Recht gegen rechts (eBook)
352 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491688-0 (ISBN)
Nele Austermann, geb. 1988, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen und Vorstandsmitglied des Vereins Demokratischer Juristinnen und Juristen. Sie promoviert zum Thema »Europäisches Migrationsmanagement«. Andreas Fischer-Lescano, geb. 1972, ist Professor für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Rechtstheorie an der Universität Bremen. Er ist geschäftsführender Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik und Ko-Herausgeber der Zeitschrift »Kritische Justiz«. Heike Kleffner, geb. 1966, ist freie Journalistin und Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Seit den 1990er Jahren publiziert sie über Rechtsextremismus, zuletzt erschienen von ihr, gemeinsam mit Matthias Meisner herausgegeben, die Bücher »Extreme Sicherheit: Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz« sowie »Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen«. Kati Lang, geb. 1979, vertritt als Rechtsanwältin Betroffene von rechten, rassistischen und antisemitischen Gewalttaten, u. a. im Verfahren gegen die rechtsterroristische »Gruppe Freital« sowie in Verfahren anlässlich des Rohrbombenanschlags auf die Dresdner Moschee und des antisemitischen Attentats von Halle. Sie hat zum Umgang der Justiz mit vorurteilsmotivierter Gewalt promoviert. Maximilian Pichl, geb. 1987, hat Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft studiert. Er forscht an der Universität Kassel und der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ronen Steinke, geb. 1983, ist Jurist, Autor und Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Zuletzt erschien im Berlin Verlag sein Buch »Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz«. Tore Vetter, geb. 1992, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen. Er promoviert zum Thema »Eigenverfassung von Versammlungen«.
Nele Austermann, geb. 1988, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen und Vorstandsmitglied des Vereins Demokratischer Juristinnen und Juristen. Sie promoviert zum Thema »Europäisches Migrationsmanagement«. Andreas Fischer-Lescano, geb. 1972, ist Professor für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Rechtstheorie an der Universität Bremen. Er ist geschäftsführender Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik und Ko-Herausgeber der Zeitschrift »Kritische Justiz«. Heike Kleffner, geb. 1966, ist freie Journalistin und Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Seit den 1990er Jahren publiziert sie über Rechtsextremismus, zuletzt erschienen von ihr, gemeinsam mit Matthias Meisner herausgegeben, die Bücher »Extreme Sicherheit: Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz« sowie »Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen«. Kati Lang, geb. 1979, vertritt als Rechtsanwältin Betroffene von rechten, rassistischen und antisemitischen Gewalttaten, u. a. im Verfahren gegen die rechtsterroristische »Gruppe Freital« sowie in Verfahren anlässlich des Rohrbombenanschlags auf die Dresdner Moschee und des antisemitischen Attentats von Halle. Sie hat zum Umgang der Justiz mit vorurteilsmotivierter Gewalt promoviert. Maximilian Pichl, geb. 1987, hat Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft studiert. Er forscht an der Universität Kassel und der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ronen Steinke, geb. 1983, ist Jurist, Autor und Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Zuletzt erschien im Berlin Verlag sein Buch »Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz«. Tore Vetter, geb. 1992, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen. Er promoviert zum Thema »Eigenverfassung von Versammlungen«.
Warum »Recht gegen rechts«?
Prolog
Im August 2022, im dritten Jahr des Reports »Recht gegen rechts«, jährte sich auch eines der prägendsten Ereignisse aus der Frühphase des gerade wiedervereinigten Deutschlands. Vor 30 Jahren beging ein rassistischer Mob aus Neonazis und Anwohner*innen in Rostock-Lichtenhagen den Pogrom am »Sonnenblumenhaus«, einem Wohnheim ehemaliger Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam. Aus der Menge von über 2000 Personen wurden unter Applaus und Jubel Steine und Brandsätze geworfen. Als das Haus in Flammen stand, wurde die Feuerwehr am Löschen gehindert. Auf Anweisung der Polizeieinsatzleitung hatten sich Polizist*innen wenige Stunden vor dem Pogrom vom »Sonnenblumenhaus« zurückgezogen, so dass die über 100 Bewohner*innen, ein ZDF-Kamerateam und der Integrationsbeauftragte von Rostock schutzlos dem rassistischen Mob und den Flammen ausgeliefert waren.
