Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts (eBook)

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2022 | 1. Auflage
256 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-2881-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts -  Jakob Springfeld
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'Hoffentlich holt der nicht mehr lange Luft.' Oder: 'Gleich in die Fresse schlagen.' Beleidigungen, offener Hass und Gewaltandrohungen dieser Art gehören zum Alltag von Jakob Springfeld. Der 20-Jährige ist einer der jungen Leute in Sachsen, die sich politisch für das linke Lager engagieren. Der junge Autor kämpft gegen Rechts, gegen Hass und auch gegen seine Angst. Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage.
Er berichtet von seinen Versuchen, das andere Gesicht Sachsens sichtbar zu machen: Es steht für Toleranz, Antirassismus und Demokratie. Er möchte den kleinen Terror im Alltäglichen offenlegen, aber auch Strukturen aufzeigen, die es rechten Bauernfängern viel zu leicht machen und spart dabei Polizei und Kommunalpolitik von Kritik nicht aus.



Jakob Springfeld ist Student und 2002 in Zwickau geboren und aufgewachsen. In Stuttgart erhielt er die Theodor-Heuss-Medaille für besonderes Engagement für Demokratie und Bürgerrechte. ZEIT-Campus hat ihn zu den 100 wichtigsten Ostdeutschen ernannt. In seinem Buch beschreibt er, warum im Osten der Boden für die Instrumentalisierung von Existenzängsten besonders fruchtbar ist. Aber struktureller Rassismus und Rechtsextremismus sind Probleme, aus denen eine gesamtdeutsche Bedrohung hervorgeht, in Halle wie in Hanau.

Jakob Springfeld ist Student und 2002 in Zwickau geboren und aufgewachsen. In Stuttgart erhielt er die Theodor-Heuss-Medaille für besonderes Engagement für Demokratie und Bürgerrechte. ZEIT-Campus hat ihn zu den 100 wichtigsten Ostdeutschen ernannt. In seinem Buch beschreibt er, warum im Osten der Boden für die Instrumentalisierung von Existenzängsten besonders fruchtbar ist. Aber struktureller Rassismus und Rechtsextremismus sind Probleme, aus denen eine gesamtdeutsche Bedrohung hervorgeht, in Halle wie in Hanau.

Nachtgedanken


Es ist eine dieser verdammten Nächte, in denen ich mich daran erinnere, was es heißt, in Zwickau zu leben. Die Angst ist wieder da – um meine Freund*innen, um meine Familie, um mich. Dabei sollte es nur ein kurzer Besuch in meiner alten Heimat sein.

Es ist Anfang April 2021, kurz vor Mitternacht. Ich bin vor ein paar Monaten aus Zwickau weggezogen, um in Halle Politikwissenschaft und Soziologie zu studieren. Nun bin ich für ein paar Tage wieder da, hatte mich darauf gefreut, bei meinen Eltern zu sein, Freund*innen zu treffen, Zeit zu verbringen an dem Ort, den ich »mein Zuhause« nenne, seit ich denken kann. Doch jetzt holt mich dieser ganze Mist wieder ein – der Hass, die Gewalt, der rechte Terror.

Meine Eltern wohnen in einem Reihenhaus in einer ruhigen Ecke Zwickaus, die Ziegel sind rot, die Fassade verblichen gelb. Ich döse auf dem Bett in meinem alten Kinderzimmer, 15 Quadratmeter im Keller, die unglaublich friedlich wirken, absurd friedlich in diesem Moment.

An der Tür hängt ein altes Konzertplakat, auf dem ich zu sehen bin – in einer Version, die die Pubertät noch vor sich hat. Mein Kinn ist bereits ziemlich markant, meine Lippen kräftig und breit, doch im Verhältnis dazu wirken meine Zähne überdimensioniert, genau wie meine blaugrauen Augen. Für das Plakat hatte ich mich verkleidet. Ich trage einen Dreispitz, diesen pompösen Hut, der im 17. Jahrhundert in Deutschland in Mode war. Unter dem Hut lugt eine Perücke mit dicken Barock-Zöpfen hervor. Ich halte mir die Ohren zu. »Krach bei Bach – ein Kindermusical … Aufführung in der Moritzkirche Zwickau«. Ich spielte damals die Hauptrolle, Johann Sebastian Bach, den großen deutschen Komponisten. Früher, wenn mich Freund*innen besuchten, hoffte ich immer, dass sie das Plakat, das meine Mutter aufgehängt hat, nicht sehen.

Ein paar Meter neben dem Plakat steht mein altes Regal. Na ja, es wirkt eher wie ein Schrein, ein Schrein für Michael Jackson. Eine Kassette des Albums »Dangerous«. Eine Schallplatte der »Greatest Hits«. Eine DVD von »Thriller«. »Bad«, das Buch. Ein Stapel CDs mit beinahe allem, was Michael Jackson und The Jackson Five je aufgenommen haben.

