renommiertesten deutschen TV-Reporter*innen. Seit den 1990er Jahren ist sie Auslandskorrespondentin und berichtet für ZDF heute, heute journal und auslandsjournal aus Krisenregionen. Seit 2018 ist sie Internationale Reporterin des ZDF mit den Schwerpunkten Ukraine, Russland, Afghanistan, Libanon, Irak und Türkei. 2021 wurde sie zur Journalistin des Jahres in der Kategorie »Reportage national« gewählt und mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus ausgezeichnet, 2022 wurde sie für den Grimme-Preis nominiert. Seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 war Katrin Eigendorf über Wochen in der Ukraine und berichtete zeitweise täglich über die Situation der Menschen im Land. Katrin Eigendorf lebt in Berlin.
ein lesenswertes Buch
eine erschütternde Chronik der Entwicklungen mit spannenden historischen und
politischen Hintergrundberichten.
Vorwort
Krieg ist immer ein Bruch mit der modernen Zivilisation, so jedenfalls habe ich es in meiner Arbeit in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt stets erlebt. Sei es das brutale Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien oder der andauernde Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, die immer wiederkehrende Gewalt und der fortwährende Terror im Nahen Osten, die Vertreibung der Taliban von der Macht und ihre Rückkehr 20 Jahre später oder Russlands Einmarsch in Georgien 2008. So unterschiedlich diese Konflikte sind und waren – immer hatte ich als Reporterin das Gefühl, dass die Brutalität und das damit verbundene Leid eine schmerzhafte Renaissance eines Zeitalters sind, das wir allmählich überwinden würden.
In all diesen Jahren habe ich es immer als großes Privileg empfunden, in eine sichere Welt zurückkehren zu können, in ein Land, das für immer aus seiner Geschichte gelernt hat – das den Hass zwischen den Nationen in die Geschichtsbücher verbannt hat. Der Krieg in der Ukraine hat alles verändert. Kein Ereignis habe ich in den fast 30 Jahren, die ich als Reporterin arbeite, als so bedrohlich und einschneidend auch für unser Leben und unsere Zukunft empfunden, wie Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Es ist ein Krieg, in dem es um fundamentale Fragen geht: In welcher Welt werden wir künftig leben? Welche Werte und Grundsätze sehen wir als unverrückbar und damit auch als global gültig an? Sind Demokratie, Menschenrechte, Freiheit und Frieden die Resultate eines Fortschritts, den zu verteidigen wir bereit und im Stande sind? Oder werden sich totalitäre Regime wieder auf brutale Art und Weise über alles hinwegsetzen können, was wir als Fundament unserer europäischen Friedensordnung betrachten? Werden Autokraten auch in Europa wieder Völker vereinnahmen und unterjochen können?
Es sind Fragen, die sich die Menschen in Deutschland lange nicht gestellt haben, weil wir glaubten, dass es dafür keinen Anlass gebe. Weil uns das Vorstellungsvermögen fehlte, dass ein solcher Zivilisationsbruch wie Russlands Überfall auf die Ukraine im 21. Jahrhundert in Europa noch möglich ist.
Mit dem Fall der Mauer 1989 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 kam Hoffnung auf, dass die Welt ein Stück friedlicher und sicherer werden könnte. Wladimir Putins Auftritt vor dem Deutschen Bundestag im September 2001, in dem der russische Präsident in deutscher Sprache von gemeinsamen Aufgaben und Herausforderungen für die Zukunft sprach, schien eine neue Ära der Annäherung und Zusammenarbeit einzuläuten. Doch zu dieser Zeit hatte der russische Präsident bereits mit dem Umbau seines Landes begonnen, mit dem er eine Konzentration von politischer Macht auf die Kreml-Elite bewirken wollte, um eine zügellose Kleptokratie abzusichern. Lange, viel zu lange hat die Welt und haben auch wir in Deutschland darüber hinweggesehen, was da in Russland gärte. Weil das, was geschah, so ganz und gar nicht mehr in die Zeit zu passen schien.