Die Tage in Rostock-Lichtenhagen stehen seither für das Versagen des Rechtsstaats und für den Auftakt eines rassistischen Flächenbrands. Kaum eine*r der Tatbeteiligten wurde strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen. Statt beschämt ob der Flammen des Hasses, die in Hoyerswerda 1991, Rostock-Lichtenhagen und Mölln 1992, in Solingen 1993, in der ganzen Republik wieder aufloderten, den längst begonnenen Anfängen zu wehren, schaffte eine breite Mehrheit von CDU/CSU, FDP und SPD das in Artikel 16a Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Asyl im Mai 1993 de facto ab. Ein Grundrecht, das als Reaktion auf die Shoah sowie den Völkermord an den europäischen Sinti*zze und Roma*nja und die Verfolgung von Homo- und Transsexuellen, Kommunist*innen, Gewerkschafter*innen, Sozialdemokrat*innen und anderen Gegner*innen des NS-Regimes im Mai 1949 im Grundgesetz verankert worden war.
Wie schützen der Rechtsstaat und seine Institutionen die Betroffenen von Verfolgung, Flucht, Rassismus, Antisemitismus und Misogynie 30 Jahre nach der Zäsur von Rostock-Lichtenhagen und mehr als zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrunds«? Was tun sie zum Schutz von denjenigen, die sich für Demokratie und Zivilgesellschaft engagieren? Zum Redaktionsschluss dieses Reports brennen erneut die Unterkünfte von Geflüchteten, die in Deutschland Schutz suchen vor Krieg, Verfolgung und Folter. Wieder übertönen die Stimmen des Hasses die Praxis des Willkommens in einer offenen Gesellschaft, und wieder wollen Politiker*innen gerade diesen Stimmen zuhören. Wieder werden Gesetze verändert und genutzt, um nun die Europäische Union als Ganzes abzuriegeln – während täglich Menschen im Mittelmeer ertrinken und den illegalen Pushbacks, Folter und Misshandlungen an den Grenzen Europas ausgesetzt sind.
»In dieser Lage ist es uns wichtig, einer kritischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wo die Justiz ihre Instrumente zur Verteidigung von Demokratie und Vielfalt derzeit verstauben und verrosten lässt; wo sie Sensibilität für die Rechte von nicht nur rassistisch Marginalisierten vermissen lässt; und auch wo sie ihrerseits zu einem Teil des Problems wird, indem sie etwa Rassist*innen noch bestärkt oder ihnen scheinbar Argumente liefert.« Das hatten wir vor drei Jahren im Vorwort des ersten Reports »Recht gegen rechts« erklärt.
Seitdem haben die exemplarischen Auseinandersetzungen um die Rückkehr des rechtsextremen Richters Jens Maier in die sächsische Justiz (siehe den Beitrag von Christine Nordmann), Gerichtsentscheidungen zugunsten rechter Coronaleugner*innen (siehe die Beiträge von Annelie Kaufmann und Donata Hasselmann), rechte Schöff*innen (siehe den Beitrag von Susanne Müller) und der staatsanwaltschaftliche Schutz für rechte Polizist*innen (siehe den Beitrag von Pitt von Bebenburg) gezeigt: Die Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat drohen längst auch von denen, die aus dem Inneren der Institutionen angetreten sind, ihn zu zerstören.
Wie verletzlich und politisch das Rechtssystem und das Recht selbst sind, führen uns nicht zuletzt auch die Entscheidungen des US-amerikanischen Supreme Court vor Augen. Die rechtskonservative Mehrheit setzte mit der Aufhebung des vor über 50 Jahren in der berühmten Grundsatzentscheidung Roe v. Wade verankerten Selbstbestimmungsrechts von Frauen auf Schwangerschaftsabbruch das Recht als schärfste Waffe für den Kulturkampf von rechts ein. Die Richter*innen machten damit zugleich Zugeständnisse an christlich-fundamentalistische Bewegungen. Dessen Strateg*innen haben ihre nächsten Ziele schon fest vor Augen: die Rechte von Minderheiten und den Klimaschutz komplett abzubauen. Und auch wenn in Deutschland mit der hart erkämpften Abschaffung des Paragraphen 219a Strafgesetzbuch das Recht aktuell eine andere Entwicklung zu nehmen scheint, so ist unübersehbar, dass die erfolgreiche Strategie der US-amerikanischen extremen Rechten, über Jahrzehnte hinweg durch politische Prozessführung eine Agenda gegen rechtsstaatliche Grundsätze und menschenrechtliche Errungenschaften durchzusetzen, sich längst zum transnationalen Modell entwickelt hat. Das erleben wir beispielsweise in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (siehe den Beitrag von Maximilian Pichl im Report 2022 S. 139ff.) und im Kampf um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz (siehe die Beiträge von Alexander Thiele und Dieter Plehwe) und auch in der Art und Weise, wie Ermittlungsbehörden und die politisch Verantwortlichen rechtsextreme Polizist*innen in Hessen vor Strafverfolgung schützen – eindrücklich beschrieben von der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız im Vorwort des diesjährigen Reports.
Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben Rechtswissenschaftler*innen, Journalist*innen und Anwält*innen, die mit diesen Zuständen nicht einverstanden sind? »Recht gegen rechts« – ist es wirklich so einfach? Wie können wir, die sonst – gerade wegen der Erfahrungen aus unseren Kämpfen gegen rechts – Staat und Recht kritisch sehen und leidenschaftlich für Menschenrechte und Zivilgesellschaft streiten, das »Recht gegen rechts« einfordern?
Antifaschismus – diese Losung ist dem liberalen Rechtstaat auch heute oft immer noch fremd. Um seine Feind*innen zu bekämpfen, operiert er mit Begriffen wie »wehrhafte Demokratie« und »freiheitlich demokratische Grundordnung«. Die »Mitte« der Gesellschaft grenzt sich von einem diffusen, hufeisenförmig gedachten, angeblich gleichermaßen abzulehnenden »linken« und »rechten« »Extremismus« ab – einem Begriff, der Demokratiefeindlichkeit entpolitisiert und die Gefahren unterschlägt, die auch aus der vermeintlichen »Mitte« erwachsen. Diese falsch verstandene Neutralität des Staates hat groteske Auswüchse geboren: beginnend mit den berüchtigten Radikalenerlässen gegen (vermeintliche) Linke in den 1970ern, die auch heute wieder in Abwandlungen als angeblich wirksame Instrumente für den Kampf gegen rechte Beamt*innen ins Spiel gebracht, stattdessen aber allzu oft gegen antifaschistisch engagierte Lehrer*innen und Studierende eingesetzt werden, bis zum Entzug der Gemeinnützigkeit für Vereine ehemaliger Opfer der NS-Verfolgung und Shoah (siehe den Beitrag von Mehmet Daimaguler im Report 2020, S. 99ff.). Allzu oft haben die Mittel des Rechts wenig zum Kampf gegen rechts, umso mehr zur Bekämpfung von Antifaschist*innen beigetragen.
Das Recht gegen rechts – das ist im liberalen Rechtsstaat also immer auch die Mahnung, der Versuchung zu widerstehen, blind jenem »starken Staat« zu vertrauen, der zu oft Teil des Problems war und ist. Dennoch können wir es uns nicht leisten, im Kampf gegen rechts auf das Recht zu verzichten. Statt unpolitischer Extremismusbekämpfung, die am Ende nur den Rechten selbst nützt, ist es notwendig, diesen Widerspruch des liberalen Rechtstaats zu thematisieren und die Diskussion um Gegenstrategien im Recht selbst offensiv zu führen.
Der Report zeigt daher erneut auf, wo rechte Akteur*innen das Recht nutzen und die Justiz ihnen zur Seite springt, wo sich menschenverachtende Ideologie im Recht zeigt. So thematisiert Maximilian Pichl die rassistische Dimension der Festung Europa, die weißen, christlichen Ukrainer*innen zu Recht Schutz und Aufnahme gewährt, andere Geflüchtete jedoch abweist und im polnisch-belarussischen Grenzgebiet sterben lässt. Fatou Sillah analysiert die nur durch Zufall bekannt gewordene Praxis einer Bremer Wohnungsbaugesellschaft, Mieter*innen nach rassistischen Kriterien zu bewerten.
Wo die Justiz gegen rechte Umtriebe tätig wird, soll der Report Teil einer kritischen Chronik sein. Am Beispiel des Verfahrens gegen den SS-Wachmann Josef Schütz greift der Beitrag von Thomas Walther das zögerliche Vorgehen der Justiz zur Verfolgung der letzten NS-Täter*innen auf. Auch der Umgang der Justiz mit aktuellem Rechtsterrorismus, rechten Umsturzvorbereitungen sowie den Verstrickungen von Sicherheitsbehörden ist wieder Gegenstand des aktuellen Reports (siehe dazu die Beiträge von Andreas Fischer-Lescano, Heike Kleffner und Martín Steinhagen). Die fragwürdige Entscheidung der Justiz in Mecklenburg-Vorpommern, auf eine öffentliche Beweisaufnahme beim Waffengeschenk an den ehemaligen CDU-Innenminister Lorenz Caffier durch einen...
Erscheint lt. Verlag | 25.1.2023 |
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Reihe/Serie | Recht gegen rechts |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | AfD • Antieinwanderung • Antisemitismus • Corona-Leugner • Demokratiefeindlichkeit • Diskriminierung • Franco A. • Fremdenfeindlichkeit • Jens Maier • Neonazis • NSU 2.0 • Polizei • Querdenker • Rassismus • rechtsextreme Chatgruppen • Rechtsextremismus • Rechtsterrorismus • Verfassungsschutz |
ISBN-10 | 3-10-491688-8 / 3104916888 |
ISBN-13 | 978-3-10-491688-0 / 9783104916880 |
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