Blicke ich von meinem Bett zur Decke, sehe ich einen Aufnäher, der an einem Haken baumelt. Die Silhouette eines muskelbepackten Mannes ist darauf zu sehen. Der Mann schwingt einen riesigen Hammer, den er auf ein verbogenes Schwert niederfahren lässt. Natürlich kein Marvel-Comic. Es ist das Symbol der Friedensbewegung der DDR, in dem sich – vielleicht etwas naiv – sozialistischer Realismus mit Bibelversen mischt. »Schwerter zu Pflugscharen«. Die Aufnäher waren Geschenke meiner Eltern. Heute wirken sie auch wie ein Zeugnis dafür, wie umsorgt ich großgezogen worden bin.

Überall in meinem alten Zimmer gibt es solche Erinnerungen. Wenn ich eine ganz gewöhnliche Jugend gehabt hätte, wäre es leicht, sich jetzt darin zu verlieren, noch einmal auf die Korkwand gucken, die mit Bildern von meinen ersten Partys und Konzerten gespickt ist. Ich würde mir noch mal die Fotos von Freund*innen angucken und einschlafen. Die Erinnerungen sind ja noch ganz frisch. Ich bin erst 19 Jahre alt.

Meine Jugend war aber nicht gewöhnlich. Und überhaupt: In dieser verdammten Nacht ist überhaupt nicht daran zu denken, in Erinnerungen zu schwelgen.

Während ich auf dem Bett liege, geht das Display meines Handys an. Die Matratze überträgt dumpf das Vibrieren. Ein Kumpel ruft an. Ich heb ab und steck sofort wieder drin in dieser nie enden wollenden Scheiße. Er erzählt mir, was alles los war in den vergangenen Tagen – hier in Zwickau, am Ort, an dem ich vor gar nicht allzu langer Zeit unbeschwert Bach gespielt und Michael Jackson gehört habe. Wenn du hier politisch wirst, ändert sich alles.

Tom3 und ein paar Freund*innen, alles stadtbekannte Linke, waren am Freitagabend Plakate für den 1. Mai kleben. Das Industriegebiet an der Marienthaler Straße neben sich, wateten sie mit vollbepackten Rucksäcken durch die Dunkelheit. Nur hier und dort warf eine Straßenlaterne einen Lichtkegel auf den schwarzen Asphalt. In der Ferne konnten sie ein blaues Schimmern sehen, die Beleuchtung der Aral-Tankstelle. Als langsam ein weißer Mercedes vorbeirollte, ahnte Tom nicht, dass es sich um einen Spähtrupp handelte. In dem Auto saß Lars Kujath. Er ist der Vater von Sanny Kujath, der Nachwuchsgröße in Sachsens rechtsextremer Szene und der mutmaßliche Gründer der »Jungen Revolution«, einer Organisation4, die sogar den Verfassungsschutzbehörden bestens bekannt ist.

Tom sah dem Mercedes einen Moment nach, bevor er in der Dunkelheit verschwand, dann stapften er und sein linker Plakatier-Trupp weiter, ohne sich etwas dabei zu denken.

Es waren noch hundert Meter bis zur Aral-Tankstelle, als der weiße Mercedes wiederauftauchte, gefolgt von zwei schwarzen Limousinen, vollgestopft mit Jugendlichen mit Seitenscheiteln oder geschorenen Köpfen. Der Mercedes parkte am Gehweg, die schwarzen Limousinen stellten sich quer auf die Marienthaler Straße – genau zwischen Tom und die Tankstelle.

Tom wusste, dass er nur eine Chance hatte. Rennen, und zwar bloß nicht zurück ins menschenleere Industriegebiet, sondern vorbei an den schwarzen Limousinen, zu den Zapfsäulen der Aral, hinein ins Sichtfeld der Überwachungskameras. Tom sprintete los. Die anderen folgten. Sie preschten, ihre schweren Rucksäcke hin- und herschaukelnd, an den Neonazis vorbei.

Die schwarzen Limousinen setzen sich wieder in Gang, allerdings nur für ein paar Meter. Sie parkten gegenüber der Tankstelle und rührten sich nicht mehr. Die Neonazis machten es sich bequem, wohlwissend, dass sie jetzt nur noch abwarten müssen. Tom und die anderen waren eingekesselt von einem rechten Schlägertrupp.

Tom schnappte sein Handy, öffnete den Messenger-Dienst Signal und fing an zu tippen. »Hängen in der Aral-Tankstelle fest. Mehrere Autos mit Faschos stehen davor.« Dann noch eine Nachricht. »Wir wissen nicht, was wir tun sollen.« Und noch eine: »Kann uns jemand hier rausholen?«

An den Anfang jeder dieser Nachrichten setzte Tom die Ziffer Drei. Um für solche Situationen gewappnet zu sein, haben wir vor ein paar Jahren eine Messenger-Gruppe aufgemacht, die wir »SOS-Fascho-Alarm« getauft haben. Es gibt darin drei Eskalationsstufen. Eins: Neonazis gesichtet. Zwei: Ich bin womöglich in Gefahr. Drei: Holt mich so schnell es geht hier raus!