Das liegt wohl auch daran, dass uns der Osten Europas immer fern und fremd war und ein Stück weit auch unergründlich. Es ist eine Mischung aus mangelndem Interesse und Vorstellungsvermögen, Ignoranz und Wunschdenken, die zu den vielen Fehleinschätzungen in der deutschen Russlandpolitik geführt hat. Die Konsequenzen werden künftig bitter spürbar sein.
Dabei war vieles erkennbar, hätten wir es nur sehen wollen. Dass Wladimir Putins politisches Denken nicht in die Zukunft, sondern rückwärtsgewandt ist, wurde deutlich, als er den Zusammenbruch der Sowjetunion als »die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts« bezeichnete. Das war 2005. Dass sich der russische Präsident im Krieg mit dem Westen, allen voran den USA, sieht, ist spätestens seit seinem legendären Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 klar. Damals machte Putin unmissverständlich deutlich, dass sein Land die vermeintliche Dominanz Amerikas und auch der NATO als Bedrohung wahrnimmt.
Doch die wirkliche Gefahr sieht Putin nicht für sein Land, sondern für sein Regime. Vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, wie sehr die Kreml-Elite den Arabischen Frühling und den damit verbundenen Sturz von Diktaturen anders als der Westen als Bedrohung wahrgenommen hat. Was, wenn Aufstände wie in Tunis, Kairo und Tripolis auch auf Moskau überschwappen?
Tatsächlich begannen in Russland 2011 die größten Massenproteste seit dem Ende der Sowjetunion. Die Demonstranten gingen nicht nur wegen Wahlfälschungen auf die Straße, sondern vor allem wegen Wladimir Putins Anspruch, dauerhaft an der Macht zu bleiben. Das Regime schlug zurück – Festnahmen und drakonische Gefängnisstrafen für seine Gegner und Kritiker, die weitere Einschränkung der Pressefreiheit und nicht zuletzt das Verbot von ausländischen Organisationen sorgten dafür, Putins Macht im Inneren zu sichern. Fortan kam aus Sicht des Kreml die Bedrohung zunehmend auch von außen. Von der NATO und Europa, vor allem aber vom Erzrivalen des Kalten Krieges, den USA.
Geprägt von den Ereignissen des Arabischen Frühlings, setzte Putin im Konflikt mit dem Westen auf eine Strategie, die nicht neu ist, aber von Moskau zum ersten Mal mit weitreichenden Konsequenzen eingesetzt wird: hybride Kriegsführung. Die 2010 formulierte Militärdoktrin setzte auf die Effektivität von nichtmilitärischen Mitteln: Information als Waffe, Nutzung des Protestpotenzials einer Bevölkerung. In dieser Militärdoktrin wurde erstmals auch die Bedeutung von Söldnertruppen genannt. Es waren Männer aus dem engsten Netzwerk Putins, die beauftragt wurden, neue Strukturen zu schaffen. Einer der bekanntesten, Jewgenij Prigoschin, trägt den Spitznamen »Putins Koch«. Russische Journalist:innen haben detaillierte Beweise dafür zusammengetragen, dass Prigoschin der Drahtzieher hinter dem Aufbau einer sogenannten Trollfabrik mit Sitz in Sankt Petersburg war, die seither vor allem in sozialen Medien mit einer Flut von Posts und Kommentaren zur virtuellen Kriegsführung beiträgt. Die amerikanische Justiz hat 2018 Anklage gegen Prigoschin erhoben, weil er 2016 die Wahl in den USA durch den Einsatz seiner Trollfabrik massiv zu Gunsten von Donald Trump beeinflusst haben soll.
In der Ukraine erleben wir seit 2014 gar den ersten Informationskrieg der modernen Geschichte – eine Entwicklung, die den Westen leider weitgehend unvorbereitet traf und auch uns Reporter:innen vor eine neue Herausforderung stellte. Als ich im November 2013 über die Protestbewegung des Majdan berichtete, wurde mir das schnell klar. Wir sahen uns plötzlich mit den Narrativen von professionellen Propagandist:innen und Propagandaplattformen konfrontiert – nicht selten als Journalist:innen und Medien getarnt.
Putin bezeichnete die Ereignisse in Kyjiw 2014 als faschistischen Umsturz und sprach von der Machtergreifung einer »Junta«. Ein Narrativ, das mit der Realität wenig gemein hatte, genauso wenig wie die vermeintliche Bedrohung Russlands durch die NATO, die auch in unserer öffentlichen Debatte verfing. Zweifel kamen auf: Hatten die Reporter:innen westlicher Medien die Majdan-Proteste verklärt und dabei die Rolle der rechtsradikalen Gruppen für den Sturz der Regierung verschwiegen? Musste man nicht verstehen, dass sich die überwiegend russisch-sprachigen Bürger:innen im Osten des Landes von Kyjiw abspalten wollten, weil sie sich Russland näher fühlten als Europa? Waren die Ukrainer wirklich ein eigenständiges Volk?
Es war dieser erfolgreiche Informationskrieg, der es Putin ermöglichte, 2014 zunächst die Krym zu annektieren und dann Teile der ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk zu sogenannten »Volksrepubliken« zu machen.
Dabei nutzte der Kreml sehr gezielt das Grundprinzip von Medien in einer Demokratie, stets auch die andere Seite zu Wort kommen zu lassen. So wurde die Lüge zum Teil der Wahrheit. Oder anders gesagt: Wenn die Wahrheit wie beim Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 zu grausam war, dann wurden wir mit so vielen Versionen und Lügen konfrontiert, dass am Ende auch die Wahrheit als Lüge erschien. Immer wieder musste auch ich mich für meine Berichterstattung rechtfertigen, auch wenn das, was ich berichtete, längst bewiesen war. Mit seiner Desinformationsstrategie erreichte der Kreml in den deutschen Reaktionen genau das, was er erreichen wollte: Zweifel, Verunsicherung, Ungewissheit. Die russische Desinformationspolitik traf auch die großen deutschen Medienhäuser unvorbereitet.
Die Zeitenwende, von der Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung am 27. Februar 2022 sprach, hätte früher kommen müssen. Erst mit der für alle Menschen offensichtlichen und nicht mehr abstreitbaren militärischen Invasion Russlands in der Ukraine sind die Zweifel, die Verunsicherung und Ungewissheit weitgehend verschwunden. Putin und der Kreml haben ihr wahres Gesicht gezeigt. Und sie haben unterschätzt, wie stark die Kraft der Bilder und der wahren Geschichten vor Ort die Dynamik verändern würden – und wie wenig ihre Trollfabriken authentischen und echten Bildern entgegensetzen können, wenn Aufnahmen von Smartphones mit einem Klick in alle Welt geschickt werden können. Wohl nie war es deshalb für uns Journalist:innen so wichtig, vor Ort professionelle Zeitzeug:innen zu sein, um von der Brutalität, dem Leid und den Konsequenzen des Krieges zu berichten und dies alles einzuordnen.
In diesem Buch möchte ich meine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen schildern, die ich in den ersten...
Erscheint lt. Verlag | 31.8.2022 |
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Zusatzinfo | 12 s/w Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Angriffskrieg • Bucha • Butscha • Charkiv • Charkiw • Donbass • Donezk • Flucht • Georgien • Humanitäre Hilfe • humanitäre Katastrophe • Kiew • Krieg in der Ukraine • Kriegsverbrechen • Krim • Kyiv • Luhansk • Maidan • Majdan • mariupol • Mobilmachung • NATO • russische Armee • Sanktionen • Selenskyi • Sicherheitspolitik • Tiblissi • Waffenlieferungen • Wagner Gruppe • Zelensky |
ISBN-10 | 3-10-491702-7 / 3104917027 |
ISBN-13 | 978-3-10-491702-3 / 9783104917023 |
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