Die Fensterscheibe des weißen Mercedes glitt immer wieder herunter. Kujath dokumentierte Toms Plakatier-Aktion mit Fotos. Sie landeten einige Wochen später im Zwickauer Stadtrat. Eingebracht hat sie Sven Georgi5, der für die Wählervereinigung »Zukunft Zwickau« in das Stadtparlament eingezogen ist und sich noch zu einer treibenden Kraft der extrem-rechten Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Zwickau entwickeln sollte. Georgi führte die Bilder als Beleg für linke Umtriebe in Zwickau auf.

Zwanzig Minuten warteten Tom und die anderen an der Tankstelle, bis sie abgeholt wurden. Ein paar Gleichgesinnte, andere Linke aus Zwickau, kamen mit Autos. Der weiße Mercedes und die schwarzen Limousinen verschwanden.

Es war nicht der einzige Vorfall der vergangenen Tage: Die »DIY Druckbar«, ein alternativer Treffpunkt im Zentrum Zwickaus, der zugleich ein Siebdruckladen ist, wurde schon oft angegriffen. Zerschlagene Fenster, beschmierte Wände, das gehört zum Alltag. Am Wochenende besuchten Neonazis den Betreiber Tony Fischer allerdings zu Hause. Sie lungerten vor seinem Haus herum. »Räume besetzen« nennt sich das wunderbar euphemistisch. Und oft funktioniert es. Natürlich wagte sich Tony in dieser Nacht nicht vor die Haustür. Bevor die Nazis abzogen, schmierten sie noch ein paar Worte auf Tonys Briefkasten: »Zecken klatschen«.

Haben die Menschen recht, die von »Dunkeldeutschland« sprechen, wenn sie über den Osten der Bundesrepublik reden? Haben sie recht, wenn sie Sachsen als den düstersten Punkt in der Finsternis beschreiben? Und wenn ja, was ist dann Zwickau?

Es ist bereits weit nach Mitternacht, als ich das Gespräch mit meinem Kumpel beende. Ich lege mein Handy wieder auf die Matratze und lasse meinen Kopf in die Kissen sinken. Jede*r in Zwickau weiß, dass ich dazugehöre zu Tom und den anderen Linken. Selbst in meinem friedlichen Kinderzimmer ist offensichtlich, wer ich bin und wofür ich stehe. In der Ecke meines Michael-Jackson-Schreins liegen ein paar Flyer: »Nein zu rechter Hetze«. An den Streben des Regals pappen Aufkleber: »Refugees Welcome«. Und auf der Heizung steht ein knittriges Demo-Plakat mit lila Farbkleksen: »Diese Stadt hat Nazis satt.« Natürlich wissen Kujath und seine kahl geschorenen Kumpane, wo ich zu Hause bin – oder besser gesagt: wo meine Eltern zu Hause sind.

Vor ein paar Monaten marschierte auch hier ein Neonazi auf und ab, Manuel Ganser, Kader der rechtsextremen Partei Der Dritte Weg. Vorbestraft, gefährlich. Räume besetzen.

Als Ganser abzog, pappte er auch mir einen Aufkleber auf den Briefkasten: »Good Night Left Side«.

Von wegen gute Nacht. Ich mache kein Auge mehr zu. Ich gebe es nicht gern zu. Ich will mich nicht einschüchtern lassen, ich will nicht als Opfer dastehen, schon gar nicht vor diesen beschissenen Nazis. Aber wir alle haben Angst. Ich hab Angst.

Wenn ich bei meinem Studium in Halle nicht gerade beim Kochen mit meiner WG prokrastiniere, lerne ich Methoden der Datenanalyse, beschäftige mich mit Postkolonialer Theorie und Internationalen Beziehungen. Alles ist wunderbar akademisch – das...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2022
Co-Autor Issio Ehrich
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Aktivismus • Anschläge • Antifaschismus • Bedrohung • Beleidigung • Buchenwald • Demokratie • Demos • Dunkelziffer • Einwanderer • Engagement • Extremismus • Frei • Gerechtigkeit • Gesellschaft • Gewalt • glatzen • Grünen • Hass • Hitler • Kampf • Knast • KZ • Links • Migration • Nationalsozialismus • Neonazi • NSU • Ostdeutschland • Partei • Polizei • Rassismus • rechts • Schlägertrupp • Strafe • Terror • Toleranz • Tote • Übergriffe • Zivilcourage • Zivilgesellschaft • Zschäpe
ISBN-10 3-7517-2881-3 / 3751728813
ISBN-13 978-3-7517-2881-2 / 9783751728812
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